The Ballad of Bessie and Bill

Liebe im bigotten US-Süden der 1950er Jahre: Die komplexe Geschichte von Bessie Lee Mauldin und Bill Monroe. Einer ihrer wichtigsten Bluegrass-Gospels fand auch den Weg in Bob Dylans Repertoire

Bessie Lee Mauldin und Bill Monroe, Copyright: Jim Pleva, Golden Stars

Zwei Dinge vorneweg. Es geht mir hier nicht darum, Menschen rückwirkend anzugreifen und auch nicht darum einen großen „Scoop“ zu landen. Motto: „Wusstet Ihr schon?“ Wenn ich hier eine Geschichte aufgreife, die auch die „private“ Seite zweier Künstler betrifft, dann deswegen, weil sie beispielhaft steht für die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Countrymusik im letzten Jahrhundert. Rahmenbedingungen, die leider keineswegs überwunden sind, sondern Teil des Kulturkampfes sind, in denen die USA derzeit gefangen sind. Doch der Reihe nach.

Eine Frau bei den Bluegrass Boys

Im Rahmen meines jährlichen Seminars „Musik ist politisch“ in Malente stellte ich vor ein paar Wochen den Bluegrass als eine spezielle Variante der Countrymusik vor und spielte ein Stück von Bill Monroe an. Auf die Frage, wer denn hier bei Bill Monroe & His Bluegrass Boys den Bass spiele, antwortete ich nach kurzer Recherche selbst erstaunt: „Eine Frau! Bessie Lee Mauldin.“ Eine Frau bildete das musikalische Rückgrat der Bluegrass-Buben. Und das nicht nur für ein paar Stücke. Nein, von 1953 bis 1964 spielte sie den Stand Up-Bass in Monroes Band.

Doch mehr als das. Bessie und Bill waren lange Jahre ein Paar. Und schrieben zusammen Gospels wie „A Voice From On High“, den sogar Bob Dylan einige Zeit lang in seinem Live-Repertoire hatte. Sie waren ein Paar, obwohl Bill zeitgleich mit Carolyn Brown verheiratet war. Noch habe ich nicht Richard D. Smiths Monroe-Biographie „Can’t You Hear Me Callin‘: The Life of Bill Monroe, Father of Bluegrass“ gelesen, die im Jahr 2000 erschien und deren Beziehung breiten Raum gibt. Ja, erstmals im Jahr 2000 gab man dem Raum, denn Bessie und Bills Beziehung spielte und spielt in Publikationen oder Dokumentationen über Monroe sonst keine Rolle.

Bessie – die vergessene Musikerin und Partnerin

So ist Bessie namentlich im 1993er Filmspecial „Bill Monroe – Father Of Bluegrass“ überhaupt nicht erwähnt. Etliche ehemalige Mitmusiker von Monroe kommen in dem Film vor. Sogar Arnold Shultz, der schwarze Musiker von dem der junge Bill viel gelernt hat, wird kurz auf einem Foto gezeigt. Bessie aber, die vier Jahrzehnte mit Bill zusammen war, fast zwölf Jahre für ihn spielte, seine Co-Autorin war, und ihn zu seinen großen Bluegrass-Songs wie „Blue Moon Of Kentucky“ inspirierte, kam nicht vor. Warum?

Es muss ein schwieriges Leben für die beiden gewesen sein. Da machte man zusammen Musik und war jahrelang im Tourbus zusammen unterwegs und musste sich ständig kontrollieren, damit nichts ruchbar wurde. Da sang man fromme Lieder und war damit im bigotten Süden gezwungen, auch die christlichen Moralvorstellungen zu leben. Wenigstens nach außen. Offiziell verheiratet war Bill mit Carolyn Brown. Seine Frau wohnte auf seiner Farm. Auf einer weiteren Farm, die er kaufte, lebte er mit Bessie zusammen. Doch es kam nie zum Skandal. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte? Noch nicht einmal ein schwerer Autounfall, dass das Paar nach der Teilnahme (gemeinsam oder getrennt?) an einer Fuchsjagd hatte, führte nicht zu öffentlichem Wirbel über ihrer Beziehung. Heute kaum vorstellbar.


Copyright: Little, Brown and Company

Auch die Scheidungsklage von Carolyn Brown 1960 änderte nichts allgemeinen Stillschweigen. Carolyn beschuldigte Bill des Ehebruchs und ließ sich 1960 von ihm scheiden. Das Scheidungsurteil -auch wieder eine spezielle Südstaatennummer – verbot Monroe, Mauldin zu heiraten, solange Carolyn Brown lebte. Also führte man die „wilde Ehe“ fort, doch 1964 verließ Bessie die Band. Noch fast zwanzig Jahre dauerte ihre Beziehung an, dann starb Bessie 1983 an einem Herzanfall. Nur wenige Monate später starb Carolyn. 1996 dann Bill.

Noch bis in die jüngste Vergangenheit wurde darauf gedrungen, dass diese Seite Monroes nicht öffentlich ausgebreitet wird. So wurde das Biopic „Blue Moon Of Kentucky“, für dessen Umsetzung sich der Produzent Trevor Jolly nun schon seit mehr als zehn Jahren engagiert, von den Nachlassverwaltern von Monroes Childhood-Home in Rosine, Kentucky, nicht gern gesehen, weil darin auch Bessie und Bills Beziehung zentral thematisiert werden sollte. Bill Monroe sollte nicht als normaler Mensch, sondern als fromme, unbefleckte musikalische Ikone gesehen werden. Ob der Film je zustande kommt, steht übrigens weiter in den Sternen.

Die wichtige Rolle der Frauen in Country und Folk

Es ist nicht nur der menschliche Aspekt, der einem dabei so frösteln lässt. Dass die große Liebe seines Lebens, weil sie nicht zu den herrschenden Moralvorstellungen passt, verschwiegen wird und wurde- auch von Monroe selbst – ist tragisch. Doch die wichtige Rolle, die Bessie als Bassistin, Co-Autorin und Inspirationsquelle für Bill und damit für den frühen Bluegrass gespielt hat, wird damit gleich mitverschwiegen. Auch die Bluegrassmusik, die von der schottisch-irischen Tradition des Appalachen-Folk abstammt, dessen „High Lonesome Sound“ ja der von Frauen war, ist keine reine Männergeschichte. Neben Bill Monroe, den Stanley Brothers oder Flatt & Scruggs sind eben auch Frauen wie Hazel Dickens, Alice Gerrard, Bessie Lee Mauldin und Sally Ann Forrester für das Entstehen und den Aufstieg des Bluegrass mitverantwortlich. Das dies weiterhin gerne vergessen wird, liegt an den gesellschaftlichen Machtverhältnissen.

Denn die bigotten christlichen Moralvorstellungen des Südens und die Disqualifizierung von Frauen finden sich nicht nur immer noch in konservativen und reaktionären Kreisen im Süden, sie sind sogar wieder auf dem Vormarsch. Man denke nur an die frauenfeindlichen Abtreibungsgesetze in Texas, eine der bedenklichsten Auswüchse des oben genannten Kulturkampfes.

Es lohnt sich, einmal ausführlicher auf die wichtige Rolle der Frauen im frühen Country und Folk zu schauen. Ein erster Beitrag von mir hierzu ist diese Geschichte, ein weiterer mein Artikel zu Frauen wie Sara & Maybelle Carter, Aunt Molly, Alice Gerrard, Kitty Wells, Patsy Cline oder Jean Ritchie in der nächsten Ausgabe von Key West, dem deutschsprachigen Dylan und Americana-Magazin. Denn auch Bob Dylan ist von dieser Musiktradition beeinflusst. Wie „A Voice From High On“ ja deutlich zeigt.

Bill Monroe & His Bluegrass Boys -Blue Moon Of Kentucky

Bill Monroe & His Bluegrass Boys – A Voice From On High

Bob Dylan – A Voice From on High (ab 1:40 min)

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