Clint Eastwoods hat einen wunderbaren altersweisen Film gedreht
Es gibt amerikanische Idole, die provozieren einfach. An ihnen scheiden sich die Geister. Bob Dylan ist da genauso ein beliebtes Objekt der Auseinandersetzung („Shakespear des Rock’n’Roll“, „Songwriter-Legende“, Folk-Rock-Ikone vs. „Trickser“, „Judas“, „Plagiator“) wie John Wayne („Der war noch ein Mann“, „Begnadeter Westernheld“, „Selbstironischer Heldenfigur“ vs. „Macho“, „Gewaltfanatiker“, Indianerfeind“).
Clint Eastwood gehört schon lange in diese Kategorie. Während sich fortschrittlich-denkende Cineasten ob der „Dirty Harry-Streifen“ mit Grausen abwenden – auch der Schreiber dieser Zeilen konnte sich da nie so recht mit anfreunden – und sein wirrer Wahlkampfauftritt gegen Obama und für die Republikaner einer der Tiefpunkte des Schauspielers war – hat er doch als Regisseur unbestritten Großes geleistet: „Die Brücken am Fluß“, „Mystic River“, „Der fremde Sohn“, „Million Dollar Baby“, „Gran Torino“.Gerade letzterer, mittlerweile mehr als 10 Jahre alt, bot Eastwood die Gelegenheit, von den Deformationen des amerikanischen Traums und der dennoch vorhandenen Hoffnung zu erzählen. Über das Ende der Autoindustrie in Detroit genauso wie über Akzeptanz asiatischer Einwanderer.
Nun eine Dekade, eine Bankenkrise, zwei Präsidenten und dem Siegeszug der digitalen Globaliserung weiter, ist es Clint Eastwood wieder gelungen die Frage nach dem amerikanischen Traum in einen sehenswerten Film zu gießen.Eastwood ist ein Konservativer, aber dennoch meilenweit von Trump entfernt. Er hat Empathie für die Menschen, will sich konstruktiv einsetzen. Er ist kein Raufbold ohne Grund und ist keiner der selbstbezogen immer nur sich sieht. Diese letztere Eigenschaft zeichnet aber seine Filmfigur Earle Stone in „The Mule“ aus. Jahrzehntelang vernachlässigte der Lilienzüchter seine Familie zugunsten seines Berufes, der ihn immer wieder quer durch die USA zu Ausstellungen, Branchentreffen und Messen führte. Dieser Earle Stone ist quasi der stete unruhige Herumtreiber, der ständig in the road ist. So nimmt er dann auch dankend den Kurierjob für ein mexikanisches Drogenkartell an, als ihm, durch den Onlinehandel im hohen Alter ums Geschäft gebracht, finanziell das Wasser bis zum Hals steht. Für die Mexikaner soll er die heiße Fracht auf klar definierten Routen gen Chicago bringen. Für ihn, dem bewährten und tadellosen Kraftfahrer, eine einfache Sache, einfach verdientes Geld. Und er setzt das Geld auch ganz uneigenhützig ein: Er unterstützt die Ausbildung seiner Enkelin oder den Wiederaufbau eines abgebrannten Tanzschuppens.
Überhaupt ist er ein Helfer. Eastwoord erzählt auch von einem im Untergang befindlichen Amerika des einander helfens. Völlig selbstverständlich hilft er der mit Reifenpanne gestrandeten schwarzen Kleinfamilie. Nicht ohne einen etwas unbedachten Alltagsrassismus an den Tag zu legen: „Na dann kann ich auch mal Euch Negern helfen“, sagt er und erntet eine freundliche und souveräne Korrektur der Betroffenen. Überhaupt verschließt der 88-jährige Eastwood keineswegs die Augen vor dem immer noch latenten Rassismus. Eine der stärksten Szenen ist die, als er mit seinen mexikanischen Aufpassern in Mississippi einem völlig weißen Gaststätte sitzt. Die beiden Latinos werden angestarrt und er erklärt ihnen augenzwinkernd den Grund: „Zwei Bohnenfresser unter lauter Weißbroten!“ Doch damit nicht genug, haut er die beiden auch gegenüber dem rassistischen Sheriff aus der Klemme und bringt ihn mit Geschenken zum Verstummen.
Überhaupt scheint der alte Haudegen doch mitzubekommen, was im heutigen Amerika schief läuft. Ein weiteres Kabinettstückchen ist die Szene mit der Polizeikontrolle, in die einer gerät, weil er auch einen schwarzen Pick-up fährt wie Stone. Die pure Angst vor Polizeigewalt lässt den harmlosen Autofahrer fast schon winselnd den Anweisungen der Cops folgen.
Am Ende versöhnt Earle sich mit seiner Familie, die Kartellchef wird Opfer eines Machtkampfs und sein eigenes Leben steht auf Messers Schneide, als die Drogengangster dann doch noch einen Funken Menschlichkeit beweisen, weil sie den neuen Chef vor einer umgehenden Exekution abhalten. Er hatte aufgrund des Sterbens und der Beerdigung seiner Frau sich eine Auszeit vom Drogenkurierdienst genommen. Die Handlanger haben Herz, Earle geht wieder auf die Piste, nur um dann durch die Verhaftung endgültig aus den Fängen des Kartells gerettet zu werden. Am Ende erkärt er sich vor Gericht für schuldig und wandert hinter Gittern.
Nicht ohne die Ahnung, die die Schlußsequenz erzeugt, dass ihm mit der Möglichkeit, Lilien zu züchten und einen festen Tagesablauf in einem Art „Heim“ zu haben, das Altern erleichtert wird. „The Mule“ ist, so meine ich, ein sehr menschenfreundlicher Film. Eastwood hält die Werte Freiheit, Respekt, Rücksicht und Gemeinsinn hoch und diskreditiert Rassismus, Gewalt und Egoismus. Es ist Americana-Pur: Ein Roadmovie mit starkem Soundtrack aus Jazz und Country, der die amerikanischen Werte hochhält, nicht ohne die dunklen Seiten des amerikanischen Traums zu benennen. Und so ist dieser Film, obwohl er einen Modernisierungsverlierer und damit potentiellen Trumpwähler porträtiert, weit davon entfernt sich an Zynismus und Freude am Krawall zu delektieren.
„Seht her, ich bin ein anständiger, mitfühlender Konservativer“ scheint uns Clint Eastwood sagen zu wollen. Und das reicht schon in diesen Zeiten als Ansage gegen die herrschende Politik. Dies von einem der größten amerikanischen Regisseure und bekennenden Republikaner zeigt, wie verstörend die US-Politik selbst auf alte Fahrensmänner wirkt. Sollte dies Eastwoods letzter Film sein, er wäre ein fabelhaftes Vermächtnis.
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