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James Lee Burke

2. April 2015

Regengoetter von James Lee BurkeEr ist nicht nur einer der größten lebenden Kriminalschriftsteller. Nein, ich behaupte er ist einer der größten amerikanischen Schriftsteller überhaupt. Wie kaum ein anderer versteht es James Lee Burke, die Wunden, die Narben und die Widersprüche der USA so offen zu legen wie er. Mittels einer lakonischen Erzählweise, die stets packend, aber nie spekulativ ist, und ganz ohne die Bedienung irgendeines Gewaltvouyeurismus auskommt. Wo andere sich in der Komposition von gewalttätigen Szenarien oder besonders ausgefallenen Mordarten gefallen, bleibt er ganz stoisch. Er sucht die Gewalt nicht, er schreibt sie nicht herbei, er findet sie ganz beiläufig, denn zum Leben in Amerika gehört sie dazu.

Hackberry Holland, die Hauptfigur in Burkes Roman „Regengötter“, ist ein mehrfach traumatisierter trockener Alkoholiker. In Korea hat er in Gefangenschaft Kameraden verraten, als Politiker gekokst, gesoffen und auch sonst nichts anbrennen lassen. Dann dem allen abgeschworen und als Anwalt für eine Bürgerrechtsbewegung gearbeitet und eine Aktivistin geheiratet. Nachdem sie einer tückischen Krankheit erlegen ist, geht er ins texanisch-mexikanische Grenzland und wird Sheriff. Hier erlebt er die Schönheit des Landes und die Verzweiflung und Verrohung seiner Menschen in ihrer ungeschminktesten Form und versucht nichts anderes, als Gerechtigkeit walten zu lassen. Der amerikanische Traum zerschellt an der Wirklichkeit, aber Holland kämpft unentwegt dagegen an. Wie ein texanischer Sisyphos.

Burke hat mit Hackberry Holland im Herbst seines Schriftstellerlebens eine Figur geschaffen, die gleichsam eine Art Synthese seiner beiden früheren Figuren ist. Da ist der ebenfalls kriegstraumatisierte (von Vietnam) Alkoholiker Dave Robicheaux, der in den Swamps und Bayous von Louisiana das Recht – oder was er davon hält – durchzusetzen versucht, und da ist der Anwalt und frühere Texas Ranger Billy Bob Holland. Hackberry ist dessen Cousin. Die Lage ist hoffnungslos, aber das kümmert ihn nicht. Denn er kann nur versuchen, das war er sieht zu beeinflussen. Den großen Linien gegenüber ist auch als Sheriff genauso machtlos wie jeder andere.

Doch während die Handlung ganz beiläufig und manchmal schleppend aber nie zäh vorankommt, gelingt es Burke immer wieder mit nur wenigen Sätzen die Dilemmata und Widersprüche der amerikanischen Gesellschaft auf den Punkt zu bringen. Die Herrschaft der Industriellen, die sie auch immer wieder mit rücksichtsloser Gewalt durchsetzen, der Rassismus und der Einfluss der christlichen Fundamentalisten auf der einen und die Schönheit der Landschaft und der Musik der Carter Family und von Woody Guthrie auf der anderen Seite.

Kürzlich las ich „Knockemstiff“ von Donald Ray Pollock. Und es war wie ein nie enden wollender monströser Albtraum ohne jede Hoffnung. Jede Geschichte steigerte Abgründe und Perversionen noch ein bisschen mehr. Und auch wenn ich Gefahr laufe unfair zu sein: Während Donald Ray Pollock Trash-Chic für Redakteure konservativer Blätter liefert, ist James Lee Burke wirklich der Chronist des gefährlichen Amerika. Sowohl des alten, als auch des jetzigen. Denn am gefährlichsten ist die Gefahr nicht in der Überzeichnung, sondern in der Andeutung. In der Vorahnung ist die Angst am Größten.

Und dennoch sind James Lee Burkes Romanfiguren Amerikaner. Sie leben einfach weiter, ihre Hoffnung scheint nie enden zu wollen. Möge kommen was wolle.

Und wohl auch nicht zu verstehen ist.

Lansdale und Sallis

26. Juli 2011

Avantgarde & Genre & Americana

Inmitten der in Masse produzierten Konfektionsliteratur für bildungsnahe Schichten, wie sie stapelweise bei Hugendubel oder Thalia feilgeboten wird, ragt doch immer mal wieder was heraus. Auch im Krimi-Genre. Und zwar nicht der x-te italienische Commissario, spanische Ermittler oder englische Profiler. Nein, was ich gefunden habe, ist große Literatur, die ganz nebenbei Krimi ist. Und die Avantgarde und waschechtes Americana miteinander verbindet. Ich rede von den Büchern von Joe R. Lansdale und James Sallis. Beide stammen sie aus den Südstaaten und beide sind davon geprägt und erzählen Geschichten zwischen Rassenproblemen, Armut und Gewalt.

Lansdale (geb. 1951) stammt aus Texas und dort spielen auch die meisten seiner Romane. Beispielhaft soll hier „Die Wälder am Fluss“ vorgestellt werden. Bei Lansdale steht das „who done it“ zwar im Mittelpunkt, aber er belässt es nicht bei einer kriminalistischen Lösung zwischen zwei Buchdeckeln, sondern entwirft ein naturalistisches Südstaaten-Drama, das geschickt die Erzählmythen dieses Landstrichs einsetzt, um so die Atmosphäre und den Sound des alten Südens einzufangen. Man kombiniere „Tom Sawyer“ mit „Licht im August“ mit „Wer die Nachtigall stört“. Heraus kommt ein spannendes, verstörendes Buch, das mit den negativen und positiven Mythen und Eigenschaften des Südens wie Rassentrennung und Religion, Dorfgemeinschaft und Ku-Klux-Klan spielt, und das einem auch mal wieder klar macht, wir Recht Bob Dylan hatte, als er in „Blind Willie McTell“ die Worte singt „I travel through East Texas, where many martyrs fell“.

Sallis (geb. 1944) stammt aus Arkansas und schickt seinen Detektiv Turner – eine einsame Marlowe-ähnliche Figur – in seinen Romanen „Dunkle Schuld“ und Dunkle Vergeltung“ in das verschlafene Südstaaten-Nest Cypress Grove – irgendwo zwischen Memphis, Tennessee und Little Rock, Arkansas. Sallis geht es gar nicht um das „who done it“. Seine Buch ist Selbstreflexion eines aus der Bahn geworfenen, der Stück für Stück in die Gesellschaft zurück kommt, um zu erkennen, dass die Gründe für seine zeitweilige Abstinenz aus der Gemeinschaft – die Gewalt von Menschen gegen Menschen – immer wieder zu ihm zurück kommt und ihn und die Gemeinschaft immer wieder bedroht und begleitet. Auch deswegen ein sehr amerikanisches Buch. Der Sound des Buches ist Folk und Country-Blues mit einem Spritzer Rythm & Blues. Der Bluegrass , der von den Protagonisten des Buches favorisiert wird steht dem äußerlich, weil zu süffig und lebensfroh, gegenüber. Am Ende von „Dunkle Vergeltung“ kommt die Gewalt auch ins Bluegrass-Idyll und die Musikerin stirbt durch eine Kugel.

An anderer Stelle habe ich hier schon einmal geschrieben, dass die bei uns so beliebte Nabelschau-Ostküsten-Literatur wenig aussagt über die Verfassung, in der sich Amerika und die Bewohner des großen Hinterlandes befinden. Lansdale und Sallis haben darüber viel mehr zu sagen. Sie verbinden Americana mit Literatur, Genre und Avantgarde und liefern dadurch interessante Einblicke in das alte und das neue unheimliche und gefährliche Amerika.

Lesetipps:
Joe R. Lansdale, Die Wälder am Fluss.
James Sallis, Dunkle Schuld/ Dunkle Vergeltung/ Dunkles Verhängnis.