Hummeln im Hintern, Ideen im Kopf

Bewegungsfreudiger Bob Dylan spielt beim ersten Frankfurter Konzert seine Songs wieder einmal ganz anders als noch im letzten Jahr

Die Vorfreude war schon im Sommer groß, Foto: Cowboy Band Blog

Nein, Bob Dylan will einfach nicht stehenbleiben, will sich nicht wiederholen. Auch mit 83 Jahren will er sein Werk immer wieder revidieren, neu erfinden und auf den Prüfstand stellen. Und so hat er nach 2022 und 2023, als er seine Songs in nahezu perfekt konzipierter und orchestrierter Kammerkonzertform dargeboten hat, in diesem Jahr mal wieder alles kräftig durchgeschüttelt.

Zurück zum Kern der Songs

Er verzichtet schon seit der Outlaw-Tour nach gut 20 Jahren auf Donnie Herron, dem Multiinstrumentalisten an Lapsteel, Madoline, Geige und Trompete. Geblieben sind die Gitarristen Doug Lancio und Bob Britt und natürlich Bassist Tony Garnier. Seit dem Sommer sitzt die Drummer-Legende Jim Keltner am Schlagzeug. Nach dem ins jazzige spielenden Charlie Drayton und dem Country-Drummer John Pentecost folgt mit Keltner jetzt ein traditioneller Rock-Drummer. All dies zeigt Dylans Wunsch, seine Musik in reduzierter Form zu spielen, auf den Kern zurückzukommen. Hatte er seit 2021 auf seiner Rough And Rowdy Ways-Tour ein ausgearbeitetes künstlerisches Konzept, so hat er nun nur eine Idee. Alles andere entsteht auch am ersten der drei Frankfurter Abende in der Bühnenarbeit.

So verlässt Dylan sich zunehmend auf sich selbst. Vorbei die Jahre als Dylan an der Seite der Bühne einer unter vielen der Bob Dylan-Band war. Er lieh ihr seine Stimme, Orgel/Keyboard oder Klavier waren aber manchmal kaum zu hören. Nun stehen er und das Klavier oder genauer das „Baby Grand Piano“ genauer  im Mittelunkt der Bühne. Hinter ihm stehen Keyboard und Gitarre bereit, die er vor allem in den ersten Songs des Abends mit dem Rücken zum Publikum spielt.

Bewegungsfreudig

Für diese doch schräge Darbietung entschädigt Dylan das Publikum später um so mehr, denn im Gegensatz zu den letzten Jahren wagt er sich auffällig oft auf die offene Bühne, in der Hand das Mikro. Er scheint Hummeln im Hintern zu haben, ist bewegungsfreudig. Dabei wirkt er aber etwas gebückt und unsicher, immer wieder schließt er diese Ausflüge ab, in dem er sich am Klavier festhält, dann wieder hinters Piano geht, sich dann singend über den Flügel beugt. Als wolle er in kleiner Runde in irgendeiner Bar singen. Und das passt auch zum ganzen Ambiente der Bühne, die Band wirkt, als würde sie zum Kehraus in einer Bar für wenige einsame Seelen spielen.

Die Jahrhunderhalle, der Ort des Geschehens, Copyright: Wikimedia Commons, GNU-Lizenz für freie Dokumentation, A. Köhler

Dylan spielt das Baby Grand Piano – ausführlich, fast ausschweifend – die Harmonika – fast ebenso ausschweifend, das Keyboard selten und die Gitarre nur ganz am Anfang. Sein musikalisches Vermögen steht im Mittelpunkt. Das Pianospiel ist überraschend gut, das Mundharmonikaspiel fleißig, ohne aber die ganz großen Soli-Momente zu schaffen. Der Gesang ist wechselhaft. Manchmal laut und energisch, dann wieder nachlässig und halbe Verse verschluckend. Aber wie auch immer – er hat alles im Griff.

Dazu gehört auch, dass die beiden Gitarristen kein musikalisches Eigenleben zugestanden wird. Fleißig tragen sie zu Melodie und Rhythmus bei, doch aus sich herausgehen dürfen sie nie. Dazu passt, dass sie in Frankfurt identisch mit dunklem Anzug und Schiebermütze gekleidet sind. Anonyme Mitspieler? Doch Dylan lässt sich nicht lumpen und stellt seine Musiker diesmal sogar einzeln vor. Bob Britt nach „I Contain Multitudes“, Doug Lancio nach „When I Paint My Masterpiece”, Tony Garnier nach “Back Rider” und Jim Keltner nach “My Own Version Of You”.

Musikalische Skizzen

Auch in Frankfurt spielt Dylan wieder neun Songs von RARW – auf die Uraufführung von Murder Most Foul müssen wir uns weiter gedulden – und dazu ein paar Klassiker. Der erste Song ist „All Along The Watchtower“, das natürlich als Kommentar zur Lage der Welt passender ist denn je. „It Ain’t Me Babe“ fügt sich wunderbar in die Selbsterklärungssongs „I Contain Multitudes“ und „False Prophet ein und „It’s All Over Now, Baby Blue“ erklingt im Umfeld der literarisch, historisch und religiös verankerten „philosophischen“ Dylan-Songs wie „Mother Of Muses“, „Key West“ und „Every Grain Of Sand“ schon etwas danach, dass dem Sänger die Endlichkeit seines Tuns bewusst ist.

Die Musik wirkt oftmals skizzenhaft, hier und da sind gerade am Anfang auch schräge Töne zu hören. Die Performance ist wichtiger als die Perfektion, Dylan experimentiert wieder. Das hört sich dann manchmal nicht so gut an – „Crossing The Rubicon“ erweist sich als langer, zäher Brocken und „Jimmie Reed“ wirkt etwas verloren und richtungslos – sorgt aber auch für schöne musikalische Momente. Höhepunkte des Abends sind „When I Paint My Masterpiece“ zur Melodie von „Istanbul (Not Constantinople)“. Was zu einem Song, in dem Dylan den Meisterwerken des alten Europas huldigt, durchaus passend erscheint. Dazu „Desolation Row“, mit einen Trommelrhythmus, den man sowohl von Buddy Hollys „Peggy Sue“, als auch von Dylans „Series Of Dreams“ kennt, dann „Mother Of Muses“, mit großer Hingabe gesungen, und natürlich das auch hier wieder überirdische „Every Grain Of Sand“.

Am Ende wird getanzt

Das Publikum reagiert durchgehend freundlich, ohne enthusiastisch zu sein. Am Anfang noch etwas reserviert, später dann immer wieder einzelne Zuschauer mit Standing Ovations, wieder etwas später tanzen einige an der Seite und sogar ein Paar direkt von der Bühne. Am Ende applaudieren alle stehend. Man hatte aber den Eindruck, als wäre ein großer Teil der ganz treuen Dylan-Enthusiasten und Stimmungsmacher nicht anwesend, so dass stimmungsmäßig noch Luft nach oben ist. Wir sind gespannt wie es heute weitergeht.

Setlist, Frankfurt am Main, 16. Oktober 2024

1.         All Along the Watchtower

2.         It Ain’t Me, Babe

3.         I Contain Multitudes

4.         False Prophet

5.         When I Paint My Masterpiece

6.         Black Rider

7.         My Own Version Of You

8.         To Be Alone With You

9.         Crossing the Rubicon

10.       Desolation Row

11.       Key West (Philosopher Pirate)

12.       It’s All Over Now, Baby Blue

13.       I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You

14.       Watching the River Flow

15.       Mother of Muses

16.       Goodbye Jimmy Reed

17.       Every Grain of Sand

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