Covers, Bootlegs, Fragments, Outtakes

Die musikalischen „Zwischenwelten“ Bob Dylans. Versuch einer Einordnung zwischen „Fragments“, der Bootleg Series 17. Teil, und Ryan Adams‘ „Blood On The Tracks“-Version

Copyright: Columbia Records

Musikveröffentlichungen sind im Kapitalismus im Grundsatz nicht viel anders als andere Warenproduktionen. Wer ein Papiertaschentuch kauft, der hat gewisse Erwartungen an Nasenverträglichkeit etc. Die soll immer gleich gut sein. Die Marke „Tempo“ ist dadurch ein Synonym für Papiertaschentücher geworden. Wer ein Päckchen Tempo kauft, der weiß was ihn erwartet.

Musikveröffentlichungen sind Warenproduktion

Wer ein Album der, sagen wir, Rolling Stones, kauft, der bekommt diese Stücke dann auch im Konzert in derselben Art und Weise zu hören. „Satisfaction“ klingt immer wie „Satisfaction“. Und das ist bei vielen anderen Künstlern auch die Regel. Die Produkte – die Songs! – sind in einer bestimmten Form marktfähig gewesen, daher müssen sie auch immer so bleiben.

Dies blendet natürlich völlig den Entstehungs- und den weiteren Eintwicklungsprozess der Songs aus. Spätestens als Bob Dylan sich Ende der 1960er Jahre weigerte, die sagenumwobenen Basement Tapes zu veröffentlichen, wurde Musikfreunden klar, dass zum umfassenderen Erleben – und vielleicht auch fürs Verständnis – des Werkes eines Musikers nicht nur die offiziell veröffentlichten Alben gehören. Und so begann die große Schattenwelt der Bootlegs. Unveröffentlichte Aufnahmen und Konzertmitschnitte wurden unautorisiert auf den Markt gebracht. Und die Nachfrage war da.

Die geniale Idee der Bootleg Series

Als Bob Dylan 1991 seinen 50. Geburtstag feierte, was sich für unsere Generation damals schon ziemlich alt anfühlte, war er im öffentlichen Bewusstsein eher ein „he was famous long ago“. Künstlerisch nicht auf der Höhe seines Könnens, kommerziell kein großer Faktor mehr. Umso wichtiger war die treue Fangemeinde, die seine Konzerte besuchte und nach allem gierte, was auf Tapes, CD oder Vinyl zu erhalten war. Mit der Entscheidung von Sony und Dylan, die Bootlegs mit Alternativ-Versionen, Outtakes – sprich nicht veröffentlichte Stücke – und Live-Aufnahmen nun einfach selber zu veröffentlichen – denn man war ja selbst die Quelle – war geradezu genial. Die Veröffentlicher hatten ein Stück Deutungshoheit zurückerobert und Einnahmen generiert, die Fans hatten noch mehr Dylan-Musik mit noch mehr Möglichkeiten zu Diskurs und Interpretation und für die musikhistorische Forschung wurden Lücken geschlossen.

Denn nun konnte man am Entstehungsprozess ganzer Alben teilhaben. Man erfuhr viel über die Entstehung von „Like A Rolling Stone“, bekam ein ganz neues Bild vom oft verschmähten „Self Portrait“, und freute sich, endlich die gemeinsamen Aufnahmen von Dylan und Cash in guter Qualität zu hören. Nächster Streich ist nun die Veröffentlichung von Aufnahmen rund um Dylans Comeback-Album „Time Out Of Mind“ von 1997. „Fragments“ heißt der 17. Teil der Bootleg Series und wir dürfen gespannt sein, bereits zwei Songs sind veröffentlicht worden, die so ganz anders klingen als auf der von Daniel Lanois produzierten Scheibe.

Dylan unterläuft ein Prinzip des Musikbusiness

Und noch ein wichtiger Punkt. Durch veröffentlichte Live-Aufnahmen bekam man nämlich auch die Weiterentwicklung der Songs nach ihrer offiziellen Veröffentlichung mit. Und das ist schließlich ein ganz zentraler Bestandteil des Dylan’schen Selbstverständnisses. Denn für Dylan sind die Songs keine Massenware, die immer wieder gleich auszusehen hat. Für Dylan ist die Arbeit an den Songs mit deren Aufnahme zwecks offizieller Veröffentlichung nicht beendet. Er arbeitet auf der Bühne weiter an Ihnen. Manchmal kontinuierlich über viele Jahre, manchmal greift er sie nur kurz auf, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Damit unterläuft er ein Prinzip des Musikbusiness. Und er nimmt damit in Kauf, die zu verlieren, die immer das gleiche von ihm hören wollen. Denn im Musikbetrieb wird auch der Künstler zur Ware, zu Produkten. Die Stones sind die Rocker, bei Queen wird’s pathetisch, bei den Dire Straits wird Gitarre geknopflert. Deswegen gibt es unzählige Coverbands. Weil die Leute das Gewohnte hören wollen. Um so spannender, wenn Künstler andere Künstler ehren, indem sie sich deren Material aneignen und versuchen, dies in ihrer eigenen Art zu interpretieren. So wie am 26. Januar, wenn Markus Rill, Robert Oberbeck und Maik Garthe den großen Bruce Springsteen im Rahmen der Darmstädter Americana-Reihe ehren. (Siehe auch: https://www.knabenschule.de/index.php?id=1224)

Dylan ist einer der meistgecoverten Musiker überhaupt. Immer wieder nehmen sich Musiker seine Songs und spielen sie nach. Manche hängen sklavisch an der Vorlage, andere interpretieren sie sehr frei und wieder andere finden den Weg, etwas eigenes zu schaffen, das neue Hör- und Bedeutungsebenen eines Songs erschließt.

Copyright: Ryan Adams

Das ging schief: Ryan Adams‘ „Blood On The Tracks“

Jüngster Dylan-Apologet ist hier Ryan Adams. Dessen Karriere ist nach seinem öffentlich gewordenen übergriffigem Verhalten gegenüber weiblichen Kolleginnen – er hat sich dann dafür entschuldigt – doch ziemlich ins Stocken geraten. Nun hat er nach Springsteens „Nebraska“ mit Dylans „Blood On The Tracks“ ein weiteres legendäres Album in Gänze neu eingespielt und kostenlos veröffentlicht. Abgesehen von diesem netten Zug können wir natürlich über die Beweggründe Adams spekulieren, aber das interessiert uns an dieser Stelle nicht. Wir wollen die Musik beurteilen, die uns Adams geschenkt hat. Beide Alben sind auf ihre Weise traurig. Bei Springsteen gesellschaftlich, bei Dylan persönlich. Doch während Adams Springsteen grundsätzlich in Sachen Tempo, Rhythmus und Gesang folgt, versucht er bei Dylan mehr eigene Akzente zu setzen.

Leider geht das ziemlich schief. Wo Dylan uns ins Herz trifft, weil er uns quasi gegenübersitzt und seine Songs qeradeaus spielt, arbeitet Adams bei „Tangled Up In Blue“ mit Hall. Der Gesang schwebt über der Musik und über dem Hörer. Es entsteht der Eindruck maximaler Distanzierung und nimmt dem Song somit jegliche Bedeutung. Das wunderbar sentimental-verrückte „Simple Twist Of Fate“ wird von Adams wieder mit Hall, aber auch mit einem Schlagzeug, dass Computer klingt, regelrecht massakriert. Und so geht das leider immer weiter. Bis schließlich „Lily, Rosemarie & The Jack Of Hearts“ von der süffig-dramatischen Spielweise Dylans von Adams in absolute Langeweile überführt wird. Wir waren zuletzt verwöhnt von tollen Coveralben von Bettye LaVette oder Joan Osborne. Dieses hier fällt leider durch.

Dylan covert sich selber

Und so dürfen wir uns in diesem Jahr wieder drauf freuen, dass der Meister sich selbst covert. Mit anderen Versionen der Songs von „Time Out of Mind“ sowie der Weiterentwicklung seiner Songs in den Konzerten. Verlässliche Quellen sagen voraus, dass Dylan ab Ende März wieder tourt. Das freut uns sehr. Denn wir finden Bob Dylans Coverversionen der Dylan-Songs nämlich am schönsten.

Not Dark Yet“ from „Fragments“:

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