Nobody sings the blues like … Blind Boy Grunt!

Vor dreißig Jahren: The Bootleg Series Volumes 1-3 erscheint

Copyright: Columbia Records

Die Dylan’sche Zeitrechnung kann sehr wohl in die Zeit vor der Bootleg Series und nach dem Erscheinen der ersten drei Teile der mittlerweile legendären Serie unterteilt werden. Ende März 1991, wenige Wochen vor seinem 50. Geburtstag, erschien die drei CD-Box.

War Biograph 1985 noch eine Karriere-Retrospektive, bei der die bis dato unveröffentlichten Songs in der Minderzahl waren, so war die Bootleg Series tatsächlich ein Eldorado von offiziell Unveröffentlichtem. Endlich gab es das, was es bis dahin sehr oft nur auf obskuren Aufnahmen in minderer Qualität gab, in bestmöglicher Klangqualität und sorgsam editiert. Für die Liner-Notes zeichnete der großartige John Bauldie verantwortlich, der wenige Jahre später bei einem Hubschrauberabsturz tragisch starb.

Die Auswahl eines der führenden Dylanologen seiner Zeit war wohlüberlegt. Strategie von Dylan und/oder seines Managements und seiner Plattenfirma war es, zum einen der großen Nachfrage nach Dylan-Live-Aufnahmen nachzukommen und gleichzeitig etwas Kultiges zu kreieren. Denn keiner glaubte wirklich, dass dadurch die Schatten-Platten-Industrie, die durch das Dylan-Bootleg „Great White Wonder“ das Licht der Welt erblickt hatte, angreifbar gewesen wäre. Im Gegenteil. Dylan wurde auch durch die schweren Jahre durch die Loyalität seiner Fans getragen, die seine Konzerte besuchten und die Tapes sammelten. Im Gegenteil: Für die Komplettisten gab es nun begehrte Aufnahmen offiziell und die Hinzuziehung Bauldies war auch ein Zeichen dafür, dass das Dylan-Camp sehr wohl verstand, wer den Star durch die Jahre der Krise begleitete. So entstand eine noch engere Bindung der Fans zu ihrem Idol.

1991 als Wendepunkt?

Das Jahr 1991 kann rückwirkend wirklich so etwas wie ein Wendepunkt in Dylans Karriere angesehen werden. Auch wenn das künstlerisch erst nach der Veröffentlichung seiner beiden Folk-Alben „Good A I Been To You“ zutrifft. Aber der Beginn einer wichtigen Konstante seiner Karriere, den Bootleg Series, der erneute Beweis für seinen Freigeist mit seiner „Masters Of War“-Adaption bei der Grammy-Verleihung während der Operation „Desert Storm“ und seine dramatischen Live-Auftritt dieser Zeit entfachten bei vielen die Dylan-Leidenschaft neu.

So auch bei mir. Klar hatte ich mir auch die schlechten Dylan-Alben gekauft, aber nach den Desastern 1985 bei Live Aid und 1987 in der Frankfurter Festhalle war ich doch etwas ernüchtert. Wie gut, dass meine große Liebe so klug war, mich mit der CD-Box und Tickets für Offenbach zu versorgen. In der dortigen Stadthalle war sie es übrigens auch, die uns mit Hartnäckigkeit und Begeisterung den Platz in der ersten Reihe sicherte.

Doch zurück zur Bootleg Series. Sie war vor allem der eindrucksvolle Beweis welch tolle Musik Dylan abseits seiner Platten machte. Ob „John Birch“ oder „Only A Hobo“, die beide in seiner Frühzeit unter dem frechen Pseudonym „Blind Boy Grunt“ erschienen oder „Catfish“, „Foot Of Pride“ und „Blind Willie McTell“, die in späteren Jahren Outtakes waren, die jeder andere voller Stolz auf seinem Album präsentiert hätte. Was bekam man stattdessen: „Death Is Not The End“. Oh, Mann!

Copyright: Columbia Records

Großartige Fundstücke

Aber das war jetzt vorbei, denn was man da in Zukunft noch alles erleben würde. Wie zum Beispiel die beste Ausgabe der gesamten Serie bis heute: „Tell Tale Signs“. Ein wahrer Koloss von Album. So hat uns die Serie eigentlich nie enttäuscht – vielleicht mal zu überdimensioniert für meinen Geschmack („The Cutting Edge“) – doch im Gegenteil: Die Plätze 2 und 3 meiner „Bootleg Series-Hitparade“ sind für mich wahre Fundgruben. Die Basement Tapes Complete war großartig, aber vor allem „Another Self Portrait führte zu nicht mehr und nicht weniger als zu einer Neubewertung der Schaffensphase Dylans in den frühen 1970ern.

Ob die nun zu erwartende nächste Ausgabe rund um „Infidels“ auch zu einer Neubewertung führt? Ich glaube eher nicht. Trotzdem führt sie bestimmt zu interessanten Einsichten rund um eines der unterschätzteste Dylan-Alben. Und damit ist Sinn und Zweck der Bootleg Series auch in ihrer x-ten Inkarnation wieder mehr als erfüllt.