Archive for the ‘Uncategorized’ Category

Vor 30 Jahren: Bob, der Bühnenarbeiter

19. Februar 2023

Dylan arbeitete sich Anfang der 1990er zurück zu künstlerischem Selbstverständnis und musikalischer Bedeutung. Sein Wiesbadener Konzert am 20. Februar 1993 war ein Schritt auf diesem Weg.

Copyright: Marek Lieberberg & Ozzy Hoppe

Dylan-Fan war ich seit 1976. Ich blieb ihm treu auch während der für einen links sozialisierten Jugendlichen schweren Jesus-Jahren. Doch das wirklich schlechte 1987er Konzert und die eigene persönliche Situation mit Studienabschluss und ersten beruflichen Schritten in den Jahren 1989-91 ließen Dylan bei mir in den Hintergrund rücken.

1991 dann die Neuentdeckung mittels der Bootleg Series, des faszinierenden Offenbacher Konzertes – erstes Drittel grausam, zweites Drittel gut, drittes Drittel großartig – seiner ersten akustische Platte „Good As I Been To You“ und dem bis heute unerreichten Jubiläumskonzert von 1992. Das Thema Dylan war wieder voll da bei mir.

Dylan begibt sich an die Arbeit

Also machten wir uns auf den Weg nach Wiesbaden, wo Bob Dylan am 20. Februar 1993 in der Rhein-Main-Halle spielte. Im Vorprogramm trat die „Hands On The Wheel“ auf, eine Band aus der Region, die für meine Ohren damals ein bisschen wie nach Neil Young & Crazy Horse klang. Noch heute sehe ich den Bandleader Tom Ripphahn vor mir mit Gitarre auf den Knien über die Bühne rutschen. Machte auf jeden Fall viel Stimmung und das Dylan-Publikum ging mit den Jungs doch insgesamt pfleglicher um als mit manch anderer Vorband in diesen Jahren.

Und dann kam Dylan. Wurde er 1991 in Offenbach von zwei Roadies geradezu aus dem Dunkeln auf die spärlich beleuchtete Bühne geschubst, um die ersten Augenblicke deutlich schwankend unterwegs zu sein, war es diesmal ganz anders. Eine gut ausgeleuchtete Bühne und ein Dylan, der deutlich sichtbar in gemessenem Schritt sich zur Arbeit begibt.

Dies waren die Jahre als Dylans Band aus Bucky Baxter (pedal steel guitar & electric slide guitar), John Jackson (guitar), Tony Garnier (bass) und Winston Watson (drums & percussion) bestand. Sie spielten gut zwei Stunden und die Stücke wurden von langen Instrumental-Intros und -Soli geprägt. Dylan experimentierte, probierte sich aus, spielte Soli an der Akustikgitarre. Dazu war die Setlist im Gegensatz zu heute immer wieder anders, bis zu einem Drittel der Songs wurden von Konzert zu Konzert ausgetauscht.

Dylan ist experimentierfreudig

Die alte Rhein-Main-Halle in Wiesbaden, die 2006 um ein Foyer erweitert und dann 2014 abgerissen und durch einen ein Neubau, dem RheinMain CongressCenter ersetzt wurde. Copyright: Wikimedia Commons.

In Wiesbaden begann er mit einem Song, den viele im Augenblick gar nicht erkannten: „Folsom Prison Blues“. Den Johnny Cash-Klassiker hatte Dylan 1967 bei den Basement Tapes Sessions mit The Band gespielt und 1969 bei den Nashville-Sessions mit Cash himself. Und nun vom 17. bis 21. Februar 1993 als Auftaktsong seiner Konzerte in Eindhoven, Hannover, Wiesbaden und Petange (Luxemburg). Über das warum kann man nur mutmaßen, vielleicht hing das mit dem am 26. Februar bevorstehenden Geburtstag von Cash zusammen, wer weiß?

Es waren auch die Jahre als Dylan elektrisch verstärkt anfing, dann ein akustisches Set (vier Songs!) einstreute und dann wieder elektrisch weitermachte. Und so enthielt das Programm in Wiesbaden als Hau drauf-Rocknummern angelegte Stücke wie „Memphis Blues Again“ oder „Highway 61 Revisited“ ebenso wie zärtlich-rauhe Versionen von „Tomorrow Night“ oder „Jim Jones“. Das Programm wa rgut gemischt, da standen Klassiker wie „Mr. Tambourine Man“ oder „Don’t Think Twice“ neben weniger bekannten Stücken wie „I’ll Remember You“ oder „Cat’s In The Well“. Dylan Stimme war nicht schön, nicht wirklich sauber, aber nach einer gewissen Anlaufzeit kräftig und ausdrucksvoll. Und nix mit Autopilot: So manches Stück wurde von Dylan geradezu expressiv ausgelebt.

Dylan stimmte hoffnungsfroh

Das Wiesbadener Konzert war wie alle Dylan-Konzerte in diesen Jahren eine „Tour De Force“, bei dem Dylan ehrliche Arbeit ablieferte und durchaus auch bemüht war, neben der Installierung eines Experimentalkorridors auch den Leuten das zu geben, was sie wollten. Bezeichnend mit welch großer Begeisterung das Publikum in der Rhein-Main-Halle den „Mr. Tambourine Man“ goutierte. Aber es waren auch die Jahre der 3000er und 4000er-Hallen, in denen die Eingeweihten die Mehrheit stellte. Dylan war nicht chic wie der Nobelpreisträger nach 2016, als es wieder hieß, Dylan muss man wenigstens einmal gesehen haben.

Für mich war es ebenso wie für die 4000 in Wiesbaden ein begeisterndes Konzert, das nicht die dramatischen Höhen und Tiefen des Offenbacher Konzertes von 1991 hatte, aber dafür viel mehr wohltuende Hoffnung darauf machte, das da noch einiges von Dylan zu erwarten ist. Im Sommer 1993 dann wurde ich Abonnent von John Bauldies „Telegraph“, es folgten „World Gone Wrong“ und „MTV Unplugged“ und die 1990er wurden zu einer spannenden Dylan-Zeit und die Grundlage für meine bis heute anhaltende Freude an der Auseinandersetzung mit Dylans Werk und Wirken.

Setlist Wiesbaden, 20. Februar 1993, Rhein-Main-Halle

1. Folsom Prison Blues (Johnny Cash)

2. The Man In Me

3. All Along The Watchtower

4. Tangled Up In Blue

5. Shooting Star

6. Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again

7. She Belongs To Me

8. Tomorrow Night (Sam Coslow/Will Grosz)

9. Jim Jones (trad. arr. by Bob Dylan)

10. Mr Tambourine Man

11. Don’t Think Twice, It’s All Right

12. Cat’s In The Well

13. I And I

14. The Times They Are A-Changin’

15. Highway 61 Revisited

16. I’ll Remember You

17. Everything Is Broken

18. It Ain’t Me, Babe

Einige Bob Dylan-Tour-Highlights von 1993:

The Water Is Wide

3. Februar 2023

Wie ein alter schottischer Folksong von Pete Seeger ins Folk Revival eingebracht wird, ehe ihn Bob Dylan mit Joan Baez singt, er sich dann in dessen Repertoire festsetzt und sich über die Jahre verändert.

Copyright: Sony Music

The Water Is Wide

„The water is wide and I can’t cross over

Neither have I wings that I could fly

Build me a boat that can carry two

And both shall row my love and I.“

Vollständiger Text hier: https://www.bobdylan.com/songs/water-wide/

Eine Wiederentdeckung

Auf dem soeben veröffentlichten 17. Teil von Bob Dylans Bootleg Series ist unter den vorher offiziell noch nicht erschienen Songs auch einer, der mich vor allem in der Fassung von der Rolling Thunder Review 1975 immer fasziniert hat: „The Water is Wide“. Nun taucht er hier plötzlich wieder auf. Grund genug, zu schauen, welche Bedeutung er im Dylan’schen Oeuvre eigentlich hat.

Bob Dylan und Joan Baez haben ihn damals achtmal auf der ersten RTR gespielt. Eine Aufnahme davon wurde auf der Bootleg Series „Live 1975“ (2002) veröffentlicht. 1976 sang Dylan ihn bei den Sessions zu Eric Claptons Album „No Reason To Cry“. Dylan hat dem Song dann wieder dreimal in seinen Konzerten in den Jahren 1989 und 1990 gespielt. Und nun eben die Veröffentlichung einer Studioeinspielung rund um die Times Out Of Mind Sessions 1997.

Ein alter schottischer Folksong

Cecil Sharp, Copyright: Wikimedia Commons

Der Song beschreibt die Herausforderungen und Veränderungen der Liebe. Von ungestümer und zärtlicher Liebe bis zu einer Liebe, die mit fortschreitender Zeit alt und kühler werden kann. Sogar die „wahre Liebe“, heißt es im Song, kann vergehen. Cecil Sharp, der unzählige Texte alter Folksongs aus England, Schottland und den Appalachen veröffentlichte, publizierte „The Water Is Wide“ 1906.

Wie bei allen Folksongs gibt es eine ganze Reihe von weiteren Songs, die mit ihm verwandt sind. „O Waly Waly“ und „Jamie Douglas“ sind direkte Varianten. Das irische „Carrickfergus“ und der amerikanische Song „Sweet Peggy Gordan“ haben Zeilen oder Versteile übernommen.

Das heutige „The Water Is Wide“ hat Pete Seeger in das Folk Revival eingebracht, dokumentiert durch einen Mitschnitt „The Complete Bowdoin College Concert“ von 1960. Die junge Generation erkannte die Lebensklugheit und ihr gefiel der lebenszugewandte, melancholisch-stoische Charakter des Songs und eignete sich ihn an.

So sangen ihn in den 1960ern sowohl Peter, Paul & Mary (als „There Is A Ship“), als auch Joan Baez. Bob Dylan aber sang ihn erstmals bei seiner 1975er Reunion mit Joanie. Über die Jahre haben sich bis heute viele Musiker an diesem Stoff versucht. Von James Taylor über Eva Cassidy bis zu Jewel.

Die 1975er Version

Dylan und Baez singen das Lied über über die sich verändernden Zustände der Liebe mit Mitte Dreißig. Es ist auch ein Lied über sie selbst. Es ist eine sehr kräftige, lebensbejahende Fassung. Man ist in den besten Jahren, hat auch eine gemeinsame Liebesgeschichte und einige andere davor, daneben und danach. Welches Stadium sie damals erreicht hatten? Who knows?

An dieser Version ist auch seine Session-Jam-Fassung in den Shangri-La Studios mit Clapton und The Band ausgerichtet. Kraftvoll und straight in der Männerrunde.

Die 1989er Version

Diese Fassung ist eine einfache, eher langsamere, ein bisschen ruppige Garagenrock-Version. Das Video von Dublin 1989 zeigt den damals auf der Bühne recht exzentrisch auftretenden Dylan. Er singt und nölt drauflos, ohne allzu viel Gedanken um den Klang, hat die Kapuze seines Hoodie auf, und darunter noch eine Baseball Cap. Alles zusammen lässt auf einen durchaus unsicheren Dylan schließen, bei dem in der Kunst und im Leben scheinbar nicht alles so richtig gut zu laufen scheint.

Die 1990er Version

Hier wagt sich Dylan mit dem Song akustisch vor das Publikum. Die Fassung von Edmonton beinhaltet ein schönes Mundharmonika-Spiel und einen viel zärtlicheren Gesang als ein Jahr vorher. Zärtlichkeit ist hier überhaupt der passende Begriff.

Die 1997er Version

Copyright: Sony Music

Die passt dann bestens ins TOOM-Umfeld. Diese Version klingt eher gebrochen und ein bisschen resignativ. Hier scheint die Liebe eher etwas von Gestern, als von Heute zu sein.

Auch mit diesem Song beweist die Bootleg Series ihre Genialität durch die Dokumentierung, wie stark Dylan an den Songs arbeitet. An Traditionals, aber auch an seinen eigenen, von denen ja viele ebenfalls bereits Traditionals sind.

Von der „Mitten-im Leben-Version“ von 1975 bis zur abgeklärt-resignativen Version von 1997 sind es gerade mal 22 Jahre. Wie würde der Song heute bei Dylan klingen? Doch da Dylan momentan eher die dunklen, abgründigen Seiten der Liebe in seinen Songs auslotet, werden wir wohl so bald keine neue Version von diesem Lied mehr hören, es spricht vieles dafür, dass Dylan dem nichts mehr hinzuzufügen hat.

Oder kommt es doch wieder ganz anders? Schafft es Dylan, auch bei diesem Song eine dunkle Seite herauszuarbeiten? Nur durch ein paar Worte und die Haltung beim Singen? Wir dürfen auch hier wieder gespannt sein.

„60 Different Years“

2. Februar 2023

Mit Gaede feiert ein „Hidden Star“ der Rhein-Main-Americana-Szene seinen runden Geburtstag mit einer gelungenen EP: Stilsichere und souveräne Musik, die ins Ohr geht.

Wer jüngst das große Bruce Springsteen-Tribute in der Darmstädter Americana-Reihe mit Markus Rill, Robert Oberbeck und Maik Garthe oder das Release-Konzert von Wolf Schubert-K. & Friends in Frankfurt miterleben durfte, der konnte sich wieder einmal davon überzeugen: In Rhein-Main lebt das Americana!

Nun hat einer, der – wenn man so will – „Hidden Stars“ der Americana-Szene in Rhein-Main eine neue EP herausgebracht. Gaede hat sich etwas von der Musikszene zurückgezogen, ist schon seit einiger Zeit nicht mehr live aktiv, hat er aber zuletzt immer mal wieder Alben veröffentlicht. Wie vor gut einem Jahr das Doppel-Album „Bubbly & Calmly“. Nun hat er anlässlich seines 60. Geburtstages eine EP mit drei Songs veröffentlicht, die durchaus auch als Resümee dieser sechs Jahrzehnte gelten dürfen: 60 Different Years heißt die Scheibe.

Großes Hörvergnügen

Gaede erfindet das Americana nicht neu, aber er betätigt sich so stilsicher und souverän darin, dass einem die Musik sofort anfliegt. Sie knüpft an bestehende Hörgewohnheiten an und bedient die Erwartungen, die man gemeinhin an das Genre pflegt so perfekt, so dass seine Musik einfach ein großes Hörvergnügen ist. Und so auch bei dieser EP. Wieder wird Gaede musikalisch u.a. von Gitarrist Claus Fischer („Beatles Revival Band“) und von Slide- und Pedal-Steel-Virtuose Mathias „Muli“ Müller unterstützt, die mit ihm zusammen für ein großartiges Klangbild sorgen.

Es geht gleich schwungvoll und ohrwurmverdächtig mit „Different Lives & Different Ways“ los. Der Song erzählt wohin der Weg in 60 Jahren führen kann, und was aus alten Freunden wird. Das ist das Pärchen, das scheinbar glücklich seit Schultagen zusammen ist oder ein anderes Paar, das in prekären Verhältnissen lebt und scheinbar immer weiter den Bach runter geht. So ist das im Leben, die einen sind auf der Sonnenseite, die anderen „on the wrong side of the tracks“.

Schwungvoll und Ohrwurmverdächtig

„Sometimes I See You“ erzählt über den Verlust eines geliebten Menschen, an den man immer wieder denken muss, der einem begleitet, obwohl er tot ist. Den man lachen hört, den man im Schlaf küsst, bis man merkt, dieser geliebte Mensch ist wirklich tot.

Sind die beiden ersten Songs neu geschrieben worden, so ist der dritte Song im Bunde – „Ruin Your Faith“ ein älterer Song. Der Sänger ist wütend auf die Frauen, von denen er sich mies behandelt fühlt. Der Song ist unverkennbar von früher, denn seit einigen Jahren ist Gaede glücklich verheiratet und Vater eines Kindes.

Seinem Kind und seiner Ehe widmet er sich intensiv, aber trotzdem stehen Pläne für Live-Musik an, wie er verrät. Zwei Open Air-Konzerte sollen gespielt werden, zudem wird ein Video zu „Different Lives & Different Ways“ entstehen.

Gaedes Musik macht einfach Spaß. Es wird höchste Zeit, dass sie auf die Konzertbühnen findet. Please, Mr. Gaede!

Zu beziehen als CD durch E-Mail an mathiasgaede@yahoo oder als digitaler Download auf bandcamp: https://gaede.bandcamp.com/album/60-different-years

Gaede live:

Covers, Bootlegs, Fragments, Outtakes

13. Januar 2023

Die musikalischen „Zwischenwelten“ Bob Dylans. Versuch einer Einordnung zwischen „Fragments“, der Bootleg Series 17. Teil, und Ryan Adams‘ „Blood On The Tracks“-Version

Copyright: Columbia Records

Musikveröffentlichungen sind im Kapitalismus im Grundsatz nicht viel anders als andere Warenproduktionen. Wer ein Papiertaschentuch kauft, der hat gewisse Erwartungen an Nasenverträglichkeit etc. Die soll immer gleich gut sein. Die Marke „Tempo“ ist dadurch ein Synonym für Papiertaschentücher geworden. Wer ein Päckchen Tempo kauft, der weiß was ihn erwartet.

Musikveröffentlichungen sind Warenproduktion

Wer ein Album der, sagen wir, Rolling Stones, kauft, der bekommt diese Stücke dann auch im Konzert in derselben Art und Weise zu hören. „Satisfaction“ klingt immer wie „Satisfaction“. Und das ist bei vielen anderen Künstlern auch die Regel. Die Produkte – die Songs! – sind in einer bestimmten Form marktfähig gewesen, daher müssen sie auch immer so bleiben.

Dies blendet natürlich völlig den Entstehungs- und den weiteren Eintwicklungsprozess der Songs aus. Spätestens als Bob Dylan sich Ende der 1960er Jahre weigerte, die sagenumwobenen Basement Tapes zu veröffentlichen, wurde Musikfreunden klar, dass zum umfassenderen Erleben – und vielleicht auch fürs Verständnis – des Werkes eines Musikers nicht nur die offiziell veröffentlichten Alben gehören. Und so begann die große Schattenwelt der Bootlegs. Unveröffentlichte Aufnahmen und Konzertmitschnitte wurden unautorisiert auf den Markt gebracht. Und die Nachfrage war da.

Die geniale Idee der Bootleg Series

Als Bob Dylan 1991 seinen 50. Geburtstag feierte, was sich für unsere Generation damals schon ziemlich alt anfühlte, war er im öffentlichen Bewusstsein eher ein „he was famous long ago“. Künstlerisch nicht auf der Höhe seines Könnens, kommerziell kein großer Faktor mehr. Umso wichtiger war die treue Fangemeinde, die seine Konzerte besuchte und nach allem gierte, was auf Tapes, CD oder Vinyl zu erhalten war. Mit der Entscheidung von Sony und Dylan, die Bootlegs mit Alternativ-Versionen, Outtakes – sprich nicht veröffentlichte Stücke – und Live-Aufnahmen nun einfach selber zu veröffentlichen – denn man war ja selbst die Quelle – war geradezu genial. Die Veröffentlicher hatten ein Stück Deutungshoheit zurückerobert und Einnahmen generiert, die Fans hatten noch mehr Dylan-Musik mit noch mehr Möglichkeiten zu Diskurs und Interpretation und für die musikhistorische Forschung wurden Lücken geschlossen.

Denn nun konnte man am Entstehungsprozess ganzer Alben teilhaben. Man erfuhr viel über die Entstehung von „Like A Rolling Stone“, bekam ein ganz neues Bild vom oft verschmähten „Self Portrait“, und freute sich, endlich die gemeinsamen Aufnahmen von Dylan und Cash in guter Qualität zu hören. Nächster Streich ist nun die Veröffentlichung von Aufnahmen rund um Dylans Comeback-Album „Time Out Of Mind“ von 1997. „Fragments“ heißt der 17. Teil der Bootleg Series und wir dürfen gespannt sein, bereits zwei Songs sind veröffentlicht worden, die so ganz anders klingen als auf der von Daniel Lanois produzierten Scheibe.

Dylan unterläuft ein Prinzip des Musikbusiness

Und noch ein wichtiger Punkt. Durch veröffentlichte Live-Aufnahmen bekam man nämlich auch die Weiterentwicklung der Songs nach ihrer offiziellen Veröffentlichung mit. Und das ist schließlich ein ganz zentraler Bestandteil des Dylan’schen Selbstverständnisses. Denn für Dylan sind die Songs keine Massenware, die immer wieder gleich auszusehen hat. Für Dylan ist die Arbeit an den Songs mit deren Aufnahme zwecks offizieller Veröffentlichung nicht beendet. Er arbeitet auf der Bühne weiter an Ihnen. Manchmal kontinuierlich über viele Jahre, manchmal greift er sie nur kurz auf, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Damit unterläuft er ein Prinzip des Musikbusiness. Und er nimmt damit in Kauf, die zu verlieren, die immer das gleiche von ihm hören wollen. Denn im Musikbetrieb wird auch der Künstler zur Ware, zu Produkten. Die Stones sind die Rocker, bei Queen wird’s pathetisch, bei den Dire Straits wird Gitarre geknopflert. Deswegen gibt es unzählige Coverbands. Weil die Leute das Gewohnte hören wollen. Um so spannender, wenn Künstler andere Künstler ehren, indem sie sich deren Material aneignen und versuchen, dies in ihrer eigenen Art zu interpretieren. So wie am 26. Januar, wenn Markus Rill, Robert Oberbeck und Maik Garthe den großen Bruce Springsteen im Rahmen der Darmstädter Americana-Reihe ehren. (Siehe auch: https://www.knabenschule.de/index.php?id=1224)

Dylan ist einer der meistgecoverten Musiker überhaupt. Immer wieder nehmen sich Musiker seine Songs und spielen sie nach. Manche hängen sklavisch an der Vorlage, andere interpretieren sie sehr frei und wieder andere finden den Weg, etwas eigenes zu schaffen, das neue Hör- und Bedeutungsebenen eines Songs erschließt.

Copyright: Ryan Adams

Das ging schief: Ryan Adams‘ „Blood On The Tracks“

Jüngster Dylan-Apologet ist hier Ryan Adams. Dessen Karriere ist nach seinem öffentlich gewordenen übergriffigem Verhalten gegenüber weiblichen Kolleginnen – er hat sich dann dafür entschuldigt – doch ziemlich ins Stocken geraten. Nun hat er nach Springsteens „Nebraska“ mit Dylans „Blood On The Tracks“ ein weiteres legendäres Album in Gänze neu eingespielt und kostenlos veröffentlicht. Abgesehen von diesem netten Zug können wir natürlich über die Beweggründe Adams spekulieren, aber das interessiert uns an dieser Stelle nicht. Wir wollen die Musik beurteilen, die uns Adams geschenkt hat. Beide Alben sind auf ihre Weise traurig. Bei Springsteen gesellschaftlich, bei Dylan persönlich. Doch während Adams Springsteen grundsätzlich in Sachen Tempo, Rhythmus und Gesang folgt, versucht er bei Dylan mehr eigene Akzente zu setzen.

Leider geht das ziemlich schief. Wo Dylan uns ins Herz trifft, weil er uns quasi gegenübersitzt und seine Songs qeradeaus spielt, arbeitet Adams bei „Tangled Up In Blue“ mit Hall. Der Gesang schwebt über der Musik und über dem Hörer. Es entsteht der Eindruck maximaler Distanzierung und nimmt dem Song somit jegliche Bedeutung. Das wunderbar sentimental-verrückte „Simple Twist Of Fate“ wird von Adams wieder mit Hall, aber auch mit einem Schlagzeug, dass Computer klingt, regelrecht massakriert. Und so geht das leider immer weiter. Bis schließlich „Lily, Rosemarie & The Jack Of Hearts“ von der süffig-dramatischen Spielweise Dylans von Adams in absolute Langeweile überführt wird. Wir waren zuletzt verwöhnt von tollen Coveralben von Bettye LaVette oder Joan Osborne. Dieses hier fällt leider durch.

Dylan covert sich selber

Und so dürfen wir uns in diesem Jahr wieder drauf freuen, dass der Meister sich selbst covert. Mit anderen Versionen der Songs von „Time Out of Mind“ sowie der Weiterentwicklung seiner Songs in den Konzerten. Verlässliche Quellen sagen voraus, dass Dylan ab Ende März wieder tourt. Das freut uns sehr. Denn wir finden Bob Dylans Coverversionen der Dylan-Songs nämlich am schönsten.

Not Dark Yet“ from „Fragments“:

So wird das Dylan-Jahr 2023! Oder eben ganz anders…

4. Januar 2023

Eine nicht ganz ernst gemeinte Vorschau von Thomas Waldherr

Frohes neues Jahr, liebe Dylan-Fans! Was könnte uns das neue Dylan-Jahr bringen? Mögliche Antworten auf diese Frage gibt uns die folgende Chronik des Jahres 2023.

Thomas Waldherr, Foto: Americana

Januar: Auf einer Pressekonferenz zur Bootleg Serie Vol. 17, „Fragments“, fällt Dylan mit der stoisch wiederholten Ankündigung auf, er würde seine beiden Folk-Blues-Alben „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ nun von Daniel Lanois neu abmischen lassen.

Februar: Ein neues Papparazzi-Foto zeigt: Bob Dylan boxt in seinem Club mit Filmstar Jennifer Lawrence. Nach der Veröffentlichung schiebt sein Management ein Statement von Bob hinterher: „She boxes too hard – even for me – she is no Gentleman Jim!“

März: Dylan beginnt seine Frühjahrstour in Japan/Australien/Neuseeland. Insbesondere bei den japanischen Konzerten ist Dylan redselig und erzählt von japanischen Filmen und Regisseur Akira Kurosawa: Legendär wird sein Spruch zum Film „Die Sieben Samurai“: „Yul Brunner was a big star in Japan!“

April: Eröffnung der Landesgartenschau von New Jersey mit einer Ausstellung von 20 Metall-Gartentoren. Von Dylan geschweißt, mit Motiven seiner Songs verziert.

Mai: Dylan beginnt seine US-Frühjahrstour. Bei seinem Aufenthalt in Tulsa, Oklahoma, besucht er erstmals inkognito den Bob Dylan Center. Er verkleidet sich als Bob Dylan, wird nicht erkannt und erreicht im Bob Dylan-Imitatoren-Contest unter 20 Startern nur den 16. Platz.

Juni: Endlich wird offiziell bekannt gegeben, dass die Dreharbeiten für das Biopic mit Timothy Chamalet beginnen. Dylan lässt sich wie folgt zitieren: „These days are so far away for me. I have no memories anymore. Thanks to Elijah Wald to write this story down.“

Juli: Dylan beginnt eine Tour durch Südeuropa. Rund um ein Konzert in Rom wird eine Ausstellung seiner Bilder in den Vatikanischen Museen eröffnet. Es gibt ernst zu nehmende Stimmen, die bezeugen, dass dies erst jetzt nach dem Ableben des ehemaligen Papstes Benedikt möglich geworden sei.

August: Gerüchte über ein neues Album, das Dylan Anfangs des Jahres aufgenommen habe, gehen viral. Angeblich würde es am 29. September erscheinen und hätte den Titel: „My darkest hours with you“.

September: Kein neues Dylan-Album erscheint, stattdessen eine neue Ausgabe der „Bootleg Series“ rund um 50 Jahre „Pat Garrett & Billy The Kid“ mit vielen neuen Versionen von Billy 8, 3, 11, 14 und Zusatzzahl 49.

Oktober: Dylan bricht zur US-Herbsttournee auf und spielt ein geheimes Konzert in Woodstock im Keller von Big Pink. Dylan stellt auf seiner Webite einen Download des Konzertes mit dem Titel „The Voices From The Underworld“ bereit.

November: Auf seinem Abschlusskonzert an Thanksgiving spielt er als ersten und letzten Titel „Turkey Chase“, die Singleauskopplung von „50 Jahre Pat Garrett & Billy The Kid“.

Dezember: Punkt 0 Uhr an Heiligabend veröffentlicht Dylan auf seiner Website ein von ihm neu aufgenommenes Weihnachtslied. Dylan singt „Rudolph the red nosed reindeer“.

Dylan spricht!

20. Dezember 2022

Warum Dylans Interview im Wall Street Journal wieder sehr aufschlussreich ist und damit den passenden Abschluss eines großen Dylan-Jahres bildet

Bob Dylan, © Sony Music

Dylans großes Interview zum neu erschienen Buch im „Wall Street Journal“ ist schlichtweg genauso lesenswert und informativ wie das Buch selbst. Denn Dylan lässt uns hier an seinen Gedanken, seinen künstlerischen Antrieb und seinen Arbeitsprozess teilhaben. Und dabei wird – wie auch beim Buch – klar: der Mann ist auch mit 81 Jahren ungebrochen kreativ, dabei sicherlich mittlerweile auch etwas sehr abgeklärt. Und wenn er auch im Buch hier und da mal in misogynen Anwandlungen einen raushaut – so ist er grundsätzlich doch zutiefst emphatisch und human und der Kunst verpflichtet.

Selbstbewusstsein und ironische Distanz bezüglich der eigenen Bedeutung

Dabei zeigt auch dieses Interview, dass zwischen Information und Selbststilisierung beim alten Dylan oft nur ein schmaler Grat liegt. Wenn er erzählt, die Enkel dachten, er hätte „Oh! Susanna“ geschrieben und die Andrew Sisters gekannt, so kann das sowohl die Anekdote eines liebenden Großvaters, als auch eine Selbsteinordnung als amerikanischer Populärmusiker zwischen Stephen Foster und den Andrew Sisters sein. Und wenn er humorvoll plaudert, dass, wenn Ringo Starr sein Drummer gewesen wäre, dann hätte er auch noch die Beatles sein können, dann zeigt das sowohl ein ironisch distanziertes Verhältnis als auch ein großes Selbstbewusstsein bezüglich seiner immensen musikhistorischen Bedeutung.

Die interessantesten Passagen des Interviews betreffen die moderne Technik und die Corona-Zeit. Dylan ist weder ein rückwärtsgewandter Maschinenstürmer noch ein Schwurbler. Auch wenn sie ihm – wie vielen anderen auch merkwürdig vorkam – hat Dylan ganz pragmatisch die Lockdown-Zeit genutzt, war künstlerisch und handwerklich tätig.

Technologie kann helfen und schaden

„Denken Sie, dass Technologie den Alltag und insbesondere die Kreativität unterstützt oder behindert?“, fragt Interviewer Jeff Slate. Und Dylan antwortet: „Ich denke es geht beides. Es kann die Kreativität behindern, oder es kann eine helfende Hand reichen und ein Assistent sein. Schöpferkraft kann durch den Alltag, das gewöhnliche Leben, das Leben im Hamsterkäfig aufgestaut oder verhindert werden. Eine Datenverarbeitungsmaschine oder ein Softwareprogramm könnte Ihnen helfen, da auszubrechen, Sie über den Berg zu bringen, aber Sie müssen früh aufstehen.“ Und: „Technik ist wie Zauberei, sie ist eine Zaubershow, sie beschwört Geister herauf, sie ist eine Verlängerung unseres Körpers, wie das Rad eine Verlängerung unseres Fußes ist. Aber es könnte der letzte Nagel sein, der in den Sarg der Zivilisation getrieben wird; wir wissen es einfach nicht.“

Und dann erinnert Dylan daran, dass der technische Fortschritt immer schon janusköpfig war. Gutes wie Schreckliches bewirkt hat. Brücken gebaut und Atombomben entwickelt. Die Frage ist immer, was macht die Menschheit aus welchem Antrieb aus ihren jeweiligen technischen Möglichkeiten.

Jede Tour ein eigenes Kunstwerk

Seine Aussagen zum Songschreiben und zum kreativen Prozess zeigen einen 81-jährigen, der sowohl einen unbändigen kreativen Input und Output hat, aber wohl auch seine Ruhepausen braucht. Lesenswert sind auch seine Aussagen zum Tourleben: „Du bist der Herr deines Schicksals. Du manipulierst die Realität und bewegst dich mit der richtigen Einstellung durch Zeit und Raum. Es ist kein einfacher Weg, kein Spiel und Spaß, es ist kein Disney World. Es ist ein offener Raum mit Betonpfeilern und einem Eisenboden, mit Verpflichtungen und Opfern.“

Hier zeigt sich erneut Dylans Arbeitsethos. Eine Konzerttour ist für ihn nicht nur die Möglichkeit zur Reproduktion seiner Kunstwerke vor Publikum, sondern ist selbst ein Kunstwerk. Er gestaltet Raum und Zeit, indem er für mehrere Woche an den verschiedensten Orten seine Musik vor Menschen spielt, beeinflusst er die Realität des großen Ganzen und jedes einzelnen Zuhörers. Jede Tour von Dylan, jede Show von Dylan ist anders. Auch wenn die Setlist jeden Abend die gleiche ist.

Den Schlüssel dazu, warum das so ist, liegt in der Antwort auf die Frage nach seinem favorisierten Musikgenre. Was er nennt – „Western Swing, Hillbilly, Jump Blues, Country Blues, Doo-wop, The Ink Spots, The Mills Brothers, Lowland ballads, Bill Monroe, Bluegrass, Boogie-Woogie“- ist jeden Abend in anderer Mischung in seinen Songs zu hören. Und die Akzentuierung der Mischung kann in einem Song von Abend zu Abend wechseln.

Erklärer seiner selbst

Und so wird Dylan dann doch irgendwie im fortgeschrittenen Alter ein Erklärer seiner selbst. Aber wie er das in diesem Interview wieder macht, ist lesenswert und reiht sich neben großartigen Konzertabenden und der Veröffentlichung eines wundervollen Buches in die tolle Bilanz dieses Jahres ein. Und schafft Vorfreude auf das Dylan-Jahr 2023!

Der Cowboy Band Blog wünscht damit allen seinen Lesern frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! Weiter geht es hier im neuen Jahr!

Und natürlich wieder viel Freude mit Must Be Santa!

Rise up Singin – jetzt auch auf CD!

20. Dezember 2022

Im Bühnenprogramm „Rise Up Singin‘“, das im April auch in der Darmstädter Americana-Reihe zu sehen war, erzählt Steffen Lehndorff vom New Deal der 1930er Jahre und zieht Verbindungslinien zu den heutigen Herausforderungen, Konflikten und Bewegungen. Das Songwriter-Duo Cuppatea (Sigrun Knoche und Joachim Hetscher) beschäftigt sich – neben ihren eigenen Liedern zu aktuellen Themen – schon lange mit den Songs dieser Zeit sowie der Americana-Musik. Sie spielen in diesem Songs aus Musical, Folk, Blues und Oper – u.a. von Woody Guthrie, Leadbelly oder George Gershwin – und lassen damit den „Spirit“ dieser Zeit wieder aufleben. 

Nun, kurz vor Weihnachten, sind einige der markantesten Songs des Programms von Cuppatea aufgrund vieler Nachfragen endlich auf CD veröffentlicht worden. Die Spanne der Songs reicht von „No Depression in Heaven“ von der Carter Family über „The Grand Coulee Dam von Woody Guthrie bis hin zum aktuellen „Lift Every Voice To Sing“ und schließt damit den Bogen vom New Deal bis in die Jetztzeit der Black Lives Matter-Proteste.

Es ist das Verdienst von Cuppatea, diese Musik zusammenzudenken und zusammenzubringen. Mit künstlerisch-politischer Energie, musikalischem Können und performativer Eindringlichkeit. Ein wichtiges und hörenswertes Album.

Die Platte ist hier zu beziehen: https://cuppatea.de/news/last-minute-geschenk-unsere-neue-cd/

Kammerspiel mit Fragezeichen

9. Dezember 2022

Warum Julien Condemines Film „Like A Rolling Stone“ über die Aufnahmesession des Rock-Klassikers letztlich unbefriedigend bleibt

Copyright: Wikimedia Commons

Den kannte ich noch gar nicht. Ein Freund aus Dylan-Fankreisen hatte mir den Tipp gegeben. „Like A Rolling Stone. 1965, im Studio mit Bob Dylan“ ist bis 3.12.2023 in der Arte-Mediathek verfügbar. Eine französische TV-Produktion unter der Regie von Julien Condemine, die dem Phänomen der Entstehung der Aufnahme von „Like A Rolling Stone“ nachgeht. Angeblich auf dem Buch von Greil Marcus basierend.

Doch Greil Marcus liefert hier nur den Ausgangsplot, all seine zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Reflexionen rund um diesen Meilenstein der Rockmusik spielen hier keine Rolle. Regisseur Julien Condemine, Dylan-Darsteller Sébastien Pouderoux und dem Team geht es alleine um die Interaktion Akteure untereinander und dem eigentümlichen Verlauf der Aufnahmen. Man führt ein Kammerspiel auf.

Musikalisches Kammerspiel

Das Setting: Am 15. Juni 1965 geht Bob Dylan ins Studio, am Ende soll „Highway 61 Revisited“, sein neues Album – das erste, das vollständig elektrisch verstärkte Musik enthält – aufgenommen worden sein. Als erstes stellt man sich dem Song „Like A Rolling Stone“. Produzent ist Tom Wilson, als Studiomusiker sind Russ Savakus (E-Bass), Bob Bushnell (Bassgitarre), Bobby Gregg (Schlagzeug), Bruce Langhorne (Tamburin) und Paul Griffin (Klavier) mit dabei. Als Leadgitarrist hat Dylan den virtuosen Mike Bloomfield von der Paul Butterfield Blues mitgebracht, Tom Wilson hat noch Al Kooper als 2. Gitarristen ins Studio geholt.

Grundsätzlich ist die Aufnahmesession interessant, kurzweilig und durchaus auch humorvoll dargestellt. Schließlich hat man es hier mit Regisseur und Schauspielern der Comédie-Française zu tun, die ihr Handwerk verstehen. Nur ist die Vorlage und wie einzelne Figuren angelegt sind, so gar nicht auf der Höhe einer möglichen gesellschaftshistorischen Verortung oder entsprechen schlichtweg nicht den realen Vorbildern.

Warum ist Tom Wilson hier weiß?

Ein Knackpunkt ist die Figur des Produzenten. In diesem Film wird Tom Wilson als weißer, älterer Jazz-Produzent dargestellt, der mit den Gepflogenheiten der Rockwelt fremdelt. Der reale Tom Wilson war zum Zeitpunkt der Aufnahme 34 Jahre alt und Afroamerikaner. Ein schwarzer Bildungsbürger, der zu dieser Zeit der einzige schwarze Produzent im Mainstream der amerikanischen Popmusik. Obwohl er anfangs tatsächlich Dünkel gegen Folk und Rock hegte, schuf er in den 1960er Jahren mit weißen Musikern wie Bob Dylan, The Velvet Underground, Simon & Garfunkel oder Frank Zappa Meisterwerke der Popmusik. Diese Geschichte wäre spannend gewesen und warum ab einem gewissen Zeitpunkt das Dylan-Lager lieber mit dem weißen Country-Produzenten Don Johnston zusammenarbeitete.

Greil Marcus‘ Buch war nur mittelbar die Vorlage des Films, Copyright: Hachette Book Group

Doch leider beschränkt sich die Sensibilität dieser Inszenierung auf ein paar Allgemeinplätze, wenn sich die Protagonisten immer wieder einmal aus der Handlung ausklinken und sich direkt ans Publikum wenden.

Dylan als Autist

Zweiter Knackpunkt ist natürlich die Dylan-Figur. Hätte Dylan tatsächlich so im Studio agiert, er wäre schwer der produktive und kreative Kopf der Rockmusik der Mittsechziger geworden. Lockenkopf, Mundharmonika, Sonnenbrille und gepunktetes Hemd reichen nicht. Sébastien Pouderoux zeigt uns Dylan als Autisten. Arrogant und Unnahbar. Einer, der in Interviews nur verwirrt wirkt – und nicht etwa angriffslustig und originell wie er damals wirklich war. Da ist nichts von der kreativen Spirreligkeit des damaligen Dylan zu sehen. Da fehlt einfach die Energie. Pouderouxs Dylan irrt ziellos durch die Kulisse und wird damit im Laufe des Films immer mehr zur Nebenfigur.

Es gibt schöne Szenen und Situationen mit Al Kooper, der sich an die Orgel mogelt oder Paul Griffin, der sich das ganze Chaos nicht mehr antun will. Aber warum oder wie eigentlich wirklich der Song zu dem denkwürdigen Stück wurde, bleibt nebulös. Wer mit Dylan noch nie was anfangen konnte, wird sich wieder bestätigt fühlen, wer tiefer bohren will in Sachen Dylan, die 1960er und dem Aufstieg des Folk-Rock, bleibt unbefriedigt zurück.

Bemühte dramatische Bearbeitung

Es gibt mittlerweile überall in der Welt viele dramatische Bearbeitungen von Dylans Wirken und seiner Bedeutung für die Rockmusik. Mal bessere, mal schlechtere. Mal enthusiastisch, mal bemüht. Diese hier fällt in die zweite Kategorie und besitzt ihre Legitimität allenfalls als Versuch in den Kammerspielen eines Schauspielhauses. Als Bob Dylan-Stück im französisch-deutschen Kulturkanal Arte hat sie aber nichts verloren.

Zum Film auf Arte geht’s hier:

https://www.arte.tv/de/videos/099752-000-A/like-a-rolling-stone/

Greil Marcus: Folk Music. A Bob Dylan Biography in Seven Songs

3. Dezember 2022

Das neue Buch des Popkritik-Altmeisters erfreut und erhellt, hat aber nicht die Dichte und Stärke früherer Werke

Greil Marcus ist der vielleicht legendärste lebende Popmusikjournalist. Sein ganzes Arbeitsleben lang hat er immer wieder über die Musik von Bob Dylan geschrieben (in der nächsten Ausgabe von Key West beschäftige ich mich systematisch damit). Wohlgemerkt über die Musik und weniger über Dylans Leben. Und so ist diese neue Bob Dylan-Biografie in sieben Songs ebenso wenig eine Biographie wie Dylans 66 Essays über Songs eine Philosophie darstellen. Und beides ist auch überhaupt nicht schlimm. Gut lesbar und erhellend sind beide.

Musik im geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext

Greil Marcus ist ein Meister seines Fachs, wenn es darum geht Musik in einen gesellschaftlichen, historischen, oder ideengeschichtlichen Kontext zu stellen. „Lipstick Traces“, „The Dustbin Of History“ oder „Invisible Republic“ sind popjournalistische Meisterwerke und haben mich stark geprägt in meiner Art, über Musik zu schreiben. Vielleicht war daher die Erwartung an den „neuen Marcus“ dann auch zu hoch. Denn so vergnüglich und erhellend das Buch ist, am Ende hätte ich mir doch mehr erwartet in Sachen Einblick in Dylans Werk und seiner Verbundenheit mit den Zeitläufen. Oder über seinen „Work in Progress“, an dem er Abend für Abend musikalische Revisionen seiner Werke vornimmt, so dass bei gleicher Setlist trotzdem kein Abend dem anderen gleicht. Hätte mir mehr erwartet, warum gerade diese Songs so wichtig sind, um daraus eine (Pseudo-)Biografie abzuleiten.

Stattdessen erzählt er uns zwar wieder interessante Geschichten und schenkt uns waghalsige Gedankensprünge, die mal zwingend, mal abseitig sind. Doch während Dylan die kurze Form gewählt hat, bleiben Marcus‘ abenteuerliche Exkursionen mitunter zu lose verknüpft mit den Dylan-Songs als Forschungsgegenständen und führen manchmal etwas weitschweifig weg von ihnen. Ganz so weit wie der Kritiker Daniel Gewertz auf der Website „the arts fuse“ würde ich dann aber nicht gehen: „An manchen Stellen kann Greil Marcus’ abschweifender Stil wie nervöse Brillanz wirken, an anderen wie eitle Launenhaftigkeit“, schreibt er, um dann aber versöhnlich zu werden: „Was das Buch adelt, ist die Liebe des Kritikers zu seinem zugrunde liegenden Thema: die seelenvolle Suche nach einem wahrhaftigeren Amerika.“

Keine Dylan-Biographie, sondern Gedanken zur amerikanischen Folkmusik

Und im letzteren treffen wir uns dann eben alle. Möglicherweise wäre Marcus besser beraten gewesen, hätte er den übergroßen Bob Dylan-Bezug aus dem Buchtitel genommen. Denn er schreibt keine Biographie über Dylan, sondern äußert frei und assoziativ seine Gedanken über die amerikanische Folkmusik im 20. und 21. Jahrhundert und dabei über die vielleicht wichtigste musikalische Ausdrucksform des „anderen Amerikas“. Und dabei sind die Dylan-Songs mehr verbindende Elemente als eigentliche Betrachtungsgegenstände.

Sehr gut startet das Buch mit der Beschäftigung mit „Blowin‘ In The Wind“. Von der Vorgeschichte mit „No More Auction Block“ über die Geschichte des Songs als musikalischer Beitrag zur Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren bis hin zur pessimistischen gesellschaftspolitischen Conclusio im Angesicht der Ermordung George Floyds und den „Black Lives Matter“-Protesten.

Doch schon im zweiten Kapitel verirrt man sich in Marcus‘ Gedankenläufen. Um welchen Song geht es hier? „The Lonesome Death Of Hattie Caroll“ oder „The Times Are A-Changin‘“? Und was haben „Fleetwood Mac“ und „Rumours“ damit zu tun? Too Much!

Eines der interessantesten Kapitel im Buch behandelt „Desolation Row“. Denn es zeigt die Stärken und Schwächen des Buches wie im Brennglas auf. Sehr gut erzählt Marcus über die „versteckte Geschichte“. Der dreifache Lynchmord von Duluth, Minnesota im Jahre 1920 ist schon zwei Jahre kein öffentliches Thema mehr in der Stadt. Aber hinter vorgehaltener Hand wird erinnert, geraunt, geflüstert. Und Marcus sinniert, inwieweit Abe Zimmerman, Dylans Vater, der acht Jahre alt war, als der Mob die schwarzen Zirkusarbeiter ermordete, seinem Sohn Bob davon erzählt hat.

Es spricht schon einiges dafür, dass in der Familie Zimmerman, die vor den antijüdischen russischen Pogromen 1905 in die USA geflohen waren, diese Morde Thema waren. Denn auch im vorgeblichen Land der Freiheit erlebte man nun rassistischen Terror. Dies wird nicht spurlos an der Familie Zimmerman vorbeigegangen sein. Hier bleibt Marcus überraschend unbestimmt.

Greil Marcus, Foto: Wikimedia Commons

„Jim Jones“ und „Murder Most Foul“ zeigen Dylans Schaffensprozess und seine Stellung in der Folkmusik

Am nächsten kommt das Buch Dylans Schaffensprozess und wird damit stark, wenn Marcus den Song „Jim Jones“ zum Anlass nimmt, um Bob Dylans Wurzeln im Folk und im Greenwich Village zu erzählen. Er nimmt Mike Seeger, Bruder des weitaus berühmteren Pete Seeger und Frontmann der „New Lost City Ramblers“ als Referenzkünstler zu Dylan. Dylan konnte die Folksongs nicht so spielen wie Mike Seeger, er konnte sie besser spielen, weil er nicht nur ihre Tradition respektierte, sondern auch der Tradition etwas Neues, eigenes hinzufügte, schreibt Marcus sinngemäß in diesem Abschnitt des Buches. Und kommt darauf zu sprechen, dass Dylan als er seinen künstlerischen Kompass zu verlieren schien, sich anhand alter Folksongs auf Album und im Studio wieder selbst aus dem Sumpf zog.

Mit Spannung erwartet wurde natürlich das Kapitel über „Murder Most Foul“.  Und es ist tatsächlich der krönende Abschluss auf hohem Niveau, dass Marcus während des Buches nicht immer durchhalten konnte. Wie er hier Dylans eigene Verwobenheit in der Rezeption des Kennedy-Mordes mit dessen verunglückter Tom Paine Award-Rede in Verbindung herausstellt, zeigt, dass Dylan der Kennedy-Mord nie losgelassen hat, so dass er 2020 mitten im Lockdown den 17-minütigen Song „Murder Most Foul“ veröffentlicht hat. Und dieser Song erzählt von Amerika, und dieser Song ist auch gleich zwei Songs in einem. Erzählung über das Kennedy-Attentat und amerikanische Popgeschichte zugleich. Er ist aber auch das Echo der alten topical Folk Songs. Und Dylan ist plötzlich Clarence Ashley oder Sara & Maybelle Carter. Oder Mike Seeger.

In diese Reihe stellt Marcus Bob Dylan. Dylan hatte noch diese alten Folksänger spielen sehen und gesehen was mit ihnen aus der Welt gegangen sei.  Und Greil Marcus stellt die abschließende Frage: Was wird dereinst mit Bob Dylan aus der Welt gehen?

Fazit:  Ein „Must Have“ für jeden Bob Dylan und Folkmusik-Interessierten. Auch wenn es nicht die Stärke und Dichte früherer Arbeiten hat, bleibt Greil Marcus‘ Ansatz die Musik zu erklären weiterhin spannend und unverzichtbar.

„Dylans Begeisterung und Staunen sind ansteckend“

19. November 2022

Darmstädter Americana-Reihe feierte Bob Dylan anlässlich der Veröffentlichung seiner „Philosophie des modernen Songs“/ Vollbesetzte Halle der Bessunger Knabenschule/Glänzend aufgelegtes Ensemble und begeistertes Publikum

Alle Mitwirkenden freuten sich mit dem Publikum über einen wunderbaren, Funken sprühenden Abend, Foto: Americana

Es war wieder einmal mehr ein rauschender und Funken sprühender Abend in der Darmstädter Americana-Reihe. In der vollbesetzten Veranstaltungshalle des Kulturzentrums Bessunger Knabenschule entwickelte sich ein denkwürdiger Event, der das Publikum begeisterte.

Gedenken an Kristof Schreuf

In seinem Eröffnungs-Statement erklärte Americana-Kurator Thomas Waldherr, wie sehr man sich auf Conny Lösch gefreut hatte und wie traurig man über ihre Absage wegen des Todes ihres Mannes sei. Und er sprach von der Bestürzung über den Tod ihres Mannes Kristof Schreuf, der ein bekannter Musiker und Journalist gewesen war und maßgeblich die sogenannte Hamburger Schule der Popmusik beeinflusst hatte. Mit einem Augenblick der Stille gedachte man dem Verstorbenen und sendete gute Wünsche an Conny Lösch.

Thomas Waldherr und die „Dylan-Allstars“, Dan Dietrich, Philip Wetzel, Martin Grieben und Bernd Hoffmann, Foto: Americana

Ausgewählte Songs in Wort- und Musikbeiträgen

Das Programm des Abends begann dann mit Dylans „When I Paint My Masterpiece“ gespielt von den „Dylan All-Stars“, Dan Dietrich, Martin Grieben und Four Chords & The Truth aka Bernd Hoffmann und Philipp Wetzel. Thomas Waldherr bedankte sich dann beim C.H. Beck-Verlag für die Unterstützung des Abends und stellte Mitwirkende und Ablauf vor.

In der Folge las Waldherr Passagen aus dem Buch zu ausgewählten Songs, die die Musiker dann in ihren Interpretationen auf die Bühne brachten. Martin Grieben widmete sich mit großer Spielfreude der Abteilung Rock’n’Roll und Blues mit „Tutti Frutti“ von Little Richard und „Key To The Highway“ von Big Bill Broonzy. Dan Dietrich drückte „Ball Of Confusion“ von den Temptations und „Come Rain And Come Shine“ von Judy Garland seinen eigenen Stempel auf. Für die Country-Abteilung war dann Four Chords & The Truth zuständig. In lässig, gekonnter Manier ließen Bernd Hoffmann und Philipp Wetzel mit „Big River“ von Johnny Cash und „Pancho & Lefty“ die Klassiker der Countrymusik erklingen.

Einordnung des Buches in Dylans Werk durch Heinrich Detering

In zwei Talkrunden wurde dann Heinrich Detering, Deutschlands bedeutendster Dylan-Experte, zu Dylans neuem Buch sowie zu Dylan und anderen großen Songwritern befragt. „Es geht ihm wohl eher um eine offene Auswahl von Songs, mit denen er für seine Zwecke etwas anfangen, an denen er etwas Bestimmtes zeigen kann. Songs, die etwas an einem bestimmen Aspekt der amerikanischen Kultur zeigen oder die ihn zu poetischen Einfällen anregen“, sagte dabei Detering zur Frage, warum wichtige Songwriter wie Lennon/McCartney oder Leonard Cohen nicht vorkämen.

In zwei Talkrunden ging Heinrich Detering (links), befragt von Thomas Waldherr, dem Buch und seinem Autor auf den Grund, Foto: Americana

Detering zeigte sich sehr eingenommen von Dylans Buch: „Natürlich ist es wunderbar, wie ernst er es offensichtlich mit dem Satz gemeint hat, die Songs seien sein Philosophie- und sein Gebetbuch. Es gibt nichts im Leben, das er nicht in einer irgendwie kondensierten, geläuterten, verwandelten Form in Songs wiederfindet; diese Begeisterung und dieses Staunen sind ansteckend.“ Auf die Frage, wer neben Dylan der für ihn wichtigste Songwriter sei, führte er Dylans verstorbenen Freund und Kollegen Leonard Cohen an.

Dylan-Songs rütteln auf und geben Hoffnung

Im letzten Teil der Veranstaltung erklangen Songs von Bob Dylan. Dan Dietrich spielte ein, dem aktuellen Zustand der Welt angemessen aufrüttelnde engagierte und emotionale Version des apokalyptischen Frühwerks „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“.  „Four Chords & The Truth“ blieben beim Country, präsentierten ein humorvolles „Walkin‘ Down The Line“ und brachten den Saal zum Mitsingen. Martin Grieben folgte mit einer feinen, sehr berührenden Version des ebenso epischen wie nachdenklichen „Every Grain Of Sand“.

Mit einer zweiten, ungleich schnelleren und härteren Version von „When I Paint My Masterpiece“ endete dann das Programm mit tosendem Applaus und vielen lauten Bravo-Rufen. Aller Musiker, Heinrich Detering und Thomas Waldherr sangen dann gemeinsam mit dem Publikum die Zugabe „I Shall Be Released“. Ein gutes, weil tröstliches und hoffnungsvolles Zeichen zum Abschluss dieses wunderbaren Abends, in dem sich in der Musik, in Wortbeiträgen, Lesungen und Gesprächen das ganze Leben mit all seinen Gefühlszuständen abbildete.

Americana 2023 startet mit Bruce Springsteen-Tribute

Es war ein sehr schöner, ergreifender Abschluss des diesjährigen Americana-Programms. Weiter geht es nach einer Advents-/Weihnachts-/Jahreswechselpause am 26. Januar nächsten Jahres. Dann wir mit Bruce Springsteen eine weitere amerikanische Musik-Ikone geehrt. Markus Rill, Robert Oberbeck uns Maik Garthe bestreiten das Programm dieses besonderen Tribute-Abends. Karten können bereits unter www.knabenschule.de erworben werden.