Die Hoffnung, die vom Kapitol ausging

Vor etwas mehr als zwei Wochen noch Ort der Schande, ging nun bei der Inauguration von John Biden vom Hügel des Kapitols die Hoffnung auf ein besseres Amerika aus. Nicht zuletzt – auch wenn Bob Dylan wie zu erwarten war nicht teilnahm – durch das musikalisch-kulturelle Programm

Lady Gaga und Joe Biden, Copyright: http://www.commons.wikimedia.org/ Foto: Carlos M. Vazquez II

Natürlich kann man den Amerikanern den Hang zu Pathos und Schmalz vorwerfen. Doch ehrlich gesagt: Gerade in Krisenzeiten brauchen die Menschen Hoffnung und das Vertrauen in Menschen, die gerade große Gefühle und tiefe Anteilnahme verkörpern, ausstrahlen und in Worte fassen.

Und wahrscheinlich ist für viele bei uns diese Pandemie gerade jetzt so schwer zu ertragen, weil uns die Politik dies nicht gibt. So richtig und unerlässlich die Anti-Corona-Regeln auch sind, der vorherrschende Politikstil ist rein technokratisch. Ob härter oder lockerer. Es fehlt die Verbreitung von Hoffnung. Regeln, Abstände, Mengen – die Politik vergisst beim Ausführen des wissenschaftlich-medizinisch notwendigen ihre eigene Rolle. Perspektiven zu geben: Ab welchen Werten ist was wieder möglich? Sinnstiftend tätig zu sein: Welche Gesellschaft wollen wir nach der Pandemie sein?

Wir sind im Lockdown. Neben der Beobachtung der kurzfristigen Entwicklungen und die Bekämpfung der Seuche sollte jetzt die Zeit sein, sich Gedanken über die Zukunft zu machen. Die Menschen mitnehmen und ihnen Hoffnung geben: Warum keine großangelegten Kampagnen über die Medien wie bei AIDS in den 1980ern. Stattdessen überlässt man es Zalando zu sagen: „Wir werden uns wieder umarmen!“

Hoffnung, Zuversicht und die Perspektive des politischen Diskurses

Und da schaue ich nach Amerika und da geht genau das vom Hügel des Kapitols aus: Hoffnung und Zuversicht, gemeinsam aus dem Schlamassel rauszukommen. Nicht nur Corona zu überwinden, sondern auch Rassismus und Spaltung. Spaltung zwischen Arm und Reich, Spaltung zwischen Küsten und „Fly Over Country“, Spaltung zwischen Rot und Blau usw. usw.

Joe Biden und Kamala Harris versprühen den Geist des Aufbruchs. Inmitten von Pandemie, Wirtschaftskrise und sozialer Spannungen malen sie das Bild eines besseren Amerikas. Ja, sie werden an ihren Taten gemessen werden und ja, von Biden darf man nicht die progressivste Politik erwarten, aber wichtig ist, dass hier Politik wieder als Auseinandersetzung um den richtigen Weg angesehen wird, und nicht als hasserfüllter Vernichtungskampf gegen Feinde mit allen seinen brutalen Konsequenzen. Natürlich ist Amerika das Land des Neoliberalismus, der eine bizarre soziale Ungleichheit hervorgebracht hat. Natürlich ist dieses Land auf dem Rücken der Ureinwohner und der schwarzen Sklaven aufgebaut worden. Gleichzeitig hat es jedoch den Geist, die Möglichkeiten und die Instrumente, den ungehemmten Kapitalismus zu zügeln und den Gemeinsinn wiederherzustellen. Der New Deal von Roosevelt muss heute von einem Green New Deal gefolgt werden, der zum sozial-ökologischen Umbau führt. Die progressiven Demokraten werden hier nicht locker lassen.

Musik und Lyrik malen das Bild eines besseren Amerikas

Doch mindestens genauso hoffnungsvoll wie die Reden klangen die Musik und die Lyrik an diesem Tag. Nein, Bob Dylan war nicht da. Aber sein Geist des anderen Amerikas, wofür er steht, war auch präsent. Die Auswahl der Künstler war genial. Mit Lady Gaga trat eine der erfolgreichsten weißen Popstars unserer Tage auf. Die Tochter italo-amerikanischer Eltern ist auch für ihr politisches Engagement gegen sexuellen Missbrauch und gegen Trump bekannt. Längst ist sie aus ihrer Rolle des reinen Paradiesvogels herausgewachsen. Leider ist das immer noch nicht bei einigen angekommen, denn eine hiesige Radiomoderatorin sah bei ihr am Kapitol einen rosafarbenen Rock, wo sie doch ganz staatstragend blau-rot gewandet war. Von ihr die Nationalhymne „Star Spangled Banner“ singen zu lassen, zeugt dann auch davon, dass die neue Regierung Gleichstellung und Schutz der Frauen auf der Agenda hat.

Jennifer Lopez ist der größte Latino-Popstar der USA. Sie sang als Medley „This Land Is Your Land, This Land Is My Land“ und „America The Beautiful“, die ebenfalls so etwas wie nationale Hymnen sind. Also stand Woody Guthrie wieder einmal Pate für ein besseres Amerika. Gefehlt hat in dem Medley die dritte inoffizielle Nationalhymne „God Bless America“. Doch das wäre des Guten zu viel gewesen, zumal Guthries Songs Antwort und Gegenentwurf auf „God Bless America“ war. Ob da jemand das mitbedacht hat? Wie auch immer, „J.Lo“ fügte ihrer Gesangsdarbietung noch eine Sprachbotschaft hinterher. Sie rief „Una nacion, bajo Dios, indivisible, con libertad y justicia para todos.“ Auf Deutsch: „Eine Nation unter Gott, unteilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle.“ Und auf Englisch fügte sie dann noch „Let’s get loud!“ (auf Deutsch: „Lasst uns laut werden!“) hinzu, was auch ein Songtitel von ihr ist, der aber inhaltlich natürlich passt.

Amanda Gorman, Copyright: http://www.commons.wikimedia.org/ Foto: Shawn Miller.

Für viele war der Höhepunkt der Zeremonie der Auftritt der 22-jährigen afroamerikanischen Dichterin Amanda Gorman. In „The hill we climb“ eröffnet sie die Utopie eines geeinten Amerikas, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Sie hat es an einer Stelle folgendermaßen formuliert:

„Und ja, wir sind alles andere als lupenrein,

alles andere als makellos,

aber das bedeutet nicht, dass wir danach streben,

eine Gemeinschaft zu bilden, die perfekt ist.

Wir streben danach, gezielt eine Gemeinschaft zu schmieden.

Ein Land zu bilden, das sich allen Kulturen, Farben, Charakteren und menschlichen Lebensverhältnissen verpflichtet fühlt.

Und so erheben wir unseren Blick nicht auf das, was zwischen uns steht,

sondern auf das, was vor uns steht.

Wir schließen die Kluft, weil wir wissen, dass wir, um unsere Zukunft an erste Stelle zu setzen,

zuerst unsere Unterschiede beiseitelegen müssen.

Wir legen unsere Waffen nieder,

damit wir unsere Arme

nacheinander ausstrecken können.“

Es schwingt ein Geist mit, der Abraham Lincoln, Whalt Whitman und Woody Guthrie, Martin Luther King und Black Lives Matter in sich vereinigt. Das Gedicht ist unter den Eindrücken der Präsidentschaft von Donald Trump und dem Sturm aufs Kapitol entstanden und findet die richtigen Worte zur richtigen Zeit.

Das starke Zeichen des Garth Brooks

Waren die bis jetzt Genannten ohnehin in ihrer politischen Ausrichtung erwartbar gewesen, so bildete Garth Brooks die Überraschung des Programms. Der weiße, republikanische Countrysänger Garth Brooks sang den Gospel „Amazing Grace“, der als Kirchenlied vor allem auch in den schwarzen Gemeinden verbreitet ist. Dieser Song gehörte auch immer zum Repertoire von Joan Baez, als sie noch auf Konzerttouren ging. Barack Obama stimmte ihn persönlich bei der Trauerfeier für die Opfer des rassistischen Massakers in Charleston vor sechs Jahren an und Joan Baez wiederum sang auf ihrem letzten Album den Song „The President Sang Amazing Grace“, der aus der Feder von Zoe Mulford stammt.

Garth Brooks, Copyright: http://www.commons.wikimedia.org/ Foto: Carlos M. Vazquez II)

„Amazing Grace“ also stimmte Brooks an. Das alleine war schon ein großartiges Zeichen dafür, jetzt die Gräben zuzuschütten. Und wer die Geschichte des Songs kennt – er wurde von einem ehemaligen, geläuterten Slavenhändler geschrieben, der später die Sklaverei bekämpfte – der weiß, dass der Song auch für die Fähigkeit von Menschen steht, sich zum Guten zu verändern. Leider ebenso deutlich wie dieses Statement von Brooks war aber auch die Ablehnung, die ihm dafür von Teilen seiner Fan-Base entgegenschlug. Spätestens seit den Ereignissen um die „Dixie Chicks“ und ihrer Kritik an George W. Bush weiß man, welches Risiko Garth Brooks hier eingegangen ist.

Das kulturelle Rahmenprogramm war gut ausgewählt und ebenso programmatisch wie die Reden. Amerika hat noch einen weiten Weg vor sich und sowohl die mächtigen wirtschaftlichen Interessensgruppen als auch die Republikaner und die extreme Rechte werden sich dagegen stellen. Doch die Chance, Amerika zu erneuern, wieder sozial gerechter, friedlicher, bunter und vielfältiger zu machen, die ist da, und der wurde in großer Form Ausdruck verliehen. Mit Pathos!

Garth Brooks singt „Amazing Grace“:

Barack Obama singt „Amazing Grace“:

Joan Baez singt „The President Sang Amazing Grace“:


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