Bob Dylan im Jahr 2017

Der US-Sänger gefällt diesmal auch der Kritik/ Berührendes Konzert in der Frankfurter Festhalle

Es fällt richtig auf: Unter den jüngsten Konzertkritiken sind einige, die nicht immer den gleichen Müll reproduzieren, die gleichen Klischees und Vorurteile totreiten: Genuschel, mürrisch, dem Publikum abgewandt und so weiter. Das blieb in diesem Jahr HR1 vorbehalten, dessen merkwürdiges Dylan-Special an Karfreitag eher unter die Rubrik „die Konzertpräsentation haben wir bezahlt, dann müssen wir halt auch was von Dylan bringen, obwohl der sonst für unser Programm keine Rolle spielt!“ einzuordnen ist. Da wurden dann Kunststückchen vollführt wie dieses: Im Hintergrund läuft ein Song von „Triplicate“, bei dem man jede Silbe einwandfrei verstehen kann, und im Vordergrund faselt jemand was von „genuschelten Versionen von Sinatra Songs“. Wow!

Viele Kolleginnen und Kollegen der schreibenden Zunft waren da aufmerksamer. Es scheint also auch Berichterstatter zu geben, die sich nicht von Dylans Karrierebrüchen und seiner Distanz zum Showbusiness persönlich beleidigt fühlen oder eben Dylan in der Schublade „mürrisches Faktotum“ abgelegt haben. So liest man in der Frankfurter Rundschau:

„Bob Dylan and his band (so steht es auf dem Ticket), das sind diesmal eindreiviertel Stunden Countryrock, ein bisschen Blues, ein bisschen Bluegrass, ein bisschen Folk, sind Schwung und Schmelz und herrliches Gitarren-Wahwah, his band könnte auch eine stolze Begleitung für einen echten Crooner sein.

Das würde von Dylan niemand behaupten wollen. Aber diese gezeichnete, raue, manchmal krähenkrächzende Stimme sich doch um ein melancholisches Kleinod wie „Autumn Leaves“ bemühen zu hören, durchaus mit Erfolg bemühen zu hören, das hat doch Charme, Tiefe, ja, Seele.

Da steht er dann in der (nicht ganz ausverkauften) Festhalle, lässt den Mikroständer mal baumeln, stellt sich mal breitbeinig hin, weil er vielleicht auch nicht mehr so sicher auf den Beinen ist, und lässt die letzten Blätter ganz sachte sinken, fallen.“

Und tatsächlich, plötzlich ist die Kritik Dylan deutlich zugewandter, man lässt sich auf seine Konzerte, seine Musik ein. Und wer das gemacht hat – beispielsweise eben in der Frankfurter Festhalle – konnte tatsächlich einen fast 76-jährigen Mann erleben, der fest im Kanon der amerikanischen Musik verwurzelt ist. Der jetzt im Moment die Musik macht, die ihm gefällt. Die Musik, über die er sich ausdrückt, sein Vehikel, das transportiert, was er uns als Künstler sagen will. Und daher auch uns, sein Publikum berührt. Und das auch ganz im Sam Cooke’schen Bonmot, dass eine Stimme nicht gut sei, wenn sie schön ist, sondern wenn sie einen glauben lässt, das sie von der Wahrheit singt.

Dylan im Jahr 2017 geht ganz zurück auf seine Wurzeln in den 1940er Jahren. Die Musik, der Bühnenaufbau – man sieht sich in einem Club in den vierziger Jahren zurückversetzt. Seine Band ist immer noch die Cowboy Band, die sich irgendwo im ländlichen Süden am urbanen Pop-Schlager versucht. Und das mittlerweile mit einer Perfektion, die ihresgleichen sucht. Wer hätte das vor 25-30 Jahre gedacht, als Dylan-Konzerte manchmal klangen wie Garagenrock meets Kindergeburtstag, als Höhepunkte und Abstürze auf der Bühne nur Minuten voneinander entfernt waren.

Dagegen präsentieren sich Dylan und seine Band fast schon als routinierte Entertainer, wenn dem nicht Dylans Person entgegenstünde, der einfach nicht nach Perfektion, sondern nach Inspiration sucht. Und diese Inspiration braucht er für seinen Gesang, der ihm viel wichtiger ist als vor einigen Jahren. Seine Stimme ist milder geworden, er schafft auch wieder einige Höhen mehr als in der ganz großen Krächz- und Bell-Zeit. Und so scheint er gerade deswegen Abend für Abend dass gleiche zu spielen. Damit er die immer gleichen Worte noch einmal anders prononcieren, noch einmal anders klingen lassen kann.

Er spielt nicht ein einziges Mal Mundharmonika an diesem Abend. stattdessen vollführt er wilde ungelenke Tänze mit dem Mikrofonständer. Und wenn er sich nicht dort oder am Klavier festhält, läuft er manchmal scheinbar etwas orientierungslos über die Bühne. Dabei aber stets in enger Kommunikation mit seinen Musikern.

Die Höhepunkte des Abends sind ein kraftvolles „Desolation Row“, ein mitreißendes „Tangled Up In Blue“ und die große Zirkusnummer „This Old Black Magic Called Love“. Und wie immer endet der Abend in der Bandaufstellung und dem spöttisch-grimmigen Blick in die Menge. Der Bob Dylan im Jahr 2017 ist auch einer, der die Rituale auskostet.

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