Eine offene Wunde, die immer wieder neue Schmerzen schafft

Sklaverei und Rassismus konstituieren Amerikas Gesellschaft bis heute: Drei Bücher zum Thema

Sie sind offene Wunden Amerikas und konstituieren die US-Gesellschaft bis heute: Sklaverei und Rassismus. Drei Bücher, die davon handeln, sollen hier kurz vorgestellt werden. Drei Bücher zu wechselnden Themen, aus wechselnden Genres, die aber dennoch untergründig verbunden sind: In einer Erzählung über die Rassenbeziehungen in den USA, die von der Zeit der Sklaverei bis kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg über die gewalttätigen Rassenunruhen Ende der 1960er Jahre bis in die jüngste Vergangenheit reichen.

Underground Railroad
„Underground Railroad“ war einer der literarischen Überraschungserfolge der letzten Jahre. Die „Underground Railroad“ war im 19. Jahrhundert ein konspiratives Fluchthilfesystem, das versuchte, geflohene Sklaven in die nicht sklavenhaltenden Staates des Nordens gelangen zu lassen. Wobei „Railroad“ nur ein bildlicher Begriff war. Autor Colson Whitehead erzählerischer Coup ist es nun, diesen Begriff ganz wörtlich zu nehmen und so zu tun, als hätte es tatsächlich geheime Tunnel und Eisenbahnanlagen gegeben. Seine Protagonistin, die Sklavin Cora, flieht mit Hilfe der geheimen Eisenbahn über mehrere Stationen nach Norden. Ausgehend von der Grausamkeit auf der Plantage in Georgia geht es ins vermeintlich liberalere South-Carolina, das allerdings nur eine „fürsorglicher Rassismus“ ist und ebenfalls keine Perspektive. Und so schlägt sie sich weiter durch – Station für Station. Überall gibt es hilfreiche Menschen, aber die Mehrheit der Weißen denkt rassistisch und ist grausam. Einmal muss sich Cora auf dem Dachboden eines Abolitionisten verstecken und gleichzeitig tägliche Hinrichtungen von unbotmäßigen Schwarzen und weißen „Negerfreunden“ mitanschauen. Dabei bemerkt sie wie gespalten die Familie eigentlich ist und so wird das sie beherbergende Ehepaar von der Tochter verraten, in Angst und Verzweiflung entzweien sich die Eheleute und werfen sich gegenseitig die Alleinschuld vor, sterben aber letztendlich zusammen in den Flammen. Cora wird von dem sie schon lange verfolgenden Sklavenjäger verschleppt, doch wieder kann sie fliehen, diesmal mit Hilfe von jungen Schwarzen. Sie lebt später in einer Art schwarzen Freistaat. Hier scheint die Befreiung möglich, aber auch dieses emanzipatorische Projekt inmitten der Sklavenhaltergesellschaft wird gewaltsam ausgelöscht. Am Ende ist sie über den Norden auf den Weg nach Kalifornien in eine ungewisse Freiheit.

Whitehead schafft Spannung, Beklemmung und Schrecken durch Atmosphäre. Grausamkeiten schildert er dezent, aber dadurch umso verstörender. Das Buch zeigt frank und frei und ohne falsche Beschönigung die ganze grausame Realität des Rassismus in den USA. In den Sklavenhaltergesellschaften des Südens wurde die Wunde zugefügt, die bis heute schmerzt.

Hard Revolution
Wie scheinbar an der Oberfläche der Rassismus zurückgedrängt wird, aber weiter lebt und in bestimmten Situationen es auch wieder zu ganz offenen brutalen Rassenunruhen kommt, erzählt George Pelecanos Krimi „Hard Revolution“, der in Washington 1968 spielt. Erzählt wird aus der Perspektive der kleinbürgerlich-proletarischen Schichten – weiß wie schwarz- der Bundeshauptstadt. Der junge schwarze Polizist Derek Strange steht für den vermeintlichen gesellschaftlichen Aufstieg der Schwarzen in der Stadt. Seine Mutter ist Putzfrau, sein Vater arbeitet in einem Imbiss. Sein Bruder Dennis gerät mit seinen schwarzen Freunden auf die schiefe Bahn. Der andere Erzählstrang berichtet von einer weißen Gruppe von Kleinkriminellen und Gelegenheitsarbeitern.

Auch dieser Roman ist atmosphärisch dicht. Der alltägliche Rassismus der Weißen wird ebenso wenig ausgespart wie die Konflikte innerhalb der Black Community um den richtigen Weg zur gesellschaftlichen Emanzipation. Dazu erfährt man ganz nebenbei einiges über die Musik der damaligen Zeit. Den Rock’n’Roll, den Soul. Und Schwarz und Weiß lebt in einer Art „Burgfrieden“ zusammen, denn unter der Oberfläche ist nichts geklärt, lebt der Rassismus weiter. Alles gerät aber ins Wanken, als die Ermordung Martin Luthers Kings zu Gewaltexzessen und Plünderungen führt. Und sich die Einsicht einstellt, dass auch nach überstandenen Unruhen nichts, aber auch gar nichts gelöst ist.

Black And Proud
Ein ganz anderes Buch ist James McBrides „Black And Proud. Auf der Suche nach James Brown und der Seele Amerikas“. Eines das auf beste Art und Weise Musikgeschichte mit Gesellschaftsgeschichte verknüpft. Wer sich hier eine stringente, chronologisch erzählte Musikerbiographie vorstellt, wird enttäuscht. McBride, einer der wichtigsten US-Autoren der Gegenwart begibt sich auf die Reise in die Heimat des Superstars James Brown, ins konservative ländliche Amerika der Südstaaten. Hier im Rassismus, der heute mancherorts subtiler aber nicht weniger ausgrenzend gelebt wird, hier im Armenhaus der USA, liegen viele der Ursachen, warum James Brown so geworden ist, wie wir ihn kennen, respektive glauben zu kennen.

Denn kaum einer kannte James Brown wirklich. Er war ein begnadeter Musiker, einer der Millionen Dollar an arme Kinder, gleich welcher Hautfarbe, vermachen wollte. Der Menschen förderte und einen hohen Arbeitsethos hatte. Aber er war janusköpfig: Eigensinnig, verletzend, nicht zimperlich im Umgang mit seinen Bandmitgliedern, er führte ein diktatorisches Regiment. Viele, die mit ihm gearbeitet haben, möchten von diesen Seiten Browns nicht erzählen, aber merkt ihnen deutlich die Verletzungen an, die er ihnen zugefügt hat.

Den sozialen Aufstieg durch Geld hatte Brown total verinnerlicht, ebenso das Misstrauen gegenüber allen, die Einfluss auf seine Geschäfte nehmen könnten. Er wusste um den Rassismus, der ihn noch nach seinem Tod als irres Faktotum durch manche Biographie taumeln ließ. McBride räumt hier gleich mit mehreren Legenden auf, ohne Browns schwierige Art auszublenden.

Umso tragischer, dass Browns Plan, nach seinem Tod sein Erbe in eine Stiftung für benachteiligte Kinder anzulegen, von habgierigen Verwandten und deren ebenso habgierigen Anwälten völlig torpediert wurde. Auch so eine typisch amerikanische Geschichte.

Und doch, so John McBride, hat James Brown auch mehr als 10 Jahre nach seinem Tod noch immer eine starke Rolle als Identifikationsfigur für die Black Community in den USA. „I’m Black And Proud“ erfüllt sie immer noch mit Stolz, gerade in den unsicheren Zeiten der Trump-Administration.

Colson Whitehead, Underground Railroad, 24 Euro
George Pelecanos, Hard Revolution, 24 Euro
James McBride, Black And Proud, 20 Euro

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