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“I hope we played something that you came to hear”

10. März 2024

Dylans Deutschland-Tour 1981: Eine unterschätzte und missverstandene Konzertreise bedarf einer Neubetrachtung – neues Dylan-Buch zu diesem Thema soll in diesem Jahr erscheinen

Aus: Concert-Journal, Juli/August 1981, Quelle: Lippmann+Rau-Archiv

Sechs Konzerte an vier Orten: Bad Segeberg, Loreley, Mannheim, München. Mit jeweils ca. 12.000 Zuschauern. Das Publikumsinteresse war da, trotz Dylans Konversion und der zwei christlichen Alben von 1979 (Slow Train Coming) und 1980 (Saved), die im Dylan-Lager äußerst zwiespältig aufgenommen wurden.

Als Dylan im Sommer 1981 zum zweiten Mal nach 1978 auf Deutschland-Reise ging, war er aber schon wieder weiter. Er begann sich gerade vom christlichen Fundamentalismus zu lösen. Doch mit solchen Feinheiten wollte sich ein großer Teil der veröffentlichten Meinung nicht beschäftigen. Und dass er nun alte Songs einstreute oder neue, weltlichere Songs – “I hope we played something that you came to hear” sagte er am Ende einiger Konzerte – wurde ihm wahlweise als Anbiederung oder Ausverkauf ausgelegt. Waren schon 1978 Dylans Konzerte umstritten – die Bandbreite reichte von Buhrufen und Wurfgeschossen in Berlin bis zum triumphalen Jahrhundertkonzert in Nürnberg – so war die Stimmung 1981 medial gesehen ausgesprochen gereizt.

Einmal Judas, immer Judas

Die Presse war sich erschreckend einig: Diesen Dylan wollen wir nicht. Er singt religiöse Songs, er hat Backgroundsängerinnen dabei, die auch noch Gospel auf offener Bühne singen. Mal soll der Sänger schlecht aufgelegt sein, dann wieder die Band. Dann soll sogar Dylan gepredigt haben (hat er nicht, Mitschiften beweisen es). Mal ist Dylan ausgebrannt, mal ein arroganter Superstar, mal ein ehrmaliger Politsänger, der sich selber und sein Publikum verraten hat. JUDAS! Nein, halt das war eine andere Tournee, wenn auch der Mechanismus der gleiche.

Hatte Dylans 1978er-Tour noch den Nimbus des ersten Mals und erzählte 1984 die tragische Geschichte von Joanie und Bobby, so ist die 1981er Deutschland-Tour bis heute nicht nur die umstrittenste, sondern auch die unterschätzteste Tour. Da sie aber die erste Tour war, der ich mit dem Mannheimer Konzert am 18. Juli 1981 beiwohnte, hat sie für mich immer einen großen Stellenwert.

Neue systematische Beschäftigung mit der 81er-Tour

Darum ist nun die Zeit gekommen, diese Tour systematisch unter die Lupe zu nehmen. In meinem neuen Buch will ich die Pressemeinungen bewerten und mit Augen- und Ohrenzeugenberichten kontrastieren. Ich will Dylan künstlerische Entwicklung und ihre Rezeption vor dem Hintergrund des konservativen Roll Back in den USA sowie des Erbes der 68er-Generation und den neuen sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik einordnen und natürlich meine eigenen Eindrücke schildern. Dazu kommen auch die eine andere anekdotische Geschichte von dieser Tour und die Erinnerung an Fritz Rau und seine Konzertagentur als Organisatoren der deutschen Konzerte. Das Buch soll noch dieses Jahr erscheinen.

Zeitreise

Schon jetzt einen großen Dank an alle, die mir bereits Ohren- und Augenzeugenberichte geschickt oder mich anderweitig unterstützt haben. Nun, nachdem ich zwei Tage im Lippmann+Rau-Archiv zur 81er-Tour recherchiert habe, wird das Buchprojekt Fahrt aufnehmen. Die Zeitmaschine steht bereit, sie wird mich in den nächsten Monaten 43 Jahre in die Vergangenheit reisen lassen. Aber aufgepasst: Die Geschichte bleibt wie sie ist, sie wird nur anders erzählt werden!

Bob Dylan, Girl From The North Country, Bad Segeberg 1981: