19. und 20. Juni 2023, Donostia-San Sebastian, Kursaal

Ohne Bob Dylan wären wir wahrscheinlich nie nach San Sebastian gekommen, dessen baskischer Name „Donostia“ uns ehrlicherweise vorher auch nicht geläufig war. Als wir feststellten, dass wir nach den anstrengenden Corona-Jahren endlich mal wieder einen Strandurlaub brauchten, und der nächste USA-Trip noch etwas warten müsste, war es ein Wink des Schicksals, dass Bob Dylan eine ausführliche Spanien-Tour plante. Hatten wir zuerst auf Granada und die Alhambra geschielt, erschien uns dann die dort naheliegende Küste als zu touristisch überlaufen und der weg von Küste zu Konzert als zu aufwendig. Donostia-San Sebastian machte das Rennen. Mehrere Stadtstrände, eine eigene Kultur, Sprache und Kulinarik – diesen Teil von Spanien kannten wir noch nicht. Und gleich zwei Konzerte in der Stadt. Wow! Da ging es also hin.
Etwas mehr als eine Woche waren wir schon in der Stadt, hatten uns dort zwischen Strandleben, Altstadt, Gros und gutem Essen und Trinken eingegroovt, als die Konzerte näher rückten. Schon einen Tag vorher schauten wir uns beim nah an der Konzertstätte Kursaal gelegenen Hotel um und tatsächlich sahen wir dann Drummer John Pentecost, als er sich vom Hotel in die Altstadt – und vielleicht zum Strand? – aufmachte.
Der erste Abend
Am Tag des ersten Konzerts sahen wir natürlich die Ankunft der legendären schwarzen „Beat The Street“-Busse aus Österreich und beobachteten eine Zeit lang das Treiben rund um den Hintereingang des Kursaals. Nach einem leichten Abendessen direkt gegenüber vom Haupteingang, stürzten wir uns dann gegen 18.45 Uhr ins Getümmel.
Die Spanier:innen nahmen sich sehr viel Zeit. Viele kamen erst kurz vor knapp von der Kursaal-Bar ins Auditorium, während wir nach dem Kauf des obligatorischen Tour-Shirts mit seinem rätselhaften Motiv „Der Bogatyr“ – hier der Wikipedia-Eintrag zu der historischen Figur Ilja Muromez, die mich an die in der Kindheit von mir geliebte Puppenmärchen-Serie „Die Abenteuer des starken Wanja“ erinnert: https://de.wikipedia.org/wiki/Ilja_Muromez – gleich unsere Plätze einnahmen und den schönen Saal bewunderten.
Als dann wirklich alle kurz nach acht ihre Plätze einnahmen, waren wir begeistert von der Sicht. Durch die relativ niedrige Bühne, dem ansteigenden Zuschauerrängen und dem Umstand, dass Dylan am kleinen Flügel nun mitten auf der Bühne sitzt und steht, hatten wir aus der 11. Reihe den besten Blick auf Dylan seit Jahren.
Nachdem die ersten beiden Songs „Watching The River Flow“ und „Most Likely Go Your Way (And I’ll Go Mine)“ noch mit Soundproblemen zu kämpfen hatten und Dylans Stimme schwer zu hören war, hatte der Mann am Mischpult ab dem dritten Song alles geregelt und ein wunderschönes Konzert nahm Fahrt auf.
Erster großer Höhepunkt war „When I Paint My Masterpiece“. Sozusagen die Blaupause für das aktuelle Dylan’sche Konzertkonzept. Dylan trägt die erste Strophe nur mit geringer Begleitung vor, deklamiert den Text zur Musik und ehe die restlichen Musiker einstimmen und schließlich die Konturen des Stückes finden. Das hat etwas von in die Songs hineintasten zu tun und ist die musikalische Entsprechung des Dylan’schen Umgangs mit Songtexten, die er vor 50 Jahren und mehr geschrieben hat. Der 82-jährige kann die Songs nicht so singen wie sein damals 30-jähriges Ich. „Was wollte ich damals sagen, was hat das mit mir heute zu tun und wie denke ich jetzt drüber?“ könnten die Fragen gewesen sein, als Dylan diesen Song neben die neuen Stücke von „Rough & Rowdy Ways“ gestellt hat. Bei „Masterpiece ist es die Einsicht, dass man mit über 80 weiß, dass es einem immer noch umtreibt, ein „Masterpiece“ zu malen. Die Arbeit daran hört nie auf. Auch eine Einsicht die Dylan weiterhin zur konzertanten Rastlosigkeit antreibt.
„Masterpiece“ jedenfalls kommt dem Meisterstück schon recht nahe an diesem Abend. Es ist faszinierend, Dylan und seiner Band durch den Song zu folgen und ein wunderschönes Mundharmonika-Solo macht das Ganze dann zu einem erhabenen Ereignis.
Zweiter Höhepunkt des Abends ist dann „I’ll Be Your Baby Tonight“. Der Song beginnt als Gospel, mutiert zum Rock’n’Roll, um dann wieder zum Gospel zu werden. Mit diesem Song, eigentlich ein ganz klar sexuell aufgeladenes Stück, hebt Dylan wieder einmal die Trennung zwischen religiösen und weltlichen Liebesliedern auf und unterrichtet uns gleichzeitig in Musikgeschichte. Der Rock’n’Roll genauso wie der Soul hat seine Wurzeln auch im Gospel und wer sich fragt, woher die Extase, die Körperlichkeit und Little Richards „A-WOP-BOP-A-LOO-BOP-A-WOP-BAM-BOOM eigentlich stammen, der könnte in den Pfingstler-Kirchen des amerikanischen Südens fündig werden.
Nächster Höhepunkt: Key West. Bob Dylans Utopie auch hier ganz eindeutig und verständlich deklamiert. Doch Dylan bleibt auch hier nicht stehen. Gegen Ende des Songs ändert sich der Rhythmus, es wird atmosphärisch dunkler und treibender. Ein Abgesang auf die schöne Utopie, der doppelte Boden, der hier vielleicht nötig ist? Dylan gelingt es auch an diesem Abend seinen Songs immer neue Wendungen zu geben.
Nach „Key West“ stellt er seine Band vor. Er hat sichtlich Spaß an der Arbeit seiner Mitmusikanten. Er fordert von jedem eine kleine Kostprobe seines Könnens ein und macht freundliche Scherze über Doug Lancio und Tony Garnier. Überhaupt wirkt er an diesem Abend sehr aufgeräumt und bedankt sich mehrmals zwischen den Songs beim Publikum.
Nächster Höhepunkt: „Mother Of Muses“ singt er dann wieder so herzergreifend, dass Tränen kommen und bei den Zeilen
„Sing of Sherman – Montgomery and Scott
Sing of Zhukov and Patton and the battles they fought
Who cleared the path for Presley to sing
Who carved out the path for Martin Luther King“
spontan Applaus erschallt.
Das Konzert biegt in die Zielgerade ein und beim letzten Stück „Every Grain Of Sand“ entfaltet sich dessen überirdische Atmosphäre. Alles wirkt vorbereitet für ein weiteres Dylan-Mundhamonika-Solo, doch Dylan bleibt lieber am Klavier. Danach folgen lautstarke, stehende Ovationen und Bravo-Rufe, denen Dylan mit einer kleinen Triumphgeste entgegnet. Großartig!
Doch für Schwelgereien bleibt keine Zeit. Schnell geht das Saallicht an und die Spanier:innen drängen nach draußen. So entspannt sie vor dem Konzert waren, so unbegreiflich hektisch agieren sie nach Konzertende. Mal schauen, wie es morgen wird. Der heutige Abend war grandios. Wir freuen uns auf morgen.
Der zweite Abend
Schrieb ich im Herbst 2022 über die Berliner Konzerte noch, jedes sei anders gewesen, so trifft dies diesmal nicht zu. Nur in Nuancen verändert Dylan das Konzert, das abermals ein sehr starkes ist. Die Glanzpunkte sind auch am zweiten Abend im Kursaal die gleichen. „I Contain Multitudes“ und „Crossing The Rubicon“ schließen diesmal noch zu den Höhepunkten auf, weil Dylan sie noch prononcierter intoniert als am Abend zuvor. Etwas ab fällt dagegen „To Be Alone With You“, das seltsam unentschieden zwischen alter und neuer Bedeutung mäandert. Und mit „Old Black Magic Called Love“ geht er wieder auf Nummer sicher.
„Key West“ hat am zweiten Abend nicht die Atmosphäre des Abgesangs auf die Utopie, bleibt aber trotzdem sehr dicht. Auch „Masterpiece“ ist wieder ein weiteres Glanzlicht. Auch wegen des Mundharmonika-Solos.
Dass Dylan bei dieser Sommer-Tour großen Spaß hat, beweist wieder die Vorstellung der Band. Dylan lacht sich über Tonys Kurz-Solo sichtlich schlapp. Das tut allen gut.
Bereits beim Harp-Solo von „Masterpiece“ kommen einem jedoch die Tränen, wird einem wehmütig. Es ist das zweite und wahrscheinlich letzte Konzert Dylans, dass wir in diesem Jahr sehen werden. Was nächstes Jahr sein wird, wer weiß? Offiziell endet ja dann die RARW-World Tour.
Und so schickt uns Dylan mit einem erneut hinreißenden „Every Grain Of Sand“ voller Wehmut hinaus in die regnerische Nacht in Donostia. Es war toll, ihn wieder gesehen und gehört zu haben. Wie freuen uns auf alles, was da noch kommt. So vital und entspannt wie er aber diesmal aufgetreten ist, verbindet sich die Wehmut dann doch letztlich wieder mit Hoffnung. Weiter geht’s, Bobby!
Setlist der beiden Konzerte:
1. Watching The River Flow
2. Most Likely You Go Your Way (and I’ll Go Mine)
3. I Contain Multitudes
4. False Prophet
5. When I Paint My Masterpiece
6. Black Rider
7. My Own Version of You
8. I’ll Be Your Baby Tonight
9. Crossing The Rubicon
10. To Be Alone With You
11. Key West (Philosopher Pirate)
12. Gotta Serve Somebody
13. I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You
14. That Old Black Magic
15. Mother of Muses
16. Goodbye Jimmy Reed
17. Every Grain of Sand



