Benedict Wells‘ Amerika

Er liebt Bob Dylan und erzählt amerikanische Geschichten. Selbst wenn sie nicht in Amerika spielen.

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Mal wieder Literatur. Und Bob Dylan ist nur mittelbar Thema. Das spannende an Dylan für mich ist ja auch, dass mir sich durch sein Werk neue musikalische Welten erschlossen haben. Country, Old Time, Folk, Roots Music zum Beispiel. Aber auch immer mal wieder Bücher. Zwar bin ich auch ohne ihn auf Benedict Wells aufmerksam geworden, aber dass da tatsächlich ein Dylan-Link besteht ist natürlich grandios.

Auf Wells aufmerksam wurde ich durch seinen literarischen Road Movie „Fast Genial“. Ich umschlich das Werk lange in den Buchläden, weil ich mir dachte, „ein amerikanisches Road Movie von einem deutschen Autoren, na ich weiß nicht so recht“. Dann kam „Hard Land“ raus. Und wieder Nachdenken. Und schließlich hab ich mir beides besorgt. Und den Bob Dylan-Geburtstagsband von Maik Brüggemeyer („Look Out Kid), zu dem Benedict Wells einen Beitrag geliefert hat. In dem er erst schildert, was ihn an Dylan gepackt hat, um dann zu schreiben, dass es richtig dylanesk wäre, nicht über ihn zu schreiben.

Wells‘ Wärme und Empathie für die Figuren

Das faszinierende an Wells‘ Prosa ist die Wärme und die Empathie für die Figuren. Obwohl er ein Freund und Kenner der Popkultur ist, befindet sich seine Literatur meilenweit von dem entfernt, das sehr oft als Popliteratur auftritt und sich als rein hedonistisch oder zynisch entpuppt. Im Gegenteil: Wells hat ein humanistisches Menschen- und Gesellschaftsbild. Er will eine bessere Welt. Und weil die Welt nicht gut ist, geht es auch seinen Protagonisten nicht gut. Und auch die sind nie einfach nur abgedreht und zynisch, sondern leiden an der Gesellschaft. Und behalten aber ihre Wärme und ihr Sentiment.

Vorliebe für Bob Dylan

Auch sein Sentiment für Amerika und seine Begeisterung für die amerikanische Popkultur, die zu seinen Jugendzeiten auch global noch stärker hegemoniell war als heute, ist ungebrochen stark. So ist es kein Wunder, dass er seine Romane immer wieder mit Versatzstücken aus dem Arsenal der amerikanischen Popkultur bestückt. Schon sein erstes Buch – Becks letzter Sommer – steckte da den Rahmen ab. Es ist in der klassisch-amerikanischen Erzählweise als Road Movie entworfen. Und dann spielt plötzlich Bob Dylan eine wichtige Rolle im Roman. Wells sagte dem Buchmagazin „Booksection“ dazu: …ich liebe Bob Dylan sogar, der Typ ist ein musikalisches und lyrisches Genie, wenn auch vielleicht nicht gerade der beste Sänger. Am Anfang hat er eigentlich nur eine kleine Rolle in der Geschichte gespielt. Irgendwann fiel mir aber auf, dass Rauli der junge Dylan sein könnte und dann kam die Idee, dass man Bob Dylan in eine Szene tatsächlich einbauen könnte. Als ich das wusste, war mir auch klar, dass ich das Buch in A und B-Seite aufteilen und die Kapitel nach Bob Dylan-Songs benennen muss. Ja, so ist Dylan durch die Hintertür immer mehr in die Geschichte rein gekommen. Aber es ist nur logisch, dass Beck Bob Dylan hasst. Anders wäre es nicht gegangen.“

Das Buch ist in A-Seite und B-Seite unterteilt und jedes Kapitel ist nach einem Dylan-Song benannt. Eines heißt „Things Have Changed“, ein anderes „Buckets Of Rain“, ein drittes „Like A Rolling Stone. „Ich mag Bob Dylan sehr gerne, mich nervt der auch nicht. Ich kann die Stimme hören und finde ihn extrem clever und gut. „All along the watchtower“ ist der Song, den ich mir immer für eine Reise vorstelle, da steckt so viel Reisegefühl und Power in dem Song, Freiheit, so dass klar war, damit beginne ich die Reise“, sagte Wells 2008 dem Deutschlandfunk.

In „Fast Genial“ war es wieder das Road Movie, das den Rahmen bildete. Wells siedelte sein Roadmovie nun tatsächlich in den USA an und der junge Held des Romans lebt im Trailerpark und erhält plötzlich eine ungeahnte Chance, der Perspektivlosigkeit zu entkommen. Er muss zu seinem Glück finden. Und das macht man auch heute noch in den USA typischerweise, in dem man ins Auto steigt und losfährt. Schon John Steinbeck stellte in einem der wohl bekanntesten literarischen Road Movies „Meine Reise mit Charley“ fest, dass die Amerikaner eigentlich ständig unterwegs sind. Das neueste und dunkle filmische Beispiel dieses amerikanischen Mobilität erzählt von der nackten ökonomischen Not: „Nomadland“, der Film von Chloé Zhao über eine Wanderarbeiterin mit der großartigen Frances McDormand in der Hauptrolle.

Amerika: „Größer als alle Vorurteile“

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Wells hat eine starke Bindung zu den USA, trotz der teilweise fragwürdigen politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte: „Für mich war die erste große Desillusionierung der Irakkrieg und dass Bush trotz all der ans Licht gekommenen Lügen wiedergewählt wurde. Doch als ich dann 2008 durch die USA gefahren bin, im letzten Bush-Jahr, wurde mir klar: Dieses Land ist einfach größer als alle Vorurteile. Das gleiche nun wieder, als ich 2019 monatelang dort war und Trump regierte. Auch da hatte ich vor der Reise gemischte Gefühle. Und ja, was immer du den Amerikanern vorwerfen möchtest, jedes Klischee, das findest du dort. Doch nur eine Ecke weiter begegnet dir schon das komplette Gegenteil. Und dann gibt es auch noch die Millionen Obdachlosen, Abgehängten und Durchs-Raster-Gefallenen, die eine Art drittes Land bilden, das öffentlich kaum stattfindet, weil es keine Stimme hat. Das alles hat mich demütiger gemacht in einem pauschalen Urteil gegenüber Amerika“ (Interview Berliner Zeitung, 28.2.2021).

In „Hard Land“, seinem neuesten Buch schreibt er einen klassisch amerikanischen „Coming Of Age“-Roman und siedelt ihn in einer Kleinstadt im Mittleren Westen der USA in den 1980er Jahren an. Er sagt in eben diesem Interview in der Berliner Zeitung: „Und genauso wichtig war mir das Gefühl für diese Zeit, die in vielem so anders war als jetzt, und deren Popkultur ich als Kind aufgesaugt hatte. Ich kann über einen gelben Highschool-Bus in den USA viel mehr erzählen als über den RVA-Ostallgäu-Bus, den ich als Heimschüler selbst benutzt habe. Aber das alles soll keine Verklärung sein, die 80er waren auch ein schwieriges Jahrzehnt…Es gab Kalten Krieg und echte Angst vor einer atomaren Eskalation, sauren Regen, Rückständigkeit, Homosexualität war in den USA vielerorts verboten. Deshalb bildete die Popkultur für mich eher das Gegengewicht zu all dem. Das wurde mir auch beim Schauen unzähliger Eighties-Klassiker noch mal bewusst.“

Man muss sich nur an „Zurück in die Zukunft erinnern“ als Doc Brown es nicht glauben kann, dass Ronald Reagan jetzt Präsident sei: „Na klar, und John Wayne ist Verteidigungsminister!“ Das Buch erhebt keine lautstarken politischen Parolen, dafür sind seine Protagonisten und ihre Lebensumstände die Beweise für die unheilvolle Entwicklung, die Amerika seit Reagan nehmen sollte. Wirtschaftlich, sozial, kulturell und politisch. Und dieses erzählt Wells ganz selbstverständlich, bildstark, melancholisch-humorvoll, mit starken Figuren und irgendwie so nebenbei, neben der individuellen Geschichte der jungen Hauptfigur.

Wells schreibt amerikanische Erzählungen

Uns so sind Wells‘ Bücher nicht nur im Grunde auf ihre Weise amerikanische Erzählungen, ihr Erzähler, Benedict Wells ist fast sogar so etwas wie ein Bob Dylan der Prosa. Seine Botschaft kommt nicht mit dem Holzhammer, sondern liegt subtil im Kontext oder im Umfeld des Romans. Zu allererst ist seine Botschaft human und menschlich, dann erst in zweiter Linie politisch. Aber sie ist es dafür umso stärker.