60 Jahre „Blowin‘ In The Wind“: Ein eigentlich schon abgenudelter Song bekommt – wenn man ihn des Pathos beraubt – eine neue Dringlichkeit
Was habe ich und andere sich schon über diesen Song lustig gemacht: „Blowin In The Wind“. Der Liedermacher und DKP-Parteigänger Franz-Josef Degenhardt nannte es seinem bemüht-proletarischen Roman „Brandstellen“ die „Hymne der Herumtreiber“ und konstruierte fein den Gegensatz zum proletarischen Liedgut der absoluten Wahrheiten. Dylan-Biograph Liederschmitt nannte es ironisch das „Kirchenlied der Freaks“ und der geniale, aber mitunter sich an zu vielen Fronten aufreibende, zu früh verstorbene Wiglaf Droste war es so leid, dass er die Verballhornung „Musse Feife Inne Wind“ verfasste und aufnahm.
Einst: Der große Hit für Lagerfeuer und Kirchentag
Das war die Zeit, als dieser Song an keinem Lagefeuer, auf keiner Demo, bei keiner Lichterkette fehlen durfte. Totgenudelt mit Gitarrengeschrammel, aufgeblasen mit Kirchentagspathos und in Beliebigkeit ertränkt, weil zu jeder Gelegenheit passend. Ich mochte es fast gar nicht mehr hören und der Meister selbst spielte es oft nur widerwillig. Wenn er es nicht völlig vernölte, wie beim „Live Aid“ 1985, dann spielte er es entweder mal als flotten Country-Shuffle mit Tom Petty 1986 oder ab 2008 in einer ironischen Gospel-Schlagerversion mit viel zu viel Streicherseligkeit.
Das Licht der Welt erblickte der Song am 16. April 1962 bei Dylans Auftritt in „Gerde’s Folk City“. Er spielte fünf Songs. Einer von ihnen war „Blowin‘ In The Wind“, der wenige Wochen später im „Broadside“-Folk Magazin veröffentlicht wurde. Dylan hatte ganz folkmäßig auf die Melodie des afroamerikanischen Sprituals „No More Auction Block“ neu getextet. Für den Musikjournalisten Andy Gill war der Song für Dylans Songwriting der Übergang vom reinen Reportagesong konkreter Begebenheiten („The Death of Emmett Till“, „The Ballad Of Donald White“) hin zu allgemeineren Aussagen.
Dylan nahm „Blowin In The Wind“ im Juli 1962 für seine zweite LP auf, „The Freeheelin‘ Bob Dylan erschien dann im Mai 1963. Doch den großen Singlehit machten Peter, Paul & Mary daraus, die den Song bereits im Juni 1963 coverten. Später jedoch setzte sich Dylans Aufnahme als der Song-Klassiker durch.
Über die Jahrzehnte ist die Liste der Coverversionen unübersehbar groß geworden. Marlene Dietrich sang eine deutsche Version, Stevie Wonder machte eine R&B-Nummer draus, Bobby Bare ein Country-Stück und die Hollies sangen schön konsumierbar „Blooowoowowowowin‘ in the wind“. So manch einer tat es eben dann in den letzten nur noch als Peinlichkeit ab.
Jetzt: Fragen statt Antworten
Angesichts aber einer Gegenwart, die den politischen Diskurs um den Krieg zwischen den scheinbar absoluten Wahrheiten „Zeitenwende“ versus „Pazifismus“ ohne jedwede wirkliche Debatte ins analytische Nirwana abdriften lässt, ist ein Song wie „Blowin‘ In The Wind“ genau der richtige. Denn er stellt Fragen, statt Antworten zu liefern, gibt daher auch nicht vor allwissend zu sein. Er entspricht daher auch der Befindlichkeit vieler Zeitgenossen, deren „Beendet den Krieg“ in einem Zug mit dem ratlosen „Ja klar, aber wie?“ artikuliert wird.
Diese Ratlosigkeit und diese Ungläubigkeit und Verwunderung hat beispielsweise der deutsche Folk- und Bluesmusiker Biber Herrmann in den Mittelpunkt seiner aktuelles Bühnenversion von „Blowin In The Wind“ gelegt und den Song damit von jeglichem Pathos und Ballast befreit. Es ist eine genial- verhaltene, verwunderte Meditation geworden. So bekommt der Song eine neue Aktualität.
„Blowin‘ In The Wind“ indes sei auch allen ins Stammbuch geschrieben, die zu schnell und willfährig die Seiten wechseln. Die zwar noch in zivilem Grün unterwegs sind, aber schon längst im militärischen Oliv denken und handeln. Die in schnellster Zeit von Tauben zu Falken geworden sind.
Die sollten sich einfach mal in einer stillen Stunde, abseits von Medien und Lobbyisten, diese Fragen stellen: „Yes, and how many times must the cannonballs fly, Before they’re forever banned?“ oder „Yes, and how many deaths will it take ‚til he knows, That too many people have died?“.
Wichtig ist es, dem Sog der allzu wohlfeil-schnellen, einfachen Logik des Krieges zu entgehen, und diesen auf seinen inhaltlichen Kern zu reduzieren: Tot, Verderben, Zerstörung. Und das muss beendet werden und zwar schnellstmöglich. Ob Hochrüstung und schwere Waffen wirklich dazu taugen, ist auch so eine Frage, die gestellt werden muss. Verhandeln, politisch-wirtschaftlicher Druck und Diplomatie sollten weiterhin eigentlich die wichtigsten Optionen sein, oder?
Wer aber weiter unbedingt nach klaren Antworten sucht, dem sei „Masters Of War“ empfohlen. Das Lied, das erklärt, wer am Ende immer jeden Krieg gewinnt. Und damit auch eine wichtige Erklärung dafür gibt, warum es immer wieder Kriege gibt.
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