Vor 25 Jahren: Bob Dylans „Wiederauferstehung“

Wie eine Herzbeutelentzündung und Songs über Vergänglichkeit zum Gründungsmythos des Dylan-Comebacks wurden

Copyright: Columbia Records

Ich kann mich noch gut erinnern: Wie waren zum zweiten Mal auf der wunderschönen griechischen Insel Zakynthos. Es war Ende Mai, Anfang Juni 1997 und wir lauschten einem der vielen Sänger, die in Urlaubsorten mit altbekanntem Songmaterial die Touristen unterhalten. Natürlich spielte er auch einen Bob Dylan-Song. Ich weiß nicht mehr welchen, aber die Ansage des Songs ist mir im Gedächtnis geblieben: „Der Song ist von Bob Dylan, der ist wohl gerade gestorben“, hieß es auf Englisch. Wie waren sichtlich aufgeregt. Wir hatten tatsächlich in der Zeitung gelesen – das war bei uns noch die Vor-Internet-Zeit und Smartphones gab es noch keine – dass Dylan an einer Herzbeutelentzündung erkrankt sei. Aber gestorben war er nicht. Im Gegenteil, wie wir schon bald danach lesen konnten, erholte er sich zusehends und ließ sich mit den Worten zitieren: „Ich dachte schon, ich würde Elvis wieder sehen“.

Bob Dylan als Figur von gestern

Und doch, wenn man in diesen Jahren sagte, man höre Bob Dylan und würde seine Konzerte besuchen, erntete man ungläubiges Staunen: „Wie, der lebt noch? Kann der denn noch singen“. Dylan war bis Ende der 1990er für viele einer von gestern. Einer, der mal groß war. „Das war doch der, der nicht singen konnte. Der gute Songs geschrieben hat, die aber andere besser spielen als er selbst“ und so weiter und so weiter.

Dylans Tour führte jedes Jahr verlässlich nach Deutschland und füllte die 3000er Hallen mit seinen treuen Fans. Aber eine wirkliche öffentliche Wirkung erzielte er damit nicht. Das sollte sich im Laufe des Jahres 1997 ändern.

Sieben Jahre hatte Bob Dylan keinen neuen Song mehr veröffentlicht. Sein letztes Album mit Originalsongs – „Under The Red Sky“ – hatte nicht wirklich eingeschlagen und Dylan schien an sich selbst zu zweifeln. Zur Selbstfindung veröffentlichte er 1992 und 1993 Alben mit traditionellen Folk- und Bluessongs. In Interviews fragte er sich, ob es nicht ohnehin schon genug Songs von ihm gebe. Er ging stattdessen unverdrossen seiner Bühnenarbeit nach, veröffentlichte sein Unplugged-Greatest Hits-Album und schien weiter denn je davon entfernt, neue Songs zu veröffentlichen. Der größte Songwriter aller schien vom Writer’s Block betroffen.

Der Legende nach änderte sich das, nachdem Dylan auf seiner Farm in Minnesota im Winter 1996 eingeschneit wurde. Und was macht ein Songwriter-Papst in solch einer Lage? Der löst natürlich nicht Kreuzworträtsel, sondern schreibt Songs. Im Januar 1997 geht er mit seiner Tourband, ein paar Gastmusikern und Daniel Lanois, der schon bei „Oh Mery“ der Produzent war, ins Studio. Die Veröffentlichung ist für den Herbst vorgesehen.

„Time Out Of Mind“: Gründungsmythos eines Comebacks

Copyright: Columbia Records

Im Juni erkrankt Dylan dann, und als die Songs im September an die Öffentlichkeit dringen, entsteht schnell der Mythos der in Todesahnung geschriebenen Platte. Denn die Songs handeln von der Vergänglichkeit, der Einsamkeit, der Hoffnungslosigkeit und der verlorenen Liebe. Es herrscht eine düstere Stimmung auf dem Album. Aber Fehlanzeige: Als Dylan die Songs schrieb und aufnahm war er bester Gesundheit. Möglicherweise beförderte die Einsamkeit in der eingeschneiten Farm in Minnesota seine dunklen Stimmungen. Doch der „Gründungsmythos“ dieser Platte hält sich bis heute.

Als Dylan dann nach längst überstandener Krankheit „Time Out Of Mind“ am 30 September 1997 veröffentlichte und zur gleichen Zeit erstmals seit der Genesung wieder auf Tour lag der öffentliche Fokus bald so sehr auf ihm wie lange nicht mehr. Kein Wunder, führte in doch der erste Auftritt gleich zum Papst. Dylan trat beim Katholischen Eucharistischen Weltkongress vor Johannes Paul II. auf. Songwriter-Papst trifft Katholiken-Papst. Das passte doch und war doch wieder umstritten genug, um öffentlichkeitswirksame Aufregung zu produzieren.

Dylan wirkte – und so sahen wir ihn auch am 5. Oktober 1997 in der Londoner Wembley Arena – bei all dem doch noch nicht gänzlich fit. Man merkte ihm die Anstrengungen an.

„The Old, Weird America“: Dylans ungebrochene popkulturelle Relevanz

Copyright: Picador

Doch noch etwas gehört in die Geschichte rund um Dylans Comeback 1997. Im selben Jahr wurde auch die Anthology Of American Folk Musik 45 Jahre nach ihrer Ersterscheinung auf sechs CDs neu aufgelegt. Die Anthology war für Dylan genauso wie für viele andere Musiker seiner Generation eine Art Heiliger Gral, die Bibel des Songwriting sozusagen. Und es erschien Greil Marcus‘ Buch „Invisible Republic“, das 30 Jahre nach der Entstehung von Dylans „Basement Tapes“ diese in direktem Zusammenhang und auf eine Stufe mit den Songs der Anthology stellte. Der Terminus „The old, weird America“, den Marcus auf die beiden Werke anwendete, wurde zum geflügelten Wort (und später zum Titel des Buches) und Dylans Bedeutung als amerikanisches Gesamtkunstwerk war endlich wieder fassbar und leuchtet seitdem stärker denn je.

Bob Dylan war wieder da. Eine Art „Wiederauferstehung“ sozusagen, um ein zu bei Dylan passendes Bild zu bemühen. Und „Time Out Of Mind“ wurde zu einem seiner erfolgreichsten Alben überhaupt. Es wurde von unzähligen Gazetten zum „Album des Jahres“ ernannt und es regnete Anfang 1998 drei Grammy für Dylan. Sein weltweit gesehener Live-Auftritt bei den Grammy-Verleihungen war dann der endgültig letzte Beweis für die wiedererlangte Reputation und Relevanz Bob Dylans. Und was sollte danach noch alles kommen.

25 Jahre nachdem man ihn schon totgesagt hatte, ist er nun gerade wieder auf Tour und steht mit abendlich auf Konzertbühnen an der US-Westküste. 81 Jahre alt und kreativer denn je…

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