Von allzu männlichen Sammlern und der „Bluesmafia“

Amanda Petrusichs Buch „Um keinen Preis verkaufen“ ist eine abenteuerliche Reise in die Welt der 78er-Sammler und dabei stets erhellend und humorvoll

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Amanda Petrusich erzählt eine auf mehreren Ebenen spannende Geschichte. Es geht um die frühen Blues-, Country-, Jazz- und Gospelaufnahmen in den USA. Grundsätzlich positiv: Die Aufnahmen auf 78er Schellackplatten wäre heute längst vergessen, wenn es nicht Männer – ja vor allem Männer! – gegeben hätte, die diese sammelten. Sprich: Mit Jagdtrieb und Sammelleidenschaft ausgestattete, manchmal recht schräge Vögel, die es sich zum Lebensinhalt gemacht hatten, möglichst viele, seltene und wertvolle 78er-Platten zu besitzen. Warum das auch seine ambivalenten Seiten hat und trotzdem für die amerikanische Musikgeschichtsschreibung so wichtig war, davon erzählt Petrusich in ihrem Buch.

Mehr als eine Geschichte über das Sammeln

Das Schöne an diesem Buch ist die Begeisterung Petrusichs (Jahrgang 1980) für ihre Forschungsgegenstände. Sie nimmt Kontakt zur heutigen Sammlerszene auf, taucht in sie ein und gewinnt Einsichten darüber, wie diese Leute ticken, was sie antreibt. Dadurch erfährt sie viel über die frühen Schellacks und ihre Sammler. Ihre Begeisterung geht sogar so weit, dass sie extra einen Tauchgang einlegt, um verlorene 78er aus einem Fluss zu bergen. Was natürlich schief geht. Diese Abschnitte oder die teils obskuren persönlichen Begegnungen mit Sammlern wie Joe Bussard sind spannend und humorvoll geschrieben.

Gleichzeitig erzählt sie die Geschichte von Tonträgerfirmen wie Paramount Records, die Aufnahmen mit Bluessängern wie Charlie Patton machten. In einem Zeitfenster von Mitte/Ende der 1920er bis zur vollen Entfaltung der Great Depression Mitte der 1930er Jahre, sorgten Firmen wie Paramount dafür, dass schwarze und weiße Hillbillymusik auf 78er gebannt wurde. Als es aufgrund der Wirtschaftskrise keine Käufer mehr für die Platten gab, verschwanden diese Labels wieder. Die Sammler sorgten dafür, dass Restbestände nicht vernichtet und verloren geglaubte Aufnahmen wiedergefunden wurden.

Die „Bluesmafia“ legt den Kanon fest

Die vornehmlich weißen Sammler sorgten gleichzeitig auch für eine kritisch zu hinterfragende Kanonisierung des Blues. Ihr Augenmerk lag auf den seltenen, obskuren Platten. So waren in ihren Augen Musiker wie Skip James, der in der Blütezeit des frühen Bluesbusiness den schwarzen Käufern kaum bekannt war, interessanter, als die kommerziell erfolgreicheren Barbecue Bob oder Tampa Red. Die Geschichtsschreibung des Blues als eine Musik, die von einsamen Bluesmen gespielt wurde, geht auf ihr Wirken zurück. Petrusich nennt diese Kanonbildner die „Bluesmafia“. Denn die Bluesmusiker waren alles andere als einsam, sondern waren zu ihrer Zeit Gebrauchs- und Profimusiker, die auch Blues, aber nicht nur Blues spielten. Sie spielten zu Tanzabenden, Hochzeiten und anderen gesellschaftlichen Anlässen.

Die oftmals wunderlichen Sammler-Einzelgänger gaben aber ihre Sichtweise vor und trafen damit auch den Nerv der antikommerziellen, kritischen Folk-Revival-Szene der späten 1950er und frühen 1960er Jahre. Bekanntestes, weil differenziert und ambitioniert ausgelegt, Sammlerprojekt ist die legendäre „Anthology Of American Folk Music“ von Harry Smith, die 1956? erschienen, eine ganze Generation, nämlich die von Bob Dylan und Joan Baez beeinflusste.

Neben der ausführlichen Darstellung dieser Sammlung, wird eine weitere, erst vor wenigen Jahren erschienene Zusammenstellung ausdrücklich erwähnt. „Work Hard, Play Hard, Pray Hard“ ist aus der Kollektion des Sammlers Dan Whale zusammengestellt worden und enthält rurale Populärmusik aus den Jahren 1923 bis 1936. Hier wird der Akzent richtigerweise auf Musiker und Publikum als sozial verschränkte und vernetzte Akteure gelegt. Denn das war der Dreiklang der ländlichen Südstaaten. Unter der Woche wird hart gearbeitet, samstagabends groß gefeiert und am Sonntag geht es in die Kirche.

Musik sammeln als männliche Domäne

Zwar begegnet Petrusich auch einer Sammlerin, aber der Rest sind Männer. Sehr männliche Männer, die besitzen wollen und im ständigen Wettbewerb stehen. Wenn sich Freundschaften ergeben, dann nur über die geteilte Freude des Wissens über Schallplatten und Aufnahmen. Das korrespondiert mit der Einsicht von Rolling Stone-Journalist Maik Brüggemeyer, der kürzlich im Interview Klaus Walter erzählte, dass die hauptsächlich männlichen „Dylanologen“ mit anderen Männern halt lieber über Sachthemen sprechen würden, als über sich selbst. „Sie reden lieber über Fußball und Bob Dylan“, so Brüggemeyer. Auch wenn bei Dylan-Fanzusammenkünften auch eine gewisse Anzahl von Frauen dabei sind, ist es schon richtig, dass Männer in der Überzahl sind. Zumindest in den Dylan-Fankreisen, die Konzerte und Aufnahmen sammeln. Unter denen, die sich grundlegend wissenschaftlich oder journalistisch mit Dylan auseinander setzen sind mit Anne-Marie Mai oder Laura Tenschert auch zunehmend weibliche Fachleute.

Petrusich hat ein kluges Bucher über männliche Sammler und männliche Musikgeschichtsschreibung vorlegt. Ihre eigene weibliche Perspektive kontrastiert sie auf lesenswerte Weise mit dieser Welt. Warum aber ihre wundervolle facettenreiche Erzählung mit zwei dagegen recht flach daherkommenden Texten von älteren weißen Männern und Sammlern – wobei der eine gar keine Musik sammelt! – eingerahmt wird, bleibt das Geheimnis des Verlags.

Amanda Petrusich, Um keinen Preis verkaufen: Die wilde Jagd nach den rarsten 78ern und die Suche nach der Seele Amerikas, Berlin 2023, 329 Seiten, 25 Euro.

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