„Don’t Fence Me In“

Bob Dylans Songbeitrag zum Reagan-Film-Soundtrack ist der Aufreger der Woche. Grund genug, um sowohl auf seine Filmsongs als auch sein Verhältnis zu den US-Präsidenten zu schauen

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„Don’t Fence Me In“ ist ein sehr bekannter Cowboysong. Aber keiner wie „Home On The Range“ oder die Cowboy-Songs im Repertoire von Leadbelly, die Cowboys selber geschrieben und gesungen haben. Sondern geschrieben 1934 von Cole Porter für einen Film, „Adios Argentina“, der nie produziert wurde. Porter hatte den Text von Robert (Bob) Fletcher, einem Poeten und Ingenieur beim Highway Department von Montana. D.h. der Text atmet tatsächlich Western-Luft. Die Musik schrieb Porter dazu und es wurde ein Cowboy-Song-Klassiker, von dem Cole Porter aber selbst sagte, es wäre der, den er von seinen Kompositionen am wenigsten mochte.

Das tat seinem Erfolg aber keinen Abbruch. Ihn haben die „Singing Cowboys“ Roy Rodgers und Gene Autry geschmettert, Bing Crosby und Frank Sinatra, sogar Clint Eastwood und jetzt also Bob Dylan. An sich kein großes Thema, da Dylan ohnehin einen Hang zum Great American Songbook hat. Doch da der Song zum Soundtrack eines neuen Biopics über Ronald Reagan (Hauptdarsteller Dennis Quaid) gehört, ist das Heulen und Zähneklappern groß.

Keine Unterstützung für die Republikaner

Man kann davon ausgehen- und das habe ich hier schon öfters geschrieben – dass Dylan ein Mann der alten Roosevelt-Koalition ist. Seine Eltern haben als Juden in einer Bergarbeitergegend in Minnesota die Democratic Farmer Labor Party gewählt und Dylan selber hat sich über den demokratischen Senator Paul Wellstone lobend geäußert, ist mit Jimmy Carter befreundet und hat zumindest am Anfang auch Obama unterstützt. Er ist mit dem liberalen Willie Nelson und dem entschiedenen Demokraten John Mellencamp auf Tour, hat die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützt und sein Album „Infidels“ ist auch eine kritische Betrachtung Amerikas unter Reagan.

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Warum zur Hölle, soll er nun mittels eines Songs, der im Abspann eines Films läuft – hier werden die Credits gezeigt, hier geht das Licht an und der Großteil verlässt den Kinosaal – sich für Reagan oder gar Trump aussprechen? Nein, nein, nein. Wie es ein Forumsteilnehmer auf expectingrain treffend formuliert hat: Würde er dies machen wollen, er hätte tausend bessere und offensichtlichere Möglichkeiten dies zu tun.

Interesse an Geschichte, Ironisches Statement und/oder Gefälligkeit für Freunde

Drei Gründe für sein Mitwirken könnten entscheidender sein. Zum einen: Bob hat ein großes Interesse an Geschichte und an Persönlichkeiten, die Geschichte geschrieben haben. Und er hat ein spezielles Faible für die Institution des US-Präsidenten und auch wer sie innehatte. Nur ein paar Beispiele:

  1. Wir erinnern uns gerne an das „Theme Time Radio Hour“-Special zum „President’s Day“, bei dem Dylan viel informatives und unterhaltsames zu den Präsidenten zum Besten gab. Zum Beispiel war es ihm wichtig zu erwähnen, dass Franklin D. Roosevelt als Präsident ein afroamerikanisches Beratergremium hatte.
  2. Dylan war wie viele seiner Generation beeindruckt von JFK und angefasst von dessen Tod. So sehr, dass er fast sechzig Jahre später „Murder Most Foul“ veröffentlichte.
  3. Bei dem Tribute-Konzert anlässlich des Todes von Wood Guthrie spielte er „Dear Mrs. Roosevelt, dass ja eine Hymne für Franklin D. Roosevelt ist.
  4. Und in „Key West“ findet dann auch der ermordete Präsident William McKinley nochmals Erwähnung und zwar genau mit den Anfangszeilen von „White House Blues“ von Charly Poole, das natürlich im oben erwähnten Special auch nicht fehlen durfte.
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Wenn Bob nun diesen Song zum Reagan-Film-Soundtrack beisteuert, dann möglicherweise genau aus diesem Interesse an den US-Präsidenten. Einem an den sich die US-Linke besonders gerne abgearbeitet hat. Der noch als Gouverneur von Kalifornien mit Gewalt gegen protestierende Studenten vorging, später dann das rassistische Bild der „Welfare Queen“ schuf und dem Kampf gegen die Gleichberechtigung der Afroamerikaner die Maske des „War On Drugs“ aufsetzte. Alles nur, um durch die Spaltung der Arbeiterklasse seine gewerkschafts- und sozialstaatsfeindliche Politik durchsetzen zu können.

Der gleichzeitig als großer Kommunikator gefeiert wurde und doch nichts anderes war, als ein geschickter Verkäufer, Trickser und Blender. Wie P.T. Barnum, wie Buffalo Bill. Ein widersprüchlicher Typ, eine typisch amerikanische Geschichte. Genau der Stoff, den Bob interessiert. Egal, wie das Filmprojekt konkret aussieht.

Vielleicht, so die zweite Möglichkeit, ist der Song ja auch ein ironisches Statement von Dylan. Ein nachgemachter Cowboy-Song für den Fake-Cowboy Reagan. Das Bild mit Westernhut ziert ja das Filmplakat. Dass der Song die grenzenlose und zaunlose Freiheit einfordert, ist angesichts des Booms der Gefängnisindustrie unter diesem Präsidenten auch nochmal eine schöne Pointe. Ob Dylan da so subversiv unterwegs ist? Wir wissen es nicht.

Oder hat das Projekt, so die dritte Möglichkeit, Gene Simmons, Bandleader von „Kiss“ an Dylan herangetragen. Die kennen sich seit gut dreißig Jahren persönlich, als die beiden den Song „Waiting for the Morning Light“ geschrieben haben. 2012 war dann im Dylan-Video zu „Duquesne Whistle“ ein Gene Simmons-Impersonator (oder war er es selbst?) zu sehen. Durchaus einleuchtend, dass Gene Simmons der Link zu Dennis Quaids Filmprojekt sein könnte. Simmons hat sich in der Vergangenheit immer wieder für die Republikaner stark gemacht. Und Dylan hat damit einem Freund einen Gefallen getan? Oder hat er den Song aufgenommen, weil Quaid ein Cousin zweiten Grades von Gene Autry ist. Fragen über Fragen.

Jedenfalls war es wohl ein Freundschaftsdienst bei Tanya Tucker, die ebenfalls auf dem Soundtrack zu hören ist. Die wurde von Dennis Quaid als gute alte Freundin bezeichnet. Der Country-Star ist jedoch längst eine LGBT-Ikone und feste Größe bei der Nashville Pride Parade. Auch hier passt die gesellschaftliche Haltung nicht ganz zu Reagan und den Republikanern.

Gene Simmons, Copyright: Wikimedia Commons

Im Endeffekt scheint der Soundtrack wertiger als das B-Movie zu dem er gehört. Kein Wunder, dass Dennis Quaid sein Glück kaum fassen konnte, dass Bob Dylan und Tanya Tucker dabei sind. Doch das wird dem Film auch nicht helfen.

Fortsetzung der Serie „Schöne Dylan-Songs in schlechtem Umfeld“

Bleibt die Qualitätsfrage der von Dylan mit Songs belieferten Filme. Denn Dylan hat neben den legendären Filmsongs „Knockin‘ On Heavens’s Door („Pat Garrett & Billy The Kid“) und „Things Have Changed“ („Wonder Boys”) für bemerkenswerte Filme, auch so manch suspektes Projekt mit seinen Songs unterstützt. Auch hier einige Beispiele:

  • „Band Of The Hand“ ist ein filmisches Machwerk von 1986, dem Dylan & The Heartbreakers den Titelsong lieferten. Er ist quasi die Umsetzung des Reagan’schen Law & Order und „War On Drugs“ in Spielfilm-Format.
  • „I Belong To You“ für “Natural Born Killers” (1994). Ein Oliver Stone-Film, der eigentlich ein früher Tarantino-Film sein will und daher vieles moralisch relativiert und Gewalt ästhetisiert. Dylans Beitrag stammt aus den „Good As I Been To You“-Sessions.
  • Das wunderbare “Cross The Green Mountain” hat Dylan eigens für den doch sehr fragwürdig-pathetischen Bürgerkriegsschinken „Gods And Generals“ eingespielt.
  • Und auch seine großartigen Performances gehen letztendlich in der filmisch ungenügenden Umsetzung der eigentlich guten Idee von „Maske & Anonymous“ unter.

Dylan und der Film – immer wieder ein schwieriges Thema

Dylan und der Film bleibt somit auch 2024 weiterhin ein schwieriges Feld für unseren Künstler. Freuen wir uns einfach über die schöne Aufnahme, die in ihrer Qualität sicher auf einer Höhe mit  „Tell Ol’ Bill“ („North Country“) und „Waiting For You“ („Die göttlichen Geheimnisse der Ya-Ya Sisterhood“) sein wird, weiteren schönen Dylan-Songs, die sich in Film-Soundtracks versteckten.

Freuen wir uns lieber auf „A Complete Unknown“, dem neuen Biopic. Wobei: Gibt es da auch eine neue Dylan-Aufnahm im Soundtrack? Es darf spekuliert werden.

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