Bob Dylan singt Merle Haggards „Bad Actor“. Warum Haggard und warum dieser Song?
Eine der interessantesten Fragen im Zusammenhang mit Bob Dylan aktueller, eben zu Ende gegangener Europa-Tournee ist die folgende: Warum sang Bob Dylan am Abend des 3. Juli auf der Bühne des Teatro degli Arcimboldi in Mailand den Merle Haggard Song „Bad Actor“?
Schon früh auf dieser Tour zeichnete sich ab, dass Dylan sein seit Herbst 2021 im Grunde nicht verändertes Programm durch ein abendliches Cover ergänzen würde. Dass er dabei Songs seiner guten Freunde von den Grateful Dead, Jerry Garcia und Robert Hunter sowie Van Morrison singen würde, überraschte nun keinen. Immer wieder mal hatte er in den Vorjahren Songs von ihnen eingestreut. Aber Merle Haggard?
Komplexe Beziehung zu Merle Haggard
Schließlich war ihre Beziehung doch recht komplex. Von gegenseitigem Respekt geprägt, aber enge Freunde waren sie nie. Zwar nahm er 2005 Haggard und seine Band als Vorprogramm – oder besser als zweiter Headliner – mit auf seine Tour. Als Reminiszenz an Haggard sang er bei seinen Konzerten auf dieser Tour immer wieder Haggards „Sing Me Back Home“. Und er beteiligte Merle 2011 an seinem Projekt „The Lost Notebooks Of Hank Williams“.
Das aber hielt ihn nicht davon ab, ihn dann 2015 in seiner „MusiCares Speech“ zu dissen. Dylan sagte damals: „Merle hielt nicht viel von meinen Songs, aber Buck Owens schon, und Buck nahm auch einige meiner frühen Songs auf. Buck schrieb ‚Together Again‘ und das schlägt alles, was je aus Bakersfield gekommen ist. Buck Owens und Merle Haggard? Wenn man unbedingt jemandes Segen braucht, dann kann man es hieraus ableiten.“
Das brachte natürlich Haggard auf den Plan. Der fühlte sich genötigt per Twitter zu antworten: „Bob Dylan, ich habe Deine Songs seit 1964 bewundert.“ Was wiederum Bob veranlasste in einem Interview auf seiner Website mit dem Journalisten Bill Flanagan seine Aussagen zu relativieren, aber auch zu konkretisieren: „Nein, ich wollte Merle nicht dissen, nicht den Merle, den ich kenne. Worüber wir sprechen geschah vor langer Zeit, möglicherweise in den späten Sechzigern. Merle hatte einen Song, der hieß ‚Fighting Side of Me‘ und ich sah ein Interview mit ihm, das handelte von den Hippies, Dylan und der Gegenkultur, und es brannte sich in mein Hirn ein und schmerzte, dass er mich in einen Topf warf, mit allem, was er nicht leiden konnte. Aber die Zeiten haben sich natürlich geändert und er sich auch. Wären heute Hippies da, wäre er auf deren Seite und er selbst ist nun Teil der Gegenkultur.“
Möglicherweise führte dieser Disput dann dazu, dass Haggard zusammen mit Willie Nelson, der ein guter Freund von beiden ist, noch im gleichen Jahr Dylans „Don’t Think Twice“ für das Album „Django and Jimmie aufnahm.
Bleibt unterm Strich eben ein nicht einfaches Verhältnis von zweien, die in den 1960ern in zwei Welten unterwegs waren, obwohl sie doch gleiche Wurzeln in Country und Folk haben: Jimmie Rodgers und Woody Guthrie. Erst mit der Zeit haben sie sich angenähert. Dylan brachte auf seinem eigenen Label ein Jimmie Rodgers-Album heraus und machte Inzwischen mehrmals deutlich, dass er mit Woodstock und Hippies nun wirklich nicht zu tun hat, während sich Haggard als scharfer Kritiker von Bush und den Republikanern outete.
„Bad Actor“ stammt aus Haggards 2010 veröffentlichten Album „I Am What I Am“ und wurde in Kritiken als einer der stärksten Songs des Albums bewertet. Haggard singt dort:
„Ich habe ein Problem damit, zu wissen, was real ist
Alle meine Gefühle borge ich mir und stehle sie
Ich täusche meinen Weg durch jeden Tag
Und versuche, so zu tun, als wäre es besser“
Und:
„So tun, als würde man sich darum kümmern, so tun, als würde man weinen
Du sagst, ich werde da sein, und ich sage, ich werde es versuchen
Gefühle aus zweiter Hand sind immer ein Faktor
In meiner Hauptrolle als schlechter Schauspieler“
Es ist ein trauriges Lied eines Menschen, der sich durchs Leben täuscht und trickst, der seine Gefühle borgt und oftmals so handelt wie Menschen es erwarten, ohne davon wirklich überzeugt zu sein.
Warum diese Coverversionen zum aktuellen Programm passen
Irgendjemand hat während dieser Europa-Tour sinngemäß geschrieben, die Coverversionen, die Dylan in diesem Programm singt, ergäben ein biographisches Bild. Ja schon, aber es ist komplexer.
„Not Fade Away“ (Buddy Holly), „Truckin'“ (Grateful Dead), „Into The Mystic“ (Van Morrison), „Stella Blue“ (Grateful Dead), „West LA Fadeaway“ (Grateful Dead), „Bad Actor“ (Merle Haggard) und „Broke Down Palace“ (wieder Grateful Dead) – alle diese Songs von Songwritern, die Dylan verehrt, erzählen über das Leben, über das Schicksal, über eine Person und fügen ein Bild zusammen, das Dylan von sich selbst macht, um es uns zu zeigen.
„Not Fade Away“ steht für die erste Liebe zu Rock’n’Roll und Buddy Holly, „Into The Mystic“ steht für den Beginn von Dylans musikalischer und spiritueller Lebensreise, „Truckin'“ erzählt von den Trips zwischen den Städten Amerikas, „Stella Blue“ für die Momente, als Dylan abgehängt und ausgebrannt schien. „West La Fadeaway“ erzählt von jemandem, der „On The Road“ ist und sein Geld mit fragwürdigen Jobs verdient und „Broke Down Palace“ berichtet dann schließlich von einem müden Menschen, der sich ein letztes Mal zum Schlaf legen will. Und am heutigen Abschlussabend in Rom geht Dylan mit „Only A River“ von Bob Weir, einer Variation des alten Folksongs „Shenandoah“, wieder sehr passend ganz weit zurück zu den eigenen Wurzeln und denen seiner Zunft im Folksong.
In diesem Kontext fügt sich „Bad Actor“ ein als ein Geständnis, dass Dylan seinem Umfeld vielleicht wirklich manchmal zu viel abverlangte, weil er manchmal nicht ehrlich unterwegs war oder aber auch, dass auch ein Bob Dylan mehr Kompromisse machte, als ihm lieb waren. Es könnte aber auch ein Verweis auf seine doch hauptsächlich nicht do richtig gelungenen Ausflüge in Schauspielerei und Filmgeschäft sein. Aber das ist dann sehr spekulativ.
Und so sind auch diese Songs passend eingefügt. So wie er die vitalen Liebesssongs seines jüngeren Ichs heute dunkel und drohend ausgestaltet, damit sie bei ihm live Bestand haben können oder er scheinbar letztgültige Statements zu seiner Person wie „I Contain Multitudes“ oder „False Prophets“ veröffentlicht, so korrespondieren diese Songs mit dem aktuellen Programm, das damit kokettiert, ein abschließendes zu sein. Ein Programm der Bestandsaufnahme, der Bilanz, der eigenen Verfassung und dem eigenen Platz in der Geschichte. Genau wegen diesen Aspekten singt er diese Songs.
