Archive for August 2023

„Only A Pawn In Their Game“

24. August 2023

Reaktionäre Protestsongs: Oliver Anthonys Erfolg mit „Rich Men North Of Richmond“ ist von der US-Rechten zielgerichtet orchestriert worden

Als Oliver Anthonys Country-Folk-Song „Rich Men North Of Richmond“ zum großen Internet-Hit wurde, war in den ersten Stellungnahmen zu lesen, das wäre ein Song, der die Nöte der Arbeiterklasse zum Inhalt hätte. Nun, nach eingehender Beschäftigung mit dem Song, seinem Text und seinem Erfolg, kann man nur sagen: Vordergründig werden die Nöte der Arbeiterklasse angesprochen. Doch dahinter geht es um eine weitere Schlacht im sorgsam von der extremen Rechten orchestrierten Kulturkampf in den USA. Und Oliver Anthony ist, um es mit den Worten des jungen Bob Dylan zu sagen: „Only A Pawn In Their Game“.

Denn der Aufstieg des Songs zum viralen Internet-Hit wurde von Anfang an begünstigt durch konservative Medienpersönlichkeiten wie Countrysänger John Rich und den Kommentatoren Dan Bongino und Matt Walsh. Ihrer Gefolgschaft aus weißem Mittelstand und konservativen Arbeitern empfahlen sie Anthonys Song auf all ihren Kanälen. Und natürlich war auch Jason Aldean wieder nicht weit, der ja „Held“ der letzten kulturellen Auseinandersetzung um „Try That In A Small Towm“, die man mit Fug und Recht als Hymne für die „Make America Great Again“-Bewegung nehmen kann, die bekanntermaßen rassistisch und rückwärtsgewandt ist.

Kein wirklicher Song gegen die Macht der Reichen

Wäre Anthonys Song wirklich ein Protestsong gegen die Macht der Reichen im Sinne von Woody Guthrie oder Bob Dylan, wäre er nicht von diesen Leuten empfohlen worden. Billy Bragg hat ja Anthony auch gleich in „Rich Men Earning North Of A Million“ einen musikalischen Vorschlag gemacht: „Tritt in die Gewerkschaft ein!“ Denn diese „Right Wing Influencer“ befördern nur den rechtsextremen ideologischen Hintergrund, der zum Sturm auf das Kapitol geführt hat. Was also macht diesen Song so anschlussfähig für die extreme Rechte?

Er kommt erstmal daher wie eine wirkliche Kritik im Sinne der Arbeitenden:

„Nun, ich habe meine Seele verkauft

Den ganzen Tag arbeiten

Überstunden

Für eine beschissene Bezahlung“

Aber dann folgt nicht eine Anklage gegen ausbeutende Arbeitgeber, sondern gegen die „reichen Männer, nördlich von Richmond“:

„Diese reichen Männer nördlich von Richmond

Herr, der kennt sie alle

Die möchten einfach die totale Kontrolle haben

Möchten wissen, was Du denkst“

Und weiter:

„Ich wünsche Politiker

Würden nach Bergleuten Ausschau halten

Und nicht nur nach Minderjährigen

irgendwo auf einer Insel“

Und dann kommt das Wüten gegen Sozialleistungen:

„Es gibt nichts zu essen

Und das Wohlergehen der Fettleibigen

Aber Gott, wenn du 1,70 Meter groß bist

Und du wiegst dreihundert Pfund

Steuern sollten nicht gezahlt werden

für Ihre Tüten voller Karamellbonbons“

Und dann wird wieder an die reale Verzweiflung und Perspektivlosigkeit der Jugend im Fly Over-Country angespielt:

„Junge Männer

rammen sich sechs Fuß in den Boden

Weil alles, was dieses verdammten Land tut,

ist sie weiterhin nieder zu treten“

Doch es sind nicht die Konzerne, die Arbeitsplätze vernichten. Es sind nicht die Pharmafirmen, die Medikamentenepidemien begünstigen. Nein, Schuld haben „diese reichen Männer nördlich von Richmond“. Die auch noch alle „bis zum Äußersten besteuern“.

Rechte Agenda im Kostüm der Sozialkritik

„Rich Men“ ist im Grunde einer der gefährlichsten Songs der letzten Jahre. Er kommt daher im Kostüm der Sozialkritik. Aber dann:

  • Er kritisiert nicht die Reichen und deren Herrschaftsstrukturen per se. Es sind die „progressiven Eliten“ in Washington, die Ziel seiner Attaken sind. Das verstehen die schon, die es verstehen sollen.
  • Er arbeitet mit alten und neueren Mustern der rechten Ideologien: Gegen Steuern, gegen Sozialleistungen. Die „faulen, dicken Sozialschmarotzer“ hat ja schon Ronald Reagan als vor allem schwarze „Welfare Queens“ den weißen Amerikanern zum Fraß vorgeworfen.
  • Neu: Jetzt kommen die Verschwörungstheorien dazu. Es ist das perfide, dass der wahre Fall Epstein hier von Anhängern von Verschwörungstheorien als Code oder auch als Platzhalter für die irre Idee „Pizzagate“ verstanden werden kann. Man fragt sich, warum Anthony ausgerechnet dieses Bild benutzt. Zum Hintergrund: Im US-Wahlkampf 2016 verbreitete sich ja die Behauptung, dass Hillary Clinton im Mittelpunkt eines international agierenden Pädophilenrings stehen würde. Zentrum dieses Netzwerks, das angeblich Kinder aus aller Welt verschleppt, missbraucht und verkauft, sollte laut Theorie im Keller einer Pizzeria in Washington, D.C. liegen. Solche Sachen werden in der extremen amerikanischen Rechten immer noch geglaubt.
  • Die Herrschenden in Washington wollen Deine Gedanken überwachen.

Wichtig ist, unterscheiden zu können. Schon immer gab es starke Statements zur Lage der Arbeitenden in der Countrymusik. Doch während Tennessee Ernie Ford in „Sixteen Tons“ lyrisch wunderbar und analytisch richtig sang

„Ich lade 16 Tonnen, was bekommst Du?

Einen weiteren Tag älter und tiefer verschuldet

St. Peter, ruf mich nicht an, weil ich nicht gehen kann

Ich schulde dem Firmenladen meine Seele“,

da abstrahiert der so lebensnahe Anthony plötzlich. Es geht also nicht um reale Verhältnisse. Es geht um Ideologie, um Hirngespinste.

Ideologien und Hirngespinste

Merle Haggards „Workingmen“ aus Muskogee, Oklahoma, hatten noch Arbeit, sie verspottteten die Hippies und Wehrdienstverweigerer aus einer Position der Stärke. Der Neoliberalismus seit Ronald Reagan hat zum Abbau von Jobs und und von Sozialleistungen geführt, die Demokraten Clinton und Obama sind dies nicht wirklich grundsätzlich angegangen. Die Arbeiter haben schon lange diese Stärke nicht mehr. Bob Dylan hat es in seinem „Workingman’s Blues #2 bereits 2006 thematisiert. Doch die neokonservativen und die extremen Rechten leiten seit Jahrzehnten schon die notwendige Kritik am neoliberalen Kapitalimus um in einen desparaten, irren Hass der Verlierer auf alles Progressive. Und dieser Song befördert dies.

Oliver Anthony scheint selber ein sehr verzweifelter Mensch zu sein. Ehemaliger Malocher, jetzt arbeitslos, lebt einsam mit Hunden auf seiner Farm. Eine Hillbilly-Erscheinung. Und er erzählt von seinen psychischen Problemen. Für die extreme Rechte ist er ein Held. Sein „Free Concert“ wurde medial von Fox News gekapert, die Menge skandierte wie bei Trump „USA. USA, USA“. Aber Oliver Anthony scheint auch ein Mensch mit einem doch recht widersprüchlichen Weltbild zu sein. Auf der einen Seite folgt er in seinem Song den rechten Narrativen. Dies zeigt, wie sehr diese sich schon in den Hirnen der einfachen Amerikaner eingefressen haben. Doch gleichzeitig erzählte Anthony sehr zum Missfallen seiner rechten Fans und Influencer, die USA seien doch ein Schmelztiegel, auf diese Vielfältigkeit solle man stolz sein. Na was jetzt?

Oliver Anthony: Schachfigur im rechten Spiel

Dieser Oliver Anthony ist noch nicht mal ein Zauberlehrling. Er ist nämlich gar nicht selber der Verursacher. Er war mit seinem kruden Song zur rechten Zeit für die Rechten da. Und wenn er sich tatsächlich nicht kaufen lässt, dann werden sie ihn auch wieder fallen lassen. Seine Schuldigkeit hat er dann ohnehin schon getan. Denn er ist halt wirklich „Only A Pawn In Their Game“. Eine Schachfigur im rechten Spiel der „Right Wing Rich Men“ überall in den USA.

Im gnadenlosen Kulturkampf haben sie nun die Countrymusik ins Visier genommen. Wollte noch 2017 keiner bei Donald Trumps Inauguration auftreten, so ist mittlerweile Jason Aldean Trumpist. John Rich, Travis Tritt, Kid Rock und Trace Adkins ebenfalls. Es steht zu befürchten, dass bis zu den Präsidentschaftswahlen 2024 breite Teile der Countryszene ihre politische Zurückhaltung aufgeben und der rechte Kulturkampf in das Mainstream-Country schwappt.

“Don’t Make Her Cry“

4. August 2023

Die Geschichte von Bobby und Regina/ Dylan und McCrary schreiben gemeinsam einen Song, den Buddy und Julie Miller nun veröffentlicht haben.

The McCrary Sisters. Regina ist vorne in der Mitte zu sehen. Copyright: Rounder Records.

„Bring Sie nicht zum Weinen“ soll Reverend Sam McCrary zu Bob Dylan gesagt haben, als der des Pfarrers Tochter Regina 1978 dazu erwählt hatte, als Sängerin mit ihm auf Tour zu gehen. Zu gut kannte dieser Reverend das Musikbusiness, war er doch bekannt als „Singender Prediger“ und Mitglied des schwarzen Gospel-Quartetts „The Fairfield Four“ aus Nashville, Tennessee.

Regina stammt aus einer Gospel-Familie

Zwar gab es die Formation bereits seit 1921, doch erst als „Reverend Sam“ 1935 dazu stieß, schafften sie aufgrund seines klaren, vollen Gesanges den Durchbruch beim Publikum. John Lomax nahm sie auf und sie sangen bei Gospelshows im Ryman Auditorium in Nashville. In den 1950er Jahren wurden die Fairfield Four bei ihren Touren durch den Süden immer öfter Opfer von rassistischen Schmähungen und Gewaltandrohungen. Seitdem traten sie fast nur noch in nördlichen Bundesstaaten auf. Mitte der 1950er trennten sie sich, Reverend Sam machte mit neuen Sängern als „Fairfield Four“ weiter, doch die Musik hatte sich verändert und sie konnten nicht an alte Erfolge anknüpfen. Sam sang seit 1960 nur noch in der Kirche und pflegte sein Familienleben.

Er war seit 1954 Pfarrer der St. Mark Baptist Church in Germantown, war verheiratet mit Mamie Elizabeth Marsh, 1958 kam deren Tochter Regina zur Welt. Sie wuchs mit Gospel auf und war gerade mal 20 Jahre alt, als Dylan sie bei einer Audition im Dezember 1978 in Nashville entdeckte. Sicher, sie sang großartig, aber Bob war natürlich auch beeindruckt aus welcher musikalischen Familie die junge Sängerin stammte.

Dylan taucht zu dieser Zeit ganz tief in den schwarzen Gospel ein und umgibt sich mit schwarzen Gospel-Sängerinnen. Zwei Monate später bekam Regina dann einen Anruf und war gebucht für die Aufnahmen zu Dylans erstem Gospel-Rock-Album. Sie sang auch auf „Saved“ und „Shot Of Love“ und war von 1979 – 1981, Sängerin in seiner Tourband.

Carolin Dennis als „große Schwester“

Heute wissen wir von den engen Verbindung Dylans mit Clydie King und von der Ehe mit Carolin Dennis. Mit Regina verbindet ihn bis heute eine Freundschaft. Scott Marshall hat für das amerikanische Dylan-Magazin „Rolling Tomes“ Anfang der 2000er Regina interviewt und Wissenwertes über deren Verhältnis eingefangen. Sie hat eine hohe Meinung über Bob und trifft sich mit ihm im Glauben an Gott. Bei den Auditions hatte sie auch Carolyn Dennis kennengelernt: „Carolin Dennis wurdes so etwas wie eine große Schwester für mich.“

Schnell zeigte sich das Talent von Regina, das von Bob und Carolin gefördert wurde. So eröffnete Regina die meisten dieser Shows (zusammen mit den anderen Sängerinnen) mit einer Handvoll Gospel -Lieder. Sie teilte Vocals mit Dylan bei Songs wie „Ain’t No Man Righteous, No Not One“ und „Mary From The Wild Moor“. Regina sang auch solo bei diesen Konzerten. Sie trug Songs wie „Put Your Hand in the Hand of the Man from Galilee““ und „Till I Get It Right“ vor.

Dylan schrieb in den Liner Notes zu „Biograph“: „Regina McCrary spielte eine Weile mit mir. Sie ist die Tochter des Predigers Sam McCrary, der die Gospelgruppe „The Fairfield Four“ hatte. Wie auch immer, sie eröffnete diese Shows mit einem Monolog über eine Frau im Zug, sie war so unglaublich bewegend. Ich wollte die Menschen so etwas aussetzen, weil ich es liebte und es die wahren Wurzeln aller modernen Musik sind, aber niemand scherte sich darum.“

Dylans religiöse Phase: Inhaltlich problematisch, musikalisch richtig und wichtig

Dylan und seine Sängerinnen 1980, Copyright: Wikimedia Commons

Schon hier zeigt sich, wie Dylan die musikhistorischen Zusammenhänge richtig versteht und verknüpft. Jüngst hat er in seiner „Philosophie des modernen Songs“ in einem klugen Artikel über „Little Richard“ auf den Zusammenhang zwischen Religiösität, „in Zungen sprechen“ und dem Rock’n’Roll hingewiesen. Doch davon wollte damals weder das amerikanische Publikum noch die deutsche Presse – „Wir brauchen keine Gospelsingende Micky Maus“, Frankfurter Rundschau 1981)“ – etwas wissen. So schlimm Dylans inhaltliche christlich-fundamentalistische Predigten waren, so musikhistorisch wichtig war seine damalige Beschäftigung mit den christlichen und schwarzen Wurzeln der amerikanischen Populärmusik.

Reginas spezielle Show-Eröffnung

Wie typisch Dylan-mäßig aber diese Showeröffnung wiederum zustande kam, erzählt Regina im ausführlichen Interview mit Ray Padgett, das dieser in seinem neuen Buch „Pledging My Time. Converstations mit Bob Dylan Band Members“ veröffentlicht hat. Bob erzählt Regina, dass der Show noch etwas fehle und diese, immer für einen Scherz zu haben, sagt, sie könne ja am Anfang die Geschichte von der alten Frau, die einen alten Zug erwischen will, erzählen, und anschließend würden sie mit den anderen Sängerinnen „If I’ve got my ticket lord, can I ride?’” singen. Dylan geht aus dem Raum, holt die übrigen Bandmitglieder und sie muss erneut die Geschichte erzählen. Keiner sagt etwas. Stattdessen kommt eine Viertelstunde vor Showbeginn Bob in die Garderobe der Sängerinnen gestürzt und möchte, dass Regina tatsächlich die Show eröffnet. Hilfesuchend ruft sie ihren Vater an und der stärkt sie. Und so wird die Erzählung zum ständigen Show Opener.

Auch nach Ende der Zusammenarbeit mit Bob bleibt Regina im Musikgeschäft und gründet später mit ihren drei Schwestern die Gospel-Gesangsguppe „The McCrary Sisters, die in ihrer Anfangszeit von Americana-Legende Buddy Miller besonders gefördert werden. Bob und Regina bleiben auch Jahrzehnte später noch in Kontakt. Als Dylan 2013 auf Tour in Nashville Station macht, kommen spontan auch die McCrary Sisters auf die Bühne und singen mit ihm gemeinsam „Blowin In The Wind“. Über Bob sagt sie bis heute nur Gutes: „Er ist ein guter Mann, er ist ein guter Mann“, bekräftigt sie gegenüber Ray Padgett.

„Don’t Make Her Cry“: Dokument einer Freundschaft

Und da Regina sowohl mit Bob als auch mit Buddy befreundet ist, kam es dann auch zur Veröffentlichung von „Don’t Make Her Cry“. Buddy Miller: „Drei Jahrzehnte später [nach der Zusammenarbeit von Bob und Regina] schrieben sie schließlich Texte zum Song zusammen in Huntsville, Al. Als es darum ging, die Musik zu schreiben, sagte Bob zu Regina: „Gib sie Buddy Miller.“ Dann gab ich sie an Julie weiter, die weitere Lyrics hinzufügte, andere änderte und sie vertonte. “

Nun ist der Song auf dem neuen Album von Buddy und Julie Miller mit dem Namen „In The Throes“ enthalten und wurde soeben als Single-Auskopplung veröffentlicht. Ein langsamer, Orgel-getragener Gospel. Geschrieben von Bob Dylan, Regina McCrary und Julie Miller. Ein schönes, sentimentales Stück und ebenso eine schöne Erinnerung an die Zusammenarbeit und Freundschaft von Regina mit Bob und mit Buddy.

The McCrary Sisters mit Buddy Miller und Larry Campbell:

Regina im Chor bei Bob Dylan:

Der gemeinsame Auftritt 2013 in Nashville: