Lansdale und Sallis

Avantgarde & Genre & Americana

Inmitten der in Masse produzierten Konfektionsliteratur für bildungsnahe Schichten, wie sie stapelweise bei Hugendubel oder Thalia feilgeboten wird, ragt doch immer mal wieder was heraus. Auch im Krimi-Genre. Und zwar nicht der x-te italienische Commissario, spanische Ermittler oder englische Profiler. Nein, was ich gefunden habe, ist große Literatur, die ganz nebenbei Krimi ist. Und die Avantgarde und waschechtes Americana miteinander verbindet. Ich rede von den Büchern von Joe R. Lansdale und James Sallis. Beide stammen sie aus den Südstaaten und beide sind davon geprägt und erzählen Geschichten zwischen Rassenproblemen, Armut und Gewalt.

Lansdale (geb. 1951) stammt aus Texas und dort spielen auch die meisten seiner Romane. Beispielhaft soll hier „Die Wälder am Fluss“ vorgestellt werden. Bei Lansdale steht das „who done it“ zwar im Mittelpunkt, aber er belässt es nicht bei einer kriminalistischen Lösung zwischen zwei Buchdeckeln, sondern entwirft ein naturalistisches Südstaaten-Drama, das geschickt die Erzählmythen dieses Landstrichs einsetzt, um so die Atmosphäre und den Sound des alten Südens einzufangen. Man kombiniere „Tom Sawyer“ mit „Licht im August“ mit „Wer die Nachtigall stört“. Heraus kommt ein spannendes, verstörendes Buch, das mit den negativen und positiven Mythen und Eigenschaften des Südens wie Rassentrennung und Religion, Dorfgemeinschaft und Ku-Klux-Klan spielt, und das einem auch mal wieder klar macht, wir Recht Bob Dylan hatte, als er in „Blind Willie McTell“ die Worte singt „I travel through East Texas, where many martyrs fell“.

Sallis (geb. 1944) stammt aus Arkansas und schickt seinen Detektiv Turner – eine einsame Marlowe-ähnliche Figur – in seinen Romanen „Dunkle Schuld“ und Dunkle Vergeltung“ in das verschlafene Südstaaten-Nest Cypress Grove – irgendwo zwischen Memphis, Tennessee und Little Rock, Arkansas. Sallis geht es gar nicht um das „who done it“. Seine Buch ist Selbstreflexion eines aus der Bahn geworfenen, der Stück für Stück in die Gesellschaft zurück kommt, um zu erkennen, dass die Gründe für seine zeitweilige Abstinenz aus der Gemeinschaft – die Gewalt von Menschen gegen Menschen – immer wieder zu ihm zurück kommt und ihn und die Gemeinschaft immer wieder bedroht und begleitet. Auch deswegen ein sehr amerikanisches Buch. Der Sound des Buches ist Folk und Country-Blues mit einem Spritzer Rythm & Blues. Der Bluegrass , der von den Protagonisten des Buches favorisiert wird steht dem äußerlich, weil zu süffig und lebensfroh, gegenüber. Am Ende von „Dunkle Vergeltung“ kommt die Gewalt auch ins Bluegrass-Idyll und die Musikerin stirbt durch eine Kugel.

An anderer Stelle habe ich hier schon einmal geschrieben, dass die bei uns so beliebte Nabelschau-Ostküsten-Literatur wenig aussagt über die Verfassung, in der sich Amerika und die Bewohner des großen Hinterlandes befinden. Lansdale und Sallis haben darüber viel mehr zu sagen. Sie verbinden Americana mit Literatur, Genre und Avantgarde und liefern dadurch interessante Einblicke in das alte und das neue unheimliche und gefährliche Amerika.

Lesetipps:
Joe R. Lansdale, Die Wälder am Fluss.
James Sallis, Dunkle Schuld/ Dunkle Vergeltung/ Dunkles Verhängnis.

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Eine Antwort to “Lansdale und Sallis”

  1. Andrea Says:

    Für mich macht Lansdale fast noch mehr Lust als Sallis, immer mehr über dieses Land zu lesen. Das Buch „Die Wälder am Fluss“ ist so dicht geschrieben, erfasst so tief und saugt hinein in eine vermeintlich vergangene Zeit, die doch noch immer so spürbar in diesem Land ist.

    Ich freue mich auf die Lansdale-Bücher der Hap-Collins-&-Leonard-Pine-Serie, die wir jetzt im Urlaub mitnehmen. Du wirst sicher berichten.

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