Und er ist doch ein Dichter!

Heinrich Deterings neues Buch „Planetenwellen“ entdeckt den Lyriker und Textautor Bob Dylan wieder – eine lohnende Erinnerung! – Detering liest aus den Texten von Dylan am 20. April im Darmstädter Pädagogtheater

Klar, Bob Dylan ist der bedeutendste lebende Singer-Songwriter der Rock-Ära. Für seine Songpoesie hat er den Literatur-Nobelpreis bekommen. Auf diesem Feld hat er einzigartiges geleistet, als er die Tradition des amerikanischen Folksongs erst mit Tempo, Rhythmus und Bildern der Beat-Generation und dann mit Rockmusik zusammenbrachte. Doch Dylan hat auch immer wieder Gedichte und Prosagedichte veröffentlicht. Zumindest in seiner Anfangsphase. Da verstand er sich sowohl als Songwriter, als auch als Lyriker. Seinen Schallplatten gab er Lyrik und Gedichtzyklen dazu und in Zeitschriften veröffentlichte er Langgedichte. Heinrich Detering, bedeutendster Dylan-Experte hierzulande, ruft dies mit dem eben erschienenen Buch „Planetenwellen“ (Hoffmann und Campe) wieder in Erinnerung. Detering hat für dieses Werk die bislang verstreuten Texte erstmals systematisch zusammengefasst, neu übersetzt und kommentiert.

Bekanntestes frühes Langgedicht ist sicher „My Life In A Stolen Moment“, das zuerst im Programm zu seinem Konzert im Oktober 1963 in der New Yorker Carnegie Hall veröffentlicht wurde. Hier strickt er an seiner Legende und schmückt sie aus. Wäre angeblich mehrmals ausgerissen und rumgetrampt, bei den Indianern gewesen usw. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Authentizität keine künstlerische Kategorie ist, hier ist er. Dylans Poem ist unterhaltsam und mit seiner Lakonie und seinem Beat-Rhythmus eines seiner ersten Roadmovies für den Kopf. Aber der Wahrheitsgehalt verschwindend gering. Dylan mag in Hibbing, Minnesota, ein Außenseiter und Eigenbrötler gewesen sein, aber richtig auf den Weg gemacht hat er sich erst im Winter 1961.

Das Stricken an der eigenen Legende und das im Unklaren lassen, was wahr und was Fiktion ist, das behält er in seinem Werk sein ganzes Leben und seine ganze Karriere bei. Und selbst in den Werken, die am ehesten als autobiografisch eingestuft werden – die Platte „Blood On The Tracks“ und der Song „Sara“ – können nicht als eins zu eins Realitätswiedergabe angesehen werden. Wie kaum ein anderer Autor versteht es Dylan, mit Personen, Persönlichkeiten, Zeitebenen, Sichtweisen, Realitäten und Bedeutungsebenen zu spielen. Wer erzählt da jetzt? Eine Frage, die man sich oftmals stellt, schaut man sich seine Texte an.

Deshalb Obacht bei der allzu schnellen Bewertung von Dylans Texten. Und das gilt auch für seine Prosa. Die „Chronicles Vol.1“ beispielsweise lesen sich wunderbar süffig und klingen einleuchtend. Aber hat es sich wirklich so zugetragen? Und es geht hier nicht darum wie Autobiografien aufgehübscht werden können, sondern darum, dass möglicherweise Robert Zimmerman eine Biografie der Kunstfigur Bob Dylan geschrieben hat. So könnte sie passen, die Konstruktion der Frühzeit von Dylan oder der Zeit von „Oh Mercy“, die in diesem Band ausführlicher behandelt werden. Und das schmälert nicht den literarischen Rang. Authentizität? Siehe oben!

Heinrich Detering

Was uns nun Heinrich Detering in seinem kenntnisreich zusammengestellt und kommentierten Band liefert, ist ein letzter wichtiger Mosaikstein in der Betrachtung des Dylan’schen Gesamtwerks. Endlich sind Dylans Gedichte, Prosatexte, Liner-Notes und Reden in einem Band zusammengefasst. So entdeckt man den schlüpfrigen Text zur Platte „Planet Waves“ ebenso wieder wie Dylans coolen und parodistischen Liner-Notes zu „World Gone Wrong“, die tolle Wort-Bilder zeichnen und viel Wissen und Liebe zu den Songs und deren Schöpfer und Interpreten offenbaren. Aber auch eine spöttisch-negative Sicht auf die neoliberale Postmoderne. Und man kann die wirklich sensationelle „MusiCares“- Rede von Dylan nachlesen. Seine Schilderungen über Vorbilder und Zeitgenossen sind teilweise wirklich überraschend. Und wie kenntnisreich und engagiert er da ist. Und wie er scheinbar Verletzbarkeit zeigt. Trifft es ihn wirklich, wenn Kritiker schreiben, er singe wie ein Frosch?

Und doch geht das Buch über die Entdeckung solcher Schätze hinaus. Denn Detering wäre nicht Detering, wenn er nicht wieder kongenial die Zusammenhänge herstellt, die ihm seine Dylan-Deutungen möglich machen. Indem er noch einmal mit der Lupe auf den historischen Augenblick der Geburt des Künstlers und Kunstfigur Bob Dylan schaut, zeigt er die Schnittstelle, die Dylan besetzt. Dieser führt die Beat-Poety und die rurale Folkmusik, die ihm beide im Greenwich Village begegnen, zusammen. Beides sind damals Ausdrucksformen der Linken. Die eine mehr eine eskapistische antibürgerliche im Habitus, die andere eine seit Woody Guthries Zeiten politisch-strategisch orientierte, kulturelle. Dylan vereinigt zwei ganz eigene Musik- und Sprachuniversen und entwickelt damit etwas ganz neues. Bis er sich selber als Rock’n’Roll-Dandy in der Sackgasse eines immer opulenteren Sprachgestrüpps verirrt. Nachdem er sich mit seinem Motorrad auf die Straße gelegt hat, kehrt er dann mit einfacheren Songs zurück, die eher an Hank Williams als an den Beatniks orientiert sind.

Und doch bleibt Dylan bis heute in dieser surrealen Sprache und Schreibweise verbunden. Sie findet sich, so arbeitet Detering fein heraus, bis hinein in die jüngsten Veröffentlichungen. Und so ist dieses Buch allen empfohlen, die sich mit Dylan tiefer beschäftigen wollen. Und es ist eigentlich auch ein cooler, lässiger Fingerzeig in Richtung manch bräsiger Bildungsbürgernase, die meinte, sich über die Verleihung des Literaturnobelpreises echauffieren zu müssen. Für diese Leute gilt auch noch nach mehr als 50 Jahren unverändert: „Something is happening here, but you don’t know what it is, do you Mr. Jones?“.

Heinrich Detering liest aus seinem Buch am Donnerstag, 20. April, um 20 Uhr, im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Americana im Pädagog“ im Darmstädter Theater im Pädagog. Karten für die Veranstaltung können im Vorverkauf online unter http://www.paedagogtheater.de erworben werden. Vorbestellungen sind unter Telefon +49 (0) 6151 / 66 01 306 sowie per E-Mail theaterimpaedagog@gmx.de möglich.

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