We Americans – With God On Our Side!

Von Bob Dylan zu den Avett Brothers – Neue Protestsongs in neuen Umbruchzeiten – Ein Vergleich

Bob Dylan 1963, Copyright Wikimedia Commons

Als im Frühjahr inmitten der ersten Corona-Krise die Rezession voll durchschlug, wieder einmal die Schwarzen die waren, die unter den Folgen von Gesundheits- und Wirtschaftskrise am meisten zu leiden hatten, und George Floyd an der Folgen der rassistisch motivierten Polizeigewalt starb und bundesweit große Demonstrationen das Land aufwühlten, da veröffentlichten die Avett Brothers ihren ein Jahr alten Song „We Americans“ gerade noch einmal, versehen mit einem neuen Video.

We Americans: Der Song zur Zeit

Denn der Song war jetzt der Song zur Zeit. Der Soundtrack einer verunsicherten Nation. Die Avett Brothes, mittlerweile in den 40ern, ergriff eine Midlife-Crisis des eigenen amerikanischen Selbstverständnisses. Ihr Song war eine einzige Anklage der amerikanischen Lebenslügen Sklaverei, Rassismus und Unterwerfung und Verdrängung der indigenen Ureinwohner.

„I grew up with reverence for the red white and blue
Spoke of God and liberty reciting the Pledge of allegiance
Learned love of country from my own family“

Es geht so positiv los, die Liebe zu Gott, Freiheit und Amerika. Doch worauf gründet sich diese amerikanische Dreifaltigkeit? Die Avetts singen weiter:

„I am a son of Uncle Sam
And I struggle to understand
The good and evil
But I’m doing the best I can
In a place built on stolen land
With stolen people

Blood in the soil with the cotton and tobacco
Blood in the soil with the cotton and tobacco
Blood in the soil with the cotton and tobacco“

Erinnerungen an „With God On Our Side

An wen und was erinnert dieser Protestsong in Form eines Lamentos? Nun, Bob Dylan hat vor mehr als 57 Jahren gesungen:

„Oh my name it ain’t nothin‘
My age it means less
the country I come from
Is called the Midwest
I was taught and brought up there
The laws to abide
And that land that I live in
Has God on its side“

Dylan schrieb diesen Song inmitten des Kalten Krieges, führte ihn erstmals im April 1963 auf. Dies war die Zeit, als der Vietnamkrieg zu eskalieren begann, und die Großmächte USA und UDSSR mit ihrer gegenseitigen atomaren Hochrüstung für latente Kriegsangst sorgten. Dylan hinterfragt die geltende Staatsräson der USA, nachdem Gott auf ihrer Seite sei und die Russen die Feinde sind:

„I’ve learned to hate the Russians
All through my whole life
If another war comes
It’s them we must fight
To hate them and fear them
To run and to hide
And accept it all bravely
With God on my side

But now we got weapons
Of chemical dust
If fire them, we’re forced to
Then fire, them we must
One push of the button
And a shot the world wide
And you never ask questions
When God’s on your side“

Protestsongs in Umbruchzeiten

The Avett Brothers, Copyright Wikimedia Commons

Er steht damit stellvertretend für die damalige kritische junge Generation, die die 1960er zu einer gesellschaftlichen Umbruchszeit machen sollten. In dieser Umbruchszeit – ebenso wie die Avett Brothers heute – stellt er die amerikanischen Selbstgewissheiten in Frage und erzählt eine andere amerikanische Geschichte, die Geschichte von Sklaverei, Bürgerkrieg, Indianerkriegen und imperialistischen Kriegen:

„Oh, the history books tell it
They tell it so well
The cavalries charged
The Indians fell
The cavalries charged
The Indians died
Oh, the country was young
With God on its side

The Spanish-American
War had its day
And the Civil War, too
Was soon laid away
And the names of the heroes
I was made to memorize
With guns in their hands
And God on their side“

Oder wie die Avett Brothers singen:

„A misnamed people and a kidnapped race
Laws may change but we can’t erase the scares of a nation
Of children devalued and disavowed
Displaced by greed and the arrogance of manifest destiny
Short-sighted to say it was a long time ago
Not even two life times have passed since the days of Lincoln
The sins of Andrew Jackson, the shame of Jim Crow
And time moves slow when the tragedies are beyond description“

Nun ist die Zeit gekommen, in der alles umgedreht werden muss und kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. In den 1960ern heißt das, die Schande der Jim Crow-Gesetze und des Rassimus im Inneren und die unabsehbaren Folgen des amerikanischen Militarismus im Äußeren lassen die Jugend an ihrem Land (ver)zweifeln.

In unseren Tagen führen Polizeigewalt, Rassismus, ein autokratischer Horrorclown im Weißen Haus und der wirtschaftliche Niedergang in Folge von Corona zu Ähnlichem. Die Jugend begehrt auf. Auf den Straßen bei den Demonstrationen mit Black Lives Matter sind die Teilnehmenden bunt gemischt. Schwarze, Weiße, viele junge Frauen.

Während aber Dylan ein Generationsgenosse der protestierenden Jugend war, sind die Avett Brothers schon eine Generation älter als die, die gerade auf der Straße sind. Sie waren die Kids, die Anfang der 2000er den Folk für sich entdeckten. Sie waren eher melancholisch nach innen gekehrt, suchten in der Religion die Zuflucht vor Turbokapitalismus, Finanzblase und IT-Start-Up-Wahn. Ihre Musik war der Soundtrack der Generation Innerlichkeit, der bei Starbucks lief, der Café-Kette, die aber letztlich sich als ebenso skrupelloser Global Player entpuppte wie Facebook, Apple & Co.

Während Dylan aus dem Nichts kam und seine Fragen stellte – gleichsam rebellisch, altklug und abgeklärt – spricht aus den Avett Brothers die Erschütterung, jahrelang im Falschen gelebt zu haben:

„We are more than the sum of our parts
All these broken bones and broken hearts
God, will you keep us wherever we go?
Can you forgive us for where we’ve been?

We Americans
Mm
We Americans“

Dylan dagegen stellt die Antithese zur Haltung dieses „Gott ist immer mit uns“-Haltung heraus und stellt fest, dass Gott, wäre er wirklich auf der Seite der Amerikaner, den nächsten Krieg verhindern würde:

Copyright: Columbia Records

„So now as I’m leavin‘
I’m weary as Hell
The confusion I’m feelin‘
Ain’t no tongue can tell
The words fill my head
And fall to the floor
That if God’s on our side
He’ll stop the next war“

„Wortreich“ versus „auf den Punkt gebracht“

Doch Protestsong hin oder her. Eine Handlungsanleitung für die protestierende Jugend hat auch Dylan nicht geschrieben. Die Antwort der Avett Bothers dagegen ist die Conclusio des Songs, die lautet:

„Love in our hearts with the pain and the memory“. Es wird am Ende zwölfmal wiederholt. Die Amerikaner sollen fortan die Liebe im Herzen tragen und mit dem Schmerz und der Erinnerung leben. Therapeutisch gesehen heißt das, sich seiner Geschichte stellen, sie annehmen wie sie ist und mit ihr Leben. Das ist aber erst die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung, die dann aber heißen müsste, den Ursachen dieser Fehlentwicklungen auf den Grund zu gehen.

Dylan ist da natürlich viel geschickter, indem er dem Rezipienten des Songs die Freiheit lässt, welche Konsequenzen er zieht. Er spricht Wahrheiten über Zustände an, aber er stellt keine Strategie in den Raum.

Die braven Avett Brothers dagegen kennen nur die Liebe als Heilmittel. Schade, der Text der Avett Brothers ist über weite Strecken so dicht, aufwühlend und ehrlich. Aber am Ende ist es schon ein bisschen zu larmoyant. Da können sie doch nicht aus ihrer Haut. Dylan dagegen stellt die bösen, überraschenden Fragen:

„You’ll have to decide
Whether Judas Iscariot
Had God on his side.“

Unterm Strich zeigen die Folk-Romantiker Avett Brothers wortmächtig und wortreich immerhin, dass sie die Krise Amerikas bewegt und sie vieles verstanden haben. Doch was sie dem Publikum mit auf den Weg geben ist recht wenig. Dylan dagegen schreibt kompakter, dichter und abstrakter zugleich. Er entzieht sich zwar der Handlungsanleitung und trotzdem wirkt am Ende sein Song viel stärker und genauer auf den Punkt gebracht. Wo andere viele Worte brauchen, sagt Dylan mit einem Bild oder einem Begriffspaar ungleich mehr.

Und dennoch: Bei Protestsongs zählt immer auch die Absicht. Die Avett Brothers haben immerhin eine Zielgruppe zu bedienen. Die sentimentalen Kids der 2000er Jahre, die heute gesettelt sind. Und hier was im Kopf bewegen, das kann dieser Song. „We Americana“ ist dieser Tage der vielleicht schonungsloseste Song an die Gutes wollende neue weiße Mittelschicht, der aus ihr selbst herauskommt.

Die Songs stehen sich bei allen qualitativen und zeithistorischen Unterschieden näher als man denkt. Dylans Song funktioniert immer noch sehr gut, aber es ist gut, wenn die Fans von Gruppen wie den Avett Brothers entsprechendes neues Material auch von ihren Helden bekommen.

Bob Dylan, With God On Our Side:

The Avett Brothers, We Americans:

Bob Dylan, The Avett Brothers & Mumford And Sons (Grammys 2011):


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