Bob & Beyoncé

Collage, Zitate, Verweise, Metaphern, Identifikationsfiguren: Beyoncé und Bob Dylan kuratieren amerikanische Musikgeschichte und stehen für das demokratische Amerika

Beyoncé Knowles Carter und Bob Dylan, Fotos: Wikimedia Commons

Sie sind sich näher als so mancher alter, weißer Dylan-Fan denkt. Zumindest in der Art wie sie mit der amerikanischen Musikgeschichte umgehen: Bob Dylan und Beyoncé Knowles-Carter. Klar, es gibt da dieses Bild von Dylan mit Beyoncé inmitten ihrer damaligen Gesangsgruppe „Destinys Child“ von den Grammy-Feierlichkeiten 2002. Aber mehr als dieser Schnappschuss lässt sich an öffentlichen Gemeinsamkeiten nicht feststellen, schon gar keine wie auch immer geartete künstlerische Zusammenarbeit. Stattdessen postete sie aber 2012 während Albumaufnahmen auf Twitter aus heiterem Himmel: „‘I’ll let you be in my dreams if I can be in yours.‘ Bob Dylan“. Wir können davon ausgehen, dass beide Seiten um ihre Bedeutung für die amerikanische Musik wissen. Aber wie gesagt, sie sind sich in ihrer musikalisch-künstlerischen Ausdrucksweise näher als man denkt.

Warum? Dylan hat sowohl auf seinem ersten Karriere-Peak in den Mittsechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als auch in seinen gefeierten Alben seit der Jahrtausendwende den amerikanischen musikalischen und gesellschaftlichen Kontinent in einer Art und Weise durchschritten, der beispiellos ist. Er hat dies auf dem Fundament der gesamten amerikanischen Populärmusik gemacht: Folk, Blues, Country, Jazz und Urban Pop der 1930er bis 1950er Jahre. Er hat sehr wohl neben den musikalischen auch die literarischen Ausdrucksformen der afroamerikanischen Community studiert. Wegen des Gefühls für Blues und Sprache hat er schon den Rap als sehr nahe am Blues gesehen, als selbst noch progressive Weiße hierzulande Rap und Hip Hop in einen Topf mit ihrem schrägen Verwandten, dem Gangsta Rap mit seinen Kennzeichen Frauenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung, Protz und Bling Bling geschmissen haben. Ohne Verständnis für die emanzipatorischen Ursprung dieser Hip Hop-Kultur in den Ghettos der 1970er Jahre.

Beyoncè hat dagegen spätestens seit Mitte der 2010er Jahre sich konsequent politisiert und den weiblichen afroamerikanischen Emanzipationskampf zu ihrem Thema gemacht. Allem Superstargehabe zum Trotz. Hinter der Diva-Maske steckt eine reflektierte und emphatische Persönlichkeit. Legendär ist längst ihr Song und Video „Formation“, in dem nicht mehr und nicht weniger die jahrhundertelange Geschichte des schwarzen Amerikas erzählt wird. Von Plantagensklaven und Dienerschaft über Black Cowboys und Buffalo Soldiers bis hin zu den afroamerikanischen Opfern von Katrina in New Orleans.

Dylans Schwanengesang auf Amerika und Beyoncés Forderung nach Anerkennung

Copyright: Columbia Records

Während Dylans Rough And Rowdy Ways von 2020 den Schwanengesang auf das wegen seiner Widersprüche auseinanderbrechende Amerika und auf das Ende des amerikanischen Jahrhunderts darstellt – mit seiner politisch-popkulturellen Geschichtserzählung in Stücken wie „Murder Most Foul“, „Mother Of Muses“ oder „Key West“ – ist Beyoncés neues Album „Cowboy Carter“ die Einforderung der Anerkennung der schwarzen Beiträge zum uramerikanischsten aller Musikgenres, dem Country. Er erzählt von Cowboys und der Eroberung des Westens, von Small Towns und Familie, vom Zusammenhalt und von der individuellen Freiheit gleichermaßen. Zu all dem haben die Afroamerikaner wichtige Beiträge geliefert. Doch die sind in der weißen Erzählung gestrichen worden. Die obszöne gesellschaftliche Segregation von weißem und schwarzem Leben im Süden, die mittels Militanz und Gewalt aufrechterhalten wurde, führte zusammen mit der von der Plattenindustrie daraus abgeleiteten demoskopischen Annahme „weiße kaufen nur weiße Musik, Schwarze kaufen nur schwarze Musik“ zu einer Genrespaltung in weißes „Country & Western“ sowie schwarze „Race Records“, die in der Frühzeit des Country, in der Old Time und Hillbilly-Musik so nicht gegeben war. Es gab weiße und schwarze Stringbands, die sich im Repertoire kaum unterschieden. Es gab die sogenannten „Songster“, die alle populäre Musik spielten – egal ob weiße oder schwarze Genres. Der einsame „Bluesman“ ist eine Legende. Stringbands und Songster waren Gebrauchs- und Unterhaltungsmusiker.

Und die Rassentrennung wurde in der Musik auch immer wieder unterlaufen. Denn jeder frühe Countrystar hatte auch einen schwarzen Lehrmeister. Leslie Riddle brachte der Carter Family das Gitarrespielen und viele Lieder bei. Rufus Payne war gleichsam der Musiklehrer von  Hank Williams und Arnold Shultz beeinflusste Bill Monroe maßgeblich. In der Frühzeit der Grand Ole Opry war ganz selbstverständlich der schwarze Mundharmonikaspieler DeFord Bailey Teil des Ensembles. 1941 wurde er aus rassistischen Gründen aus der Opry gemobbt. Erst 1967, mehr als ein Vierteljahrhundert später, trat mit Charley Pride wieder ein afroamerikanischer Künstler in der Opry auf. Pride konnte sich im Mainstream-Country trotz seiner Hautfarbe etablieren. Seinem weiblichen Pendant Linda Martell gelang dies nicht. Als schwarze Frau war sie noch viel mehr und viel hässlicheren rassistischen Attacken seitens des Publikums ausgesetzt. Zudem stand ihr Manager nicht wirklich hinter ihr. Mitte der !970er war diese Karriere schon wieder vorbei.

Mit Collagen und Zitaten treffen sie sich in ihrer Art des Songwriting

Copyright: Sony Music

Solche Geschichten erzählt Beyoncé. Sie erzählt sie mit Metaphern und Verweisen, in Zitaten und Collagen, textlich und klanglich. Den Anspruch, damit eine gesellschaftliche und (musik)geschichtliche Totalität und Entwicklung abbilden zu können, hat sie ebenso wie Dylan in seinem Spätwerk. Man denke nur an sein Masterpiece „Blind Willie McTell“. Beyoncé erzählt sie entgegen aktueller Trends nicht identitär ausschließend, sondern baut Brücken. Mit Dolly Parton und Willie Nelson hat sie zwei der größten lebenden Country-Legenden für ihre Sache gewinnen können. Ein Echo dieser Zusammenarbeit ist vielleicht auch das Line-Up der diesjährigen Outlaw Festival Tour, bei dem neben Nelson und Bob Dylan u.a. auch die schwarze Countrymusikerin Brittney Spencer, die afroamerikanische Singer-Songwriterin Celisse und die Blues- und Soulband Southern Avenue mit von der Partie sind. Da Spencer gerade an einem Song gegen die republikanische Senatorin von Tennessee mitgewirkt hat und Celisse u.a. 2016 mit dem Song „Freedom“ sich gegen rassistische Polizeigewalt ausgesprochen hat, darf man die Zusammenstellung des Line Up – John Mellencamp ist auch dabei! – getrost als politisches Statement verstehen.

Dylans Sichtweise der amerikanischen Gesellschaft konfrontiert seit jeher die Versprechen der Gründerväter mit der Realität amerikanischer Geschichte und Gegenwart. Auch Beyoncé steht für die universellen Menschenrechte. Und sie ist für viele junge Amerikanerinnen und Amerikaner – ob schwarz oder weiß – eine positive Identifikationsfigur für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft. Der „Billboard“ fragte sich schon 2017 ob Beyoncé eine legitime Nachfolgerin Bob Dylans in dieser Hinsicht sei.

Stimmen der Hoffnung

In diesen Tagen wird viel Häme und Hass über Beyoncés Album „Cowboy Carter“ vergossen. Hier kommt die Hauptkritik vom eher rechten Spektrum. Die andere große weibliche amerikanische Pop-Figur – Taylor Swift – sorgt ebenfalls für viel Häme und Unverständnis. Und das auch von eher progressiven Zeitgenossen. So verwahrten sich Internetkommentare dagegen Joan Baez und Taylor Swift in einem Atemzug zu nennen. Und lassen dabei völlig außer Auge, dass sich Taylor Swift öffentlich ebenfalls politisch ganz klar progressiv verortet hat. Bob Dylan und Joan Baez waren das Traumpaar einer demokratischen, kritischen Jugend als die USA ähnlich polarisiert waren. 60 Jahre und eine Mondlandung später, die auch geprägt waren durch die Veränderung von Musik, ihrer Rezeption, ihrer Herstellung, ihrer Aufbewahrung und Vertriebswege durch MTV, Digitalisierung und Globalisierung sollte man verstehen, dass von Beyoncé und Taylor Swift unter den heutigen Bedingungen eine ähnliche Wirkung ausgehen könnte. Sie haben als Identifikationsfiguren die Möglichkeit, Menschen davon abzuhalten Ihre Stimme Anti-Demokraten zu geben oder gar nicht zu wählen. Stimmen der Hoffnung also.

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