Zur Musealisierung Bob Dylans

Der neue Bob Dylan Center in Tulsa ist mehr als eine Devotionalien-Sammlung, im Zusammenspiel mit dem Dylan-Institut der Universität Tulsa fördert er einen Dylan-Diskurs im gesellschaftlich-kulturellen Kontext.

Copyright: Walter Steffek

„Kein anderer Altstar, dessen Karriere in den 1960ern begonnen hat, wehrt sich so mit Haut und Haaren zu einem musealen Nostgalgie-Act zu werden, wie Bob Dylan, der auch mit fast 81 Jahren immer wieder neue Ideen hat und Fans und Kritiker damit immer wieder verblüfft. Und trotzdem: Seit diesem Dienstag (10. Mai) ist ein Museum geöffnet, das sich ausschließlich dem Werk und Wirken Bob Dylans verschrieben hat.  Es ist der Bob Dylan Center in Tulsa, Oklahoma.“ Soweit meine Worte in meiner News auf country.de: https://www.country.de/2022/05/10/bob-dylan-center-tulsa-oklahoma/

Ausgerechnet das Werk und Wirken dieses Künstlers, der sich nie einordnen ließ, der Zeit seiner Karriere mit immer neuen Wendungen, Stilbrüchen und Umorientierungen verblüffte, verwirrte und damit oftmals Ratlosigkeit, aber auch schroffe Ablehnung erntete ist nun sorgsam archiviert, katalogisiert. Auch kanonisiert?  

Dylans Kanon?

Mit dem Kanon in Literatur und Musik ist es so eine Sache. Wer legt fest, welche Werke zeitüberdauernde Bedeutung haben? Die Werke von Shakespeare und Goethe haben bis heute ihre Bedeutung, weil sie Fragen und Themen zum Inhalt haben, die zeitlos sind. „Herrschaftskonflikte und die Verteilung von Macht spielen in seinem Werk eine zentrale Rolle, aber auch die wachsende Bedeutung des Individuums in einer Zeit großer Umbrüche“, sagt Joachim Frenk, Professor für Britische Literatur- und Kulturwissenschaft der Saar-Uni zu Shakespeare. (Quelle: Campus, Webmagazin der Uni Saarland) und weist damit dessen Aktualität nach. Das gleiche ließe sich auch von Goethe sagen.

Und auch von Dylan. Dessen 60 Jahre alten Songs wie „Masters Of War“, A Hard Rain Is A-Gonna Fall“ oder „Blowin In The Wind“ sind in einer Welt voller Kriege, Konflikte und Klimakatastrophen aktueller denn je.

Sie werden Dylan über seine Lebenszeit hinaus überdauern. Doch auch seine spätere Musik, in der es immer um die Autonomie des Individuums in der verwalteten Welt oder die sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Spätkapitalismus auf den Einzelnen geht, werden solange aktuell sein, solange es Rassismus und Klassismus gibt, solange diese Gesellschaft sozial ungerecht ist, die Umwelt verschmutzt wird und Konflikte nicht friedlich gelöst werden.

Fazit: Alle Dylan-Songs gehören zum Kanon seiner Werke oder keines.

Dylan-Bilder

Und welches Dylan-Bild soll hier vermittelt werden? Auf den Dylan, wie ich ihn oben charakterisiert habe, der „nicht fassbare Dylan“ können sich im Grunde alle einigen. Weil es auch impliziert, dass er eigentlich gar nicht zu verstehen ist. Damit kommen alle zurecht.

Diejenigen, für die Popmusik sowieso keine Bedeutung über die zweiminutendreißig eines guten, hedonistischen Popsongs hinaus hat oder auch haben darf. Weil Dylan nervt, weil seine Songs Botschaften und Anliegen haben. Dylan war in den 1980er und 1990er Jahren in der breiten Öffentlichkeit fast bedeutungslos, weil erst Reaganomics und Thatcherismus in der Konservativen und dann die Blairs und Schröders in der sozialdemokratischen Variante eine Welt der entfesselten Märkte und des individuellen finanziellen Glücksversprechens predigten. Da gab es nur Positivismus. Jeder ist seines Glückes Schmied und der Weg geht immer nur nach oben. Wer wollte da schon Zeilen wie „We live in a political world, Love don’t have any place, We’re living in times where men commit crimes, And crime don’t have a face“ hören?

Erst als der Krieg gegen den Terror ab 2001, der ja auch mit Lügen (Irak-Krieg) geführt wurde und die Finanzkrise ab 2008 aufzeigen, dass die Politik in den westlichen Länder und Russland seit den 1990er dramatische, gesellschaftlichen Folgen hat, hört man Dylan wieder zu. Verarmung, Gewalt und Drogenseuchen in den USA, Oligarchenherrschaft und Autoritarismus in Russland. Und über all dem die Gefahr des Trumpismus als Abschaffung der Demokratie in den USA, um die Interessen und Besitzstände der alten, fossilen Kapitalfraktionen, des weißen, angelsächsischen Bevölkerungsteils und der religiösen Fundamentalisten gegen jede gesellschaftliche Veränderung zu verteidigen – die Welt ist wieder einmal aus den Fugen.

Und Bob Dylan ist wieder derjenige, der dazu mächtige Song-Epen schafft. „Workingmans Blues“ erzählt 2006 von der sterbenden Arbeiterklasse, in „Mother Of Muses“ (2020) erwähnt Dylan die Kämpfe im Bürgerkrieg (gegen die Sklaverei) und zweitem Weltkrieg (gegen den Faschismus), die gesellschaftlichen Fortschritt und ihre populären Entsprechungen – Bürgerrechte und Rock’n’Roll – erst möglich machten.

Doch auch viele die es mit Dylan halten, wollen auch das nicht hören, folgen lieber Dylan als vermeintlichem Poeten der Unentschiedenheit, ob damit einen quasi unwiderlegbaren Leumund für ihr Nicht-Engagement zu haben. Doch Dylans entschiedene Ablehnungen von Führerkult – „Don’t Follow Leaders““ und selber politischer Anführer zu sein – „It Ain’t Me Babe“ – heißt ja nicht, dass er uns dazu auffordert, jedes gesellschaftliches Engagement als sinnlos und nutzlos anzusehen. Gerade Leute, die ihn gleichermaßen wegen seiner Ablehnung von Autoritäten feiern, huldigen ihm als überlebensgroße Autorität. Vertrackt, ich weiß.

Copyright: Bob Dylan Center

Musikmuseen all überall – warum Dylan in Tulsa?

Auf unseren Reisen durch den Süden der USA haben wir festgestellt, dass dieser Landstrich ganz offensiv mit seinem Pfund „Musik“ wuchert. Der Staat Mississippi nennt sich selbst „Birthplace Of American Music“. Weil hier der Blues und seine Musiker wie Robert Johnson oder B.B. King ebenso geboren wurden wie der King of Rock’n’Roll Elvis Presley oder der „Father Of Country Music“ Jimmie Rodgers. Und so findet sich fast in jedes Städtchen im Mississippi Delta ein oder mehrere Bluesmuseen, wie beispielsweise in Clarksdale, wo Robert Johnson an den Crossroads der Highways 61 & 49 seine Seele an den Teufel verkauft haben soll. So hat Meridian sein Jimmie Rodgers- Museum und Tupelo hat das Geburtshaus von Elvis schön herausgeputzt.

Aber auch in den anderen Südstaaten ehrt man seine Musik und seine Musiker:innen. Nashville, Tennessee ehrt die Countrymusik und Johnny Cash und in Montgomery, Alabama befindet sich das Hank Williams-Museum. Letzteres ist didaktisch so ziemlich das schlimmste. Eine uninspirierte und ungeordnete Ansammlung von Devotionalien. Ganz anders dagegen eines, das wir eher zufällig gefunden haben. Das Earl Scruggs-Museum in Shelby, North-Carolina, ist didaktisch sehr gut konzipiert. Es erzählt die Lebensgeschichte des großen Bluegrassmusikers in Verbindung mit den Zeitumständen und bietet sogar die Möglichkeit, selber Banjo zu spielen.

Die bislang beste Ausstellung war jedoch die große Schau „Dylan, Cash & The Nashville-Cats“, die wir 2015 besucht haben. Sie zeigte auf, wie Nashville durch die popkulturelle Verbindung von Rockmusik mit Country eine ganz andere Stadt wurde. Und dies am Bespiel der bahnbrechenden Zusammenarbeit von Bob Dylan mit den Nashville-Studiomusikern und Country-Ikone Johnny Cash. Die zu Recht erfolgreichste Ausstellung in der Geschichte der „Country Music Hall Of Fame And Museum“.

Wenn die Dauerausstellung im neuen Bob Dylan Center ähnlich gut ist, kann man sich freuen. Die Vorberichterstattung zur Eröffnung hatte ja vor allem die Anzahl der Artefakte und den Umstand, warum der Center in Tulsa seine Heimat gefunden hat.

Der Dylan, der hier ausgestellt wird, ist erstmal sicherlich ein Dylan dessen Wegen man äußerlich gefolgt ist und die man anhand von Song-Manuskripten, Musikinstrumenten und Bühnenbekleidung auch wunderbar bildhaft und unterhaltsam darstellen kann.

Dass Dylan aber eben ganz im Stile Walt Whitmans für die Vielfalt Amerikas steht, das beweist erst einmal auch die Standortwahl Tulsa. Hier sitzt die „George Kaiser Family Foundation“, die mit dafür gesorgt hat, dass Tulsa, dessen Wahrnehmung lange zwischen verschlafenem Südstaaten-Städtchen und Ort einer der verheerendsten rassistischen Pogrome (Massaker von Tulsa 1921) changierte zu einer bedeutenden Kulturstadt gewandelt hat. Sie finanzierte den Woody Guthrie Center ebenso wie den neuen Bob Dylan Center. Dylan hat der George Kaiser Family Foundation einen Großteil seines Archivs verkauft. Dies bildet die Grundlage des Museums. George Kaiser ist ein philantropischer Multimillionär, dessen Eltern als Juden aus Nazi-Deutschland fliehen mussten und der seinen Reichtum im Öl-Geschäft erworben hat. Heute steckt er seine Millionen in seine Stiftung, die sich vor allem auch gegen Kinderarmut einsetzt.

In Tulsa gibt es auch ein Institut für Dylan-Forschungen an der dortigen Universität, was schon einmal für ein hohes Niveau der Auseinandersetzung mit Dylan garantiert. Guthrie- und Dylan-Center befinden sich im Tulsa Art District, wo sich auch einige Theater und Cain’s Ballroom, die Wiege des Western Swing, angesiedelt. Tulsa beherbergt daneben aber auch die „Oklahoma Jazz Hall Of Fame“, die gerade die afroamerikanische Tradition dieser Musik ehrt, und das Gilcrease Museum, das Kunst und anderen Objekten des amerikanischen Westens und der Ureinwohner Nordamerikas zeigt. Möglicherweise hat das alles den Ausschlag für Dylan gegeben, sein Archiv der Stiftung mit Sitz in Tulsa anzuvertrauen.

Doch Dylan – siehe oben – und die Musealisierung, das geht nicht zusammen. Dylan war in keinster Weise an der Konzipierung von Center und Ausstellung beteiligt und kam auch nicht zur Veröffentlichung. Bob Dylan hat sich schon immer lieber mit seiner aktuellen Arbeit beschäftigt, als mit seiner eigenen Vergangenheit. Und wenn er alte Songs spielt, dann erfindet er sie immer wieder neu. Und im Moment verzichtet er bei seinen Konzerten fast völlig auf seine alten Hits und legt den Schwerpunkt auf die Songs seines aktuellen Albums von 2020, „Rough And Rowdy Ways“.

Skyline von Tulsa, Copyright: Wikimedia Commons

Musealisierung ist nicht gleich Verklärung

Doch Musealisierung muss weder Historisierung noch Verklärung bedeuten. Dylans Werk und Wirken weist immer Gegenwartsbezüge auf, weil es universell ist. Das gute Zusammenspiel von Uni und Dylan-Center sorgen dafür, dass hier nicht nur das Großgenie Dylan abgefeiert wird, sondern dass man Werk, Wirken und Leben in gesellschaftlich-politisch-kulturelle Zusammenhänge stellt. Dafür steht zudem auch, dass das Museum der Lokalgeschichte Rechnung trägt und an das Massaker von Tulsa erinnert. Schließlich ist Dylan als einer der wichtigsten weißen US-amerikanischen Künstler in vielfältiger Weise der afroamerikanischen Kultur und Community verbunden. Die Erinnerungen seines Vaters an einen rassistischen Lynchmord 1920 in Duluth, Minnesota, dürften mit ursächlich für seinen lebenslangen Anti-Rassismus sein.

Und so ist die Musealisierung Dylans gar nichts schlechtes, weil es, fern der Ebene von Plattensammlern, Setlist-Nerds und Dylan-Imitatoren jeglicher Art, sich mit Dylan und seiner Kunst in deren gesellschaftlichen Verschränkung, mit seinen Wurzeln und mit seiner Wirkung beschäftigt.

Gut, dass es nun auch ein Bob Dylan-Museum gibt.

Inside The Museum:

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