Die schwarzen Wurzeln des „King Of Rock’n‘Roll“

Baz Luhrmanns Film „Elvis“ ist nicht nur ein rasanter Ritt durch Presleys Leben, der in opulenten Bildern schwelgt, er nimmt auch die afroamerikanischen Wurzeln dessen Werkes so ernst wie kein anderer Film vorher.

Copyright: Warner Bros. Pictures

Wenn selbstbewusste, gesellschaftskritische afroamerikanische Roots-Musiker wie Gary Clark Jr. und Yola im neuen Elvis-Biopic mitspielen, dann tun sie das, weil sie die Rolle der afroamerikanischen Musiker für die Entstehung des Rock’n’Rolls und die Karriere dessen Königs, Elvis Presley, in diesem Film endlich hinreichend gewürdigt sehen. Und tatsächlich: Selten wurden so klar diese Voraussetzungen für die Entstehung des Musikers Elvis Presley gezeigt wie hier.

Zwischen Juke Joint und Zeltgottesdienst

Nachdem sein Vater ins Gefängnis kommt, ist die Familie finanziell notleidend und gezwungen, als weiße Familie in eine schwarze Gegend zu ziehen. Auf die andere Seite der Gleise sozusagen. Und hier im Schwarzen-Viertel lernt der kleine Elvis Blues und Gospel kennen. Feiner Kniff des Regisseurs, die Nähe von Blues und Gospel bildlich durch die räumliche Nähe von Juke Joint und Zeltgottesdienst darzustellen. Und beides fasziniert Elvis. Die laszive, körperlich befreiende Kraft des Blues (hier singt Gary Clark Jr. als Arthur Crudup) und die spirituelle Extase im Gospel-Gottesdienst. Wenn dort auch noch „I’ll Fly Away“ gesungen wird, das ja auch von den Weißen als Country-Gospel gesungen wird, dann wird endgültig klar, wie durch die Vermischung von weißen und schwarzen musikalischen Traditionen der Rock’n’Roll geboren wurde. Und nebenbei wird klar, dass Erweckungsgottesdienste und religiöse Extase der Südstaatenkirchen, den Baptisten und den Pfingstlern, ebenfalls Wurzeln des Rock’n’Roll sind.

„Musikalischer Direktor“ des Films ist Dave Cobb, Produzenten-Wunderkind aus Nashville (Chris Stapleton, Brandi Carlile, Jason Isbell), der hier absolut gute Arbeit geleistet hat. Zu den faszinierendsten Szenen des Films gehören Elvis‘ Eintauchen in die afroamerikanische Kultur in der Beale Street. Hier singen Big Mama Thornton, Sister Rosetta Tharpe und Little Richard und B.B. King ist für Elvis eine Art Freund und Lotse durch diese Welt. Der Rock’n’Roll kam aus dem Rythm & Blues und der war afroamerikanisch und auch weiblich. Insofern ist dieser Film starke Musikgeschichtsschreibung.

Der „Einseifer“

Nicht so gut kommt im Film die Welt der Countrymusik weg. Hank Snow wird als bornierter, weißer Südstaatler dargestellt, während sein Sohn Jimmie Rodgers (!) Snow schnell merkt, welch musikalische Revolution sich da mit Elvis ankündigt. Der merkt, dass da auch Country-Wurzeln drin sind, während Vater Snow das trennende, die Farben der Akteure, betont. Im richtigen Leben wurde übrigens Sohn Snow nach einer kurzen Musikkarriere evangelikaler Prediger. Dass aber auch Afroamerikaner Countrymusik mögen und Elvis immer wieder auch Countrysongs spielte, kommt im Film leider nicht vor, schmälert aber die wichtige Musikgeschichtsschreibung des Streifens nicht.

Die zentrale Rolle des Erzählers nimmt im Film Elvis‘ Manager Colonel Tom Parker alias Andreas Cornelius van Kuijk ein. Er ist ein schmieriger Geschäftemacher, der vom „Einseifer“ auf dem Jahrmarkt zum Countrymusikmanager wird und erst Hank Snow managt und ihn dann zugunsten von Elvis fallenlässt. Er merkt sofort, welche monetären Chancen ein weißer Junge bietet, der die schwarze Musik für ein großes, weißes Publikum marktförmig macht. Dass dies auch zur Folge hat, dass die weißen Kids bei Elvis‘ Musik die Körperlichkeit und die sexuelle Extase für sich entdecken und damit die reaktionäre Obrigkeit der Südstaaten auf den Plan gerufen wird, kann dem einst illegal eingewanderten Holländer nicht gefallen. Seine Existenz steht auf dem Spiel. Also nimmt er Elvis aus dem Spiel und schickt ihn zum Militär nach Deutschland.

Das Establishment schlägt zurück

Was dieser Film ebenfalls deutlich macht, ist dass das was heute so selbstverständlich als Mainstream und Konsens angesehen wird, nämlich der Rock’n’Roll, in den 1950er Jahren auf erbitterten Widerstand des Establishments traf. Rassismus, Prüderie und Menschenfeindlichkeit führten dazu, dass die erste Rock’n’Roll-Generation abdanken musste. Elvis ging zur Army, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis wurden wegen Unzucht mit Minderjährigen belangt. Daran gibt es natürlich nichts zu beschönigen. Allerdings muss man auch davon ausgehen, dass FBI und weiße Sheriffs den Rock’n’Rollern systematisch auf den Fersen gewesen waren.

Ganz wichtig für alle, die hierzulande mit amerikanischer Kultur aufgewachsen sind: Rock’n’Roll, Blues und Jazz sind hier immer als Synonyme für amerikanische Kultur gesehen worden. Das idealtypische Amerika-Bild eines vielfältigen „Melting Pots“, dem auch ein Bob Dylan in seiner Kunst folgt, entsprach – wenn überhaupt – nur phasenweise den wirklichen Verhältnissen in den USA. Was ab den 1980er Jahren folgte, war eine Symbiose von reaktionären, angelsächsischen, rassistischen Republikanern mit evangelikalen Eiferern seit der Präsidentschaft Ronald Reagans und eine Veränderung der Grand Old Party von der Honoratiorenpartei in eine semi-faschistische Partei wildgewordener weißer Wutbürger unter der Führung von Donald Trump. Diese Leute sind Feinde dieses vielfältigen Amerikas, das Blues, Jazz und Rock’n’Roll hervorgebracht hat.

Leben und Karriere nie selbst im Griff gehabt

Doch zurück zu Elvis. Der spielte nach seinem Militärdienst in seichten Filmen, während erst der Limonaden-Rock die Musik verwässerte, dann das Folk Revival, Bob Dylan und die Beatles ihn alt aussehen ließen. 1968 war das letzte Mal, dass Presley aus den Fängen Parkers ausbrechen wollte. Doch es sollte nur beim Zucken eines erfolgreichen TV-Specials bleiben, das Parker am Ende auch noch für sich reklamierte.

Presley war ein großartiger Musiker, aber hatte weder sein Leben noch seine Karriere wirklich selbst im Griff. Ihm fehlten die intellektuellen Möglichkeiten und die charakterliche Stärke. Sein Vater war schwach, seine Mutter dominant. Er war ein Muttersöhnchen, der von seiner Mutter leider die Disposition für Suchtprobleme geerbt hatte. Sie war alkoholkrank, Colonel Parker, eine Art Vaterfigur für ihn, trieb ihn in die Medikamentenabhängigkeit.

All diese Facetten eines tragischen Künstlerlebens spiegelt Luhrmanns Film wieder. Ein Biopic, das zum Besten gehört, das es in diesem Genre gibt.

Prädikat: Sehenswert!

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s


%d Bloggern gefällt das: