Bob Dylans Lied von Liebe, Zweifel und Unsicherheit/ Dylan und die „leichte Muse“
Das erste Mal hörte ich „Heart Of Mine“ im Radio. Im Juli 1981 erschien der Song zeitgenau zur Europa-Tour des Meisters. Und tatsächlich sah ich Dylan dann auch das erste Mal im Konzert am 18. Juli 1981 im Mannheimer Eisstadion. Als sich unsere kleine Konzertreisegruppe den Titel noch einmal kurz vor dem Aufbruch anhörte, äußerte sich mein Englisch-Lehrer vor allem auch damit zufrieden, dass die Produktion hier endlich wieder Dylan-like, sprich nicht perfekt sei. Wir erinnern uns ja gerne daran, dass beim Klassiker „Hurricane“ an einer Stelle Gitarren und Congas doch etwas aus dem Rhythmus kommen. Doch der Meister hat den Song trotzdem in der Version veröffentlicht, gerade weil es das Anliegen des Songs verstärkt.
Unsicher und stolpernd
Und der Kunstgriff klappt auch hier. Dieses Lied voller Zweifel darüber, ob man sein Herz jemanden schenken soll, vielleicht weil man in einer festen Bindung ist, oder einfach nur, weil man Angst davor hat, verletzt zu werden, wirkt umso stärker, weil die Musik hier manchmal stolpernd und holprig wirkt. Ein Dokument der Unsicherheit und des Zweifels. Auf den ersten Blick geht es hier um die Liebe, aber man kann das Frühjahr 1981, in dem das Lied aufgenommen wurde, schon insgesamt bei Dylan als Zeit des Zweifelns ansehen. Schon seit dem Frühjahr 1980 hatte sich sein fester Bund mit dem Fundamentalismus gelockert und seit Ende 1980 begann er auf seinen Konzerten alte und neue Songs zu mischen. Das im Frühjahr aufgenommene und dann im August veröffentlichte Album „Shot of Love“ mischte erstmals religiöse Songs wie „Property Of Jesus“ oder „Dead Man, Dead Man“ mir „weltlichen“ Songs wie „Heart Of Mine“, Watered Down Love“ oder „Lenny Bruce“. Und es gibt Songs, wo er religiös wird, ohne missionieren zu wollen, wie beispielsweise das wunderbare „Every Grain Of Sand“.
Wie muss ein Dylan-Song sein?
Doch zurück zu „Heart Of Mine“. Sieht man den Kontext in dem das Lied entstanden ist, dass ist es überhaupt nicht mehr das leichtgewichtige Liedchen, als das es von manch Dylan-Papst gesehen wird. Und wenn es leichtgewichtig wäre – so what? Warum darf Dylan nicht auch mal der leichten Muse frönen? Einst verlangte man Protestsongs von ihm und bis heute muss scheinbar jeder Song übervoll mit literarischen, historischen, religiösen und philosophischen Zitaten, Metaphern, Verweisen und Anspielungen sein, um überhaupt als Dylan-Song ernst genommen zu werden.
Ich gebe zu, ich habe das durchaus auch schon so gehandhabt. Während ich Dylans frühe Lovesongs wie „Love Minus Zero/ No Limit“ oder „Lay, Lady, Lay“ nie infrage gestellt habe, fand ich „Make You Feel My Love“ anfangs auch ein bisschen unter Dylan-Niveau. Die Bilder irgendwie zu einfach und vom kompositorischen zu nah an „I’ll Remember You“ vom 1985er-Album „Empire Burlesque“. Auch wenn er der kommerziell erfolgreichste Song aus Dylans Spätwerk ist, weil er u.a. von Adele, Garth Brooks und Billy Joel gecovert wurde. Das im Übrigen gerade weil er so leichtgewichtig daherkommt. Erst seine 2019er Live-Version versöhnte mich mit ihm. Denn man sollte sich auch hier von Dylan nicht täuschen lassen. Selbst vermeintlich leichtgewichtige Lyrik lässt sich von ihm mittels Vortragshaltung, Gesang und Arrangement in ganz andere Sphären überführen. Da wird die Ansage „Ich werde Dich meine Liebe fühlen lassen“ schon mal bedrohlich, und reiht sich nahtlos in seine jüngsten dunklen Umdeutungen von Songs wie „To Be Alone With You“ ein.
Furcht vor Wanderschaft und Freiheit?
Hier also das Herz, das zu Hause bleiben soll, das nicht auf Wanderschaft gehen soll, so verlockend das Ziel auch sein mag. Es wird Dylan nachgesagt, dass hinter den Kulissen er mit einigen seiner Background-Sängerinnen zwischen 1979 und 1983 oftmals mehr als befreundet war. Ob das Lied auch ein Dokument des Gefühlschaos ist? Oder fürchtet sich Dylan vor der Freiheit, die so verlockend außerhalb des abgeriegelten fundamentalistischen Gedankengebäudes wirkt?
Dylan hat den Song als festen Bestandteil seiner Konzerte das ganze Jahr 1981 gespielt. 1984 auf seiner Europa-Tour dann lediglich in Wien und Verona. 1986 spielte er es nur einmal in Wellington, Neuseeland. 1987 dann einmal in den USA und dreimal in Europa. 1989 kam es noch einmal in St. Louis zum Einsatz. Zum letzten Mal wurde „Heart Of Mine“ von Dylan vor mehr als dreißig Jahren in Toronto am 17. August 1992 gespielt. Seitdem nichts mehr.
Bestandteil des „Dylan-Lovesongs-Kanon“
Als damals 17-jährigem gefiel mir der Song. Er hat Ohrwurm-Qualitäten und eben einen recht einfachen Text, so dass ich ihn damals gerne gehört und auch mitgesungen habe, wenn ich das Album mal wieder viel zu laut daheim hörte. Und natürlich hörte ich den Song auch in Mannheim. Dylan am E-Piano war für mich überraschend, war er doch für mich ganz klar der Mann mit der Gitarre. Aber diese Performance werde ich auch nie vergessen. Denn bevor er den Song spielte, hängten ihm Helfer ein Handtuch über die Schultern. Das sah doch schon ein bisschen nach Superstar-Gehabe aus. Heute würde ich es vielleicht auch als Zitat deuten wollen. James Brown bekam während seiner Konzerte immer zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Umhang umgelegt.
So ist „Heart Of Mine” doch über die Jahre immer noch eines meiner Lieblingslieder geblieben, auch wenn es nicht zu seinen ganz großen Songs gehört. Aber auch ein Literatur-Nobelpreisträger und Song-Gigant hat das Recht auf „leichtere Kost“. Und: Er kann sie jederzeit einer Revision unterziehen. Das können und wollen die Lohnschreiber und Songinterpreten des Musikbusiness in der Regel eben nicht. Doch wie auch immer, wenn am 23. Mai die Darmstädter Americana-Reihe am Vorabend von Dylans Geburtstag die „Lovesongs Of Bob Dylan“ in den Fokus nimmt, dann steht der Song natürlich auf meiner Wunschliste.

