Bob Dylan als Messias

Über einen gefährlichen Irrtum an den Schnittstellen von Kunst, Politik und Religion. Ein Zwischenruf zu Ostern.

Bob Dylan 1976, Copyright: Wikimedia Commons

Juden und Christen glauben an den Messias, der die Menschen von Unterdrückung und Verfolgung befreit und sie ins Reich der Freiheit führt.

Im Jargon des Politischen bezeichnet man damit eine Retter-, eine Leitfigur. Bedenkt man bei der Linken den Text der Internationale: „Es rettet uns keine höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun, uns von dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun“ dann wird deutlich, wie dämlich es ist, wenn Linke eine unantastbare Führerfigur, einen Messias ausrufen. Ob Che Guevara als „Jesus mit der Knarre oder Fidel Castro als „Maximo Leader“. Das passt einfach nicht zusammen. Das eigene Schicksal im wirklichen Leben in die Hände einer Führerfigur zu legen ist ein autoritärer Charakterzug. Vorgemacht haben es innerhalb der Linken Stalin und seine Kommunisten, als sie für ihren autoritären Sozialismus in einem Land eine starke strafende Vaterfigur konstruierten. „Väterchen Stalin“ war der Messias und dieser Stalin forcierte den Personenkult, um die Partei und das Land zu beherrschen.

Messias wider Willen

Wie schwierig es allerdings ist, wenn man zum Messias wider Willen ausgerufen wird, davon kann Bob Dylan ein lebenslanges Lied singen. Die linken amerikanischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich von der Generation ihrer Väter, die in Kriege und Konsumismus verstrickt waren, lossagten, brauchten gleichaltrige Anführergestalten. Mit Pete Seeger eine väterliche Leitfigur zu haben, reichte nicht. Dylan, der sich mit starken Songs ins öffentliche Bewusstsein gespielt hatte, schien der richtige dafür zu sein. Mehr noch, sie wollten in Dylan ein Idol haben, das jederzeit politisch eindeutig, künstlerisch potent und menschlich integer sein sollte. Dass das für gerade mal 22-jährigen Dylan 1963/64 eine ungeheure Bürde bedeutete, ist zu verstehen. Dylan schrieb zwar Songs von politischer Wirkung, die zu den Auseinandersetzungen der Zeit passten, aber er war von Grund auf ein Künstler. Im künstlerischen Bereich sollte er im Laufe seiner Karriere immer wieder beweisen, dass er ein Anführer sein kann. Aber politische Botschaften und Programme für eine politische Jugendbewegung zu formulieren und sie anzuführen, das war nie sein Ansinnen.

Wie eine bedingungslose Hingabe bei enttäuschten Erwartungen in ein barsches Mobbing entgleiten kann, hat dann Dylan ebenfalls seit 1964 erfahren. Erst die fast-schon Beschimpfung von Irwin Silber in der von ihm herausgegebenen Folk-Zeitschrift „Sing Out!“, dann die Buhrufe in Newport 1965 als er seine Musik elektrisch verstärkte und der Höhepunkt der – wunderbar im religiösen Sujet bleibende – „Judas“-Ruf in Manchester 1966.

Dass das wiederum auch schon ein biblisches Vorbild hatte und dem „Hosianna“ wohl stets das „Kreuziget ihn“ folgt, hat er in „Shelter From The Storm“ verarbeitet, in dem er seine Frau Sara als den Menschen beschreibt, der ihm Zuflucht vor den Anwürfen der Öffentlichkeit gegeben hat. Die Bildsprache zeigt, wie sehr ihn seine Messiasgeschichte beschäftigt und wie er damit auch ganz bewusst spielt: „She walked up to me so gracefully and took my crown of thorns“ singt er da.

Enttäuschte Liebhaber

Weil für die Folkies jede elektrische Verstärkung schon ein Schritt in den kommerziellen Verrat und jede dandy-hafte Attitüde des Künstlers etwas Klassenfeindliches war, sollte Dylan lebenslang Arbeiterhemd und Akustikgitarre tragen. Unglaublich was man sich da heraus nahm. Künstlerkollegen wie Phil Ochs und Johnny Cash äußerten ihr Verständnis für den Veränderungsdrang eines kreativen Künstlers, für andere wurde Dylan dadurch aber zur lebenslangen Hassfigur.

Dass dieses Phänomen in den Zeiten vor Internet und Social Media in anderen Ländern ein merkwürdig verzögertes Echo haben konnte, bewiesen die Ausfälle von Teilen des Publikums bei Dylans Deutschland-Konzerten 1978 in Dortmund und Berlin. Und in rigoroser Ignoranz gegenüber amerikanischen kulturellen Traditionen giftete ein Zeitungs-Chronist 1981 zu Dylans damaligen Deutschland-Konzerten: „Wir brauchen hier keine gospelsingende Mickymaus“.

Messias glaubt an den Messias

Ende der 1970er Jahre folgte Dylan dem Zug des christlichen Messias, Copyright: Columbia Records

Für eine weitere Volte in Dylans Messiasgeschichte sorgte er wiederum selbst, als er Ende der 1970er vom Judentum – für die ist der Messias noch nicht gekommen – zum Christentum -die feiern Jesus als Messias seit fast 2000 Jahren – übertrat. Und als richtiger übereifriger Konvertit auch schlimmes evangelikales Zeug auf den Bühnen predigte. Zwar fand Dylan aus dieser Kirche wieder heraus, machte jedoch keine Anstalten, öffentlich über diesen Schritt zu kommunizieren. Auch hier galt wieder: „Wer Ohren hat, der höre.“ Seine Musik war ab 1983 wieder weltlicher, sein Glauben persönlicher und nicht mehr mit missionarischem Eifer nach außen getragen.

Die Tatsache dass Dylan dieser Form des Glaubens nicht öffentlich abgeschworen hatte, führte dazu, dass bis heute evangelikale fundamentalistische Christen versuchen, Dylan für sich zu vereinnahmen. Auf die groteske Spitze trieb dies die Sekte der „Zwölf Stämme“, die jahrelang auch in Deutschland im Umfeld von Dylans Konzerten auftauchte. So wie 2013 am Rande seiner Deutschland-Konzerte, als sie mit einer obskuren Flugschrift präsent waren. Weil sie in späteren Jahren wegen Kindesmisshandlung in Deutschland strafrechtlich verfolgt wurden, setzte sich die deutsche 12-Stämme-Sektion 2015 nach Tschechien ab.

Kein Messias, für niemanden

„Don’t follow leaders, watch the parking meters“ sagt ja Dylan selber zur Problematik. Und wird damit allzu oft von selbst erklärten Nonkonformisten zur Leitfigur erkoren. Weil sich der Künstler Dylan nicht zum stetigen öffentlichen politischen Engagement verpflichtet fühlt, wird er dann gerne von all jenen zur Leitfigur konstruiert, die schlichtweg jedes gesellschaftliche und politische Engagement als sinnlos betrachten. Aber auch dazu taugt er nicht. Denn Dylan weiß bei aller Kritik an der politischen Sphäre nur zu genau -und Songtexte als auch Interviews oder seltene Aussagen auf der Bühne belegen das – dass nur Politik die herrschenden gesellschaftlichen Zustände verändern kann. Und Dylan hat sensible Antennen für gesellschaftliche Probleme wie Armut oder Rassismus.

Günter Amendt hat es bis heute am treffendsten formuliert als er Dylan als „menschlichste aller Stimmen und unstimmigsten aller Menschen“ bezeichnet hat. Das ist sein Faszinosum, und nicht über ihn als Messias zu phantasieren.

Bob Dylan „In The Garden“

Die DoubleDylans „Ersatzreligion“