So eine richtige Bob Dylan-Geschichte

Scorseses Film ist eine kongeniale Rückschau auf ein großes Folk-Rock-Ereignis. Und macht riesig Spaß.

Wer erwartet hätte, Martin Scorsese würde sich mit einer braven Dokumentation der Rolling Thunder Revue begnügen, der hat beide nicht verstanden. Weder das ursprüngliche anarchische Folk-Rock-Event aus dem Jahre 1975, noch den preisgekrönten Filmemacher. Eine lineare Dokumentation dieses chaotischen Verwirrspiels mit unzähligen Akteuren wäre schlichtweg dem Stoff nicht angemessen und auch nicht nötig. Durch die Bücher von Ratso Sloman und Sam Shepard sowie unzähliger Sekundärliteratur ist diese Tour eigentlich ganz gut dokumentiert. Konzertaufnahmen sind hör- und sehbar zugänglich. Allein Dylans kompliziertes Filmwerk rund um die Tour, „Renaldo & Clara“, ist der Öffentlichkeit derzeit vorenthalten.

Was Scorsese stattdessen leistet, ist eine historisch-popkulturelle Einordnung dieser Tour. Und das macht er ganz fantastisch durch Verfremdung, Erfindung, Verdrehung und Verwirrung. Bereits im Titel und in der Ankündigung des Films hätten die ewigen Sucher nach Authentizität, die bekanntermaßen ja keine künstlerische Kategorie ist, merken müssen, was da kommt. „Rolling Thunder Revue. A Bob Dylan Story“ heißt der Film, der im Vorfeld als „teils Dokumentation, teils Konzertfilm, teils Fiebertraum“ bezeichnet wurde. Eine Bob Dylan-Geschichte muss mit Rollen, Identitäten und Zeiten spielen, sonst wäre sie keine.

Spiel mit Klischees
Scorsese tut dies auf drei Ebenen. Er spielt mit den Klischees des Popbusiness. Der im Film auftretende Jim Gianopulos hat diese Tour niemals promotet. Diese Tour war Dylans Ding und er wollte es eben genau nicht wie seine gigantische Comeback-Tour haben. Es war ja seine Art der „Magical Mistery Tour“. Warum sollte er sich da einen holen, der genau so tickt: Große Hallen, gute Gagen, viel Profit? Stattdessen organisierte Dylans alter Minnesota-Buddy Lou Kemp, die Tour. Und Sharon Stone war natürlich nicht als junges Groupie mit dabei. Ebenso wenig hatte die weiße Schminke Dylans irgendetwas mit „Kiss“ zu tun, sondern bekanntermaßen ließ sich Dylan bei der Ästhetik vom französischen Filmklassiker „Kinder des Olymp“ beeinflussen. Auch die Figur Stefan van Dorp ist reine Fiktion. Der deutsche Pop- und Psychedelic-Regisseur mit dem Heinrich Greif-Preis – den gab es wirklich und wurde für „hervorragende Leistungen der sozialistisch-realistischen Film- und Fernsehkunst der DDR“ verliehen – ist eine der köstlichsten Erfindungen des Films. Die Idee aber, die Tour zu verfilmen, stammte von Dylan selbst. Er beauftragte für die Filmarbeiten Howard Alk und fürs Drehbuch Sam Shepard. Und der erfundene Politiker Tanner – ausgeliehen von Scorsese aus dem Personenfundus des große Kollegen Robert Altman – ist eine großartige Projektionsfläche, um die Entwicklungen in der amerikanischen Politikerklasse in den 1970ern zu beschreiben. Man ist gefangen in den herkömmlichen Politik-, Denk- und Verhaltensmustern, möchte aber freigeistig und hip sein, und den Anschluss an die neuen Zeiten halten, da man es als opportun empfindet. Ein spätes Echo auf Bill Clinton, zu dessen Inauguration Dylan 1993 spielte?

Blick auf die USA in den 1970er Jahren
Scorsese verknüpft das kulturelle Ereignis mit Politik und die Gesellschaft. Er legt einen zeitgeschichtlichen Rahmen. Amerika leidet kurz nach dem Scheitern in Vietnam und kurz vor der Zweihundertjahrfeier mental und wirtschaftlich unter einer Depression. Während beispielsweise New York in den 1970ern als heruntergekommen, gefährlich und kriminell gilt, erlebt es eine so nie wieder da gewesen subkulturelle Blüte. In die sich auch Dylan und seine Folkies und Rocker einreihen. Dylan und Punk-Poetin Patti Smith nähern sich an, letztendlich entscheidet sich Patti aber gegen eine Teilnahme an der Revue. Der Brückenschlag zur neuen Generation gelingt hier nicht. Dennoch breiten Dylan und sein Tross mit ihrer Tour und dem Einsatz für den schwarzen Boxer „Hurricane“ Carter und die Sache der Indianer die Utopie eines anderen, friedlichen, poetischen und anarchischen Amerikas aus. Das ist ihr Auftrag, sie wollen den Geist der Bewegung und der Veränderung aus den Sixties weiter tragen. Gegengeschnitten dazu sind die leeren, staatstragenden und pathetischen Phrasen der Republikaner Nixon und Ford. Großartig! Für kurze Zeit scheint mit Jimmie Carter auch ein besseres Amerika möglich – auch Carter kommt im Film mit Pathos daher – doch im Hintergrund haben die neokonservativen Think Tanks längst ihre Schlüsse aus den Sixties gezogen. Jimmie Carter wird scheitern und mit Ronald Reagan der „New Deal“ zugunsten eines ungezähmten, neoliberalen Kapitalismus beendet.

Ein Film, der Spaß macht
Und Scorsese spielt mit den Erinnerungen. Die Erinnerung spielt eine ganz eigentümliche Rolle in diesem Film. Erst mokiert sich Dylan schelmisch, dass er sich eigentlich an gar nichts mehr erinnern könne, um am Ende auf die Frage was denn bliebe von Rolling Thunder zu antworten: „Nichts, Asche!“. Dazwischen äußert er sich aber seltsam kleinteilig, detailreich und wunderbar verschmitzt an einzelne Protagonisten des Projekts. Dass Ramblin‘ Jack Elliott ein besserer Seemann als Sänger gewesen sei, dass Scarlett Rivera im Verborgenen seltsame Dinge gemacht hätte, oder dass Allen Ginsberg ein toller Tänzer gewesen sei. Doch einmal auch, nur einmal, schwankt der Rezipient und Dylan-Kenner hinsichtlich der Frage authentisch oder fiktiv? Die Szene, als sich Joan Baez und Dylan über das Ende ihrer Beziehung und ihre neuen Liebschaften austauschen, wirkt wie eine wahre Begebenheit in einem Strom aus Spiel. Oder ist sie das Spiel in seiner Perfektion?

Zur filmischen Konzeption von Scorsese gehören neben der neuen Konstruktion und Komposition des vielfältigen Filmmaterials, das rund um die Tour entstanden ist, auch eine Reihe von bislang unbekannten Konzertaufnahmen, die in ihrer Qualität schlichtweg fantastisch sind. Denn schließlich geht es hier um ein musikalisches Event.

Und so ist dieser Film ein großer Spaß geworden, der mit leichter Hand Zeitgeschichte, Popkritik und die künstlerische Ausdrucksform Dylans zusammenbringt und den Mythos „Rolling Thunder Review“ durch Verfremdung und Fiktion weiter befeuert, ohne irgendein Rätsel wirklich zu lösen. So eine richtige Bob Dylan-Geschichte eben.

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