Fahrenheit 11/9

Die neue Dokumentation von Michael Moore ist eine Notwendigkeit und recht gut gelungen, auch wenn es hier und da etwas zu plump geraten ist.

Ja, keiner hatte im Ernst daran gedacht, dass Donald Trump Präsident werden könnte. Durchaus mit Genuss suhlt sich Filmemacher Michael Moore in seiner Dokumentation „Fahrenheit 11/9“ im Verfrühten Triumphgeheul des Clinton-Lagers. Sowohl dem politischen Establishment als auch den Medien ging jeglicher Kompass ab, der sie hätte warnen können. Moore ist ein kompromissloser Trump-Gegner, aber er belässt es nicht bei der Empörung über ihn. Ihm geht es darum aufzuzeigen, warum die Demokraten so versagt haben, und dessen Präsidentschaft nicht hatten verhindern können.

Flint als Beispiel für die politisch-wirtschaftlichen Mechanismen
Und so macht er sich auf eine Reise in das Innere des Landes. Denn Moore weiß zu gut, wenn man Amerika verstehen möchte, muss man sich von seinen geographischen Rändern an den Küsten in die Mitte hin bewegen. Aber Moore möchte auch kein Trump-Wähler-Versteher sein. Das haben seit Trumps Wahl schon andere ausreichend gemacht. Da hätte man schon früher hinhören müssen. Moore geht es um die typischen, auch von den Demokraten mitgetragenen Mechanismen aus wirtschaftlicher und politischer Macht, die das Leben der Vielen immer schlechter macht.

Flint in Michigan ist sein Seismograph, die Stadt sein Kronzeuge. Flint ist seine Heimatstadt und hier hat sich ungeheuerliches zugetragen. Von republikanischen Gouverneur unter ein Spardiktat gestellt, sollte die Wasserzufuhr der Stadt kostengünstiger werden. Aber wie kann es sein, dass eine funktionierende Wasserversorgung mit ordentlichem Wasser aus dem See abgedreht wird, weil sie angeblich zu teuer ist und holt stattdessen das Wasser aus dem stark verschmutzten Flint River? Es kommt zu schlimmen Erkrankungen und Snyder leugnet und wiegelt ab. Und kommt auch noch damit durch, als Präsident Obama als Hoffnungsträger der betroffenen Bevölkerung nach Flint kommt und anstatt klarer Worte und Taten angeblich vom Wasser trinkt und doch nur daran nippt. Eine merkwürdige Geste und für Betroffene und Aktivisten Enttäuschung und Schock zugleich. Aber hätte Obama wirklich die Mechanismen offen gelegt, die in Amerika zu solchen Zuständen führen, hätte er über seinen politischen Schatten springen müssen. Denn sieht man mal von „Obama-Care“ ab, wurde von seiner Regierung nicht wirklich an der Vorherrschaft des Neoliberalismus gerüttelt. Deutlichstes Zeichen war ja, dass er in der Bankenkrise allerlei Böcke zu Gärtnern machte, in dem er sich von den Verursachern der Krise zwecks ihrer Lösung beraten ließ. Auch die Autobiografie und ihre Jet-Set-Lesereise von Michelle Obama zeigen deutlich auf: Das ehemalige Traumpaar der Demokraten, das in den 1990ern in Chicago das soziale Gewissen war, ist vom System geschluckt. Wie weit können sich Menschen von ihren Ursprüngen entfernen?

Graswurzel-Bewegungen als Hoffnung
Moore hat sich jedenfalls nicht von sich entfernt, er ist noch ganz bei sich und seiner Art von politischer Brachial-Dokumentation. Er fährt mit einem Wasser-Tankwagen zu Snyders Anwesen und bespritzt es mit der üblen Flüssigkeit. Ha, ha, ha! Doch neben diesen Polit-Klamauk ist Moore immer wieder daran interessiert – und das ist seine Stärke – wirkliche „Helden des Alltags“ zu zeigen, die ihm uns die Hoffnung geben, dass man im Land noch etwas verändern kann. Und so entdeckt er den Kampf der Lehrer in West Virginia, die nicht nur für die eigenen Rechte, sondern auch für die der anderen Schulbediensteten – von der Putzfrau bis zum Hausmeister – auf die Straße gingen. Oder er schildert wie die jungen Überlebenden des Massakers an der Parkland High School in ihrem Kampf gegen die Waffenlobby agieren. Dass diese Graswurzelbewegungen vom demokratischen Parteiestablishment argwöhnisch betrachtet werden, zeigt die böse Posse um Bernie Sanders. Nach Moores Lesart hatte der besonders bei den Jungen beliebte linke Kandidat die Partei-internen Vorwahlen bei den Demokraten gewonnen. Die Delegierten auf dem Nominierungsparteitag wählten jedoch mehrheitlich Hillary Clinton.

Ein Amerika, das es noch gar nicht gab
Doch auch wenn Moores Dokumentation betont drastisch und hier und da zu vereinfachend oder zu Pointen-orientiert ist: Sie ist eine Notwendigkeit, um darauf aufmerksam zu machen, was im früheren Land der unbegrenzten Möglichkeiten schief läuft. Denn ein besseres Amerika kann es nur geben, wenn endlich die Interessen der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die der großen Konzerne und Banken. Und so spricht er jedem Anhänger des „anderen Amerika“ aus der Seele wenn er am Ende zu dem Schluss kommt: „Das Amerika, das ich retten will, hat es noch gar nicht gegeben.“

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