Archive for November 2024

Günter Ramsauer: Schlag Worte Schmerz. MixTextMindCuts

10. November 2024

„Was will uns der Künstler damit sagen“ ist eine gerne genommene Floskel, wenn es um die Interpretation von Kunstwerken geht. Ob bei bildender Kunst oder bei Lyrik. Dabei scheint der gegenteilige Ansatz der sinnvollere zu sein: „Welche Gedanken und Gefühle weckt das Kunstwerk in Dir?“ Nimmt man diese Herangehensweise, dann kommt man dem Sinn und Nutzen für den Leser gerade bei der sogenannten „Stream Of Conciousness“-Literatur viel näher, als wenn man Zuflucht bei der vermeintlichen Autorität des Autors sucht. Sei es bei den Texten von Joyce oder Faulkner, sei es bei den Songlyrics von Bob Dylan.

Copyright: Truth & Lies Press

Freie Assoziationen aus Popsong-Begriffen

Der Musikjournalist Günter Ramsauer hat nun Gedichttexte veröffentlicht, die eben seinen Bewusstseinsströmen folgen und trotzdem beim Leser ganz individuelle Gedanken erzeugen. Ramsauer nimmt aus Popsongs einzelne Wörter oder Zeilen und assoziiert sie frei weiter. So entstehen Bilder, die entweder Zeile für Zeile oder aber in der Beziehung der Zeilen untereinander wiederum beim Leser eigene Gedanken und Gefühle hervorrufen.

Die Texte mit Namen wie „Herzen in Dosen“, „Geisterfahrer und Zwang“, Duell Duett & Drama oder „Mädchen und Jungs“ führen über Begriffe, Wortpaare und Metaphern beim Lesenden zu völlig neuen Bedeutungsebenen. Sie ist somit eine höchst demokratische Lyrik. Sie dient nicht nur der Erbauung durch schöne Reime und wohlfeile Bilder, sondern führt manchmal in ihrer Verstörung durch absurde Wortpaarungen zu völlig neuen Zusammenhängen.

Faszinierende Vielschichtigkeit der Bedeutungsebenen

Beispiel gefällig? „Wir müssen raus hier/ Fort und weg/ Ins Niemandsland/ Such- und Versteckspiele/ Sucht- und Verderbdiebe/ Gnade und Erbarmen/ Am Fluss der Versuchung“ heißt es im Gedicht „Keller Mauern Schläge“. Für den Schreiber dieser Zeilen drängt sich das Thema auf, wie schnell die Suche nach Lebensalternativen in neue, andere und oftmals noch ausweglosere Abhängigkeiten geführt hat und immer wieder führen. Andere könnten gefährliche Liebschaften hier hineininterpretieren. Der Inhalt ist flexibel und das ist auch gut so.

Ramsauers Gedichttexte, die von einer feinen Einleitung von Heino Walter eröffnet werden, sind in ihrer Vielschichtigkeit faszinierend. Denn bei jeder neuen Lektüre, ergeben sich neue Bedeutungsebenen. Günter Ramsauer leistet mit seinem Verlag „truth & lies press“ wichtige Arbeit in Sachen deutscher Popliteratur. Mit dem vorliegenden Werk zeigt er, wie auch die deutsche Sprache sich für die Beatpoesie eignet. Lyrics mit dem richtigen Beat, einem guten Rhythmus und viel kreativer Phantasie. Wenn man sich darauf einlässt, bereichern sie einen. Gerade in diesen Zeiten der autoritären Absolutheit machen sie den Kopf frei für einen emanzipatorischen Umgang mit der Sprache.

Prädikat: Höchst lesenswert!

Günter Ramsauer, Schlag Worte Schmerz. MixTextMindCuts, truth & lies press, Esslingen 2024, 6, 99 Euro, zu beziehen über https://www.epubli.com/shop/schlag-worte-schmerz-9783759893123

Jetzt erst recht: Für das andere Amerika kämpfen!

8. November 2024

Wenn die USA im Würgegriff des Trumpismus sind, dann müssen wir uns mit den amerikanischen progressiven Kräften unterhaken

Billy Bragg und das Motto von Woody Guthrie, Copyright: Billy Bragg

Es war schockierend und ernüchternd: Eine deutliche Mehrheit der Amerikaner:innen hat für Donald Trump als Präsidenten gestimmt, seine Parte hat die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus. Dem Trumpismus als autoritäre Staatsform sind Tür und Tor geöffnet. Dazu noch die konservtive Mehrheit im Supreme Court. Das Land kann nun nach Gutdünken von Trump, Musk & Co umgebaut werden.

Auch weiße Arbeiter werden nichts durch Trump und Musk gewinnen

Man kann schon Angst haben davor, was das für Schwarze, Frauen, Student:innen, Homosexuelle, Transgender und Muslime und auch Juden bedeutet. Man muss aber auch Angst davor haben, was das für die Arbeitsbeziehungen, die Rechte der Arbeitnehmenden und die Gewerkschaften heißt. Wo Musk draufsteht, steckt Drangsalierung von Mitarbeitenden und Gewerkschaftsfeindlichkeit drin. Die weißen Arbeiter werden auf Strecke gesehen nichts von diesem Regiment der Terrorclowns haben. Nur die dümmsten Kälber…

Es soll ein Hire und Fire-Staat werden, ein Staat völlig entkernt von jeglichem sozialen und gemeinschaftsbildenden Auftrag, das Bildungswesen privatisiert, ebenso Justiz, Gefängnisse und Abschiebezentren.

Werden die USA zu einem Iran des Westens

Es stellt sich die Frage, wann und wie und in welcher Konsequenz und Schärfe Trump seinen Rachefeldzug gegen seine politischen Gegner führen wird. Es stellt sich die Frage, wie sich die liberalen Staaten gegen die autoritäre Bundesregierung verhalten werden und vice versa. Es stellt sich die Frage, wieviel legaler Protest der Graswurzelbewegungen, der Frauenorganisationen, der schwarzen Community oder der Gewerkschaften noch möglich sein wird. Es stellt sich die Frage, inwieweit paramilitärische Organisationen wie die „Proud Boys“ mit Billigung von Trump gewalttätig gegen die protestierende Zivilgesellschaft vorgehen können. Und welchen Einfluss die Evangelikalen bekommen? Werden die USA zu einem Iran des Westens?

Wie gehen Hollywood und die liberale Musikszene mit der Trump-Herrschaft um? Aufstehen, rebellieren oder in die innere Emigration gehen oder auswandern? Wie lange darf die Musik des anderen Amerika noch gespielt werden? Es wird sehr spannend, es wird ernst. So mancher, auch der Schreiber dieser Zeilen hat solche politisch ernsten und gefährlichen Zeiten – auch hierzulande und in Europa – noch nicht erlebt.

Mit unseren Freunden  dagegen kämpfen und singen – die Americana-Reihe geht weiter!

Jetzt heißt es für alle, die gegen die Autoritären, die gegen die Faschisten aufstehen wollen, zusammenstehen. Und hierzulande heißt es für alle demokratischen Kräfte: Klare Worte und Taten folgen lassen: Keine Zusammenarbeit mit Faschisten! Und endlich eine sozial gerechte Politik,  Steuergerechtigkeit und ein Aus für die Schuldenbremse verbinden mit dem Kampf um eine gesellschaftliche Mehrheit: Mehr politische Bildung, mehr Jugendarbeit und mehr Verständnis für die Wirksamkeit der Social Media bei Jugendlichen.

Wir müssen gewillt sein, den Kampf anzunehmen. Für uns Freunde des anderen Amerika heißt das: Wir singen weiter die Lieder des anderen Amerika. Dessen Musiker sind uns weiterhin willkommen. Wir gehen weiter in der Tradition von Woody Guthrie, Pete Seeger, Joan Baez, Bob Dylan und Phil Ochs und connecten uns mit der Musik von aktuellen Künstler:innen wie Jason Isbell, Natalie Merchant, Rhiannon Giddens oder SONiA disappear fear. Die Darmstädter Americana-Reihe wird jetzt erst recht weiter bestehen!