Kammerspiel mit Fragezeichen

Warum Julien Condemines Film „Like A Rolling Stone“ über die Aufnahmesession des Rock-Klassikers letztlich unbefriedigend bleibt

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Den kannte ich noch gar nicht. Ein Freund aus Dylan-Fankreisen hatte mir den Tipp gegeben. „Like A Rolling Stone. 1965, im Studio mit Bob Dylan“ ist bis 3.12.2023 in der Arte-Mediathek verfügbar. Eine französische TV-Produktion unter der Regie von Julien Condemine, die dem Phänomen der Entstehung der Aufnahme von „Like A Rolling Stone“ nachgeht. Angeblich auf dem Buch von Greil Marcus basierend.

Doch Greil Marcus liefert hier nur den Ausgangsplot, all seine zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Reflexionen rund um diesen Meilenstein der Rockmusik spielen hier keine Rolle. Regisseur Julien Condemine, Dylan-Darsteller Sébastien Pouderoux und dem Team geht es alleine um die Interaktion Akteure untereinander und dem eigentümlichen Verlauf der Aufnahmen. Man führt ein Kammerspiel auf.

Musikalisches Kammerspiel

Das Setting: Am 15. Juni 1965 geht Bob Dylan ins Studio, am Ende soll „Highway 61 Revisited“, sein neues Album – das erste, das vollständig elektrisch verstärkte Musik enthält – aufgenommen worden sein. Als erstes stellt man sich dem Song „Like A Rolling Stone“. Produzent ist Tom Wilson, als Studiomusiker sind Russ Savakus (E-Bass), Bob Bushnell (Bassgitarre), Bobby Gregg (Schlagzeug), Bruce Langhorne (Tamburin) und Paul Griffin (Klavier) mit dabei. Als Leadgitarrist hat Dylan den virtuosen Mike Bloomfield von der Paul Butterfield Blues mitgebracht, Tom Wilson hat noch Al Kooper als 2. Gitarristen ins Studio geholt.

Grundsätzlich ist die Aufnahmesession interessant, kurzweilig und durchaus auch humorvoll dargestellt. Schließlich hat man es hier mit Regisseur und Schauspielern der Comédie-Française zu tun, die ihr Handwerk verstehen. Nur ist die Vorlage und wie einzelne Figuren angelegt sind, so gar nicht auf der Höhe einer möglichen gesellschaftshistorischen Verortung oder entsprechen schlichtweg nicht den realen Vorbildern.

Warum ist Tom Wilson hier weiß?

Ein Knackpunkt ist die Figur des Produzenten. In diesem Film wird Tom Wilson als weißer, älterer Jazz-Produzent dargestellt, der mit den Gepflogenheiten der Rockwelt fremdelt. Der reale Tom Wilson war zum Zeitpunkt der Aufnahme 34 Jahre alt und Afroamerikaner. Ein schwarzer Bildungsbürger, der zu dieser Zeit der einzige schwarze Produzent im Mainstream der amerikanischen Popmusik. Obwohl er anfangs tatsächlich Dünkel gegen Folk und Rock hegte, schuf er in den 1960er Jahren mit weißen Musikern wie Bob Dylan, The Velvet Underground, Simon & Garfunkel oder Frank Zappa Meisterwerke der Popmusik. Diese Geschichte wäre spannend gewesen und warum ab einem gewissen Zeitpunkt das Dylan-Lager lieber mit dem weißen Country-Produzenten Don Johnston zusammenarbeitete.

Greil Marcus‘ Buch war nur mittelbar die Vorlage des Films, Copyright: Hachette Book Group

Doch leider beschränkt sich die Sensibilität dieser Inszenierung auf ein paar Allgemeinplätze, wenn sich die Protagonisten immer wieder einmal aus der Handlung ausklinken und sich direkt ans Publikum wenden.

Dylan als Autist

Zweiter Knackpunkt ist natürlich die Dylan-Figur. Hätte Dylan tatsächlich so im Studio agiert, er wäre schwer der produktive und kreative Kopf der Rockmusik der Mittsechziger geworden. Lockenkopf, Mundharmonika, Sonnenbrille und gepunktetes Hemd reichen nicht. Sébastien Pouderoux zeigt uns Dylan als Autisten. Arrogant und Unnahbar. Einer, der in Interviews nur verwirrt wirkt – und nicht etwa angriffslustig und originell wie er damals wirklich war. Da ist nichts von der kreativen Spirreligkeit des damaligen Dylan zu sehen. Da fehlt einfach die Energie. Pouderouxs Dylan irrt ziellos durch die Kulisse und wird damit im Laufe des Films immer mehr zur Nebenfigur.

Es gibt schöne Szenen und Situationen mit Al Kooper, der sich an die Orgel mogelt oder Paul Griffin, der sich das ganze Chaos nicht mehr antun will. Aber warum oder wie eigentlich wirklich der Song zu dem denkwürdigen Stück wurde, bleibt nebulös. Wer mit Dylan noch nie was anfangen konnte, wird sich wieder bestätigt fühlen, wer tiefer bohren will in Sachen Dylan, die 1960er und dem Aufstieg des Folk-Rock, bleibt unbefriedigt zurück.

Bemühte dramatische Bearbeitung

Es gibt mittlerweile überall in der Welt viele dramatische Bearbeitungen von Dylans Wirken und seiner Bedeutung für die Rockmusik. Mal bessere, mal schlechtere. Mal enthusiastisch, mal bemüht. Diese hier fällt in die zweite Kategorie und besitzt ihre Legitimität allenfalls als Versuch in den Kammerspielen eines Schauspielhauses. Als Bob Dylan-Stück im französisch-deutschen Kulturkanal Arte hat sie aber nichts verloren.

Zum Film auf Arte geht’s hier:

https://www.arte.tv/de/videos/099752-000-A/like-a-rolling-stone/

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