Archive for April 2024

Cat Powers magischer Dylan-Abend in Frankfurt

26. April 2024

Die US-Singer-Songwriterin drückt dem legendären 1966er-Konzert ihren ganz eigenen Stempel auf

Foto: Cowboy Band Blog

Coverversionen von Dylan-Songs haben unzählige Künstler veröffentlicht. Von Ambros bis Adele, von Nancy Sinatra bis Wolfgang Niedecken. Doch das, was Cat Power, bürgerlich Chan Marshall, da im vergangenen Herbst veröffentlicht und am Mittwochabend (24. April) in Frankfurt am Main auf die Bühne gebracht hat, sprengt den Rahmen herkömmlicher Coverversionen. Cat Power hat nicht mehr und nicht weniger als das legendäre „Royal Albert Hall Concert“ von 1966 eins zu eins wiedergegeben und gleichzeitig dabei ganz neu durchschritten, vermessen und ausgelotet. Ein Meisterwerk, ein magischer Abend.

Pünktlich betritt sie die Bühne, das Licht wird gedimmt und die Bühnenbeleuchtung bleibt spärlich. Ganz dem Meister angemessen, bringen ein halbes Dutzend Retro-Scheinwerfer nur ein fahles Licht. Doch es sind die Songs, die Sängerin und der Vortrag, die an diesem Abend leuchten werden. Die Künstlerin zeigt ihr Können und ihre Größe durch die einzigartige gesangliche Interpretation der Songs. So wie gut keine Showeinlagen, so gut wie keine Erzählungen zwischen den Songs. Livemusik pur und kein Chichi.

Foto: Cowboy Band Blog

Der Gesang ist expressiv und weiblich

100 Minuten lang ist sie auf ihrem Weg durch das Konzert. Musikalisch sind die Fassungen der 15 Dylan-Songs nah am Original. Im ersten Teil wird sie von einem Gitarristen und einem Mundharmonikaspieler begleitet, im zweiten Teil von einer kompletten Rockband. Nah am Original und doch ganz anders. Dieses Kunststück gelingt ihr durch ihren Gesang. Sie kopiert nicht Dylan, sondern findet ihre eigenen Töne, Stimmlagen und Phrasierungen, ihre eigenen Ausschmückungen und Girlanden, die sie um den Gesang bindet. Der rein akustische, kaum variierte Klanghintergrund und ihr faszinierender, sich bei jedem Song neu ganz sorgsam entfaltende expressive Gesang, führen zu einem Sog, dem man sich nicht entziehen kann, dem man sich gar nicht entziehen möchte. Man ist wie verzaubert und in einen Musik-Konkon gewickelt, der einem den ganzen Abend nicht mehr hinauslässt aus diesem musikgeschichtsträchtigen Konzertepos.

„She Belongs To Me“ singt sie ebenso wie “Visions of Johanna” oder “Just Like A Woman” auf ihre ganz eigene Weise. Den schleppenden, durchaus als „transzendent“ zu bezeichnenden Gesang Dylans im Original ersetzt sie in ihren Fassungen durch weibliche Expressivität und Perspektive. Sie entdeckt die Songs neu, lebt sie aus, da gibt es keine Routine, Cat Power geht nie auf Nummer sicher. Denn sie ist sich ihrer stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten bewusst und schont sich nicht.

Foto: Stefan Ermes

Sie hält uns in ihrem Bann

Es gibt keine Pause zwischen den beiden Konzerthälften, ruck-zuck ist die Band da und es geht elektrisch weiter. Das klingt nach Robbie Robertson & Co – Levon Helm war ja bereits 1965 aufgrund der ständigen Scharmützel mit dem Publikum entnervt ausgestiegen – und Cat Power treibt die jungen Mitmusiker immer wieder mit fordernden Handbewegungen an: „Kinder, spielt schneller“. Nun wird die Stimme lauter, sie ruft Songs heraus, nun wird es noch dramatischer. Schließlich stehen gewichtige Songs an wie der Anti-Liebeslied-Klassiker „I Don’t Believe You (She Acts Like We Have Never Met)“, der Song über den gar nichts verstehenden Mr. Jones („Ballad Of A Thin Man)“ und natürlich die vielstrophige Abrechnung „Like A Rolling Stone“ zum Abschluss des Abends.

Längst wippt und schwingt das Publikum mit, heute Abend fällt der „Judas-Ruf“ aus, aber den vermisst auch keiner. Denn alle sind beseelt und begeistert von Dylans Musik und ihrer kongenialen Interpretation durch Cat Power, die uns mit ihrem Gesang sirenenartig in Bann hielt und diesen Abend magisch werden ließ. Denkwürdig!

Auf der Suche nach Bob Dylan und Amerika

21. April 2024

New York, Tulsa, Woodstock – ein Reisebericht

Dieser Trip musste jetzt sein. Wir wollten vor dem November- es besteht tatsächlich die Gefahr, dass infolge der Wahlen Trump wieder Präsident wird – auf alle Fälle noch einmal in die USA. Hatten wir in den letzten Jahren vor allem den Süden und die Geburts- und Heimstätten der amerikanischen Roots Music besucht – Memphis und Clarksdale (Blues, Rock’n’Roll & Soul), Nashville & Bristol (Country) New Orleans (Jazz) sowie das Cajun County und die Appalachen (Mountain Music & Bluegrass) besucht – so war diese Reise explizit Bob Dylan und dem fortschrittlichen Amerika gewidmet. Wieder einmal New York, wieder einmal Tulsa, denn mittlerweile ist der Bob Dylan Center eröffnet und erstmals Woodstock, wo sich mit „Big Pink“ die Wiege des Americana befindet.

Greenwich Village und Sonnenfinsternis

Für New York hatten wir uns viel vorgenommen, von dem wir einiges auch nicht geschafft haben. Was nicht nur an uns liegt. Manhattan ist als Touristenmagnet mittlerweile einfach zu groß und zu voll. Der Massenandrang am Schiffsanleger nach Ellis Island und Freiheitsstatue ist einfach der Wahnsinn. Ohne dem heutzutage oftmals obligatorischen vorher gebuchten Online-Ticket wäre die Wartezeit immens groß gewesen. Aber wir wollten uns nicht schon vorher binden. Mittlerweile wird man fast dazu gezwungen, seine Urlaubsausflüge schon weit vorher digital zu buchen. Darauf hatten wir keine Lust und dementsprechend verabschiedeten wir uns vom Vorhaben, Ellis Island und das Museum zur Einwanderung zu besuchen. Dafür sind wir einige Stunden im Stadtteil Harlem mitgeschwommen, haben das legendäre Apollo-Theater bestaunt und die Szenerie auf uns einwirken lassen. Und interessante Eindrücke von einer mehrheitlich afroamerikanischen Community gewinnen können.

Natürlich waren wie wieder im Greenwich Village im Washington Square Hotel untergebracht. Dort wo schon Bob Dylan und Joan Baez genächtigt haben. Im alten Boheme- und Szeneviertel – hier haben schon Woody Guthrie und Pete Seeger gewirkt und später wurde hier Bob Dylan zum Fixpunkt der Folkszene – ist heute das Feierpublikum unterwegs. Es gibt noch Musikclubs wie das Cafe Wha?, wo wir den Countrysänger Gabe Lee in einem wunderschönen Konzert gesehen haben, und ein paar Comedytheater, aber einfach auch viele reine Amüsier- und teure Szeneschuppen. So ist das Village in seinem Herzen zum Vergnügungsviertel mutiert und hat viel von seinem Charme verloren.

„American Way of Sonnenfinsternis“

Und New York ist an einigen Stellen marode bzw. bekommt die Folgen jahrelanger staatlicher Enthaltsamkeit in Sachen Erneuerung der Infrastruktur zu spüren. Irgendwie passiert jetzt alles auf einmal. Auf der breiten Avenue de Americanas (6. Avenue) ist in Greenwich Village der Bodenbelag völlig abgefräst und keiner weiß, wann das wieder in Ordnung kommt. Überall wird gebaut. Auch nachts in der U-Bahn. Es gibt schöneres, als nachts nach dem tollen Alicia Keys-Musical „Hells Kitchen“ im Untergrund kilometerlang zum verlegten Abfahrtsort der Subway zu irren.

Dafür aber immer wieder schöne Erlebnisse wie die Sonnenfinsternis im Central Park, die von den New Yorkern ebenso unaufgeregt zur Kenntnis genommen wird wie das Erdbeben zwei Tage vorher. Auch wenn die Medien aus einem leichten Zittern, wie wir es auch im Hotel wahrgenommen haben, ein großes Drama machen. Ebenso symptomatisch wie spaßig war daher das Interview auf dem Times Square, in dem ich einer TV-Reporterin meine Erdbebeneindrücke schildern durfte.

Tulsa: Dylan, Guthrie und ein lang verdrängtes Massaker

Kaum einer schafft es so wie Bob Dylan in einer Liedzeile komplexe geschichtliche, gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen zu verdichten. „Take me back to Tulsa to the scene of the crime” heißt es in seinem langen Song-Epos „Murder Most Foul”. Zwei Dinge bringt er hier zusammen: Den Song “Take Me Back To Tulsa“, einer der großen Hits für Bob Wills, dem Vater des Western Swing. Der wirkte ja einige Jahre in Tulsa und machte den heute noch bestehenden „Cain’s Ballroom“ zur Geburtsstätte dieser Musikrichtung. Und Dylan erwähnt damit das „Black Wall Street Massacre“ von 1921, als der afroamerikanische Stadtteil Greenwood von einem rassistischen Mob bis auf die Grundfesten niedergebrannt und zerstört wurde und das Inferno bis zu 300 Menschen das Leben kostete. Bob Wills selber, der, wie es der afroamerikanische Bandleader Ernie Fields in seine Erinnerungen schildert, kein Rassist war und Fields Karriere gefördert hat, bringt den Rassismus und die Situation in Tulsa in seinem Song zusammen. In den Lyrics heißt es:

“Little bee sucks the blossom, big bee gets the honey/ Darkie raise the cotton, white man gets the money” und an anderer Stelle “Would I like to go to Tulsa? Boy I sure would/ Well, let me off at Archer, and I’ll walk down to Greenwood”. Wills schildert hier die Rassen- und Klassenverhältnisse und dass er auch keine Scheu hat, die Rassengrenzen zu überwinden.

Mittlerweile gibt es eine hervorragende Ausstellung zum Tulsa Massaker, die wir uns natürlich angeschaut haben. Eine Entschädigung der letzten noch lebenden Hinterbliebenen der Opfer wurde aber erst jüngst von einer konservativen Richterin abgelehnt. Die USA im Jahr 2024 – voller Widersprüche.

Der Bob Dylan Center und der Woody Guthrie Center liegen fast unmittelbar nebeneinander im Tulsa Arts District, dem kulturellen Herz der Stadt. Nur wenige Blocks entfernt von Cain’s Ballroom haben sich hier Theater und andere Kultureinrichtungen angesiedelt. Vieles hier wird der philantropischen Kaiser Foundation finanziert, so auch die beiden Archiv- und Ausstellungshäuser der Folk-Ikonen. Der Dylan Center beherbergt eine großartige Ausstellung zu Werk und Wirken Dylans, in der man viele Stunden verbringen kann. Absolut sehenswert!

Neu entdeckt haben wir beim Besuch in Tulsa den Buchladen Magic City Books. Hier habe ich das Buch „My Black Country“, der schwarzen Nashville Songwiterin und Schriftstellerin Alice Randall am Erscheinungstag erwerben können. Die Autorin wird im Mai dort lesen, die Veranstaltung findet in Kooperation mit Dylan- und Guthrie-Center statt. Auch ein wichtiges Indiz dafür, wo sich der Bob Dylan Center verortet. Und bei aller Zurückhaltung bei direkten politischen Ansagen des Meisters: Bob Dylan selbst ist und bleibt Teil des fortschrittlichen Amerikas.

Woodstock – Künstlerkolonie und Wiege des Americanas

Mit dem Woodstock Festival hatte unser Besuch in Woodstock rein gar nichts zu tun. Ich habe keine besondere emotionale Beziehung zu diesem als Ausdruck und Höhepunkt der Hippie-Kultur gehypten Musikfestivals. Erstens war das in Wirklichkeit der „Summer of Love“ 1967 in San Francisco, zweitens fand es gar nicht in Woodstock, sondern im 60 Meilen entfernten Bethels statt und drittens war Bob Dylan gar nicht dabei. Der war damals treusorgender Familienvater und weder mit den Hippies noch mit den zahlreichen Dylan-Pilgern etwas am Hut. Daher floh er vor dem Festival und spielte lieber mit The Band auf der britischen Isle Of Wight. Obwohl oder gerade weil der Name des Festival wegen Dylans Wohnort gewählt wurde.

Für uns ist Woodstock, das schon lange vor dem Festival Künstlerkolonie war, die Wiege des Americana. Hier im Haus Big Pink spielten sich Bob Dylan und The Band von Frühjahr bis Herbst 1967 durch die alten Klassiker aus Blues, Country, Folk und Gospel. Und wenn neue Musik entstand, dann wirkte sie uralt. Im psychedelischen Summer of Love gingen Bob und seine Freunde zu den Wurzeln der amerikanischen Musik zurück. Es entstanden die legendären Basement Tapes, die rudimentär acht Jahre später und vollständig erst fast fünfzig Jahre später offiziell veröffentlicht wurden. Nach den Aufnahmen der Basement Tapes brachte The Band „Music From Big Pink“ heraus und Dylan „John Wesley Harding“. Und der Kurs der amerikanischen Populärmusik war neu bestimmt.

Big Pink!

In Woodstock haben wir Big Pink und die Levon Helm Studios gefunden. Wir hatten eine wunderbare Bed & Breakfast-Unterkunft bei einer reizenden Familie und konnten so richtig relaxen. Der Ort ist voller Musik, wir genossen Soul und Funkonzerte, eine Open Mic Night und im nahen Kingston haben wir die Old Crow Medicine Show in einem fantastischen Konzert gesehen. Wir haben in Gesprächen mit typischen Woodstock Residents- hier haben viele liberale New Yorker ihren Wochenend- und Alterssitz- die Furcht vor Trump gespürt aber auch gemerkt, dass es sich hier vor allem um eine mehrheitlich weiße Community handelt. Aber es ist trotzdem ein Ort des fortschrittlichen Amerikas. Mit dem Wohnsitz von Franklin D. Roosevelt im unweit gelegenen Hyde Park und dem angeschlossenen Roosevelt Museum, in dem es vor allem auch um die Geschichte des New Deal geht, haben wir auch eine seiner weiteren Pilgerstätten besucht. Ebenfalls nicht weit von Woodstock liegt Beacon, wo Pete Seeger gewohnt hat und von wo aus er sein Hudson River-Umweltschutzprojekt in Angriff genommen hat. Wir haben also tatsächlich einen wichtigen Landstrich des fortschrittlichen Amerikas gefunden.

Die USA vor der Wahl

Die Stimmung im Land schwankt derzeit zwischen Verdrängung und Furcht. Man lebt den Alltag, Bidens Wirtschaftspolitik funktioniert und trotzdem zweifelt man am scheinbar greisen Präsidenten. So verdrängt man oftmals die bevorstehende Richtungswahl, denn der Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Zudem sind New York City und der Bundesstaat New York einfach keine republikanischen Hochburgen. Vieles scheint hier weit weg.

Es war also wieder einmal eine sehr interessante, erlebnisreiche, spannende und musikalische Reise, die in ihrem New Yorker Teil – gerade auch auf der letzten Etappe mit dem Weg zum Flughafen- auch sehr anstrengend war. Wir schauen gebannt was im November passieren wird. Auch davon wird abhängen wie schnell wir wieder in die USA reisen werden.

Bob & Beyoncé

1. April 2024

Collage, Zitate, Verweise, Metaphern, Identifikationsfiguren: Beyoncé und Bob Dylan kuratieren amerikanische Musikgeschichte und stehen für das demokratische Amerika

Beyoncé Knowles Carter und Bob Dylan, Fotos: Wikimedia Commons

Sie sind sich näher als so mancher alter, weißer Dylan-Fan denkt. Zumindest in der Art wie sie mit der amerikanischen Musikgeschichte umgehen: Bob Dylan und Beyoncé Knowles-Carter. Klar, es gibt da dieses Bild von Dylan mit Beyoncé inmitten ihrer damaligen Gesangsgruppe „Destinys Child“ von den Grammy-Feierlichkeiten 2002. Aber mehr als dieser Schnappschuss lässt sich an öffentlichen Gemeinsamkeiten nicht feststellen, schon gar keine wie auch immer geartete künstlerische Zusammenarbeit. Stattdessen postete sie aber 2012 während Albumaufnahmen auf Twitter aus heiterem Himmel: „‘I’ll let you be in my dreams if I can be in yours.‘ Bob Dylan“. Wir können davon ausgehen, dass beide Seiten um ihre Bedeutung für die amerikanische Musik wissen. Aber wie gesagt, sie sind sich in ihrer musikalisch-künstlerischen Ausdrucksweise näher als man denkt.

Warum? Dylan hat sowohl auf seinem ersten Karriere-Peak in den Mittsechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als auch in seinen gefeierten Alben seit der Jahrtausendwende den amerikanischen musikalischen und gesellschaftlichen Kontinent in einer Art und Weise durchschritten, der beispiellos ist. Er hat dies auf dem Fundament der gesamten amerikanischen Populärmusik gemacht: Folk, Blues, Country, Jazz und Urban Pop der 1930er bis 1950er Jahre. Er hat sehr wohl neben den musikalischen auch die literarischen Ausdrucksformen der afroamerikanischen Community studiert. Wegen des Gefühls für Blues und Sprache hat er schon den Rap als sehr nahe am Blues gesehen, als selbst noch progressive Weiße hierzulande Rap und Hip Hop in einen Topf mit ihrem schrägen Verwandten, dem Gangsta Rap mit seinen Kennzeichen Frauenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung, Protz und Bling Bling geschmissen haben. Ohne Verständnis für die emanzipatorischen Ursprung dieser Hip Hop-Kultur in den Ghettos der 1970er Jahre.

Beyoncè hat dagegen spätestens seit Mitte der 2010er Jahre sich konsequent politisiert und den weiblichen afroamerikanischen Emanzipationskampf zu ihrem Thema gemacht. Allem Superstargehabe zum Trotz. Hinter der Diva-Maske steckt eine reflektierte und emphatische Persönlichkeit. Legendär ist längst ihr Song und Video „Formation“, in dem nicht mehr und nicht weniger die jahrhundertelange Geschichte des schwarzen Amerikas erzählt wird. Von Plantagensklaven und Dienerschaft über Black Cowboys und Buffalo Soldiers bis hin zu den afroamerikanischen Opfern von Katrina in New Orleans.

Dylans Schwanengesang auf Amerika und Beyoncés Forderung nach Anerkennung

Copyright: Columbia Records

Während Dylans Rough And Rowdy Ways von 2020 den Schwanengesang auf das wegen seiner Widersprüche auseinanderbrechende Amerika und auf das Ende des amerikanischen Jahrhunderts darstellt – mit seiner politisch-popkulturellen Geschichtserzählung in Stücken wie „Murder Most Foul“, „Mother Of Muses“ oder „Key West“ – ist Beyoncés neues Album „Cowboy Carter“ die Einforderung der Anerkennung der schwarzen Beiträge zum uramerikanischsten aller Musikgenres, dem Country. Er erzählt von Cowboys und der Eroberung des Westens, von Small Towns und Familie, vom Zusammenhalt und von der individuellen Freiheit gleichermaßen. Zu all dem haben die Afroamerikaner wichtige Beiträge geliefert. Doch die sind in der weißen Erzählung gestrichen worden. Die obszöne gesellschaftliche Segregation von weißem und schwarzem Leben im Süden, die mittels Militanz und Gewalt aufrechterhalten wurde, führte zusammen mit der von der Plattenindustrie daraus abgeleiteten demoskopischen Annahme „weiße kaufen nur weiße Musik, Schwarze kaufen nur schwarze Musik“ zu einer Genrespaltung in weißes „Country & Western“ sowie schwarze „Race Records“, die in der Frühzeit des Country, in der Old Time und Hillbilly-Musik so nicht gegeben war. Es gab weiße und schwarze Stringbands, die sich im Repertoire kaum unterschieden. Es gab die sogenannten „Songster“, die alle populäre Musik spielten – egal ob weiße oder schwarze Genres. Der einsame „Bluesman“ ist eine Legende. Stringbands und Songster waren Gebrauchs- und Unterhaltungsmusiker.

Und die Rassentrennung wurde in der Musik auch immer wieder unterlaufen. Denn jeder frühe Countrystar hatte auch einen schwarzen Lehrmeister. Leslie Riddle brachte der Carter Family das Gitarrespielen und viele Lieder bei. Rufus Payne war gleichsam der Musiklehrer von  Hank Williams und Arnold Shultz beeinflusste Bill Monroe maßgeblich. In der Frühzeit der Grand Ole Opry war ganz selbstverständlich der schwarze Mundharmonikaspieler DeFord Bailey Teil des Ensembles. 1941 wurde er aus rassistischen Gründen aus der Opry gemobbt. Erst 1967, mehr als ein Vierteljahrhundert später, trat mit Charley Pride wieder ein afroamerikanischer Künstler in der Opry auf. Pride konnte sich im Mainstream-Country trotz seiner Hautfarbe etablieren. Seinem weiblichen Pendant Linda Martell gelang dies nicht. Als schwarze Frau war sie noch viel mehr und viel hässlicheren rassistischen Attacken seitens des Publikums ausgesetzt. Zudem stand ihr Manager nicht wirklich hinter ihr. Mitte der !970er war diese Karriere schon wieder vorbei.

Mit Collagen und Zitaten treffen sie sich in ihrer Art des Songwriting

Copyright: Sony Music

Solche Geschichten erzählt Beyoncé. Sie erzählt sie mit Metaphern und Verweisen, in Zitaten und Collagen, textlich und klanglich. Den Anspruch, damit eine gesellschaftliche und (musik)geschichtliche Totalität und Entwicklung abbilden zu können, hat sie ebenso wie Dylan in seinem Spätwerk. Man denke nur an sein Masterpiece „Blind Willie McTell“. Beyoncé erzählt sie entgegen aktueller Trends nicht identitär ausschließend, sondern baut Brücken. Mit Dolly Parton und Willie Nelson hat sie zwei der größten lebenden Country-Legenden für ihre Sache gewinnen können. Ein Echo dieser Zusammenarbeit ist vielleicht auch das Line-Up der diesjährigen Outlaw Festival Tour, bei dem neben Nelson und Bob Dylan u.a. auch die schwarze Countrymusikerin Brittney Spencer, die afroamerikanische Singer-Songwriterin Celisse und die Blues- und Soulband Southern Avenue mit von der Partie sind. Da Spencer gerade an einem Song gegen die republikanische Senatorin von Tennessee mitgewirkt hat und Celisse u.a. 2016 mit dem Song „Freedom“ sich gegen rassistische Polizeigewalt ausgesprochen hat, darf man die Zusammenstellung des Line Up – John Mellencamp ist auch dabei! – getrost als politisches Statement verstehen.

Dylans Sichtweise der amerikanischen Gesellschaft konfrontiert seit jeher die Versprechen der Gründerväter mit der Realität amerikanischer Geschichte und Gegenwart. Auch Beyoncé steht für die universellen Menschenrechte. Und sie ist für viele junge Amerikanerinnen und Amerikaner – ob schwarz oder weiß – eine positive Identifikationsfigur für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft. Der „Billboard“ fragte sich schon 2017 ob Beyoncé eine legitime Nachfolgerin Bob Dylans in dieser Hinsicht sei.

Stimmen der Hoffnung

In diesen Tagen wird viel Häme und Hass über Beyoncés Album „Cowboy Carter“ vergossen. Hier kommt die Hauptkritik vom eher rechten Spektrum. Die andere große weibliche amerikanische Pop-Figur – Taylor Swift – sorgt ebenfalls für viel Häme und Unverständnis. Und das auch von eher progressiven Zeitgenossen. So verwahrten sich Internetkommentare dagegen Joan Baez und Taylor Swift in einem Atemzug zu nennen. Und lassen dabei völlig außer Auge, dass sich Taylor Swift öffentlich ebenfalls politisch ganz klar progressiv verortet hat. Bob Dylan und Joan Baez waren das Traumpaar einer demokratischen, kritischen Jugend als die USA ähnlich polarisiert waren. 60 Jahre und eine Mondlandung später, die auch geprägt waren durch die Veränderung von Musik, ihrer Rezeption, ihrer Herstellung, ihrer Aufbewahrung und Vertriebswege durch MTV, Digitalisierung und Globalisierung sollte man verstehen, dass von Beyoncé und Taylor Swift unter den heutigen Bedingungen eine ähnliche Wirkung ausgehen könnte. Sie haben als Identifikationsfiguren die Möglichkeit, Menschen davon abzuhalten Ihre Stimme Anti-Demokraten zu geben oder gar nicht zu wählen. Stimmen der Hoffnung also.