„Sir“ Oliver Mally & Peter Schneider: Almost There

22. Juni 2024

Die beiden „Blues Brothers“ zelebrieren ein Hochamt des Genres

Ich muss bekennen ich bin kein ausgesprochener Blues-Apologet. Ich bin eher verwurzelt in Folk und Old Time Music aus der angelsächsischen Tradition. Wenn diese angereichert wird durch Bluestöne oder ein Künstler zwischen Folk, Blues, Country und Rock (Americana!) dann ist das mehr mein Fall als das reine Bluesschema.

Hochamt des Blues

Umso mehr begeisterte mich daher „Sir“ Oliver Mally bei seinen Gastspielen in der Darmstädter Americana-Reihe. Er spielt dermaßen variabel und humorvoll Blues und Folk und Bob Dylan, dass es eine reine Freude ist. Umso gespannter war ich auf das gemeinsame zweite Album „Almost There“, das der Österreicher Mally mit seinem „Bruder im Geiste“, dem Münchner Peter Schneider, nun vorgelegt hat. Und bei den ersten Tönen dachte ich mir noch „tatsächlich Bluesschema“ ehe mir Song für Song ein immer größer werdendes Lächeln ins Gesicht einprägte. Denn was die beiden Blues Brothers hier zu Gehör geben ist nicht mehr und weniger als ein Hochamt des Blues.

Musik als magischer Song

Denn der Blues ist nicht gleich Blues. Der archaische, schematische Blues des Delta hat einen leichtfüßig pickenden Verwandten in der Piedmont-Region der Appalachen, der eng mit dem Ragtime verbunden ist. Und es gibt den Texas-Blues, der im Original mit Jazz-Improvisationen angereichert war. Und den elektrifizierten Chicago Blues. Mit all dem – dem Erbe von Robert Johnson, B.B. King oder John Lee Hooker – gehen die beiden Protagonisten sehr souverän um. Sie spielen durchweg slow, aber so intensiv, tief und abwechslungsreich, dass es nie langweilig wird. Im Gegenteil: Die Chemie der beiden Musiker stimmt so sehr, dass die beiden uns mit ihrer Musik und ihren Geschichten zwischen Witz und Tragik hineinziehen in einen Sog, aus dem man am Ende gar nicht mehr heraus will.

Entschleunigte, knisternde Atmosphäre

Auf der Grundlage ihres Blueskönnens ergänzt Peter Schneider die Bluestöne und -Geschichten der beiden kongenial um die Instrumentierung mit Lapsteel, Dobro, Blues Harp, Baritone, Slide und Steelstring Gitarren. Es entsteht eine völlig entschleunigte, knisternde Atmosphäre. Und jeder Song wie der Titeltrack „Almost There“, „Lot’s Of Rain“ oder “Honeytrap Blues” ist eine kleine Pretiose. Und das ganze Album? Einfach magisch. Zwei Bluesmaster auf dem Zenit ihres Könnens!

Trackliste:

  1. Od’d
  2. Almost There
  3. Lots Of Rain
  4. Rain Fell Hard
  5. Spellbound
  6. Everybody Knows
  7. Good Clean Dirty Fun
  8. Honeytrap Blues
  9. This Road
  10. Milk & Honey

Da kommt was Neues, aber was?

22. Juni 2024

Outlaw Tour: Bob Dylans erhoffte neue Setlist ist da. Und was fangen wir damit jetzt an?

Alles haben es herbeigesehnt. Nachdem Bob Dylan konsequent seine Rough And Rowdy Ways-Tour von Herbst 2021 bis zum Frühjahr 2024 durchgezogen hat, ahnte und hoffe man in der Dylan-Welt, dass die Outlaw-Tour etwas Neues bringen möge. Und tatsächlich kam es so.

Jim Keltner neu, Donnie Herron nicht mehr dabei

So blieb der Wechsel des Drummers nicht die einzige Veränderung der Band. Statt John Pentecost war es in Alpharetta, Georgia, zum Tour-Auftakt, niemand anderes als Trommel-Veteran Jim Keltner, der die Stöcke schwang. Der mittlerweile 82-jährige bestätigte das Klassentreffen-Feeling dieser Tour. Nelson, Dylan, Keltner, Plant, Krauss, Mellencamp – die Leute haben so oft schon zusammengearbeitet, dass man beim zählen kaum nachkommt.

Nicht dabei zum Tour-Auftakt war Donnie Herron. Also kein Lap Steel, keine Mandoline, Geige oder Trompete. Schade, finde ich. Der trug viel zum Sound bei und war seit fast 20 Jahren, seit 2005 – fester Bestandteil der Band. Eine Veränderung, die sich nicht aufdrängte. Sollte es dabei bleiben, dann vielen Dank für deine tolle Musik, Donnie! Ansonsten das bekannte Personal mit Bob Britt, Doug Lancio an den Gitarren und Tony Garnier am Bass.

Slow aber niemals langweilig

Musikalisch ist es slow, aber eben nicht langweilig oder gar uninspiriert. Was man bislang gehört klingt gut, klingt aber auch nicht so, dass es nicht noch besser werden könnte. Dylans Stimme ist weiterhin richtig gut und besser als vor 30 Jahren. Es fallen die vielen Covers auf, das ist im Grunde die einzige Konstante zu den Konzerten im Frühjahr. Er zollt seinen Helden Tribut. Diesmal gibt es u.a. Songs von Little Walter, Chuck Berry und Hank Williams zu hören.

Wieder viele Cover

Seine eigenen Songs datieren fast ausschließlich aus den 2000er Jahren mit dem Schwerpunkt auf „Tempest“: „Pay In Blood“, Early Roman Kings“, „Scarlet Town“ und das immer wieder fantastische „Long And Wasted Years“, dem bestmöglichen Abschluss-Song eines Dylan-Konzertes. Diesmal noch schrofferer Endpunkt, weil keine Zugaben mehr folgten. „Things Have Changed“ ist wieder da, „Simple Twist Of Fate”, das irgendwie bei der RARW-Tour verloren ging, ebenfalls. Und er spielt „Under The Red Sky“, das er das letzte mal vor über zehn Jahren, im November 2013, gespielt hat.

Was bedeutet die neue Setlist?

Es ist also eine Setlist, die Fragen aufwirft, die erst mit den nächsten Konzerten (vielleicht) beantwortet werden können. Welcher Logik folgt die Auswahl seiner eigenen Songs? Es ist auf alle Fälle eine große Freude, den alten Bob weiterhin zuhören zu können. Wir wünschen Willie Nelson gute Besserung und hoffen, dass er gesund und fit nach der angekündigten kleinen Pause zurückkommt.

Erste Zwischenbilanz folgt Anfang Juli

Wir werden die Tour aufmerksam verfolgen und uns dann Anfang Juli an einer Bilanz des ersten Abschnitts versuchen. Augen- und Ohrenzeuginnen-Bericht inklusive. Stay tuned!

Setlist:

Alpharetta, Georgia, Ameris Bank Amphitheatre, 21. Juni 2024

1.         My Babe (Bob on piano) (song by Little Walter)

2.         Beyond Here Lies Nothin‘ (Bob on piano)

3.         Simple Twist Of Fate (Bob on piano)

4.         Little Queenie (Bob on piano) (song by Chuck Berry)

5.         Mr. Blue (Bob on piano) (song written by DeWayne Blackwell)

6.         Pay In Blood (Bob on piano)

7.         Cold Cold Heart (Bob on piano) (song written by Hank Williams)

8.         Early Roman Kings (Bob on piano)

9.         Under The Red Sky (Bob on piano)

10.       Things Have Changed (Bob on piano)

11.       The Fool (Bob on piano) (song written by Naomi Ford and Lee Hazlewood)

12.       Scarlet Town (Bob on piano)

13.       Long and Wasted Years (Bob on piano)

Rory sings “Mother of Muses”, sings “Murder Most Foul”

2. Juni 2024

Das Dylan-Cover-Album von Rory Block überrascht mit selten nachgespielten Dylan-Songs

Copyright: Stony Plain Records

Mich freut jedes Dylan-Cover-Album erstmal. Weil es immer schön ist, wenn Künstlern die Dylan-Songs so viel bedeuten, dass sie sie selber aufnehmen. Leider beschränken sich viele dabei auf das „Greatest Hits“-Material und die xte Version von „Mr. Tambourine Man“ oder „Blowin‘ In The Wind“ ist manchmal schon eine Herausforderung. Und das nicht nur für den Künstler.

Bei Rory Blocks neuem Album “Positively Fourth Street” (VÖ 27. Juni) hat mich daher die Tracklist sofort begeistert. „Ring Them Bells”, “Not Dark Yet” und die Krönung: “Mother Of Muses” und “Murder Most Foul”! Zwei der komplexesten Songs des ohnehin schon komplexen „Rough And Rowdy Ways“, das ist eine Ansage!

Blues-Veteranin

Ich kannte bislang keine Coverversionen des Songs abseits der Private Records manches Dylan-Fans. Die 74-jährige Rory Block ist eine Roots Music- und Blues-Veteranin, die mit Unterbrechungen seit fast 60 Jahren Musik macht und mit zahlreichen Preisen bedacht wurde. „Die wahrscheinlich hartnäckigsten und enthusiastischsten Anfragen meiner Fans nach etwas außerhalb des Blues-Genres waren die wiederholten Aufrufe, eine Hommage an Bob Dylan aufzunehmen. Wie bei allen meinen Aufnahmen sind es die Lieder, die mich am tiefsten bewegen und die mein Herz und meine Seele berühren, die ich aufnehme“, sagt Rory zum Album. Die Anfrage und ihre Umsetzung verwundern nicht, schätzt sie bekanntermaßen Dylan sehr und hat sie doch über die Jahre manch Tribute Album aufgenommen. Für Son House und Bukka White zum Beispiel.

Als wenn die „Mother Of Muses“ selbst zur Lyra greift

Nun also Dylan. Und mit das Beste an ihrem Album sind denn auch tatsächlich die beiden genannten Cover. Wenn Rory „Mother Of Muses“ spielt, dann ist es ein berührender Vortrag. Mit ihrer ehrlichen, vom Leben gegerbten Stimme macht sie sich den Song zu eigen, als wäre sie selbst die Muse, die in antiker Runde ein Lied auf der Lyra zum Besten gibt. Die Botschaft des Ursprungs aller Kunst und der Selbstreflektion über den eigenen Stand in der Welt der Künste wird hier zu ihrer ganz eigenen Auseinandersetzung. Faszinierend!

„Murder Most Foul“ – bewegend und berührend

Dafür, sich mit dem fast 17 Minuten langen – und dem damit längsten aller Dylan-Songs – „Murder Most Foul“ zu beschäftigen, ist schon alleine verdienstvoll. Ein langes Lied, das nie aus seiner Form ausbricht kann auch zu einer Stolperfalle der Langeweile werden. Nicht so bei Rory. Mit ihrer teilweisen schütteren Stimme schafft sie es genau, die Spannungsbögen und den doppelten Boden des Songs aufzubauen. Sie deklamiert den Song nicht, sie lebt und fühlt den Song. Wo Dylan mitunter mit altersweiser Distanziertheit singt, füttert sie den Song in ihrer Performance mit Gefühl und Emotion. Sie leidet an der Geschichte ebenso wie Dylan, aber sie ist nicht der alleswissende Erzähler, sondern erzählt, als hätte sie alles miterlebt. So wird der Song, der bei Dylan einen Sog darstellt, in dem eine Geschichte erzählt wird, der man voller Spannung atemlos folgt, bei ihr zu einem Parforce-Ritt, der berührt und bewegt und einem selber Kraft kostet. Kunst schmerzt mitunter und hier tut sie es und das ist auch gut so, denn so etwas wie Rory Blocks Version hört man selten. Absolut outstanding!

Ausführliche Besprechung demnächst auf country.de

Wie gesagt, Ende des Monats erscheint das Album. Leider ist bislang nur „Ring Them Bells“ vorab veröffentlicht worden, das aber nur unzureichend die große Qualität ihres Albums abbildet. Ob „Not Dark Yet“ oder „Everything Is Broken“, vieles übertrifft hier die durchaus sehr solide Coverversion des „Oh Mercy“-Stücks. Eine detaillierte Besprechung des neuen Longplayers von Rory Block erfolgt demnächst auf country.de.

Love Minus Zero/ No Limit

21. Mai 2024

Bob Dylans vielleicht zärtlichster und poetischster Love Song

Copyright: Columbia

Ich will hier gar nicht über Zen, jüdische Mystik oder Edgar Allan Poe referieren. Denn so funktioniert Musik nicht. Die Worte und die Musik müssen – egal woher sie kommen – den Hörenden ansprechen, ihn berühren. Love Minus Zero/ No Limit habe ich zuerst in der zuckersüßen Budokan-Version kennengelernt, dann in der Originalversion und in der Ambros’schen Variante „Wahre Liebe“. Und er war und ist einer der Dylan-Songs, die mich am meisten berührt haben.

Song über die „wahre Liebe“

Und tatsächlich habe ich das immer so empfunden: Dylan singt hier das hohe Lied der „wahren Liebe“. Auch dieser Song von 1965 ist seiner ersten Frau Sara gewidmet. Dylan ging in der Zeit hohes Risiko und war rauflustig. Er hatte sich schon mit „Another Side Of Bob Dylan“ mit der politischen Folk-Szene angelegt und war nun auf dem Weg zum Folk-Rock. Er war inmitten einer kritischen, diskussionswütigen GenerationEr teilte aus, er musste einstecken, er war ständig kreativ und ruhelos. Sara war tatsächlich so etwas wie ein Anke für ihn in dieser konfliktreichen Zeit.

“In the dime stores and bus stations,
People talk of situations,
Read books, repeat quotations,
Draw conclusions on the wall.
Some speak of the future,
My love she speaks softly,
She knows there’s no success like failure
And that failure’s no success at all.”

Doch so sehr ihn diese ewigen Diskussionen und Richtungsauseinandersetzungen nerven, zum alten Spießertum und der Herrschaft der besitzenden Klasse will er auch nicht zurück. Da gehört er nicht dazu. Ebenso wenig wie seine große Liebe, die kennt das alles zu genau.

“The cloak and dagger dangles,
Madams light the candles.
In ceremonies of the horsemen,
Even the pawn must hold a grudge.
Statues made of match sticks,
Crumble into one another,
My love winks, she does not bother,
She knows too much to argue or to judge.”

Sara als Anker und Schutz

In einem Teil des Landes da tobt der Sturm, die Brücken beben und der Landarzt gibt Geraune von sich, bereiten sich im anderen Teil, an den Küsten, die Nichten der Banker sich darauf vor, perfekte Ehefrauen von gut verdienenden Menschen zu werden. Der Sänger und seine Liebe müssen sich gegen Spießer, Besitzende und Debattierclubs wehren. Das übersteigt die Kräfte seiner Liebsten. Doch er nimmt nicht nur, er gibt auch zurück.

“The bridge at midnight trembles,
The country doctor rambles,
Bankers‘ nieces seek perfection,
Expecting all the gifts that wise men bring.
The wind howls like a hammer,
The night blows cold and rainy,
My love she’s like some raven
At my window with a broken wing.”

Copyright: Columbia

Im nächsten Augenblick und das weiß jeder, der das Lied hört, wird er sie in den Arm nehmen nud trösten, so wie er den Vogel mit dem gebrochenen Flügel hinein ins Zimmer nehmen wird.

Zwei gegen den Rest der Welt

Dylans Song ist der vielleicht zärtlichste, poetischste und auch individualistischste von Dylans Love Songs. Er und seine Liebe gegen den Rest der Welt. Sie wollen gar nicht kämpfen, sie müssen sich aber wehren. Im Januar 1965 nimmt Dylan den Song auf, der auf „Bringing It All Back Home“ im März 1965 veröffentlicht wird. Gut anderthalb Jahre und noch viel mehr Kilometer im Rattenrennen und Umdrehungen im Hamsterrad später, wird sich Dylan mit seinem Motorrad auf die Straße legen und streiken. Er wird fast acht Jahre nicht mehr auf der Tour gehen.

So wie seine Liebe zu Sara mit dem Lied über seine Liebe, seinen Anker beginnt, so wird diese Liebe fast 10 Jahre später mit der Rückschau auf diesen Schutz durch Sara in „Shelter From The Storm“ enden:

“’Twas in another lifetime, one of toil and blood
When blackness was a virtue the road was full of mud
I came in from the wilderness, a creature void of form
Come in, she said I’ll give ya shelter from the storm

And if I pass this way again, you can rest assured
I’ll always do my best for her, on that I give my word
In a world of steel-eyed death, and men who are fighting to be warm
Come in, she saidI’ll give ya shelter from the storm”

„The Love Songs Of Bob Dylan

Auch “Love Minus Zero” wird am kommenden Donnerstag bei „The Love Songs Of Bob Dylan“ in der Darmstädter Americana-Reihe zu hören sein. Auch diesmal, im letzten Teil der kleinen Love Song-Trilogie hier auf meinem Blog, wird der Interpret nicht verraten. Einfach hingehen und sich überraschen lassen. Karten gibt es unter www.knabenschule.de .

Thomas Waldherr präsentiert Americana, The Love Songs Of Bob Dylan, Darmstadt – Bessunger Knabenschule, 23. Mai, 20 Uhr. Tickets: www.knabenschule.de .

„I Believe In You“

17. Mai 2024

Kurz vor Pfingsten ein religiöses Liebeslied. Aber eines, dass man auch anders verstehen kann. Auch dieser Song erklingt am 23. Mai bei „The Love Songs Of Bob Dylan“ in Darmstadt

Copyright: Columbia/Sony

Wenn ich gefragt würde, welcher christliche Song mich am meisten beeindruckt hätte, würde ich „I Believe In You“ sagen. Drei andere Songs kämen mir noch in den Sinn: „Precious Angel“, „What Can I Do For You?“ und „Pressing On“. Erster hat aber neben der wunderschönen Melodie und dem zuckersüßen Gitarrenriff eben vor allem auch eine hanebüchene Message, der zweite ist bei weitem nicht so intensiv wie „I Believe In You“ und der dritte ist – obwohl so gut, dass er sogar von Alicia Keys gecovert wurde – zu eindeutig christlich.

Trotz Bekehrung bleibt die Uneindeutigkeit

Denn trotz absoluter Glaubenswahrheiten: Auch der Dylan der evangelikal-christlichen Phase operierte durchaus in einer gewissen Uneindeutigkeit. Einiger seiner Songs für Gott, konnten auch als an eine Frau gerichtet gehört werden. Nur so konnte ich Ungläubiger in dieser Zeit überhaupt bei Dylan bleiben.

Denn: „I believe in you even through the tears and the laughter/ I believe in you even though we be apart/ I believe in you even on the morning after/ Oh, when the dawn is nearing/ Oh, when the night is disappearing/ Oh, this feeling is still here in my heart“

Da kann man was missverstehen, oder? „Well, first of all, God is a woman, we all know that. Well, you take it from there“, sagte Dylan schon 1965 auf einer Pressekonfererenz in Austin. Die Liebe zu Gott und die Liebe zu einer Frau – für Dylan quasi das Gleiche. Die Liebe ist göttlich, ihr das geliebte Wesen menschlich. Viele Fragen, die sich einem stellen und die unsere alter und liebster Verwirrkopf uns da einpflanzt.

Ein Song über die Liebe zu Gott oder zu einer Frau?

Wie auch immer: „I believe in you“ ist zudem für mich so überzeugend, weil er hier nicht missioniert, sondern von seinem persönlichen Glaube singt. Und dass er dafür Freunde verliert:

“They show me to the door/ They say don’t come back no more/ ’Cause I don’t be like they’d like me to/ And I walk out on my own/ A thousand miles from home/ But I don’t feel alone/ ’Cause I believe in you“

Dass dieses Lied aber das „wohl am eindeutigsten sexuell aufgeladenes Liebeslied, das er je veröffentlicht hat“, wie es Robert Alexander in Michael Gross‘ „Bob Dylan – Der Messias der Rockmusik“ schreibt (München 1980, S. 230), das sehe ich nicht. Um diesen Titel streiten sich eher Songs „New Pony“, „Lay, Lady, Lay“ oder „I’ll Be Your Baby Tonight“.

Auf jeden Fall ist es auch ein grimmiges Lied, weil es nie versöhnlich wird. Wie so viele andere Songs dieser Zeit auch. Erst mit „Every Grain Of Sand“ von seinem dritten christlichen Album vermittelt er uns wieder ein positives, weil in sich ruhendes Bild vom Glauben. Keines, das Schwert, Flammen und Verdammnis braucht.

Ein weiteres Beispiel aus jüngerer Zeit

Auf seinem vorerst letzten Album hat er uns wieder so einen ambivalenten Liebessong geschenkt. „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ erzählt mit den wunderschönsten Worten von der Liebe zu Gott. Man kann es aber auch hier wieder anders verstehen. Als Liebeslied an eine Frau. Oder beides vermischt sich in diesem Song. Aber auch hier: Dylans Glaube ist gefestigt, er ruht in sich selbst, er muss uns nicht mehr missionieren und allen Ungläubigen drohen.

Auch „I Believe In You“ wird bei „The Love Songs Of Bob Dylan“ am 23. Mai in Darmstadt zu hören sein. Wer es singt, wird noch nicht verraten.

Thomas Waldherr präsentiert Americana, The Love Songs Of Bob Dylan, Darmstadt – Bessunger Knabenschule, 23. Mai, 20 Uhr. Tickets: www.knabenschule.de .

I’ll Remember You

9. Mai 2024

Aus dem völlig überproduzierten Album „Empire Burlesque“ ragen zwei Songs heraus. Einer davon ist „I’ll Remember You“. Auch er wird bei „The Love Songs Of Bob Dylan“ am 23. Mai in Darmstadt erklingen

Copyright: Columbia Records/ Sony Music

Der Song hat mich sofort gefangen. Schon als ich das erste Mal „Empire Burlesque“ bei erscheinen 1985 gehört habe, ragte er für mich heraus. Nicht so verkompliziert wie „Tight Connection“ (das schräge Video dazu entdeckte ich erst viel später), nicht so totproduziert wie „When The Night Comes Falling“, nicht so verkitscht wie „Emotionally Yours“, dem Song für Elisabeth Burton.

Ein Song, der berührt

Neben „Dark Eyes“ war „I’ll Remember You” der Lichtblick auf dem Album. Das war wieder ein Song, den ich damals gerne vor mir her sang, dessen Lyrik mich berührte.

“I’ll remember you
When I’ve forgotten all the rest
You to me were true
You to me were the best”

Der Auftakt zu einem bitter-süßen Song, der eine Situation beschreibt, die viele kennen, mit Worten und Bildern erzählt, die sonst keiner findet und die dennoch so vertraut sind.

“When there is no more
You cut to the core
Quicker than anyone I knew
When I’m all alone
In the great unknown
I’ll remember you”

Der Sänger erinnert sich noch ganz genau an diese Liebe. Von der man nicht weiß, ob es eine längere Beziehung oder nur eine kurze Affäre war. Das macht auch keinen Unterschied. Dylan erinnert sich mit großem Respekt an diese vergangene Liebe. Eine Frau mit scharfem Verstand, denn sie bringt die Dinge auf den Punkt wie kein anderer.

“There’s some people that
You don’t forget
Even though you’ve only seen him one time or two”

Und diese Frau war auch sehr empathisch. Sie erinnerte sich an Leute, auch wenn sie die nur ein, zwei Mal gesehen hatte.

Warum das Ganze wieder gescheitert, so dass der Song ein trauriges Liebeslied werden musste, bleibt ganz Dylan-like mal wieder unklar. Aber wie sie mit der Trennung zurechtgekommen und umgegangen ist, da war sie besser drin als er.

“It was you who came right through
It was you who understood
Though I’d never say
That I done it the way
That you’d have liked me to”

Denn er leidet bis heute, wenn er sich an sie erinnert. Stellt sich quälende Fragen und findet zärtlich-mystische Bilder für die Frau und der Beziehung zueinander.

“Didn’t I, didn’t I try to love you?
Didn’t I, didn’t I try to care?
Didn’t I sleep, didn’t I weep beside you
With the rain blowing in your hair?

I’ll remember you
When the wind blows through the piney wood”

Und weil das alles so war. Weil die Beziehung so gut war, wie ihr Ende wohl zwangsläufig und hart, darum erinnert er sich immer wieder an sie. Bis zum Ende aller Dinge.

“In the end
My dear sweet friend
I’ll remember you”

Der ultimative Song für sentimentale Rückblenden. Ein Song, der berührt und der gleichzeitig auch immer ein bisschen Halt für die unglücklich Verliebten gibt.

Der Song für sentimentale Rückblenden

Ich sah diesen Song immer als den besseren im Vergleich mit dem weitaus (kommerziell) erfolgreicheren „Make You You Feel My Love“ von 1997. Ich höre eine Ähnlichkeit in der Melodie heraus. Vielleicht muss man „Make You Feel My Love“ als Prequel zu “I’ll Remember You” sehen. “Make You Feel” ist Anbahnung, “Remember” ist Rückblick“ nach der gescheiterten Umsetzung. Doch ich fand die Bilder beim von Adele, Garth Brooks und Billy Joel zum Hit gemachten 1997er Song, der irgendwie so wenig zum Rest von „Time Out Of Mind“ zu passen schien, immer zu naheliegend, zu einfach, zu wenig Dylan-like. Aber vielleicht war er gerade deshalb so erfolgreich?

Wer weiß, was mit „I’ll Remember You“ geschehen wäre, hätte ihn Dylan nicht in den für ihn verheerenden 1980er Jahren, sondern nach seinem Comeback 1997/98 veröffentlicht? Er hätte es verdient, solch einen Erfolg wie „Make You Feel My Love“ zu haben.

„I’ll Remember You“ und „Make You Feel My Love“

Beide Songs werden natürlich bei „The Love Songs Of Bob Dylan am 23. Mai in Darmstadt erklingen. Denn schließlich war es Bernd Hoffmanns Version von „Make You Feel My Love“ und seine Worte dazu, die mich auf die Idee des Love Songs-Abends brachten. Bernd Hoffmann wird ihn in einer Video-Einspielung zum Programm beisteuern.

Mit „Make You Feel My Love“ habe ich 2019 meinen Frieden gemacht. Bob Dylans Live-Darbietung in jenem Sommer auf dem Schlossplatz von Stuttgart hat mir gezeigt, dass jedes einzelne Wort wahr wirkt, wenn man es mit der richtigen Haltung singt. Das war neben „Girl From The North Country“ der Gänsehaut- und Tränenmoment des Konzerts.

The Love Songs Of Bob Dylan

Und so freue ich mich „I’ll Remember You“ wieder einmal live zu hören: Gut zwanzig Jahre lang, von 1985 bis 2005 hat Bob Dylan ihn immer wieder einmal gespielt. Einmal, in Wiesbaden 1993, durfte ich ihn live von Bobby hören. Am 20. Mai wird er als Duett erklingen. Mehr wird nicht verraten.

Thomas Waldherr präsentiert Americana, The Love Songs Of Bob Dylan, Darmstadt – Bessunger Knabenschule, 23. Mai, 20 Uhr. Tickets: www.knabenschule.de .

The Love Songs Of Bob Dylan

4. Mai 2024

Die Darmstädter Americana-Reihe feiert Bob Dylan am Vorabend seines Geburtstages mit einer Auswahl seiner Liebeslieder

Am Donnerstag, 23. Mai, feiert die Darmstädter Americana-Reihe wieder einmal Bob Dylan. Unter dem Titel „The Love Songs of Bob Dylan“ ehrt eine illustre Künstlerschar den Song-Großmeister bereits am Vorabend seines 83. Geburtstages mit einer Auswahl seiner Liebeslieder. Konzertbeginn in der Halle der Bessunger Knabenschule ist um 20 Uhr, der Eintritt beträgt 18 Euro, ermäßigt 15 Euro. Tickets kann man online unter http://www.knabenschule.de erwerben, unter der Telefonnummer: 06151/ 61650 sind telefonische Kartenreservierungen möglich.

Dan Dietrich

Die Love Songs des Literatur-Nobelpreisträgers sind ein oftmals unterschätzter Teil des Werkes der Musik-Legende. Bekanntes wie „Girl From North Country“, „Lay, Lady, Lay“ oder „Make You Feel My Love“ (aufgenommen u.a. auch von Adele, Billie Joel und Garth Brooks) wird ebenso erklingen, wie weniger vertraute Songs.

Alles wird vorgetragen mit großer Liebe zum Meister. Aber ohne falschen Respekt, stattdessen mit einem eigenen Stempel. Es teilen sich die Bühne: Der „Darmstädter Dylan“ Dan Dietrich, Wolf Schubert-K. & Friends, Martin Grieben und DanaMaria. Special Guest: Bernd Hoffmann.

Americana-Kurator Thomas Waldherr: „Bernd Hoffmann, der ‚Elder Americana Statesman‘ aus Weinheim an der Bergstraße brachte mich auf die Idee dieses Abends, als er beim letztjährigen Dylan-Geburtstag die Love Songs Dylans sehr eindringlich lobte. Leider kann er aus persönlichen Gründen nicht dabei sein, doch er wird per Videoeinspielung zur Veranstaltung beitragen.“

DanaMaria

In kurzen, unterhaltsamen Beiträgen wird Kurator Thomas Waldherr zwischen den Musikdarbietungen die vorgetragenen Songs in das Werk Dylans einordnen. „Es gibt die frühen Love Songs wie „Girl From The North Country”, die sogenannten „Anti-Love Songs“ wie „Don’t Think Twice“ oder auch die traurigen Liebeslieder von „Blood On The Tracks“ zu hören. Dazu sollen dann auch die Geschichten hinter den Songs erzählt werden“, erklärt der Bob Dylan- und Americana-Spezialist Waldherr das Konzept des Abends.

Cat Powers magischer Dylan-Abend in Frankfurt

26. April 2024

Die US-Singer-Songwriterin drückt dem legendären 1966er-Konzert ihren ganz eigenen Stempel auf

Foto: Cowboy Band Blog

Coverversionen von Dylan-Songs haben unzählige Künstler veröffentlicht. Von Ambros bis Adele, von Nancy Sinatra bis Wolfgang Niedecken. Doch das, was Cat Power, bürgerlich Chan Marshall, da im vergangenen Herbst veröffentlicht und am Mittwochabend (24. April) in Frankfurt am Main auf die Bühne gebracht hat, sprengt den Rahmen herkömmlicher Coverversionen. Cat Power hat nicht mehr und nicht weniger als das legendäre „Royal Albert Hall Concert“ von 1966 eins zu eins wiedergegeben und gleichzeitig dabei ganz neu durchschritten, vermessen und ausgelotet. Ein Meisterwerk, ein magischer Abend.

Pünktlich betritt sie die Bühne, das Licht wird gedimmt und die Bühnenbeleuchtung bleibt spärlich. Ganz dem Meister angemessen, bringen ein halbes Dutzend Retro-Scheinwerfer nur ein fahles Licht. Doch es sind die Songs, die Sängerin und der Vortrag, die an diesem Abend leuchten werden. Die Künstlerin zeigt ihr Können und ihre Größe durch die einzigartige gesangliche Interpretation der Songs. So wie gut keine Showeinlagen, so gut wie keine Erzählungen zwischen den Songs. Livemusik pur und kein Chichi.

Foto: Cowboy Band Blog

Der Gesang ist expressiv und weiblich

100 Minuten lang ist sie auf ihrem Weg durch das Konzert. Musikalisch sind die Fassungen der 15 Dylan-Songs nah am Original. Im ersten Teil wird sie von einem Gitarristen und einem Mundharmonikaspieler begleitet, im zweiten Teil von einer kompletten Rockband. Nah am Original und doch ganz anders. Dieses Kunststück gelingt ihr durch ihren Gesang. Sie kopiert nicht Dylan, sondern findet ihre eigenen Töne, Stimmlagen und Phrasierungen, ihre eigenen Ausschmückungen und Girlanden, die sie um den Gesang bindet. Der rein akustische, kaum variierte Klanghintergrund und ihr faszinierender, sich bei jedem Song neu ganz sorgsam entfaltende expressive Gesang, führen zu einem Sog, dem man sich nicht entziehen kann, dem man sich gar nicht entziehen möchte. Man ist wie verzaubert und in einen Musik-Konkon gewickelt, der einem den ganzen Abend nicht mehr hinauslässt aus diesem musikgeschichtsträchtigen Konzertepos.

„She Belongs To Me“ singt sie ebenso wie “Visions of Johanna” oder “Just Like A Woman” auf ihre ganz eigene Weise. Den schleppenden, durchaus als „transzendent“ zu bezeichnenden Gesang Dylans im Original ersetzt sie in ihren Fassungen durch weibliche Expressivität und Perspektive. Sie entdeckt die Songs neu, lebt sie aus, da gibt es keine Routine, Cat Power geht nie auf Nummer sicher. Denn sie ist sich ihrer stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten bewusst und schont sich nicht.

Foto: Stefan Ermes

Sie hält uns in ihrem Bann

Es gibt keine Pause zwischen den beiden Konzerthälften, ruck-zuck ist die Band da und es geht elektrisch weiter. Das klingt nach Robbie Robertson & Co – Levon Helm war ja bereits 1965 aufgrund der ständigen Scharmützel mit dem Publikum entnervt ausgestiegen – und Cat Power treibt die jungen Mitmusiker immer wieder mit fordernden Handbewegungen an: „Kinder, spielt schneller“. Nun wird die Stimme lauter, sie ruft Songs heraus, nun wird es noch dramatischer. Schließlich stehen gewichtige Songs an wie der Anti-Liebeslied-Klassiker „I Don’t Believe You (She Acts Like We Have Never Met)“, der Song über den gar nichts verstehenden Mr. Jones („Ballad Of A Thin Man)“ und natürlich die vielstrophige Abrechnung „Like A Rolling Stone“ zum Abschluss des Abends.

Längst wippt und schwingt das Publikum mit, heute Abend fällt der „Judas-Ruf“ aus, aber den vermisst auch keiner. Denn alle sind beseelt und begeistert von Dylans Musik und ihrer kongenialen Interpretation durch Cat Power, die uns mit ihrem Gesang sirenenartig in Bann hielt und diesen Abend magisch werden ließ. Denkwürdig!

Auf der Suche nach Bob Dylan und Amerika

21. April 2024

New York, Tulsa, Woodstock – ein Reisebericht

Dieser Trip musste jetzt sein. Wir wollten vor dem November- es besteht tatsächlich die Gefahr, dass infolge der Wahlen Trump wieder Präsident wird – auf alle Fälle noch einmal in die USA. Hatten wir in den letzten Jahren vor allem den Süden und die Geburts- und Heimstätten der amerikanischen Roots Music besucht – Memphis und Clarksdale (Blues, Rock’n’Roll & Soul), Nashville & Bristol (Country) New Orleans (Jazz) sowie das Cajun County und die Appalachen (Mountain Music & Bluegrass) besucht – so war diese Reise explizit Bob Dylan und dem fortschrittlichen Amerika gewidmet. Wieder einmal New York, wieder einmal Tulsa, denn mittlerweile ist der Bob Dylan Center eröffnet und erstmals Woodstock, wo sich mit „Big Pink“ die Wiege des Americana befindet.

Greenwich Village und Sonnenfinsternis

Für New York hatten wir uns viel vorgenommen, von dem wir einiges auch nicht geschafft haben. Was nicht nur an uns liegt. Manhattan ist als Touristenmagnet mittlerweile einfach zu groß und zu voll. Der Massenandrang am Schiffsanleger nach Ellis Island und Freiheitsstatue ist einfach der Wahnsinn. Ohne dem heutzutage oftmals obligatorischen vorher gebuchten Online-Ticket wäre die Wartezeit immens groß gewesen. Aber wir wollten uns nicht schon vorher binden. Mittlerweile wird man fast dazu gezwungen, seine Urlaubsausflüge schon weit vorher digital zu buchen. Darauf hatten wir keine Lust und dementsprechend verabschiedeten wir uns vom Vorhaben, Ellis Island und das Museum zur Einwanderung zu besuchen. Dafür sind wir einige Stunden im Stadtteil Harlem mitgeschwommen, haben das legendäre Apollo-Theater bestaunt und die Szenerie auf uns einwirken lassen. Und interessante Eindrücke von einer mehrheitlich afroamerikanischen Community gewinnen können.

Natürlich waren wie wieder im Greenwich Village im Washington Square Hotel untergebracht. Dort wo schon Bob Dylan und Joan Baez genächtigt haben. Im alten Boheme- und Szeneviertel – hier haben schon Woody Guthrie und Pete Seeger gewirkt und später wurde hier Bob Dylan zum Fixpunkt der Folkszene – ist heute das Feierpublikum unterwegs. Es gibt noch Musikclubs wie das Cafe Wha?, wo wir den Countrysänger Gabe Lee in einem wunderschönen Konzert gesehen haben, und ein paar Comedytheater, aber einfach auch viele reine Amüsier- und teure Szeneschuppen. So ist das Village in seinem Herzen zum Vergnügungsviertel mutiert und hat viel von seinem Charme verloren.

„American Way of Sonnenfinsternis“

Und New York ist an einigen Stellen marode bzw. bekommt die Folgen jahrelanger staatlicher Enthaltsamkeit in Sachen Erneuerung der Infrastruktur zu spüren. Irgendwie passiert jetzt alles auf einmal. Auf der breiten Avenue de Americanas (6. Avenue) ist in Greenwich Village der Bodenbelag völlig abgefräst und keiner weiß, wann das wieder in Ordnung kommt. Überall wird gebaut. Auch nachts in der U-Bahn. Es gibt schöneres, als nachts nach dem tollen Alicia Keys-Musical „Hells Kitchen“ im Untergrund kilometerlang zum verlegten Abfahrtsort der Subway zu irren.

Dafür aber immer wieder schöne Erlebnisse wie die Sonnenfinsternis im Central Park, die von den New Yorkern ebenso unaufgeregt zur Kenntnis genommen wird wie das Erdbeben zwei Tage vorher. Auch wenn die Medien aus einem leichten Zittern, wie wir es auch im Hotel wahrgenommen haben, ein großes Drama machen. Ebenso symptomatisch wie spaßig war daher das Interview auf dem Times Square, in dem ich einer TV-Reporterin meine Erdbebeneindrücke schildern durfte.

Tulsa: Dylan, Guthrie und ein lang verdrängtes Massaker

Kaum einer schafft es so wie Bob Dylan in einer Liedzeile komplexe geschichtliche, gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen zu verdichten. „Take me back to Tulsa to the scene of the crime” heißt es in seinem langen Song-Epos „Murder Most Foul”. Zwei Dinge bringt er hier zusammen: Den Song “Take Me Back To Tulsa“, einer der großen Hits für Bob Wills, dem Vater des Western Swing. Der wirkte ja einige Jahre in Tulsa und machte den heute noch bestehenden „Cain’s Ballroom“ zur Geburtsstätte dieser Musikrichtung. Und Dylan erwähnt damit das „Black Wall Street Massacre“ von 1921, als der afroamerikanische Stadtteil Greenwood von einem rassistischen Mob bis auf die Grundfesten niedergebrannt und zerstört wurde und das Inferno bis zu 300 Menschen das Leben kostete. Bob Wills selber, der, wie es der afroamerikanische Bandleader Ernie Fields in seine Erinnerungen schildert, kein Rassist war und Fields Karriere gefördert hat, bringt den Rassismus und die Situation in Tulsa in seinem Song zusammen. In den Lyrics heißt es:

“Little bee sucks the blossom, big bee gets the honey/ Darkie raise the cotton, white man gets the money” und an anderer Stelle “Would I like to go to Tulsa? Boy I sure would/ Well, let me off at Archer, and I’ll walk down to Greenwood”. Wills schildert hier die Rassen- und Klassenverhältnisse und dass er auch keine Scheu hat, die Rassengrenzen zu überwinden.

Mittlerweile gibt es eine hervorragende Ausstellung zum Tulsa Massaker, die wir uns natürlich angeschaut haben. Eine Entschädigung der letzten noch lebenden Hinterbliebenen der Opfer wurde aber erst jüngst von einer konservativen Richterin abgelehnt. Die USA im Jahr 2024 – voller Widersprüche.

Der Bob Dylan Center und der Woody Guthrie Center liegen fast unmittelbar nebeneinander im Tulsa Arts District, dem kulturellen Herz der Stadt. Nur wenige Blocks entfernt von Cain’s Ballroom haben sich hier Theater und andere Kultureinrichtungen angesiedelt. Vieles hier wird der philantropischen Kaiser Foundation finanziert, so auch die beiden Archiv- und Ausstellungshäuser der Folk-Ikonen. Der Dylan Center beherbergt eine großartige Ausstellung zu Werk und Wirken Dylans, in der man viele Stunden verbringen kann. Absolut sehenswert!

Neu entdeckt haben wir beim Besuch in Tulsa den Buchladen Magic City Books. Hier habe ich das Buch „My Black Country“, der schwarzen Nashville Songwiterin und Schriftstellerin Alice Randall am Erscheinungstag erwerben können. Die Autorin wird im Mai dort lesen, die Veranstaltung findet in Kooperation mit Dylan- und Guthrie-Center statt. Auch ein wichtiges Indiz dafür, wo sich der Bob Dylan Center verortet. Und bei aller Zurückhaltung bei direkten politischen Ansagen des Meisters: Bob Dylan selbst ist und bleibt Teil des fortschrittlichen Amerikas.

Woodstock – Künstlerkolonie und Wiege des Americanas

Mit dem Woodstock Festival hatte unser Besuch in Woodstock rein gar nichts zu tun. Ich habe keine besondere emotionale Beziehung zu diesem als Ausdruck und Höhepunkt der Hippie-Kultur gehypten Musikfestivals. Erstens war das in Wirklichkeit der „Summer of Love“ 1967 in San Francisco, zweitens fand es gar nicht in Woodstock, sondern im 60 Meilen entfernten Bethels statt und drittens war Bob Dylan gar nicht dabei. Der war damals treusorgender Familienvater und weder mit den Hippies noch mit den zahlreichen Dylan-Pilgern etwas am Hut. Daher floh er vor dem Festival und spielte lieber mit The Band auf der britischen Isle Of Wight. Obwohl oder gerade weil der Name des Festival wegen Dylans Wohnort gewählt wurde.

Für uns ist Woodstock, das schon lange vor dem Festival Künstlerkolonie war, die Wiege des Americana. Hier im Haus Big Pink spielten sich Bob Dylan und The Band von Frühjahr bis Herbst 1967 durch die alten Klassiker aus Blues, Country, Folk und Gospel. Und wenn neue Musik entstand, dann wirkte sie uralt. Im psychedelischen Summer of Love gingen Bob und seine Freunde zu den Wurzeln der amerikanischen Musik zurück. Es entstanden die legendären Basement Tapes, die rudimentär acht Jahre später und vollständig erst fast fünfzig Jahre später offiziell veröffentlicht wurden. Nach den Aufnahmen der Basement Tapes brachte The Band „Music From Big Pink“ heraus und Dylan „John Wesley Harding“. Und der Kurs der amerikanischen Populärmusik war neu bestimmt.

Big Pink!

In Woodstock haben wir Big Pink und die Levon Helm Studios gefunden. Wir hatten eine wunderbare Bed & Breakfast-Unterkunft bei einer reizenden Familie und konnten so richtig relaxen. Der Ort ist voller Musik, wir genossen Soul und Funkonzerte, eine Open Mic Night und im nahen Kingston haben wir die Old Crow Medicine Show in einem fantastischen Konzert gesehen. Wir haben in Gesprächen mit typischen Woodstock Residents- hier haben viele liberale New Yorker ihren Wochenend- und Alterssitz- die Furcht vor Trump gespürt aber auch gemerkt, dass es sich hier vor allem um eine mehrheitlich weiße Community handelt. Aber es ist trotzdem ein Ort des fortschrittlichen Amerikas. Mit dem Wohnsitz von Franklin D. Roosevelt im unweit gelegenen Hyde Park und dem angeschlossenen Roosevelt Museum, in dem es vor allem auch um die Geschichte des New Deal geht, haben wir auch eine seiner weiteren Pilgerstätten besucht. Ebenfalls nicht weit von Woodstock liegt Beacon, wo Pete Seeger gewohnt hat und von wo aus er sein Hudson River-Umweltschutzprojekt in Angriff genommen hat. Wir haben also tatsächlich einen wichtigen Landstrich des fortschrittlichen Amerikas gefunden.

Die USA vor der Wahl

Die Stimmung im Land schwankt derzeit zwischen Verdrängung und Furcht. Man lebt den Alltag, Bidens Wirtschaftspolitik funktioniert und trotzdem zweifelt man am scheinbar greisen Präsidenten. So verdrängt man oftmals die bevorstehende Richtungswahl, denn der Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Zudem sind New York City und der Bundesstaat New York einfach keine republikanischen Hochburgen. Vieles scheint hier weit weg.

Es war also wieder einmal eine sehr interessante, erlebnisreiche, spannende und musikalische Reise, die in ihrem New Yorker Teil – gerade auch auf der letzten Etappe mit dem Weg zum Flughafen- auch sehr anstrengend war. Wir schauen gebannt was im November passieren wird. Auch davon wird abhängen wie schnell wir wieder in die USA reisen werden.

Bob & Beyoncé

1. April 2024

Collage, Zitate, Verweise, Metaphern, Identifikationsfiguren: Beyoncé und Bob Dylan kuratieren amerikanische Musikgeschichte und stehen für das demokratische Amerika

Beyoncé Knowles Carter und Bob Dylan, Fotos: Wikimedia Commons

Sie sind sich näher als so mancher alter, weißer Dylan-Fan denkt. Zumindest in der Art wie sie mit der amerikanischen Musikgeschichte umgehen: Bob Dylan und Beyoncé Knowles-Carter. Klar, es gibt da dieses Bild von Dylan mit Beyoncé inmitten ihrer damaligen Gesangsgruppe „Destinys Child“ von den Grammy-Feierlichkeiten 2002. Aber mehr als dieser Schnappschuss lässt sich an öffentlichen Gemeinsamkeiten nicht feststellen, schon gar keine wie auch immer geartete künstlerische Zusammenarbeit. Stattdessen postete sie aber 2012 während Albumaufnahmen auf Twitter aus heiterem Himmel: „‘I’ll let you be in my dreams if I can be in yours.‘ Bob Dylan“. Wir können davon ausgehen, dass beide Seiten um ihre Bedeutung für die amerikanische Musik wissen. Aber wie gesagt, sie sind sich in ihrer musikalisch-künstlerischen Ausdrucksweise näher als man denkt.

Warum? Dylan hat sowohl auf seinem ersten Karriere-Peak in den Mittsechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als auch in seinen gefeierten Alben seit der Jahrtausendwende den amerikanischen musikalischen und gesellschaftlichen Kontinent in einer Art und Weise durchschritten, der beispiellos ist. Er hat dies auf dem Fundament der gesamten amerikanischen Populärmusik gemacht: Folk, Blues, Country, Jazz und Urban Pop der 1930er bis 1950er Jahre. Er hat sehr wohl neben den musikalischen auch die literarischen Ausdrucksformen der afroamerikanischen Community studiert. Wegen des Gefühls für Blues und Sprache hat er schon den Rap als sehr nahe am Blues gesehen, als selbst noch progressive Weiße hierzulande Rap und Hip Hop in einen Topf mit ihrem schrägen Verwandten, dem Gangsta Rap mit seinen Kennzeichen Frauenfeindlichkeit, Gewaltverherrlichung, Protz und Bling Bling geschmissen haben. Ohne Verständnis für die emanzipatorischen Ursprung dieser Hip Hop-Kultur in den Ghettos der 1970er Jahre.

Beyoncè hat dagegen spätestens seit Mitte der 2010er Jahre sich konsequent politisiert und den weiblichen afroamerikanischen Emanzipationskampf zu ihrem Thema gemacht. Allem Superstargehabe zum Trotz. Hinter der Diva-Maske steckt eine reflektierte und emphatische Persönlichkeit. Legendär ist längst ihr Song und Video „Formation“, in dem nicht mehr und nicht weniger die jahrhundertelange Geschichte des schwarzen Amerikas erzählt wird. Von Plantagensklaven und Dienerschaft über Black Cowboys und Buffalo Soldiers bis hin zu den afroamerikanischen Opfern von Katrina in New Orleans.

Dylans Schwanengesang auf Amerika und Beyoncés Forderung nach Anerkennung

Copyright: Columbia Records

Während Dylans Rough And Rowdy Ways von 2020 den Schwanengesang auf das wegen seiner Widersprüche auseinanderbrechende Amerika und auf das Ende des amerikanischen Jahrhunderts darstellt – mit seiner politisch-popkulturellen Geschichtserzählung in Stücken wie „Murder Most Foul“, „Mother Of Muses“ oder „Key West“ – ist Beyoncés neues Album „Cowboy Carter“ die Einforderung der Anerkennung der schwarzen Beiträge zum uramerikanischsten aller Musikgenres, dem Country. Er erzählt von Cowboys und der Eroberung des Westens, von Small Towns und Familie, vom Zusammenhalt und von der individuellen Freiheit gleichermaßen. Zu all dem haben die Afroamerikaner wichtige Beiträge geliefert. Doch die sind in der weißen Erzählung gestrichen worden. Die obszöne gesellschaftliche Segregation von weißem und schwarzem Leben im Süden, die mittels Militanz und Gewalt aufrechterhalten wurde, führte zusammen mit der von der Plattenindustrie daraus abgeleiteten demoskopischen Annahme „weiße kaufen nur weiße Musik, Schwarze kaufen nur schwarze Musik“ zu einer Genrespaltung in weißes „Country & Western“ sowie schwarze „Race Records“, die in der Frühzeit des Country, in der Old Time und Hillbilly-Musik so nicht gegeben war. Es gab weiße und schwarze Stringbands, die sich im Repertoire kaum unterschieden. Es gab die sogenannten „Songster“, die alle populäre Musik spielten – egal ob weiße oder schwarze Genres. Der einsame „Bluesman“ ist eine Legende. Stringbands und Songster waren Gebrauchs- und Unterhaltungsmusiker.

Und die Rassentrennung wurde in der Musik auch immer wieder unterlaufen. Denn jeder frühe Countrystar hatte auch einen schwarzen Lehrmeister. Leslie Riddle brachte der Carter Family das Gitarrespielen und viele Lieder bei. Rufus Payne war gleichsam der Musiklehrer von  Hank Williams und Arnold Shultz beeinflusste Bill Monroe maßgeblich. In der Frühzeit der Grand Ole Opry war ganz selbstverständlich der schwarze Mundharmonikaspieler DeFord Bailey Teil des Ensembles. 1941 wurde er aus rassistischen Gründen aus der Opry gemobbt. Erst 1967, mehr als ein Vierteljahrhundert später, trat mit Charley Pride wieder ein afroamerikanischer Künstler in der Opry auf. Pride konnte sich im Mainstream-Country trotz seiner Hautfarbe etablieren. Seinem weiblichen Pendant Linda Martell gelang dies nicht. Als schwarze Frau war sie noch viel mehr und viel hässlicheren rassistischen Attacken seitens des Publikums ausgesetzt. Zudem stand ihr Manager nicht wirklich hinter ihr. Mitte der !970er war diese Karriere schon wieder vorbei.

Mit Collagen und Zitaten treffen sie sich in ihrer Art des Songwriting

Copyright: Sony Music

Solche Geschichten erzählt Beyoncé. Sie erzählt sie mit Metaphern und Verweisen, in Zitaten und Collagen, textlich und klanglich. Den Anspruch, damit eine gesellschaftliche und (musik)geschichtliche Totalität und Entwicklung abbilden zu können, hat sie ebenso wie Dylan in seinem Spätwerk. Man denke nur an sein Masterpiece „Blind Willie McTell“. Beyoncé erzählt sie entgegen aktueller Trends nicht identitär ausschließend, sondern baut Brücken. Mit Dolly Parton und Willie Nelson hat sie zwei der größten lebenden Country-Legenden für ihre Sache gewinnen können. Ein Echo dieser Zusammenarbeit ist vielleicht auch das Line-Up der diesjährigen Outlaw Festival Tour, bei dem neben Nelson und Bob Dylan u.a. auch die schwarze Countrymusikerin Brittney Spencer, die afroamerikanische Singer-Songwriterin Celisse und die Blues- und Soulband Southern Avenue mit von der Partie sind. Da Spencer gerade an einem Song gegen die republikanische Senatorin von Tennessee mitgewirkt hat und Celisse u.a. 2016 mit dem Song „Freedom“ sich gegen rassistische Polizeigewalt ausgesprochen hat, darf man die Zusammenstellung des Line Up – John Mellencamp ist auch dabei! – getrost als politisches Statement verstehen.

Dylans Sichtweise der amerikanischen Gesellschaft konfrontiert seit jeher die Versprechen der Gründerväter mit der Realität amerikanischer Geschichte und Gegenwart. Auch Beyoncé steht für die universellen Menschenrechte. Und sie ist für viele junge Amerikanerinnen und Amerikaner – ob schwarz oder weiß – eine positive Identifikationsfigur für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft. Der „Billboard“ fragte sich schon 2017 ob Beyoncé eine legitime Nachfolgerin Bob Dylans in dieser Hinsicht sei.

Stimmen der Hoffnung

In diesen Tagen wird viel Häme und Hass über Beyoncés Album „Cowboy Carter“ vergossen. Hier kommt die Hauptkritik vom eher rechten Spektrum. Die andere große weibliche amerikanische Pop-Figur – Taylor Swift – sorgt ebenfalls für viel Häme und Unverständnis. Und das auch von eher progressiven Zeitgenossen. So verwahrten sich Internetkommentare dagegen Joan Baez und Taylor Swift in einem Atemzug zu nennen. Und lassen dabei völlig außer Auge, dass sich Taylor Swift öffentlich ebenfalls politisch ganz klar progressiv verortet hat. Bob Dylan und Joan Baez waren das Traumpaar einer demokratischen, kritischen Jugend als die USA ähnlich polarisiert waren. 60 Jahre und eine Mondlandung später, die auch geprägt waren durch die Veränderung von Musik, ihrer Rezeption, ihrer Herstellung, ihrer Aufbewahrung und Vertriebswege durch MTV, Digitalisierung und Globalisierung sollte man verstehen, dass von Beyoncé und Taylor Swift unter den heutigen Bedingungen eine ähnliche Wirkung ausgehen könnte. Sie haben als Identifikationsfiguren die Möglichkeit, Menschen davon abzuhalten Ihre Stimme Anti-Demokraten zu geben oder gar nicht zu wählen. Stimmen der Hoffnung also.