Various Artists: When Will They Ever Learn?

“A Story Of U.S. Folk Music 1963-1969“. Kenntnisreiche, hörenswerte Sammlung mit lesenswerten Liner Notes von Mick Houghton

Vor kurzem habe ich an dieser Stelle „I Shall Be Released“ besprochen, eine feine Sammlung von Bob Dylan-Coversongs von 1963 bis 1970. Doch es gibt beim gleichen Label, dem umtriebigen Cherry Red Records, ein mindestens genauso interessantes Schwesterprojekt, das in wenigen Wochen, am 29. August, veröffentlicht wird. Die 4-CD-Box heißt „When Will You Ever Learn“ nach der ikonographischen Frage aus dem legendären vor allem von Pete Seeger berühmt gemachten Folk Song „Where Have All The Flowers Gone“. Auch dieses Projekt ist kenntnisreich kuratiert vom legendären britischen Musikjournalisten Mick Houghton.

Einstieg mit dem „Kingston Trio“

Die inhaltliche und zeithistorische Songauswahl ist um so höher zu bewerten, das aus rechtegründen Songs von Joan Baez, Peter, Paul & Mary, John Fahey, Ian & Sylvia und Richard & Mimi Farina leider auf dieser Kompilation fehlen. Doch Houghton bringt die wichtigen Songs dieser Künstler in Versionen von anderen zeitgenössischen Musikern dennoch ein und er erinnert an so wichtige Künstler wie Ramblin‘ Jack Elliott (er wurde kürzlich 94 Jahre!), Eric von Schmidt und Dave van Ronk, die in der großen Öffentlichkeitswirksamkeit hinter der Popularität von Baez, Dylan und Peter, Paul & Marie deutlich abfielen aber immens wichtig für die Entwicklung des Folk Revivals waren.

Houghton Sammlung beginnt mit dem „Kingston Trio“, das 1963 bereits seinen Zenit überschritten hatte. Sein historischer Verdienst war es, 1958 mit „Tom Dooley“ einen Major Hit gelandet zu haben, der in seinem kulturellen Einfluss auf die USA nur mit „Heartbreak Hotel“ von Elvis im Jahr 1956 und „I Wanna Hold Your Hand“ der Beatles in 1964 vergleichbar war. Was sich seit Anfang der 1950er Jahre sich langsam in der Mc Carthy-Zeit und dann in der Eisenhower-Ära im Jugendclub, im Sommercamp und auf dem Unicampus entwickelt hatte- in Zeiten von Konformismus und Konsumismus eine Hinwendung der städtischen, universitären Jugend zur alten, „authentischen“ und „unschuldigen“ Folkklängen, wurde nun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Das Folk Revival wurde zum sichtbaren Coast to Coast-Phänomen. Und das Kingston Trio war brav und ohrschmeichlerisch genug, um massenkompatibel zu sein.

Mit Bob Dylan verändert sich die Folkmusik

Doch 1963 war die Welt des Folk Revival schon eine andere. Immer schon war das Folk Revival mit der amerikanischen Linken verbunden. Es war Pete Seeger, der auf der schwarzen Liste stehend, aus der Not eine Tugend gemacht hatte und nun in unzähligen Grassroots-Veranstaltungen quer durch Amerika spielte. Er hielt die Flamme aufrecht, die der wegen Krankheit verstummte Woody Guthrie nicht mehr weitertragen konnte und er brachte die Songs zu Gehör, die zum Teil auch auf der „Anthology Of American Folk Music“ gesammelt waren, die bald zur Bibel der Folkies wurde. Er war der Spiritus Rektor des Folk Revival und Joan Baez und Odetta waren die Königinnen.

Doch als Bob Dylans Snogwriting in New York förmlich explodierte, da war es vorbei mit der reinen musikalischen Rückschau. Peter, Paul & Mary popularisierten sein „Blowin In The Wind“, Joan Baez führte Bobby 1963 in Newport ein. Und die Szene politisierte sich zusehends. Diese Jugend wollte ein Amerika ohne Rassismus, Konsumismus und Militarismus und sang dagegen an. Und so war der erste chart-platzierte Protestsong des Kingston Trio, Seegers „Where Have All The Flowers Gone“ schon so etwas wir ihr eigener Schwanengesang.

Houghtons Songauswahl skizziert die 1960er und seine Folkszene aus einer multiperspektivischen Sichtweise. Denn Neben Greenwich Village und Newport Folk Festival gab es auch andere Ankerorte der Folkszene wie Boston, Los Angeles – aus der so unterschiedliche Acts wie die Grateful Dead wie die Nitty Gritty Dirt Band hervorgingen – Chicago oder Toronto. Und er vergisst auch nicht die Schnittstellen von Folk mit Country und Rock, die im Laufe des Jahrzehnts immer deutlicher wurden.

Schnittstellen zu Country und Rock werden miteinbezogen

Und so gehören neben den üblichen Verdächtigen wir Phil Ochs oder Tom Paxton eben auch Anita und June Carter aus der „First Family Of Country Music“ zu Reigen der Künstler. Erstere Solo mit dem Traditional „Fair & Tender Ladies“, zweitere mit ihrem Lebensmenschen Johnny Cash im Duett mit „Pack Up Your Sorrows“, einer Komposition von Pauline Marden und Richard Farina. Oder auch Dolly Parton & Porter Wagoner, die mit dem Tom Paxton-Song „The Last Thing On My Mind” einen Country-Hit landeten. Ein Zeugnis dafür, wie trotz kultureller und gesellschaftlicher Unterschiede die Folkmusik dennoch zu einem verbindenden Element wurde, da sowohl die jungen Folkies aus den großen Städten wie die Countrymusiker aus dem ländlichen Süden sich auf die gleichen Wurzeln beriefen. Von Johnny Cash, der sich mit Bob Dylan befreundete bis hin zur Nitty Gritty Dirt Band, die dann 1973 gemeinsam mit den alten Country- und Bluegrass-Kämpen wie Roy Acuff, Bill Monroe oder Maybelle Carter das epochale Album „Will The Circle Be Unbroken“ schufen.

Houghtons Weg durch die Folkgeschichte endet jedoch richtigerweise 1969. Denn zwar hatte der Folk nach dem Schwenk von Dylan zur Rockmusik 1965 seine große Leitfigur verloren, doch ein paar Jahre noch war er durchaus noch einflussreich. Doch spätestens mit dem Sgt. Pepper-Album der Beatles, dem Psychedelic Rock, Dylans Gegenreaktion mit den Basement Tapes und der Entstehung des Country Rock hatte der Folk seine große Zeit als Leitgenre hinter sich. Das Jahrzehnt endete mit „Woodstock“ und Altamont“ und die Rockmusik war als musikalisches Leitgenre der westlichen Jugend etabliert.

„When Will They Ever Learn?“ ist eine gelungene Sammlung, die auch über den Folk-Tellerrand schaut und damit die Verbindungslinien zwischen den Genres offenlegt. Eine gute Ergänzung jeder Plattensammlung!

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