Ungläubige

Da die Infidels-Sessions der nächste Teil der Bootleg Series sind: Ein Blick zurück.

Copyright: Columbia Records

Die Dylan-Welt regierte ganz gespannt auf die Nachricht, die nächste Ausgabe der Bootleg-Series würde sich rund um die Infidels-Sessions drehen. Grund genug für mich, mich auf eine kleine Zeitreise zu begeben: Wie wirkte die Platte damals auf mich? Und: Wer war ich damals?

Als Ende Oktober 1983 Bob Dylan sein Album „Infidels veröffentlichte, hatte der Chronist gerade sein Studium an der TH Darmstadt – heute TU Darmstadt – begonnen. Und so begann für den Bob und für mich gleichermaßen ein neuer Lebensabschnitt. Er hatte seine evangelikale Phase hinter sich gelassen, ich das Gymnasium.

In meiner Schulzeit hatte ich Dylan kennengelernt und er hatte mich für sich eingenommen. „Hurricane“, „Hard Rain“ im Fernsehen, „The Last Waltz“ und „Renaldo & Clara“ im Kino und die Deutschland-Tour 1978, die ich nur aus der Ferne wahrnehmen konnte. Ich stand im engen Dylan-Austausch mit meinem Englisch-Lehrer und besuchte mit ihm mein erstes Dylan-Konzert 1981 in Mannheim – doch das ist eine andere Geschichte, die wird später im Jahr erzählt.

Doch dann der Jesus-Schock. Mit dem Glauben hatte ich ja damals nicht mehr viel am Hut, da schwang sich der Bob zum Prediger auf und sang mit Engelszungen jenes höhere Wesen an, das er verehrte. Manche Songs verachtete ich, aus anderen schloss ich, dass jenes höhere Wesen eine Frau sein musste. Das war gut, denn Dylans textliche Ambivalenz rettete mich durch diese Zeit.

Unterdessen war ich politisch im Jugendverband organisiert und hatte eben im Wintersemester 1983/84 mein Politikstudium begonnen. Und dann diese Platte.

Dylan wieder ganz cool mit Sonnenbrille

Mir gefiel sie schon mal vom äußeren her besser als „Shot Of Love“. Kein kitschig-dämliches „BOOOOM-BANG“-Bild auf dem Cover, sondern Dylan, der mit Sonnenbrille an uns ganz cool vorbeischaut. Meine Lieblingssongs auf „Shot Of Love“ waren „Heart Of Mine“, „Watered Down Love“, „In The Summertime“ und „Every Grain Of Sand“, während „Property Of Jesus“ und „Dead Man, Dead Man“ für mich „Verbrechen am Hörer“ waren und „Shot Of Love“ einfach nur chaotisch klang.

Solche Nullnummern fand ich auf „Infidels“ nicht. Auch wenn  „Jokerman“ für den Hörer mindestens so eine Anstrengung war wie gesanglich für den Künstler selbst, war der Song schon einmal ein  gutes Entree. Keine absoluten Wahrheiten und Evidenzen mehr! Da war wieder Raum für Interpretation. Da war kein vernageltes Weltbild mehr, sondern der freie Gedankenfluss, der aus ganz unterschiedlichen Kulturen – von Michelangelo bis karibischem Voodoo – alles zuließ. Heute weiß ich, dass man sowohl Reagan-Kritik als auch ein Selbstporträt Dylans in diesem Song finden kann. Stark!

„Sweetheart Like You“ war dann wieder einer der Songs, deren Melodien und Texte mich zum Mitsingen animierten, obwohl ich schon damals ahnte, dass sein Frauenbild hier etwas altväterlich herkam. „Neighbourhood Bully“ war der kontroverseste Song des Albums. Denn alles Leugnen des Meisters hilft nichts: Hier geht es nicht um Hunde, hier geht es um das Existenzrecht des Staates Israel. Hatte das was mit dem Bild auf der Innenhülle der Platte zu tun? Dylan kniet da auf dem Ölberg in Jerusalem.

„Das schönste zeitgenössische ‚Friedenslied'“

Über „License To Kill“ schrieb der kluge Günter Amendt, es sei das „schönste zeitgenössische ‚Friedenslied'“. Und tatsächlich: Von der individuellen Verzweiflung- „There is a woman on my block“ – bis hin zum menschenverachtenden heuchelnden Umgang der US-Gesellschaft mit ihren Kriegstoten – „And they bury him with stars, sell his body like they do used cars“ alle Ebenen des Kriegswahnsinns sind drin.

Innenhülle der LP „Infidels“, Copyright: Columbia Records

„Man Of Peace“ fängt mit starken Bildern an „Could be the fuhrer, could be the local priest“. Damals konnte ich nicht so viel damit anfangen: Doch vom Prediger in der „Nacht des Jägers“ bis zu Donald Trumps Nordkoreamission gibt es diese amerikanische Konstante: „Sometimes Satan comes as a man of peace…“

Wieder kontrovers und uneindeutig: „Union Sundown“. Selbst Günter Amendt konnte nicht erklären für wen jetzt die Sonne unterging: Für die Gewerkschaften oder die Vereinigten Staaten? Nein dieser Dylan taugte nicht mehr zum Protestsänger, auch wenn seine Analyse der globalen Ausbeutungsverhältnisse und der Produktionsverlagerung in Billiglohnländer hier absolut treffend ist.

„I and I“ ist vielleicht wirklich das Meisterwerk dieses Albums. Ein bisschen Nachdenklichkeit, ein bisschen Selbstmitleid, vor allem aber das Bild eines irgendwie Zerrissenen und Verlorenen. Ein unstimmiger Künstler und Mensch. Der aber vielleicht auch spürt wo das Ganze hinführen könnte. Eine Ahnung Dylans wie schwer die 1980er Jahr für ihn werden sollten?

Kater von der gottesseligen Trunkenheit?

Und was eben noch so nüchtern und lakonisch klingt, hört sich im Schlusssong dann ganz flehentlich an: „Don’t Fall Apart On Me Tonight“. Und man hat das Gefühl Dylan geht es genauso schlecht nach dem Erweckungserlebnis wie davor. Oder er hat einen Kater von der ganzen gottesseligen Trunkenheit. Auf jeden Fall machte der Song das Album rund. Nicht so recht hineingepasst hätte dagegen das Meisterwerk „Blind Willie McTell“. Es stand für Dylan wohl quer, paste nicht in den inneren Zusammenhang des Albums. Glücklicherweise hat es seine verdienten Meriten ein paar Jahre später doch noch bekommen.

Und so war dieses Album, das letzte Dylan-Album für einige Jahre, das mir wirklich etwas sagte. „Empire Buerlesque“: Aufgemotztes Geklingel. „Knocked Out Loaded“: Konzeptloses Sammelsurium. „Down In The Groove“: Gäääähnnn! Erst „Oh Mercy“ und auch – ich sehe die Stirnen runzeln – „Under The Red Sky“ brachten ihn mir wieder näher.

Dass Dylan mir etwas entglitt, ist aber nicht nur seine Schuld. Ich legte den Schwerpunkt auf die Politik. Während Dylan in Offenbach 1984 ein denkwürdiges Konzert gab, war ich in Dortmund bei einer politischen Großveranstaltung. Doch meine Dylan-Affinität blieb. Sehr zum Missfallen von Teilen meiner politischen Freunde, die sich an Dylans Uneindeutigkeit rieben. „Wer hat uns verraten? Der Junge mit der Mundharmonika!“ Was soll’s: Da habe ich das „Real Live-Album“ auf der politischen Ferienfreizeit eben noch lauter gedreht.

Danach kamen nüchterne Jahre

Schlussendlich war das Infidels-Album aber trotzdem auch das Ende einer bestimmten Phase meiner Dylan-Leidenschaft. Nach der heißen Begeisterung kamen nun ein paar nüchternere Jahre. Wie gesagt, in Offenbach war ich nicht dabei, 1985 schlug ich mir beim Live Aid die Nacht um die Ohren, um ein Desaster zu erleben und 1987 in der Festhalle Frankfurt sah ich einen ausgebrannten, müden Künstler. Die 1990er sollten dann die Jahre der Wiederentdeckung und der größer entfachten Begeisterung werden.

Doch seinen Beitrag dazu, dass ich ihn bei allen Unzulänglichkeiten nicht aufgab, leistete auch dieses Album, das mir heute noch was bedeutet. Ich freue mich auf das, was da in der Bootleg Series kommt!

Bob Dylan, License To Kill, Barcelona 1984:

Bob Dylan, I And I, Europa 1984: