Nicht Woody Guthrie, sondern die afroamerikanische „Queen Of Folk“ – sie wäre am 31. Dezember 90 Jahre alt geworden – war Bob Dylans erster Folk-Einfluss.
Als der junge Robert Zimmerman Anfang 1961 in das verschneite New York kam, da war er so etwas wie ein Woody Guthrie-Impersonator. Dazu gereift in Dinkytown, dem Boheme-Viertel der Zwillingsstädte Minneapolis/St. Paul. So gut gereift, dass er seinem Idol bald als lebende Woody Guthrie-Juke Box dienen konnte.
Doch seine ersten musikalischen Gehversuche hatte er im Rock’n’Roll gemacht. Er hatte im Radio viel Musik gehört, lernte im jüdische Sommercamp die Gitarre spielen und die Rock’n’Roll-Rebellion, die im Land in den Jahren 1954-58 ihren Höhepunkt hatte, erfasste dann auch ihn.
Mit Kumpels gründete er verschiedene Bands, darunter „The Golden Chords“ bei denen Bobby Zimmerman wie eine Mischung aus Jerry Lee Lewis und Little Richard entfesselt auf sein Klavier hämmerte. So wurde ein Konzert der Band an der Hibbing Highschool wegen der enormen Lautstärke vom Direktor abgebrochen. In dieser Erinnerung begründet liegt wohl der ihn kennzeichnende Satz im Schuljahrbuch 1959: „To join Little Richard“.
Die Entdeckung im Plattenladen
Doch da war er längst schon wieder auf einem anderen Trip. Es passte irgendwie in die Zeit: Als 1958 der Rock’n’Roll so langsam auch wegen des Drucks von Staat und religiösen Organisationen seine rebellische Kraft verlor – „Ehe-Skandale“ um Chuck Berry und Jerry Lewis führten zu deren Karriereknick, Elvis ging zur Armee – da lösten sich auch die Golden Chords auf.
Bobby Zimmerman war nun wieder auf sich allein gestellt, saugte alle möglichen Einflüsse in sich auf, suchte nach musikalischer Orientierung. Da entdeckte er im Plattenladen „Odetta sings Ballads and Blues“. Er war begeistert, setzte nun voll auf Folk und tauschte seine elektrische Gitarre gegen eine akustische „flat-top“ Gibson ein. „Das erste, was mich zur Folkmusik brachte, war Odetta“, sagte er in späteren Jahren in einem Interview. Bei Odetta hört er „etwas Vitales und Persönliches. Ich habe alle Songs auf dieser Platte gelernt“, darunter Stücke wie „Mule Skinner“, „Jack of Diamonds“ und „Water Boy“.
Odetta sagte, Bobby habe Talent
Und er begegnete ihr sogar persönlich, noch bevor er als Bob Dylan Karriere macht. Im Januar 1961 war er in New York City eingetroffen, im Mai des Jahres besuchte er nochmal alte Freunde in Minnesota. Da kam Odetta zu einem Konzert nach St. Paul. Seine Freundin Bonnie Beecher erinnerte sich vor einigen Jahren: „Ich erinnere mich an eine Zeit … Odetta kam in die Stadt … Also planten ich und Cynthia Fisher …, wie wir Dylan dazu bringen könnten, Odetta zu treffen und für sie zu spielen … Und tatsächlich traf er sie. .. und ich erinnere mich, dass Cynthia Fisher zu mir nach Hause gerannt kam … und sagte: „Sie sagte, dass Dylan echtes Talent hat und er es schaffen kann!“ Mit diesem „Ritterschlag“ einer Königin des Folk ausgestattet, ging Dylan nach New York zurück und startet seine Karriere richtig durch.
Gegenseitige Wertschätzung
Und Odettas Kompliment für Bobs Talent war keineswegs pure Höflichkeit. In den Zeiten von Folk Revival und Bürgerrechtsbewegung begegneten sich die beiden beim Newport Folk Festival oder beim „March To Washington“. Und sie lernte Dylans Können immer stärker zu schätzen. Und die Wertschätzung war wirklich enorm. Denn als sie im Januar 1965 – als Dylan schon längst im Clinch mit der politischen Folkbewegung lad und sie wenige Monate später beim „March To Selma dabei sein würde – ein ganzes Album nur mit Dylan-Songs veröffentlichte, da legte die Civil Rights-Aktivistin keinesfalls einen Schwerpunkt auf Dylans bekannte Protestsongs. Denn neben „Don’t Think Twice“ und „Mr. Tambourine Man“ sind mit „Baby, I’m in the Mood For You“, „Long Ago, Far Away“ und „Tomorrow Is A Long Time“ drei unbekanntere Songs, von denen zwei Songs leidenschaftliche Hingabe bzw. melancholische Erinnerungen zum Thema haben, auf dem Album. Sie entdeckte Dylan quasi als den universellen Songpoeten, der er wirklich ist, und suchte nicht den Protestlyriker, den sich die Bewegung wünschte. Und dass sie hier Songs singen konnte, die er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht veröffentlicht hatte, spricht für ihren besonderen Zugang sowohl zu Dylan, als auch zu seinem Songbuch.
Obwohl sie schon leicht genervt in der Öffentlichkeit zu dieser Zeit klarstellen musste, dass sie die jüngeren Superstars Dylan und Baez beeinflusst hatte und nicht umgekehrt – „Ich bin die Mama und sie sind die Kinder, und ich habe diese Sänger beeinflusst“ – war sie keineswegs nachtragend. Beide wussten um ihre musikalische Bedeutung für einander. Sie wusste, was sie konnte und sie wusste, was Dylan kann. Und Bob Dylan wusste das auch. Und er weiß das bis heute.
Am 31. Dezember wäre die 2008 verstorbene Odetta 90 Jahre alt geworden. Ihr Einfluss als Künstlerin und Mensch auf neue Generationen von Musikern – wie beispielsweise heute auf Rhiannon Giddens – ist ungebrochen.
Und hier geht es zum großen Odetta-Special von country.de:
https://www.country.de/2020/12/31/odetta-koenigin-des-folk/
Odetta sings Dylan: