Archive for Juli 2025

Various Artists: I Shall Be Released. Covers Of Bob Dylan 1963-1970

26. Juli 2025

Eine feine Zusammenstellung: Drei CDs mit Bob Dylan Coverversionen mit ausführlichen editorischen Anmerkungen

Bob Dylan ist wahrscheinlich der meistgecoverte Einzelkünstler der populären Musik. Die Zahl der Cover- und Tribute-Alben ist Legion. Gerade erst hat Joan Osborne im Frühjahr Live-Versionen von Bob Dylan-Songs veröffentlicht, da bringt das Label Cherry Red Records eine 3-CD Box (!) mit Coverversionen von 1963 – 1970 heraus. Braucht man die?

Als Dylan-Fan: Aber ja doch! Denn im Gegensatz zu oftmals billig zusammengeschusterten Kompilationen ist dies hier eine editorisch sorgsam bearbeitete Sammlung von Dylan-Covers. Die Leistung dieser Kompilation besteht darin, abseits der bekannten Dylan-Apologeten auch unbekannte Perlen zu entdecken und damit ein ganzes Jahrzehnt, die Sixties, in all ihrem musikalischem Facettenreichtum abzubilden.

So lernt auch der eine oder andere Dylan-Fan bislang weniger bekannte Pretiosen zu schätzen. Los geht der Reigen mit Lorenzo „Laurel“ Aitken, der neben Desmond Dekker als einer der Begründer der jamaikanischen Ska-Musik gilt. Er sang 1967 „Blowin‘ In The Wind“. Im Folgenden sind natürlich auch die bekannten Namen wie die Byrds, Flatt & Scruggs, Cher oder Fairport Covention vertreten. Aber für diese Kompilation wurden eben nicht bekanntesten Dylan-Coves der Künstler, sondern die unbekannteren ausgewählt. Beispiele gefällig? Cher ist hier mit „Masters Of War“ am Start, die Byrds mit „Spanish Harlem Incident“ und von Julia Driscoll & Brian Auger ist eben nicht „This Wheel’s On Fire“, sondern die B-Seite „I Am A Lonesome Hobo“ in die Sammlung aufgenommen worden.

Und es gibt noch viele weitere feine Musik zu entdecken. Nahezu alle Genres sind vertreten. Sunshine Pop mit der Band The Association, die „One Too Many Mornings” beisteuert. Psychedelic Rock mit The Rainbow Press, die mit “As I Went Out In The Morning” vertreten sind. R&B und Soul von The Alan Bown Set mit “All Along The Watchtower. Folk-Rock mit dem Duo Jim & Jean, die “Lay Down Your Weary Tune“ gecovert haben. Und und und. Insgesamt 63 Tracks enthält die Box.

Und neben der musikalischen Vielfalt, die auch für Musikliebhaber, die keine großen Dylan-Fans sind, interessant ist, zeigt sich hier wieder einmal Bob Dylans großes kompositorisches Können. Seine Werke funktionieren in fast jedem musikalischen Kontext. Und so beweist auch diese Zusammenstellung einmal mehr Dylans Ausnahmestellung als Songwriter.

Die 3-CD-Box ist gerade eben bei Cherry Red Records erschienen. Für das Gesamtprojekt und die editorischen Hinweise, in denen alle Künstler mit ihren Werken in wenigen Sätzen vorgestellt werden, zeichnet Russell Beecher verantwortlich. Guter Mann!

“I hope we played something that you came to hear”

25. Juli 2025

Von Nr. 50 zu Nr.1: Erinnerungen an Bob Dylan in Mannheim 1981

Das Plakat: Mannheim 1981

Nachdem klar ist, dass ich in Brüssel im Herbst meine Dylan-Konzerte Nr. 49 und Nr. 50 erleben werde, da denke ich angesichts des Jubiläums schon immer mal wieder zurück auf mein allerstes Bob-Konzert am 18. Juli im Mannheimer Eisstadion.

Ich hatte Dylan mit „Desire“ kennengelernt, „Hard Rain“ im Fernsehen und „Renaldo & Clara“ und „The Last Waltz“ im Kino gesehen, „Street Legal“ und „Budokan“ gehört, dann kam „Slow Train Coming“, da war ja Mark Knopfler dabei, das fand ich damals musikalisch klasse. Inhaltlich stöhnte ich damals auf wegen der vielen Jesus-Songs. Also erklärte ich kurzerhand Jesus zur Frau und sang bei „I Believe In You“ und Precious Angel lauthals mit. Mit „Saved“ konnte ich dann noch weniger anfangen und das Mitsingen bei „Convenant Woman“ und „What Can I Do For You“ machte auch nur noch leidlich Spaß.

Bob Dylan wieder in Deutschland

Und dann die Nachricht: Dylan spielt wieder in Deutschland! Die 1978er Konzerte waren für mich zu früh gekommen, jetzt aber wollte ich die Chance nutzen. Also fuhr ich mit Freunden nach Mannheim. Am 18. Juli 1981. Am Nachmittag beim Treffen vor der Abfahrt hörten wir dann noch „Heart Of Mine“, das gerade als Singleauskopplung erschienen war, bevor das neue Album dann im August veröffentlicht wurde. Das hörte sich musikalisch besser an als „Saved“, war aber nicht so perfekt produziert wie die Songs von „Slow Train Coming“. Und dann ging es los!

Mittlerweile war das Konzert – war es das Wetter, das zu geringe Zuschauerinteresse? – verlegt worden vom Mannheimer Rhein-Neckar-Stadion ins Eisstadion. Dort angekommen, standen wir gefühlt stundenlang davor, um uns gute Stehplätze sichern zu können. Es regnete ein bisschen und wenn man den Gesprächen der anderen Wartenden lauschte, dann war das eine Mischung aus Vorfreude, stoischer Haltung zu Dylans Jesus-Ding und spöttischen Kommentaren zu den angeblich immer kleiner werdenden Hallen.

Dann öffneten sich die Tore und es wurde ein bisschen drängelig, aber wir fanden gute Stehplätze im vorderen Hallendrittel. Drinnen angekommen, konnte man das Publikum richtig wahrnehmen. Eine Mischung aus Normalos, Hippies und US-Soldaten. Die waren damals noch in West-Deutschland stationiert und füllten hierzulande so manches Konzert der US-Stars. Durch die Halle waberten mir unbekannte Gerüche, die sich aus Rauchschwaden speisten. Wow, das war spannend!

Schwarze Lederjacke, schwarzes T-Shirt

Irgendwann kam Dylan auf die Bühne. Sein Auftritt war souverän, wie ich fand. Ohne große Show. Er trug eine einfache schwarze Lederjacke und ein schwarzes T-Shirt. Er machte nur wenige Ansagen und predigte in keinerlei Weise. Und ob er in Bad Segeberg wirklich gesagt hat „Wer meine neuen Songs nicht mag ist vom Teufel besessen“ wie sich der Radio Eins-Kollege in einem Radiospecial erinnern wollte, ist höchst zweifelhaft. Denn Bei Olof Björners Bob Talk-Mitschriften der Bad Segeberger Konzerte und aller anderen Deutschland-Konzerte ist dergleichen nicht zu finden: https://bobserve.com/olof/DSN06290%20-%201981%20Europe%20Summer%20Tour.htm#DSN06480

Es würde auch gar nicht passen. Solch ein Satz hätte Dylan im Konzert als frisch konvertierter 1979 gesagt, aber nicht mehr 1981, als er längst wieder alte Songs spielte. Doch ein großer Teil der Presse wollte nicht differenziert urteilen und so wurde Dylan alles Mögliche unterstellt.

Anyway, Bob spielte ein sehr schönes „I Believe In You“, bei „Mr. Tambourine Man“ war der Song „wieder voll da“, wie ein Freund von mir bemerkte, und bei „Ballad Of A Thin Man“ überraschte Dylan mit einer wilden, ausladenden Gestik. Irgendwie strange. So habe ich nachher von Dylan nie mehr gesehen.

Das Ticket: Mannheim 1981

Leichte Unruhe wegen der Gospelfrauen

Natürlich war bei „Like A Rolling Stone“ beste Stimmung, aber den Chorfrauen stand das Publikum doch relativ reserviert gegenüber. Es kam schon ein bisschen Unruhe auf, als eine der Chorfrauen dann solo einen Gospel sang, aber es blieb nach meiner Erinnerung alles im Rahmen. Von Dylans Duett mit Clydie King bei „Let’s Begin“ war ich überrascht und konnte es auch nicht richtig einordnen. Das passte irgendwie nicht zu meinem damaligen Bob-Bild. Und so erging es wohl vielen. Nach dem „großen Schubidu“ 1978 nun also 1981 Gospelsongs und Duette. Viele deutschen Dylan-Fans ärgerten sich einfach, dass der klassische Dylan der frühen und mittleren 1960er Jahre hier in Deutschland einfach nicht live zu hören war, sondern nun Lichtjahre davon entfernt schien. Also klammerte man sich an die alten Hits fest, die Dylan dem Publikum mittlerweile auch wieder gab. Ohne allerdings seine Weiterentwicklung zu verbergen.

Bei „Heart Of Mine“ – kurz vor Ende des regulären Sets – stellte sich Bob ans E-Piano und ihm wurde ein Handtuch umgehängt. Bei „In The Garden“ stellte Bob Dylan seine Band vor und sagte den Satz, der zeigte, dass er durchaus wusste, welche Wirkung seine Setlists entfalten konnten: “I hope we played something that you came to hear”. Mit „In The Garden“ schloss das Konzert auch erstmal. Und da waren wir schon bei 24 Songs!

Dann die Zugaben. Völlig strange dann auch hier der Beginn: Der Background-Chor singt gefühlt schon mal dreiviertel von „Blowin‘ In The Wind“, ehe Dylan nur mit dem Mikro wie ein Schlagersänger aus dem Bühnenhintergrund tritt. Uff, da mussten wir doch schlucken. Am Ende dann eine feine Version von „Knockin‘ On Heaven’s Door“ und die Stimmung war versöhnlich.

Wir verließen Mannheim und ich war zufrieden. Und mit „Infidels“, das im Herbst 1983 erschien, hatte er mich ja dann wieder mit einer offeneren Geisteshaltung endgültig wieder für sich eingenommen. Live sollte ich ihn erst 1987 in Frankfurt bei einem wirklich grauslichen Konzert wieder sehen. Doch der Anfang war gemacht und zehn Jahre später in Offenbach ging es mit meinen Dylan-Live Experiences ja erst so richtig los.

Thomas Waldherr wird nächstes Jahr sein drittes Buch über Bob Dylan veröffentlichen, das den Arbeitstitel „Bob Dylan 1981“ hat und u.a. auch aus verschiedenen Perspektiven auf dessen damalige Deutschland-Tour blicken wird.

Jesse Welles – Protestsänger in Trumps Amerika

11. Juli 2025

Kein neuer Bob Dylan, eher ein neuer Phil Ochs. Auch diese Generation braucht solch einen Sänger

Jesse Welles, Foto: Jesse Welles

Als im Januar 2021 Trumps faschistische MAGA-Horden das Capitol angegriffen hatten, schrieb ich: „Wer schreibt also den Folksong über dieses Ereignis, den man braucht, um die Strippenzieher anzuklagen und der Lächerlichkeit preiszugeben und sie Schimpf und Schande auszusetzen?“ Damals blieb es erstaunlich ruhig. Nun, während der zweiten Trump-Herrschaft, gibt es tatsächlich einen jungen Folksänger, der Trump, MAGA und den gesellschaftlichen Wahnsinn in den USA musikalisch bearbeitet und offen in seinen Songs kritisiert und verspottet.

Musikalischer Protest in altbewährter Weise

Jesse Welles, Jahrgang 1994, heißt der junge Mann, der in altbewährter Weise mit Gitarre und Mundharmonika im Halter die Mächtigen angreift. Mein Dank gilt hier der wunderbaren Julia van Embers, die von ihrem USA-Trip die Nachricht mitbrachte, da gäbe es wieder einen jungen Folksänger, der gegen Tyrannei, Verfolgung und Krieg sänge.

Und tatsächlich wer seine Songs wie „The President“, „War Isn’t Murder“, „The Poor“ oder „Mass Shootings“ hört, der hört unverstellte Kritik und trotzdem feine Lyrik. Natürlich spielt Welles mit dem Bob Dylan-Appeal, aber selbst der frühe Dylan war nie so eindeutig, war vieldeutiger, als es Welles ist. Welles erinnert da mehr an Phil Ochs als an Dylan. Und Dylan hatte Ochs ja vorgeworfen, mehr Journalist als Songwriter zu sein.

Das neue junge Gesicht des Protestsongs

Aber wie auch immer. Auch sechzig Jahre nach dem Folk-Revival giert das Publikum nach solchen Archetypen. Und Welles, der schon eine Dekade Musik macht und Frontmann der Bands Dead Indian und Cosmic American war, hat im vergangenen Jahr die Lücke geschlossen. Nun hat der Protestsong wieder ein junges Gesicht. So sehr man Joan Baez und Neil Young schätzt – die neue Protestgeneration, die Generation „Figh Oligarchy“ und „No Kings“ braucht Musik, die nach vorne schaut und nicht rückwärtsgewandt die Sixties verklärt.

Was Bob Dylan ja nie machte. Er hat die Folk-Revival-Seligkeit implodieren lassen und ist vor Woodstock geflohen. Und genau deswegen hat er die Bedeutung erlangt. All die tagespolitischen Protestsänger wie Phil Ochs oder Barry McGuire kennen heute nur noch Eingeweihte. Indem Dylan aber sich vom Zeitgeist entkoppelte, konnte er zeitlos werden. Und deswegen muss er heute keine neuen Protestsongs schreiben. Von „Masters of War“ über „Hattie Carroll“ bis „All Along The Watchtower” – Dylans böses Amerika ist wieder da, war nie fort. Rüstung, Rassismus, Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkenden – all das ist wieder da und schlimmer denn je.

Mit strubbeliger Schönheit, Spott und klarer Haltung gegen den orangenen Horror-Clown

Und daher ist Jesse Welles hoch anzurechnen, dass er mit offenem Visier diesen Kampf aufnimmt. Dave Matthews hat ihn bei „Farm Aid“ als „einer der besten Songwriter, den ich kenne“ vorgestellt. Aber darum geht es, so glaube ich, gar nicht. Welles artikuliert das, was viele denken, aber nicht aussprechen. Oder man hört sie nicht. Welles hat konsequent Social Media genutzt, bevor er bei Farm Aid und im TV auftrat. Dass er an ein vertrautes Performance-Schema anknüpft steigert seine Massenwirkung. Dass er eine junge strubbelige, lässige Schönheit ist ebenso. Er ist der Gegenentwurf zum orangenen Horror-Clown und seine geschniegelte Regierungsbande. Weite Teile seiner Herbsttournee durch die Staaten ist bereits ausverkauft.

Jesse Welles muss auch weder Bob Dylan noch Phil Ochs sein. Er ist die Stimme der neuen amerikanischen Protestgeneration. Das ist im Augenblick erstmal das einzige, das zählt.

Bob Dylan und die „Zeitenwenden“

5. Juli 2025

Die Musiklegende stand stets mit dem passenden Soundtrack zu den gesellschaftlichen Entwicklungen parat

Copyright: Columbia Records

„Zeitenwende“. In diesen Zeiten, die wissenschaftlich mal als Zeit der Transformation, mal als Zeit der multiplen Krisen bezeichnet werden, trendet jedoch der populäre Begriff der „Zeitenwende“. Mal füllt man ihn mit der Wiederherstellung der „Kriegstüchtigkeit“, mal wird er als Begriff für die weltweite Entwicklung zum Autoritarismus benutzt. Wie auch immer: Die Zeiten der nach dem 2. Weltkrieg errichteten Weltordnung, die auf Regeln, Verträgen und Grundwerten fußte, wird gerade an vielen Orten in der Welt – aktuell natürlich am deutlichsten und dramatischsten in den USA, geradezu pulverisiert. Da aktuelle Analysen ohne historische Betrachtungen sinnlos sind, möchte ich mit diesem Text an andere Zeitenwenden erinnern und daran, dass Bob Dylan immer den passenden Soundtrack dazu geliefert hat.

1961 bis 1965: „The Times They Are A-Changin'“. Bob Dylan und die Erfindung der Sixties

In der massenmedial verkürzten und daher doch allgemein bekannten Bob Dylan-Erzählung wird der Künstler immer noch zu aller erst mit den 1960er Jahren in Verbindung gebracht. Als hätte er in den sechzig Jahren danach nichts mehr gemacht. Dylan sagte selbst vor ein paar Jahren in einem Interview spöttisch-sarkastisch: „Wollte ich jemals die Sixties erwerben? Nein. Aber ich besitze die Sixties.“ Sprich: Er entkommt dem Image des Protest- und Gegenkulturpoeten einfach nicht, so sehr er es auch will. Und das Problem für Bob Dylan ist: Es stimmt ja auch. Dylan war der einflussreichste einzelne Folk-Rock-Künstler der 1960er Jahre. Weil er erst die Stimmung aufgriff und in geniale Musik umwandelte: Die Angst vor dem Atomtod, der Kampf gegen Rassismus und für Bürgerrechte, der Kampf gegen die Kriegstreiber gerannen zu „A Hard Rain’s A Gonna-Fall“, The Lonesome Death Of Hattie Caroll“ und „Masters Of War“.

Und danach stellte er das autonome Individuum in einer veralteten, fremdbestimmten Welt in den Mittelpunkt seiner Songs: „Maggies Farm“, All Along The Watchtower“. So wurde er zur musikalischen Leitfigur erst für die alte, dann für die neue Linke und ihre Emanzipationsbewegungen. Und behielt Nimbus und Image auch, als er längst nur noch privatisierte und als braver amerikanischer Familienvater auf dem Land in Woodstock, New York, lebte.

Wegen ihm sollte das Festival 1969 in Woodstock stattfinden und behielt den Namen, auch wenn es dann später in Bethel seinen Platz fand. Er gab der Zeitenwende vom dumpfen, konsumistischen Eisenhower-Amerika zum Amerika des freiheitlichen Aufbruchs den passenden Soundtrack. Selten hatte sich Amerika binnen eines Jahrzehnts so verändert wie in den 1960ern. Und Dylan war mittendrin. Auch als er gar nicht mehr an der Oberfläche sichtbar war. Er wurde zum Kult, er wurde zum Mythos. Bob Dylan besitzt die Sixties bis heute.

1979-83: „Slow Train Coming“. Das konservative Roll-Back von Jimmy Carter zu Ronald Reagan

In der Tat, Amerika veränderte sich in den 1960er Jahren rasant. „Aber nicht zum Guten“, sagten sich die konservativ-reaktionären Think Tanks der Republikaner. Noch während der Amtszeit von Richard Nixon gegründet, suchte die Heritage Foundation intensiv nach Antworten, um die vermeintliche kulturell-gesellschaftlich-politische Vorherrschaft der Linken in Amerika zu beenden und eine neue konservative Ära einzuläuten. Mit gehörigem Einfluss auf die republikanische Partei, Teile der Wissenschaft und der Medien gelang es ihr eine gewisse Deutungshoheit in den Krisenjahren in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu erlangen. Sie munitionierte Reagans Politik des konservativen Neoliberalismus, der als erster Präsident nach fast 50 Jahren Hand an wichtigen Säulen des New Deal anlegte und den Grundstein für die heutzutage so verhängnisvolle gesellschaftliche Spaltung legte.

Während die Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre nach den gewaltsamen Toden von Martin Luther King und Bobby Kennedy, dem „Kent State Massaker“ in Ohio 1970 und den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ordnungskräften und Black Panter Party sich in den 1970ern immer mehr erschöpfte, wandten sich viele aus der ehemaligen Protestgeneration dem Eskapismus zu. Beschäftigten sich mit Gurus, Meditation oder schlossen sich fundamentalen christlichen „Born Again“-Gruppen an.

Bob Dylans Rolling Thunder Revue, die eigentlich dazu gedacht war, den Geist der Sixties neu entfachen, versandete bezeichnenderweise im Mai 1976 im Mittleren Westen. Doch trotz der Wahl von Jimmy Carter im November 1976 konnte das progressive Feuer nicht wieder erklimmen. Carters Präsidentschaft war gekennzeichnet von einer Wirtschaftskrise, die sich zu einer nationalen Depression auswuchs. Als „Retter“ stilisierte sich dann ausgerechnet Ronald Reagan, der Ende der 1960er als Gouveneur von Kalifornien Studentenproteste gewalttätig niederschlagen ließ. Der ehemalige Schauspieler und B-Movie-Westernheld und langjährige Konzernrepräsentant von General Electric war ein geschickter Kommunikator. Mit seiner unaufgeregten sonoren und geschulten Stimme sowie gut funktonierenden rhetorischen Figuren und Bildern konnte er rechtskonservative Inhalte an die Menschen bringen. So war seine Wirtschafts- und Sozialpolitik konservativ und neoliberal, der öffentliche Sektor und Sozialleistungen wurden deutlich beschnitten. Damit dies bei den einfachen Menschen verfing und diese sich nicht zur Wehr setzten, zielte er auf perfideste Weise auf die rassistische Spaltung. Sein Bild der schwarzen „Welfare Queen“ funktionierte und separierte die weiße Arbeiterklasse von der schwarzen. So entstanden die Reagan-Demokraten. Der Süden wurde republikanisch-rot statt demokratisch-blau. Und das Unheil nahm seinen Lauf.

Copyright: Sony Music

Bob Dylan war während der Anbahnungsphase des konservativen Roll-Backs ganz ein Kind seiner Zeit. Aufgrund von Erschöpfung und persönlichen Krisen fand er Halt in einer fundamental-christlichen Sekte in Südkalifornien. Das wäre nicht das Problem. Doch Dylan war ein überaus eifriger Konvertit. Das ließ sich in seinen Texten lesen, in seinen Konzerten hören. So predigte er während der Konzerte über den Gott der Strafe, der Verdammnis und warnte sogar in einem Konzert im 1980 in Hartford, Connecticut auch ausdrücklich Homosexuelle vor der göttlichen Strafe. Und „Slow Train Coming“ war das Lied zum heraufbrechenden neokonservativen und neopatriotischen Zeitalter in den USA. Ein Geraune darüber wie kaputt Amerika ist, aber dass sich der richtige Zug, der das Gute mit sich führt, schon ankündigt. Langsam, aber er kommt.

Doch Dylan wäre nicht Dylan, hätte er sich nicht auch aus dem fundamentalen Gedankengefängnis wieder befreit. Trotz der Tiraden: Er war weiter mit dem homosexuellen Beat-Poeten Allen Ginsberg befreundet. In einem Interview sagte er später, er wolle in diesen Dingen niemanden etwas vorschreiben, das sei ihm egal. Und sein 1981er Album „Shot of Love“ markiert dann auch seinen Wendepunkt. Er wendet sich wieder weltlichen Sichtweise an. Dass er sich ausgerechnet den anarchisch-öbszönen Comedian Lenny Bruce für ein musikalisches Porträt aussucht, zeigt Dylans wiedergewonnene künstlerische Autonomie.

Doch mehr noch. Hatte er 1979 den „Slow Train“ kommen sehen, so muss er 1983, nachdem Reagan gut zwei Jahre im Amt war, dann gemerkt haben, wohin die Reise geht. „Jokerman“ vom Album „Infidels“ ist, so lyrisch vertrackt er erscheint, auch eine Replik auf den „großen Kommunikator“.

“Well, the rifleman’s stalking the sick and the lame

Preacher man seeks the same, who’ll get there first is uncertain

Nightsticks and water cannons, tear gas, padlocks

Molotov’s cocktails and rocks behind every curtain

False-hearted judges dying in the webs that they spin

Only a matter of time ‚til night comes steppin‘ in’”

Der Rifleman und der Prediger – das ist Reagan. Er macht Politik gegen die Schwachen und versucht, sie kommunikativ zu manipulieren. Reagan war Held vieler B-Western und auch auf dem Titelbild des Titelbilds „American Rifleman“ zu sehen. Das uramerikanische Bild des bösen Predigers findet sich auf „Infidels“ auch im Song „Man Of Peace“.

Copyright: American Rifleman

Während Reagan politisch die 1980er Jahre dominiert, Michael Jackson zum Superstar aufsteigt und Bruce Springsteen mit „Born In The USA“ mit gewisser Eigenschuld bewusst falsch verstanden wird, verliert Dylan in diesem Jahrzehnt seinen künstlerischen Kompass.

2006 – heute: „I Feel A Change Comin‘ On“. Von der Finanzkrise zu Trump

Doch 1997 kommt das Comeback und Dylan legt schon 2003 mit „Masked & Anonymous“ eine dystopische Prophezeiung als Film vor. Ein dysfunktionales, gewalttätiges Amerika wird von eine Diktatorenfamilie regiert.

2006 erscheint „Modern Times“ mit dem Song „Workingman’s Blues“, das den Abstieg der Arbeiterklasse in der globalen Welt mit ihren Produktionsverlagerungen, Standortkonkurrenzen und Lohndrückereien beschreibt.

 “There’s an evenin‘ haze settlin‘ over the town

Starlight by the edge of the creek

The buyin‘ power of the proletariat’s gone down

Money’s gettin‘ shallow and weak

Where the place I love best is a sweet memory

It’s a new path that we trod

They say low wages are reality

If we want to compete abroad”

2008 wird Barack Obama zum Präsidenten gewählt. Auch Dylan unterstützt ihn Anfangs. Doch bereits in der ersten Krise, der Finanzkrise von 2009, handelt Obama nicht für die Menschen, sondern für den Erhalt der Banken. Er lässt sich von Wall Street Bankern beraten. Während unzählige Menschen ihr Erspartes und ihr Eigenheim verlieren, werden die Banken gerettet. Die „Wolfs of Wall Street“ sollen die Schafherde beschützen. Oder: Den Bock zum Gärtner gemacht. Für viele Amerikaner ist der erste schwarze Präsident, derjenige, der ihnen ihr Häuschen genommen hat. Auch Dylan nimmt in den kommenden Jahren Abstand von Obama. Bei Begegnungen ist er aufreizend zurückhaltend und vor der Wiederwahl 2012 lässt er sich im Interview kein positives Statement zu Obama abringen.

Auch „I Feel A Change Comin’ On” vom Album “Together Through Life” wirkt nicht wie ein positiver Song für eine neue Zeit, sondern eher wie ein stoisches Statement zur Endlichkeit. Zwar musikalisch schmissig, aber textlich nüchtern beobachtend das Ende sehend.

2012 erscheint „Tempest“ und Dylan füllt das Album mit Dystopie, Gewalt und Tod. Vom Abgesang auf den Rust Belt (Duquesne Whistle) über das gescheiterte Leben (Long And Wasted Years), dem Serienmörder (Soon After Midnight) bin hin zum Massensterben in „Tin Angel“ und „Tempest“.

2020 dann, am Ende der ersten Trump-Herrschaft und mitten in der Corona-Krise bringt Dylan erst drei Singles und dann Album „Rough And Rowdy Ways“ heraus. „Murder Most Foul“, das Lied über den Kennedy Mord, ist der Schwanengesang auf das amerikanische Jahrhundert.

Diese düstere Stimmung, gepaart mit Selbsteinsichten (I Contain Multitudes) und Liebeserklärungen an Gott (I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You), der Toleranz für andere Glaubensrichtungen und der Erinnerung an die Great Migration (Goodbye Jimmie Reed) und an die Liberalität von „Key West“ als Utopie ist Dylans grundlegendes Werk zu seinem Verständnis unserer Zeit.

Bob Dylans Soundtrack kennzeichnet den Untergang von Gerechtigkeit und Demokratie in den USA. Die Vereinigten Staaten werden bereits jetzt diktatorisch, manipulativ und gewalttätig regiert. Es gibt noch die Hoffnung auf Veränderung, aber sie ist leise und schwelgt in der Erinnerung an Früher und weniger in Vorstellungen einer guten Zukunft.

Copyright: Roadshow Entertainment

Bob Dylan hat auch die kommenden Zeiten beschrieben, siehe „Masked & Anonymous“. Trumps Faschismus ist eine pervertierte Form der bürgerlichen Herrschaft. Der Kapitalismus und die Interessen der Reichen müssen vor den Ansprüchen des Volkes auf soziale Gerechtigkeit, Bildung und intakte Umwelt geschützt werden. Es ist dies mit demokratischen, parlamentarischen Mitteln nicht mehr möglich, dann entledigen sich diese Reichen der Demokratie, indem sie sich auf ein desperates, manipuliertes, gewaltbereites Fußvolk, einen gekauften Supreme Court und viel, viel Geldmacht stützen.

Wird Dylan noch einen Soundtrack zu einer Überwindung dieser Diktatur beisteuern können?