„Mixing Up The Medicine“ – ein erster Blick ins Buch

3. November 2023

Nur ein weiteres Coffeetable Book? Oder gar der Schlüssel zum Dylan-Code?

Foto: Americana, Copyright Cover: Droemer-Verlag

Irgendwo las ich davon, dass „Bob Dylan: Mixing Up The Medicine“ den Dylan-Code knacken würde. Ehrlich gesagt wird das so schnell keiner schaffen – schon gar nicht Clinton Heylin – und es stellt sich natürlich auch die Frage, ob man das überhaupt will. Beim neuen großen Bob-Buch des Bob Dylan-Center in Tulsa, Oklahoma, würde es mir schon genügen, ich bekäme den einen oder anderen Gedanken zu Dylan, den ich so noch nicht gelesen habe. Oder Dokumente und Querverbindungen, die mir so noch nicht geläufig waren.

Das ist also der strenge Maßstab, den ich angesichts des Herausgebers, der Preises und des großen Tamtams anlegen muss. Daher wird das Buch auf diese Momente hin bei diesem ersten Blick gescannt. Denn im Vorwort schreiben die Herausgeber und Editoren Mark Davidson und Parker Fishel genau dies: „Ausführliche Beschreibungen des abgebildeten Archiv-Materials werfen zudem ein neues Licht auf bekannte Ereignisse und stellen immer überraschende Querverbindungen zwischen Personen, Themen und Motiven aus dem Dylan’schen Universum her.“

Drei Themen greife ich mal stichpunktartig heraus:

  1. Die vor mir oftmals als auserzählt empfundene Phase 1961-1966
  2. Die Basement Tapes und Country-Phase 1967-70 (eine meiner Lieblingsphasen) und
  3. Das Spätwerk ab Love & Theft (immer noch in der breiten Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen)

Das Buch schöpft aus dem Vollen

Doch vorher muss einfach gesagt werden, wie überwältigend die Fülle des Materials ist. Das Buch schöpft aus dem Vollen von rund 10.000 Exponaten aus Dylans Karriere; Handschriftliche Manuskripte, Fotografien, Plakate, Erinnerungsgegenstände etc., etc., etc. Das Buch erzählt die Dylan-Geschichte anhand der Exponate und Analysen in Essay-From. Die Chronologie-Texte sind sachlich gehalten, entziehen sich gewagten Interpretationen, sprechen aber durch die dargestellten Sachverhalte für sich. Interpretationsleistungen und das Darstellen von Querverbindungen – dafür sind die Aufsätze eines vielfältigen Pools von Dylan-Afficionados zuständig: Sammler, Weggefährten, Musikjournalisten.

1961-1966

Zwei Stellen haben mich hier wirklich fasziniert. Ein Sammler von Woody Guthrie-Devotionalien, hauptsächlich Schriften und Malereien/Zeichnungen Barry Ollmann, zieht aus Fundstücken Parallelen und Verbindungen zwischen den beiden Künstlern. Das Verbindende ist weniger die strenge Form des Folk-Songs und der politische Protest – die kommen bei Dylan später nur noch hin und wieder vor – es ist die Arbeitsweise, das Arbeitstempo, die Arbeitsproduktivität. Bob ebenso wie Woody, sind ständig am Schreiben, am Skizzieren, am Zeichnen. Beide reisen staunend über die Menschen, Gott und die Welt umher und stehen gleichsam unter Zwang, das Gesehene, das Gespürte, das Erlebte festzuhalten. Woody während der Great Depression und New Deal-Jahre, Dylan von der Zeit des Aufbruchs in den 1960er Jahren bis heute nach dem Ende des „amerikanischen Jahrhunderts“ und dem gespaltenen Amerika.

Die zweite sehr interessante Stelle ist da, wo es um den berühmt-berüchtigten Abend in Newport geht, als Dylan einstöpselte. Anhand der Darstellungen von Augen- und Ohrenzeugen wird deutlich, dass das plakative Image, das von einem Ereignis bleibt oftmals wenig mit dem wirklichen Ablauf der Ereignisse zu tun hatte. Durch die unterschiedlichen Perspektiven der Leute, die hier zu Wort kommen, wird klar: Ja, es war Dylans Abschied aus der Folkszene und nein, so einfach war die Geschichte von der Ablehnung der Elektrifizierung durch Publikum und Pete Seeger nicht. Oftmals werden Seeger und seine Freunde da zu Pappkameraden zugunsten einer rein entpolitisieren, individualisierten Geschichte von Musik. Fakt: Dylan hatte die Folkwelt hinter sich gelassen, Newport war zu klein für ihn. Aber: Er blieb dennoch ein Folksänger und Pete Seeger wusste das.

1967-70

Foto: Americana, Copyright Cover: Droemer Verlag

Während Dylan sich in der Öffentlichkeit rar macht – er tritt nur 1968 beim Woody Guthrie-Tribute und 1969 beim Isle Of Wight Festival auf – ist er aber dennoch produktiv wie selten. Er nimmt die vorerst unveröffentlichten Basement Tapes auf, malt und zeichnet, bringt erst das reduzierte Folk-Rock-Album „John Wesley Harding“ und dann das Country-Album „Nashville Skyline“ auf und erscheint dann zum Duett in Johnny Cashs-TV-Show. Manche aber sind entsetzt, halten ihn bestenfalls für unpolitisch, schlimmstenfalls für Reaktionär. Andere aber verstehen worum es Dylan geht. Er allein bestimmt, welche Musik er macht und vor allem welche Musik für seinen eigenen amerikanischen Kanon noch notwendig ist.

Wie wichtig ihm bei alledem Woody ist, zeigt auch die von Harold Leventhal beigesteuerte Erinnerung wie schnell Dylan nach Guthries Tod versicherte, bei einem Tribute dabei zu sein.

Für mich der zentrale Text hier ist der wunderbare Aufsatz von Gregory Pardlo. Der afroamerikanische Schriftsteller erzählt von Nähe und Gemeinsamkeiten von Bob Dylan und der Black Panther Party. Die Black Panther-Anführer Bobby Seale und Huey Newton sind begeisterte Dylan-Fans. Begeistert von dessen Sprache – Pardlo identifiziert bei beiden Seiten den „Jive“, also die subversive Poesie – und seinen Sprachbildern „The selling postcards oft he hanging“, sehen die Panthers Bob als einen „Brother“ an. Und tatsächlich „ziehen Afroamerikaner und ihre Kultur ihn immer wieder an“, weiß Pardlo.

2001 – heute

„Love And Theft“ ist Dylans zweite großartige, tiefgehende Beschäftigung mit dem „alten, unheimlichen Amerika“ nach den Basement Tapes. Er erforscht die musikalischen Wurzeln und spickt sie mit Songs wie Panoramen über den alten Süden, über Sklaverei und Galanterie, Brüderkämpfe und Minstrel Shows. Faszinierendstes Lesestück für mich ist Peter Careys „Ansichtskarte aus Tulsa“. In fabelhaften Gedankensprüngen schweift er von „Tweedle-Dee & Tweedle-Dum“ zu der Zerstörung der „Black Wall Street“ in Tulsa 1921. Genau der Stadt, in der Bob Dylans Archiv seine Heimstatt gefunden hat. Dylan weiß um die Geschichte um Tulsa. Carey erzählt von Notizen Dylans am Rande des Songtexts, die sich auf die Gewalttaten in Tulsa beziehen. Ein Jahr früher – 1920– wurden in Duluth, Minnesota, drei schwarze Zirkusarbeiter von einem weißen Mob gelyncht. Dylans Vater war Augenzeuge und diese Erinnerung spiegelt sich in „The seeling postcards of he hanging“ aus Desolation Row (1965) genauso wieder wie das Pogrom von Tulsa in „Murder Most Foul“ aus dem Jahr 2020: „…Play tragedy, play ‚Twilight Time‘ / Take me back to Tulsa to the scene of the crime…“ Es ist sogar wahrscheinlich, dass Dylan aufgrund der Geschichte von Tulsa entschied, dass dort sein Nachlass genau an der richtigen Stelle sein würde. An dem Ort, um es mit William Faulkner zu sagen, wo die Vergangenheit mit all ihrem Hass, ihren Gewalttaten und Tragödien, die auch zu Amerika gehören, noch nicht einmal vergangen ist… Erst kürzlich hat eine konservative Richterin Entschädigungen für die letzten Überlebenden abgelehnt. Dylan bleibt auf seine Art progressiver Aufklärer und Vertreter des anderen Amerika.

Ausführlich folgen Texte und Artefakte aus seinem Spätwerk, seinen Touren, seiner Radio Show, seiner Malerei und und und. Leider schließt das Buch mir einer etwas zu devoten Hymne auf Dylan von Douglas Brinkley. Denn auch ohne dessen Superlative für „seinen Freund“ (!), ist Dylan einfach der bedeutendste lebende amerikanische Künstler, noch dazu einer, der die amerikanische Kultur bis heute nachhaltig verändert und geprägt hat.

Fazit: Die Stichproben haben mich überzeugt. Das ist nicht irgendein Scrapbook. Es ist eine gut aufgebaute, durch Abbildungen und Aufsätzen qualitativ bestens unterfütterte Chronik. In den beigesteuerten Aufsätzen wird immer wieder einmal vermeintlicher Common Sense über Dylan überwunden und in Frage gestellt. Ohne reißerische Ambitionen á la Clinton Heylin oder – sieht man mal von Brinkley ab – allzu offensichtliches „Fantum“. Ein Buch, das einige neue Seiten aufschlägt. Und auch gut unter den Weihnachtsbaum passt!

Bob Dylan: Mixing Up The Medicine. Deutsche Ausgabe. Unveröffentlichte Fotos und Zeugnisse aus dem Bob Dylan-Archiv von 1941 bis heute, München 2023, 608 Seiten mit vielen Abbildungen, 98 Euro.

Die um das Ölgeld tanzen

29. Oktober 2023

Martin Scorseses „Killers Of The Flower Moon“ ist ein vielschichtiges Americana-Meisterwerk, bündelt seine Lebensthemen und ist auch ein Gedenken an Robbie Robertson.

Copyright:  Paramount Pictures/ Apple TV+

Der Film ist Western, Gangsterfilm, Familientragödie und Justizdrama in einem. Martin Scorsese hat mit „Killers Of The Flower Moon“ ein episches Meisterwerk geschaffen, das als sein vorzeitiges Vermächtnis angesehen werden kann, da es im Grunde seine lebenslangen Themen Gier, Gewalt und (un)heilige Familie bündelt. Es geht um den Alptraum des gierigen Kapitalismus in Amerika, der nur funktionieren kann, weil er dort das Recht und Gesetz nach seinen eigenen Interessen ausrichten kann.

Western, Gangsterfilm, Familientragödie und Justizdrama

In diesem Film gibt es drei Hauptakteure, die gleichsam Archetype dieses Alptraums sind. Da ist der Mann, der die Strippen zieht: Robert de Niro spielt den Rinder-Tycoon William Hale. Er ist eine durchschnittliche Erscheinung, keine Chisholm oder McLintock-Figur á la John Wayne, die stets mit größer Körperlichkeit herrscht. Hale ist eher ein scheinbar freundlicher, aber in Wirklichkeit perfider intriganter Buchhalter der Gier. Um ihn herum sieht er, wieviel mehr die Osage verdienen können, da auf ihrem Land große Ölvorkommen vorhanden sind. Also entwickelt er einen legalen wie perfiden Plan um das Vermögen in weiße Hände zu bekommen.

Der Tycoon und sein Handlanger

Leonardo di Caprio spielt Ernest Burkhart. Ein Neffe von Hale. Ein typischer Handlanger, der mit der dafür notwendigen Mischung aus Charme, Dummheit und Gier agiert. Das schlimme dabei ist die äußere Harmlosigkeit, mit der er auftritt. Er wird von seinem Onkel zwar zu dieser Verbindung gedrängt und ist doch tatsächlich in die ausgewählte Molly, eine Osage, verliebt. Gleichzeitig unternimmt er nächtliche Streifzüge und raubt Stammesgenossen von Molly aus. Denn das Geld liebt er noch mehr. Er ist die Parabelfigur dafür, dass das Böse eben trivial ist und scheinbar aus der unauffälligen Mitte der Gesellschaft kommt. Am Ende macht er sich immer mehr schuldig, da er auf Anweisung seines Onkels Mordaufträge vergibt und seine Frau langsam vergiftet. Er ist eine einzige gefährliche Lebenslüge. Er ist der, der sich selbst und sein Gewissen verleugnet und verdrängt. Ein Mitläufer und Ausführender, wie es jedes Unrechtsregime braucht.

Loyal dem Stamm und dem Mann gegenüber

Molly ist vom Stamm der Osage und hat drei Schwestern, die allesamt mit Weißen verheiratet sind. Sie heiratet Ernest, gibt seinem Werben nach. Sie liebt ihn und versteht bis fast ganz zum Schluss nicht die Erbärmlichkeit und Gefährlichkeit von Ernest, seine bösen Verstrickungen. Sie ist ihm loyal gegenüber, auch als sie schon mit der Osage-Delegation nach Washington reist. Aber Molly ist eben auch eine gläubige Katholikin, die ihrem Mann gegenüber gehorsam ist. Sorcese überzeichnet hier bewusst das nicht-verstehen-wollen Mollys, damit sich das Böse in seiner Geschichte entfalten kann.

Dieses Böse ist aber hier nicht metaphyisch, also gleichsam unbeeinflussbar gottgewollt in der Welt. Das Böse hat seine realen Entstehungsbedingungen in der kapitalistischen Waren- und Finanzwirtschaft. Das Öl ist eine Ware, die großen Gewinn verspricht, wer diese Ware schon nicht besitzen kann, der will sein Vermögen damit auf andere Art und Weise machen. Also entwirft Hale den Plan seinen Sohn und seinen Neffen mit Osage-Frauen zu verheiraten. Bei deren Tod fällt das Vermögen an seine Familie. Die Tode werden möglichst als Unfälle oder Krankheiten inszeniert. Und viele andere Weiße handeln ebenso. Am Ende soll ein gigantischer Transformationsprozess vom Reichtum der Osage zum Reichtum der Weißen stehen.

Denn die Osage-Indianer sind durch die Ölvorkommen reich geworden. Doch die weiße Mehrheitsgesellschaft neideten ihnen diesen Reichtum. Daher verabschiedete der Kongress der Vereinigten Staaten 1921 ein Gesetz, das vorsah, dass die Gerichte für jeden Osage, der mindestens zur Hälfte von ihnen abstammte, einen Vormund ernennen mussten, der ihre Tantiemen und finanziellen Angelegenheiten verwaltete, bis sie ihre „Mündigkeit“ unter Beweis stellten. Ein Einfallstor für die groß angelegte Verheiratung von Osage-Frauen mit weißen Männern.

Copyright: Thomas Dunne Books

Das Tulsa-Massaker als zeitgleiches, rassistisches Unrecht

Scorsese inszeniert auch den Reichtum der Osage als etwas Unangemessenes. Die kapitalistische Gier nach Reichtum, Status und deren Symbole – Kleidung, Autos, Dienerschaft – wird auch nicht besser, wenn sie bei den Native Americans angesiedelt ist. Scorsese gelingt es, den Zeithintergrund der 1910er und 1920er Jahre in Oklahoma einzufangen. Die Hale-Morde sind nur die Spitze des Eisbergs eines ausgeklügelten Systems, den Osage-Indianern ihren Besitz zu nehmen und den Weißen und damit in Folge den großen Ölfirmen zuzuführen.

So wird als Referenz für die Allianz von Kapitalismus und Rassismus das zeitgleich stattfindende Tulsa-Massaker im Film eingeführt. Ein ganzes afroamerikanisches Stadtviertel, Greenwood, die sogenannte „Black Wall Street“, wird von einem rassistischen Mob 1921 in Schutt und Asche gelegt. Auch hier spielen der Neid und die Gier eine Rolle. Und auch hier sind die weißen Brandschatzer nur die Handlanger von Interessen. Eine erfolgreiche, afroamerikanische Nebenwirtschaft dulden die Reichen und Einflussreichen in Tulsa nicht und daher haben sie auch kein Interesse die Schuldigen zu finden und das Verbrechen zu sühnen. Scorsese führt vor, wir tief rassistische Vorstellungen in der amerikanischen Gesellschaft in den 1920er Jahren verankert sind. Ganz selbstverständlich marschiert der Ku-Klux-Klan – angeführt vom örtlichen Banker – bei den Paraden in Fairfax mit, werden die Hales von den ärmeren Weißen schon mal als „Juden“ bezeichnet und der Hass gegen die Schwarzen ist ebenfalls da.

Breitwand-Film und Kammerspiel

Und auch deswegen bleibt die Polizei – bestens verbandelt mit Tycoon Hale – lange Zeit untätig. Erst nachdem eine Delegation der Osage nach Washington fährt, nimmt sich der neue, ehrgeizige FBI-Chef J. Edgar Hoover der Sache an und schickt Bundesagenten nach Oklahoma und die Sache wird verfolgt. Burkhart bleibt wankelmütig und di Caprio spielt dessen Verzweiflung des Nichtverstehens seiner Schuld, seine Verdrängungsleistung, großartig. Minutenlang hält die Kamera auf sein verkniffenes, ungläubiges Mienenspiel. Da wird der Breitwand-Film zum Kammerspiel.

Scorsese hat mit dem genialen Duo de Niro und di Caprio alias Hale und Burkhart zwei Protagonisten geschaffen, die man so schnell nicht vergessen kann. Ebenso Molly, die erst zu Mann und Stamm gleichermaßen loyal ist, dann als einzige initiativ wird, um auf in Washington auf die Morde aufmerksam zu machen, um schließlich aufgrund seiner Giftspritzen dahinsiecht. Als sie das ganze Maß seiner Verstrickungen begreift, versucht sie dennoch mit ihm die Wahrheit aufzuklären. Doch als Ernest sie belügt und abstreitet, ihre langsame Vergiftung geplant zu haben, wendet sie sich von ihm ab.

Copyright: Sony Classical

Die Filmmusik

Der Film ist dem Andenken an den verstorbenen Robbie Robertson gewidmet, der hier das letzte Mal für Scorsese die Filmmusik geschaffen hat. Er hat dies seit 1980 („Wie ein wilder Stier“) gemacht. Sein Score ist unaufdringlich, aber prägend. Ein momotoner Bass-Rhythmus steht für die latente Gefahr, die hier in Fairfax im Osage Country herrscht. Eine E-Gitarre in offener Stimmung für die vermeintliche Freiheit des Westens.

Gespickt ist der Film-Soundtrack zudem mit zeitgenössischen Old Time und Bluessongs. Da Scorsese bekanntermaßen auch ein großer Musikfreund ist – er verantwortet mit „The Last Waltz“ immer noch einen der besten Konzertfilme aller Zeiten und hat die wunderbare Bob Dylan-Mockumentary „Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story“ inszeniert – spielt die Musik hier eine große Rolle. Zudem sind im Cast gleich vier bedeutende Americana-Musiker mit dabei. Jack White spielt den Host einer Radio Show Host, in der am Ende die Geschichte – samt Cameo-Auftritt von Scorsese – resümiert wird. Charlie Musselwhite spielt einen armen, alten Weißen, der mit zur Auflösung der Morde beiträgt. Sturgill Simpson spielt den Groß-Schwarzbrenner Henry Grammer und Jason Isbell ist Bill Smith, der auch mit einer Osage verheiratet ist, dem die Todesfälle suspekt sind und deswegen mit seiner Frau in die Luft gesprengt wird.

Fazit

Große Bildpanoramen, denkwürdige Charaktere, starke Typen, spannende Verwicklungen und starke Dialogszenen und ein bislang filmisch noch nicht behandeltes Thema – Scorsese hat ein Meisterwerk geschaffen, das Bestand hat und das bald zum Kanon amerikanischer Filmgeschichte gehören wird.

Bob und Hank und Thomas

20. Oktober 2023

Hank Williams, der jetzt in der Americana-Reihe geehrt wird, war auch für Bob Dylan ein Vorbild/ Der Dylanologe hat auch schon mal einen Hank Williams-Song aufgenommen

Thomas & Hank (im Hintergrund Bob)

Als mich der Frankfurter Musikjournalist Detlef Kinsler kürzlich fragte, warum der Dylanologe jetzt Hank Williams feiere, dann antwortete ich ihm sinngemäß, weil man bei der Beschäftigung mit Bob Dylan immer wieder auf dessen Wurzeln stößt. Und eine der wichtigsten davon ist Hank Williams.

Hank als Vorbild für Bob

Dylan hat sich von dem Südstaaten-Countrysänger Williams eine ebenso große Portion abgeschaut wie von den afroamerikanischen Bluesmastern und den weißen Folkies. Mehr noch: Er war sein erstes „Role Model“. Ein Gitarre spielender Singer-Songwriter. Er hörte Hank in ganz jungen Jahren im Radio, war begeistert und wollte später gar nicht glauben, dass er tot ist. Erst später hat Dylan begriffen, welche musikhistorische Bedeutung Williams hat. Er hat dazu in den Chronicles geschrieben: „Mir wurde bewusst, dass in Hanks aufgenommenen Liedern die archetypischen Regeln des poetischen Songwritings vorlagen.“

Und tatsächlich öffnete Hank die Tür für Singer-Songwriter, die subjektive Poesie dichten und vertonen und nicht kommerziell kalkulierte Massenware abliefern, wie es bis heute in Nashville viel zu oft der Fall ist. Dabei schaffte er es, als Songpoet und als Bühnenpersönlichkeit im armen Süden eine große Anhängerschaft zu finden. Mit seinen traurigen, sorgenvollen, manchmal aber auch übermütigen Liedern war er wirklich so etwas wie der „Hillbilly-Shakespeare“. In seinen 2:45-Songs steckten ganze Welten voller Liebe, Wahrheiten und Weisheiten ebenso wie Trauer, Schuld, Sünde, Sühne und Glauben.

Hank immer im Repertoire

So hatte Dylan immer Williams-Songs im Repertoire. „You Win Again“ war schon 1961 in seinen Konzerten zu hören und wurde auch bei den Basement Tapes-Sessions gespielt. Im Film „Don’t Look Back“ spielt Dylan abseits der Bühne „Lost Highway“ und bei seinen Konzerten war und ist immer auch mal ein Hank Williams-Stück zu hören.

In der jüngeren Vergangenheit wurde dann Dylan von vier Frauen, die sich mit den nachgelassenen Texten von Williams beschäftigten, ausgewählt, diese zu vertonen. Doch Dylan mochte das Projekt vielstimmig angehen und verschickte die Texte an Musiker:innen wie Jack White, Alan Jackson oder Norah Jones. 2011 schließlich erschien die Kompilation „The Lost Notebooks of Hank Williams“. Und schon im Jahr 2001 hatte Dylan dem Tribute-Album „Timeless“ eine schöne Version von „I Can’t Get You Off My Mind“ beigefügt.

Hank Williams begegnete mir also immer wieder bei Dylan und so übertrug sich die Faszination auch auf mich. Mittlerweile ist meine Sammlung von Hank-Alben, Bücher und Filmen auch schon nicht mehr so klein. Klare Sache, dass dann die Darmstädter Americana-Reihe in diesem Jahr den 100. Geburtstag der Country-Ikone feiert.

Auf den Spuren von Hank

Und als wir 2015 in den USA waren, da war in Montgomery, Alabama, der Besuch des Hank Williams-Museums Pflicht, auch wenn sich später herausstellte, dass im Vergleich zu den vielen anderen Blues- und Country-Museen im Süden leider sehr schlecht abschneidet. Zu rummelig, keine Ordnung und Didaktik. Einfach nur den Cadillac, ein paar Bilder und die Bühnenklamotten aufhängen, macht noch kein Museum.

Doch bereits ein paar Jahre vorher, 2010 in Nashville, spielte Hank Williams schon eine wichtige Rolle bei meinen Reiseaktivitäten. Denn nachdem ich im dortigen Welcome Center mit dem „Ambassador of the Music City“ David Andersen u.a. „Mr. Tambourine Man“ gesungen hatte, war der so begeistert, dass er mir den Tipp gab, im Ryman Auditorium eine CD aufzunehmen. Gesagt, getan. Doch da dort kein Bob Dylan-Song im Angebot war, sang ich den Text zur eingespielten Melodie von „Hey Good Lookin“. Der Erinnerung an „Thomas sings Hank im Ryman Auditorium“ ist eine, die ich immer in Ehren halten werde. Die Aufnahme möchte ich Euch daher nicht vorenthalten:

Thomas Waldherr singt „Hey Good Lookin'“ von Hank Williams

Hank-Tribute in Darmstadt

Doch keine Sorge,am 26. Oktober beim großen Hank William-Tribute werde ich allenfalls im Hintergrund mitsingen, denn da stehen die Hank Williams-Interpretationen der Künstler:innen Wolf Schubert-K. & Friends, Romie, Helt Oncale, Martin Grieben und Woog Riots im Mittelpunkt. Das wird ein toller Abend, jetzt Karten sichern unter http://www.knabenschule.de !

Eine Reise zu Bob Dylan und Amerika

13. Oktober 2023


Auf den Spuren von Dylan und Guthrie in New York, Tulsa und Woodstock/ Einwanderungsgeschichte und afroamerikanische Perspektive

2024 auf den Spuren Bob Dylans in Amerika: Thomas Waldherr im Juni am Rande der Dylan-Konzerte in Donostia, Foto: Cowboy Band Blog

Fast alles ist schon organisiert. Dem ersten USA-Trip nach 2019 steht nichts mehr im Wege. Von Anfang bis Mitte April kommenden Jahres werden wir in den Staaten auf den Spuren von Bob Dylan und Woody Guthrie, der afroamerikanischen Community und der Einwanderungsgeschichte wandeln.

Erste Station: New York City, N.Y

Wir waren fast 15 Jahre nicht mehr in New York zugunsten ausgedehnter Reisen durch die Südstaaten. Haben New Orleans gesehen, waren mehrmals in Memphis und Nashville, haben die Wurzeln von Folk, Blues, Country und Jazz besucht und waren gleichzeitig auch an Schauplätzen der Geschichte von Sklaverei und Rassismus. Diese Widersprüche haben die Südstaaten für uns so interessant gemacht. Diesmal wollen wir aber – auch angesichts der politischen Lage in den USA vor den Präsidentschaftswahlen 2024 – ganz konsequent auf den Spuren des progressiven Amerikas wandeln.

Greenwich Village

Im Greenwich Village werden wir Orte der linken Boheme- und Folkszene aufsuchen. Nächtigen im Washington Square Hotel, wo schon Bobby und Joanie im Zimmer 305 gewohnt haben. Das frühere Almanac House steht ebenso auf dem Plan wie verschiedene Stätten an denen Dylan, Guthrie und Seeger gewohnt haben. Aber auch Lokale wie die legendäre White Horse Tavern  – hier trank sich der Legende nach Dylan Thomas zu Tode – oder die fast ebenso legendäre Minetta Tavern  – die war öfters schon Kulisse für Mafiafilme wie „Micky Blue Eyes“ mit Hugh Grant – sind wichtige Stationen. Und natürlich die Musik-Clubs wie „The Bitter End“.

Harlem

Wie werden auch erstmals Harlem in Augenschein nehmen. Das afroamerikanische kulturelle Zentrum New Yorks. Angefangen hat das mit der durch die „Great Migration“ ausgelösten „Harlem Renaissance“, die etwa von 1920 bis 1930 andauerte. Für sie stehen Schriftsteller wie W.E.B. du Bois, Langston Hughes und Countee Cullen, visuelle Künstler wie Aaron Douglas und Palmer Hayden und natürlich Musiker und Entertainer wie Louis Armstrong, Josephine Baker, Duke Ellington und Cab Calloway. Dann fortgesetzt mit der Öffnung des Apollo Theatre für afroamerikanische Künstler und ihr Publikum. Der Theaterproduzent Sidney S. Cohen hatte das Apollo 1934 für das afroamerikanische Publikum geöffnet. Das Apollo wurde über die Jahrzehnte zum bekanntesten Aufführungsorte fast ausschließlich schwarzer Musik wie Jazz, Blues, Soul, Pop und Hip-Hop in den USA. Heute ist es leider nur noch ein museales Relikt für Führungen, es werden hauptsächlich Talent-Wettbewerbe veranstaltet. Große Konzerte stehen nicht mehr auf dem Plan. Die große Geschichte des US-Jazz bildet das ebenfalls in Harlem gelegene „National Jazz Museum“ ab. Im Bau befindet sich derzeit das in der Bronx gelegene „Universal Hip Hop Museum“ das u.a. von Kurtis Blow initiiert wurde. Es soll 2024 öffnen, ob wir es schon besuchen können, scheint weniger wahrscheinlich.

Ellis Island

Die Insel war lange Zeit Sitz der Einreisebehörde für den Staat und die Stadt New York und über 30 Jahre die zentrale Sammelstelle für Immigranten in die USA. Zwischen 1892 und 1954 durchliefen etwa 12 Millionen Einwanderer die Insel. Hier entschieden sich Schicksale. Hier wurden Träume begraben und Leben neu erfunden.  Bei alldem war Ellis Island alles andere als eine Servicebehörde. Der Prüfungsprozess ob jemand in den USA aufgenommen wurde, war streng und konnte einige Tage dauern. Teilweise wurden die Menschen auf der Insel interniert und Familien wurden dabei getrennt, Männer und Frauen wurden an unterschiedlichen Orten untergebracht. Viele Einwanderungswillige mussten erst noch einige Tage an Bord ihrer Schiffe verbringen, bevor sie an Land gelassen wurden. Der Großteil der Menschen musste einige Fragen beantworten und wurde dann streng gesundheitlich untersucht. Wer allerdings Geld und/oder Reputation vorweisen konnte, der wurde schnell nach Manhattan durchgeschleust. Heute beherbergt die Insel das „Ellis Island Museum of Immigration“. Wir werden es besuchen und auf dem Weg mit dem Schiff die Freiheitsstatue grüßen.

Bleibt noch anzumerken, dass es in diesen Tagen ein Problem in New York City mit dem Umstand gibt, dass von den Republikanern regierte Staaten in großem Stil Einwanderer aus Mexiko hierhin verfrachten. Das zeigt wieder einmal auf wie gespalten das Land auch in dieser Frage ist.

2. Station Tulsa, Oklahoma

Der Woody Guthrie-Center in Tulsa, Foto: Cowboy Band Blog

Endlich den 2022 eröffneten Bob Dylan Center sehen. 2019 waren wir das erste Mal in Tulsa beim großen Dylan-Kongress und haben damals schon den Woody Guthrie Center und das Gilgrease Museum besucht, das die umfassendste Sammlung von Artefakten des Amerikanischen Westens hat. Es bringt Objekte aus der Geschichte der hispanischen, der afroamerikanischen und der angelsächsischen Besiedlung des Westens zusammen mit der Perspektive der Native Americans.

Diesmal werden wir neben dem Dylan Center uns der Geschichte des großen „Tulsa Massacre“ von 1921 widmen. Damals wurde das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des afroamerikanischen Tulsas, das Stadtviertel Greenwood, von einem gewalttätigen, weißen, rassistischen Mob völlig zerstört und dabei dreihundert afroamerikanische Menschen getötet. Diese Geschichte geriet durch die weiß gefärbte Geschichtsschreibung in Vergessenheit. Erst 1997 (!) richtete das Stadtparlament von Tulsa einen Untersuchungsausschuss zu diesem Ereignis ein. Die Morde und die Zerstörung wurden als Unrecht gebrandmarkt, es wurden Gelder für „Wiedergutmachungsmaßnahmen“ zur Verfügung gestellt: Überlebende des Massakers bekamen Orden, schwarze Schüler Stipendien. Doch wirkliche Entschädigungen für die afroamerikanische communiaty gab es nicht. Ein in den 1980ern gegründetes Kulturzentrum, das sich in einer Austellung mit dem Massaker beschäftigt und ein 2008 errichteter Gedenkstein sind bis heute die einzigen sichtbaren Zeichen der Erinnerung. Ein 2020 angestrengtes Klageverfahren gegen die Stadt Tulsa von drei hochbetagten Überlebenden des Massakers wurde im Juli diesen Jahres von einer konservativen Richterin abgelehnt.

Somit bleibt auch hier William Faulkners Aphorismus unvermindert aktuell: „Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen“. Auch Bob Dylan hat in „Murder Most Foul, dem Meisterwerk seines jüngsten Album „Rough And Rowdy Ways“ auf das Massaker Bezug genommen: „…Play tragedy, play ‚Twilight Time‘ / Take me back to Tulsa to the scene of the crime…“. Und diese Zeilen sind im Übrigen wieder eine besondere Collage Dylans. Denn „Take Me Back To Tulsa“ ist ein Titel der Western Swing-Legende Bob Wills, der in Tulsa in Cain’s Ballroom das Genre quasi aus der Taufe hob. In einer Zeile hat Dylan damit den ganzen tragischen Widerspruch Tulsas als Geburtsstätte eines Musikgenres und als Totenstätte eines ganzen, ehemals blühenden Stadtviertels zum Ausdruck gebracht. Das kann nur Dylan.

Und wenn man dann noch weiß, dass Bob Wills sogar ein Förderer örtlicher afroamerikanischer Musiker wie dem Jazz- und Swing-Bandleader Ernie Fields war, dem er in seinem Vorprogramm auftreten ließ, zeigt sich, dass es immer Spielräume gibt, falsche Regeln zu unterlaufen und die Welt eben nicht immer schwarz oder weiß ist.

3. Station: Woodstock, N.Y.

Woodstock fand in Bethel ohne Dylan statt. Foto: Cowboy Band Blog

Dann geht es über den Zwischenstopp New York hoch nach Woodstock. Die legendäre Künstlerkolonie, die dem 1969er Festival seinen Namen gab, obwohl es im rund 70 Meilen entfernten Bethel stattfand. Aber es sollte einfach Woodstock sein, denn da wohnte der Messias der Rock-Generation, Bob Dylan. Dieser jedoch war der Rummel und die Hippies zu viel. Er ergriff die Flucht nach Europa und trat lieber beim Isle of Wight-Festival auf.

In der Nähe von Woodstock, in West Saugerties nahmen Dylan und The Band die „Basement Tapes“ auf und schrieb The Band „Music From Big Pink“. Neben Dylan und den Jungs lebten Ende der 1960er u.a. zeitweise auch Van Morrison, Janis Joplin und Jimi Hendrix dort.

Bis heute ist Woodstock ein Teil des „anderen Amerika“ geblieben. Immer Künstlerisch, oftmals durchaus politisch, manchmal aber auch ein bisschen esoterisch zeigen sich Woodstock und die nahe liegenden Dörfer und Städtchen als ruhiger Gegenentwurf nicht nur zu den hektischen Städten, sondern durchaus auch zu den konservativen Small Towns.

Und es ist natürlich ist es auch landschaftlich wunderbar gelegen. Mitten in den Catskill Mountains, einem Mittelgebirge, ähnlich wie dem Odenwald, das Ausläufer der Appalachen ist. Hier werden wir unsere USA-Reise mit viel Ruhe und Wanderungen beenden. Bleibt nur noch, dass, während wir da sind, in den Studios von Levon Helm oder im Bearsville Theatre schöne Livemusik zu hören ist.

In diesem Sinne beginnen jetzt die Detailplanungen: Was gibt es noch zu sehen? Wer tritt wo auf? usw. Und natürlich den Soundtrack zum Reise zusammenstellen. Über den weiteren Verlauf der Planungen und über die Reise werde ich selbstverständlich immer wieder hier mal was schreiben.

Wenn der Teufel fischen geht

29. September 2023

„Sir“ Oliver Mallys „heilendes“ Konzert an einem warmen Vollmond-Abend in Darmstadt/ Eigene Bluessongs und mehrere Dylan-Titel

Offiziell ist heute am 29. September Vollmond. Doch in Darmstadt konnte man ihn schon am Abend zuvor am Himmel sehen. Und der österreichische Bluesvirtuose „Sir“ Oliver Mally erzählte seinem Publikum während dieses Americana-Konzerts in der Bessunger Knabenschule, dass er schon tagelang vorher und tagelang hinterher den Vollmond spüre. Also spüre er ihn ohnehin die meiste Zeit des Monats. Wenn das mit ursächlich für seine überbordende Kreativität, seine virtuosen Performances und sein komödiantisches Talent sein sollte, dann sei es dem Vollmond gedankt. Denn auch bei seinem zweiten Auftritt in der Darmstädter Americana-Reihe zog er das Publikum in seinen Bann und beendete sein Konzert beifallumtost.

Die Erschöpfung weggespielt

Es war der Abend eines ungewöhnlich warmen Herbsttages. Und so konnte man zu Beginn des Konzerts den Eindruck gewinnen, das Darmstädter Publikum war aufgrund der ungewohnten Hochsommer-Temperaturen etwas erschöpft. Doch Oliver Mally wäre nicht der „Sir“, wenn wer es nicht trotzdem geschafft hätte, die Erschöpfung wegzuspielen und das Publikum zu Jubelstürmen hinzureißen.

Faszinierendes „Like A Rolling Stone“

In seiner ganz eigenen Art mit virtuosen Gitarrenläufen, engagiertem Gesang und mit der Musik schmachtenden Seufzern spielt Mally ein abwechslungsreiches Programm aus eigenen Bluessongs mit ein paar eingestreuten Covern. Mehrere Dylan-Titel wie „Girl From The North Country“, „One Too Many Mornings“ und ein faszinierendes „Like A Rolling Stone“ (mit „La Bamba“-Einstieg für Dylankenner!)  bezeugen seine Liebe zum legendären Songschmied. 2019 hat er unter dem Titel „Mally plays Dylan“ ein ganzes Album mit Dylan-Titel ausgenommen. Aber auch „Dead Flowers“ einem der Countrysongs vom Stones-Album „Sticky Fingers“ oder „Time“ von Tom Waits wurden von ihm kongenial interpretiert.

Am Haken des Teufels

Seine eigenen Kompositionen bilden das Zentrum seines Auftritts. In ihn zeigt sich: Der Mann hat, fühlt und versteht den Blues. Die Themen seiner Songs stellen das halsbrecherische und gefährliche im Leben dar und sind doch oft humorvoll und anarchisch, denn der „Sir“ lässt sich von keinem schrecken. Außer vielleicht vom Leibhaftigen. Über den singt er das eine oder andere Mal an diesem Abend. Er singt „Devil’s Gone Fishing“ und spürt, dass er am Haken des Teufels hängt und keiner sich drum schert. Er hängt an der Angel und wie es weitergeht lässt der Song offen. Denn wenn der Teufel einen im Besitz hat, dann kann er ihn noch ganz schön lange zappeln lassen.

Du kannst den Teufel nicht schlagen!

Und auch an diesem Abend wieder einer der Höhepunkte: „You Can’t Beat The Devil“. Du kannst den Teufel nicht schlagen! Aber Du kannst versuchen, ihm am Schwanz zu packen. Oder zu trinken. Man trinkt, weil man besessen ist oder man trinkt, um den Teufel und alle bösen Geister zu vertreiben und das kann ja wiederum auch böse enden. Wie Mally diesen Song inszeniert – einschließlich der gesungenen Whiskykarte mit American Whiskeys, Irish Whiskeys und schottische Single Malts – ist grandios.

Blues heilt

Und so kommt die ganze Konzertgesellschaft im zweiten Teil – entsprechend der Außentemperaturen – auch in der Halle der Knabenschule auf hohe Betriebstemperatur und Mally wird nicht ohne Zugaben von der Bühne gelassen. Und er beendet mit dem in seiner Lyrik an Bob Dylan geschulten „Time“ von Tom Waits sein Konzert mit einem langsamen und nachdenklichen Stück und entlässt das Darmstädter Publikum in diese ungewöhnlich warme Vollmondnacht. Und alle fühlen sich besser als vorher. Der „Sir“ und seine Musik hatten an diesem Abend eine durchaus „heilende“ Wirkung und man ist sich daher schnell einig. Die Mally’sche Musiktherapie wird in der Americana-Reihe eine Fortsetzung finden.

„You Can’t Beat The Devil“:

Michael Kleff-Sammlung geht nach Eisenach

18. September 2023

Lippmann+Rau-Archiv ist das Zentrum der deutschen Forschung zu Americana und American-Folk

Copyright: Lippmann+Rau-Stiftung

Über 100 Sammlungen zur Geschichte von Rock, Folk, Blues und Jazz beherbergt das Lippmann+Rau Musikarchiv in Eisenach bereits. Im September 2024 wird eine bedeutende Sammlung hinzukommen: Die Michael Kleff Research Collection (MKRC). Sie enthält Materialien aus der über 35 Jahre langen beruflichen Tätigkeit des Radiojournalisten, Autors und ehemaligen Folker-Chefredakteurs Michael Kleff an der Schnittstelle von Musik und Politik. Dies wurde der Öffentlichkeit mit einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche mitgeteilt.

Kenner des American Folk

Kleff, der im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag feierte, ist einer der profundesten deutschen Kenner der amerikanischen Folk-Musik. Er lebt als Journalist und Autor in Bonn und New York und ist mit Nora Guthrie, der Tochter von Woody Guthrie verheiratet. Er war von 1998 bis 2014 Chefredakteur der Musikzeitschrift Folker. 2002 veröffentlichte er bei Palmyra als Herausgeber „Hard Travelin´ – Das Woody Guthrie Buch“. 2017 war er maßgeblich an der CD-Box „Woody Guthrie – The Tribute Concerts“ beteiligt.

Im MKRC-Audioarchiv finden sich rund 2.000 zwischen 1983 und 2021 entstandene Tondokumente –hauptsächlich Interviews und Rundfunksendungen bzw. -beiträge.  Zu den Schwerpunkten im Bereich Musik gehören u.a. Themen wie Folk und Singer/Songwriter in den USA (u. a. Pete Seeger, Woody Guthrie, Harry Belafonte, Phil Ochs). Zu den Schwerpunkten im Bereich Gesellschaft und Politik gehören Themen wie die multikulturelle Gesellschaft in Kanada, die Geschichte der US-Bürgerrechtsbewegung, Medien und Politik in den USA.

Bestandteil der Sammlung sind auch mehrere tausend historische und zeitgenössische Musikzeitschriften, vor allem aus den USA, von denen viele außerhalb des MKRC nicht in vollständigen Auflagen verfügbar sind.

Michael Kleff mit Joan Baez auf dem Newport Folk Festival 1985, Quelle: MKRC

Harold Leventhal Collection eines der Herzstücke

Eine Sonderstellung der MKRC nimmt die darin aufgenommene Harold Leventhal Collection (HLC) ein. Der US-Amerikanische Musikproduzent Harold Leventhal (1919-2005) begann seine fast 70 Jahre lange Tätigkeit in den 1930er Jahren als song plugger für Irving Berlin. Besonders verbunden war Leventhal mit Pete Seeger und Woody Guthrie. 1963 produzierte er Bob Dylans erstes Konzert in der New Yorker Town Hall und er war auch maßgeblich am Woody Guthrie-Tribute-Konzert 1968 beteiligt, bei dem Bob Dylan & The Band einen der wenigen Live-Auftritte dieser Jahre absolvierten.

Eisenach als Recherchezentrum für American Folk in Deutschland

Mit der Michael-Kleff-Sammlung hat sich das Lippmann+Rau Musikarchiv nun wohl endgültig zu dem deutschen Archiv- und Forschungsinstitut für Americana und American Folk entwickelt. Wer hierzulande zur deutschen Rezeption von Werk und Wirken von Pete Seeger, Woody Guthrie, Joan Baez und Bob Dylan tiefgehend recherchieren und forschen will, für den ist ein Aufenthalt in Eisenach künftig Pflichtprogramm.

Memories of Budokan…

7. September 2023

Wenn die 4-CD-Box „The Complete Budokan“ am 17. November erscheint, dann wird der Blogger und Dylan-Fan Feiertage vor sich haben.

Copyright: Sony Music

Mit „Hurricane“ und „Desire“ hat bei mir die ganze Dylan-Sache angefangen. Aber „Live At Budokan“ war etwas Besonderes. Die umfangreich bebilderte Doppel-LP mit Booklet (Texte in japanisch und englisch) und Poster war eine Einladung. Eine Einladung zur Beschäftigung mit den Texten und zum Mitsingen. Auch wenn manch anderer Dylan-Fan über Budokan die Nase rümpft. Ihr müsst jetzt stark sein, denn mir gefällt diese Musik total. Mag sein, dass die Musik der späteren Europatournee noch besser war und wir alle uns auf eine Veröffentlichung des „Jahrhundertkonzerts“ in Nürnberg gewünscht hätten. Ich freue mich dennoch sehr auf „The Complete Budokan“. 

Packende Songversionen auf „Live At Budokan“

Das 1979 erschiene „Live At Budokan“ berührt mich auch nach 44 Jahren unvermindert. Schon die ersten Sekunden der Einleitung von Mr. Tambourine Man sind für mich ikonographisch. Das Gitarrenriff am Anfang bevor die Band einfällt, die Flöte als tragendes Element dieser Version. Das vorher und nachher von Dylan nie süßer gesungene „Love minus Zero“. Der Klage/Gospelgesang von „Oh Sister“ oder „Shelter From The Storm“. Die Reggae-Versionen von Don’t Think Twice (passender spöttischer Duktus!) und „Knockin‘ On Heaven’s Door (fröhlicher Fatalismus!) , die aufwühlenden Fassungen von „It’s Alright Ma“ und „Like A Rolling Stone“. Packende Versionen allüberall. Jetzt noch mehr dieser Songversionen in bester Klangqualität zu haben, elektrisiert mich geradezu.

Tolle Arrangements

In den Budokan-Konzerten zeigt sich endgültig Bob Dylans großes Talent als Arrangeur. Er verändert Melodien und Rhytmen seiner Songs wie er es gerade braucht. Er baut sich eine Big Band samt Background-Chorsängerinnen zusammen. Alle ziehen sich Showklamotten an. Es ist Dylans radikaler ästhetischer Bruch mit Folk und Folk-Rock, die seine Musik bis dahin in den 1970ern geprägt hat. Während die Japaner:innen noch höflich sind und applaudieren, sind es die Deutschen im Sommer nicht.  Bei den Konzerten in Dortmund gibt es Pfiffe, in Berlin das ganze Konzert über Buhrufe und es landen Wurfgeschosse auf der Bühne. Deutschland hat 13 Jahre nach Newport 1965 noch nicht verstanden, dass Dylan kein Wandergitarre klampfender Protestsänger mehr ist. Die in die Jahre gekommene und in den Institutionen angekommene 68er Generation wirft Dylan vor in die Jahre gekommen und sich angepasst zu haben. Sehr lustig.

Copyright: Sony Music

Bruch mit der Folk-Rock-Ästhetik

Anfang 1979 erschien „Budokan“, im August 1979 kam dann „Slow Train Coming“ raus. Seine Jesus-Phase traf mich ungleich härter als die Showklamotten und die Big Band-Ästhetik. Wo „Budokan“ noch den anarchischen Geist des großen Veränderungskünstlers Bob Dylan atmete, waren „Slow Train“ und vor allem „Saved“ von Text und Haltung her bornierte Statements eines trotz vorgeblicher „froher Botschaft“ schlecht-gelaunten Predigers. Dass da tolle Livemusik und Performances entstanden waren, entdeckte ich erst viele Jahre später.

„The Complete Budokan“ – meine Bestellung ist schon raus!

„Only A Pawn In Their Game“

24. August 2023

Reaktionäre Protestsongs: Oliver Anthonys Erfolg mit „Rich Men North Of Richmond“ ist von der US-Rechten zielgerichtet orchestriert worden

Als Oliver Anthonys Country-Folk-Song „Rich Men North Of Richmond“ zum großen Internet-Hit wurde, war in den ersten Stellungnahmen zu lesen, das wäre ein Song, der die Nöte der Arbeiterklasse zum Inhalt hätte. Nun, nach eingehender Beschäftigung mit dem Song, seinem Text und seinem Erfolg, kann man nur sagen: Vordergründig werden die Nöte der Arbeiterklasse angesprochen. Doch dahinter geht es um eine weitere Schlacht im sorgsam von der extremen Rechten orchestrierten Kulturkampf in den USA. Und Oliver Anthony ist, um es mit den Worten des jungen Bob Dylan zu sagen: „Only A Pawn In Their Game“.

Denn der Aufstieg des Songs zum viralen Internet-Hit wurde von Anfang an begünstigt durch konservative Medienpersönlichkeiten wie Countrysänger John Rich und den Kommentatoren Dan Bongino und Matt Walsh. Ihrer Gefolgschaft aus weißem Mittelstand und konservativen Arbeitern empfahlen sie Anthonys Song auf all ihren Kanälen. Und natürlich war auch Jason Aldean wieder nicht weit, der ja „Held“ der letzten kulturellen Auseinandersetzung um „Try That In A Small Towm“, die man mit Fug und Recht als Hymne für die „Make America Great Again“-Bewegung nehmen kann, die bekanntermaßen rassistisch und rückwärtsgewandt ist.

Kein wirklicher Song gegen die Macht der Reichen

Wäre Anthonys Song wirklich ein Protestsong gegen die Macht der Reichen im Sinne von Woody Guthrie oder Bob Dylan, wäre er nicht von diesen Leuten empfohlen worden. Billy Bragg hat ja Anthony auch gleich in „Rich Men Earning North Of A Million“ einen musikalischen Vorschlag gemacht: „Tritt in die Gewerkschaft ein!“ Denn diese „Right Wing Influencer“ befördern nur den rechtsextremen ideologischen Hintergrund, der zum Sturm auf das Kapitol geführt hat. Was also macht diesen Song so anschlussfähig für die extreme Rechte?

Er kommt erstmal daher wie eine wirkliche Kritik im Sinne der Arbeitenden:

„Nun, ich habe meine Seele verkauft

Den ganzen Tag arbeiten

Überstunden

Für eine beschissene Bezahlung“

Aber dann folgt nicht eine Anklage gegen ausbeutende Arbeitgeber, sondern gegen die „reichen Männer, nördlich von Richmond“:

„Diese reichen Männer nördlich von Richmond

Herr, der kennt sie alle

Die möchten einfach die totale Kontrolle haben

Möchten wissen, was Du denkst“

Und weiter:

„Ich wünsche Politiker

Würden nach Bergleuten Ausschau halten

Und nicht nur nach Minderjährigen

irgendwo auf einer Insel“

Und dann kommt das Wüten gegen Sozialleistungen:

„Es gibt nichts zu essen

Und das Wohlergehen der Fettleibigen

Aber Gott, wenn du 1,70 Meter groß bist

Und du wiegst dreihundert Pfund

Steuern sollten nicht gezahlt werden

für Ihre Tüten voller Karamellbonbons“

Und dann wird wieder an die reale Verzweiflung und Perspektivlosigkeit der Jugend im Fly Over-Country angespielt:

„Junge Männer

rammen sich sechs Fuß in den Boden

Weil alles, was dieses verdammten Land tut,

ist sie weiterhin nieder zu treten“

Doch es sind nicht die Konzerne, die Arbeitsplätze vernichten. Es sind nicht die Pharmafirmen, die Medikamentenepidemien begünstigen. Nein, Schuld haben „diese reichen Männer nördlich von Richmond“. Die auch noch alle „bis zum Äußersten besteuern“.

Rechte Agenda im Kostüm der Sozialkritik

„Rich Men“ ist im Grunde einer der gefährlichsten Songs der letzten Jahre. Er kommt daher im Kostüm der Sozialkritik. Aber dann:

  • Er kritisiert nicht die Reichen und deren Herrschaftsstrukturen per se. Es sind die „progressiven Eliten“ in Washington, die Ziel seiner Attaken sind. Das verstehen die schon, die es verstehen sollen.
  • Er arbeitet mit alten und neueren Mustern der rechten Ideologien: Gegen Steuern, gegen Sozialleistungen. Die „faulen, dicken Sozialschmarotzer“ hat ja schon Ronald Reagan als vor allem schwarze „Welfare Queens“ den weißen Amerikanern zum Fraß vorgeworfen.
  • Neu: Jetzt kommen die Verschwörungstheorien dazu. Es ist das perfide, dass der wahre Fall Epstein hier von Anhängern von Verschwörungstheorien als Code oder auch als Platzhalter für die irre Idee „Pizzagate“ verstanden werden kann. Man fragt sich, warum Anthony ausgerechnet dieses Bild benutzt. Zum Hintergrund: Im US-Wahlkampf 2016 verbreitete sich ja die Behauptung, dass Hillary Clinton im Mittelpunkt eines international agierenden Pädophilenrings stehen würde. Zentrum dieses Netzwerks, das angeblich Kinder aus aller Welt verschleppt, missbraucht und verkauft, sollte laut Theorie im Keller einer Pizzeria in Washington, D.C. liegen. Solche Sachen werden in der extremen amerikanischen Rechten immer noch geglaubt.
  • Die Herrschenden in Washington wollen Deine Gedanken überwachen.

Wichtig ist, unterscheiden zu können. Schon immer gab es starke Statements zur Lage der Arbeitenden in der Countrymusik. Doch während Tennessee Ernie Ford in „Sixteen Tons“ lyrisch wunderbar und analytisch richtig sang

„Ich lade 16 Tonnen, was bekommst Du?

Einen weiteren Tag älter und tiefer verschuldet

St. Peter, ruf mich nicht an, weil ich nicht gehen kann

Ich schulde dem Firmenladen meine Seele“,

da abstrahiert der so lebensnahe Anthony plötzlich. Es geht also nicht um reale Verhältnisse. Es geht um Ideologie, um Hirngespinste.

Ideologien und Hirngespinste

Merle Haggards „Workingmen“ aus Muskogee, Oklahoma, hatten noch Arbeit, sie verspottteten die Hippies und Wehrdienstverweigerer aus einer Position der Stärke. Der Neoliberalismus seit Ronald Reagan hat zum Abbau von Jobs und und von Sozialleistungen geführt, die Demokraten Clinton und Obama sind dies nicht wirklich grundsätzlich angegangen. Die Arbeiter haben schon lange diese Stärke nicht mehr. Bob Dylan hat es in seinem „Workingman’s Blues #2 bereits 2006 thematisiert. Doch die neokonservativen und die extremen Rechten leiten seit Jahrzehnten schon die notwendige Kritik am neoliberalen Kapitalimus um in einen desparaten, irren Hass der Verlierer auf alles Progressive. Und dieser Song befördert dies.

Oliver Anthony scheint selber ein sehr verzweifelter Mensch zu sein. Ehemaliger Malocher, jetzt arbeitslos, lebt einsam mit Hunden auf seiner Farm. Eine Hillbilly-Erscheinung. Und er erzählt von seinen psychischen Problemen. Für die extreme Rechte ist er ein Held. Sein „Free Concert“ wurde medial von Fox News gekapert, die Menge skandierte wie bei Trump „USA. USA, USA“. Aber Oliver Anthony scheint auch ein Mensch mit einem doch recht widersprüchlichen Weltbild zu sein. Auf der einen Seite folgt er in seinem Song den rechten Narrativen. Dies zeigt, wie sehr diese sich schon in den Hirnen der einfachen Amerikaner eingefressen haben. Doch gleichzeitig erzählte Anthony sehr zum Missfallen seiner rechten Fans und Influencer, die USA seien doch ein Schmelztiegel, auf diese Vielfältigkeit solle man stolz sein. Na was jetzt?

Oliver Anthony: Schachfigur im rechten Spiel

Dieser Oliver Anthony ist noch nicht mal ein Zauberlehrling. Er ist nämlich gar nicht selber der Verursacher. Er war mit seinem kruden Song zur rechten Zeit für die Rechten da. Und wenn er sich tatsächlich nicht kaufen lässt, dann werden sie ihn auch wieder fallen lassen. Seine Schuldigkeit hat er dann ohnehin schon getan. Denn er ist halt wirklich „Only A Pawn In Their Game“. Eine Schachfigur im rechten Spiel der „Right Wing Rich Men“ überall in den USA.

Im gnadenlosen Kulturkampf haben sie nun die Countrymusik ins Visier genommen. Wollte noch 2017 keiner bei Donald Trumps Inauguration auftreten, so ist mittlerweile Jason Aldean Trumpist. John Rich, Travis Tritt, Kid Rock und Trace Adkins ebenfalls. Es steht zu befürchten, dass bis zu den Präsidentschaftswahlen 2024 breite Teile der Countryszene ihre politische Zurückhaltung aufgeben und der rechte Kulturkampf in das Mainstream-Country schwappt.

“Don’t Make Her Cry“

4. August 2023

Die Geschichte von Bobby und Regina/ Dylan und McCrary schreiben gemeinsam einen Song, den Buddy und Julie Miller nun veröffentlicht haben.

The McCrary Sisters. Regina ist vorne in der Mitte zu sehen. Copyright: Rounder Records.

„Bring Sie nicht zum Weinen“ soll Reverend Sam McCrary zu Bob Dylan gesagt haben, als der des Pfarrers Tochter Regina 1978 dazu erwählt hatte, als Sängerin mit ihm auf Tour zu gehen. Zu gut kannte dieser Reverend das Musikbusiness, war er doch bekannt als „Singender Prediger“ und Mitglied des schwarzen Gospel-Quartetts „The Fairfield Four“ aus Nashville, Tennessee.

Regina stammt aus einer Gospel-Familie

Zwar gab es die Formation bereits seit 1921, doch erst als „Reverend Sam“ 1935 dazu stieß, schafften sie aufgrund seines klaren, vollen Gesanges den Durchbruch beim Publikum. John Lomax nahm sie auf und sie sangen bei Gospelshows im Ryman Auditorium in Nashville. In den 1950er Jahren wurden die Fairfield Four bei ihren Touren durch den Süden immer öfter Opfer von rassistischen Schmähungen und Gewaltandrohungen. Seitdem traten sie fast nur noch in nördlichen Bundesstaaten auf. Mitte der 1950er trennten sie sich, Reverend Sam machte mit neuen Sängern als „Fairfield Four“ weiter, doch die Musik hatte sich verändert und sie konnten nicht an alte Erfolge anknüpfen. Sam sang seit 1960 nur noch in der Kirche und pflegte sein Familienleben.

Er war seit 1954 Pfarrer der St. Mark Baptist Church in Germantown, war verheiratet mit Mamie Elizabeth Marsh, 1958 kam deren Tochter Regina zur Welt. Sie wuchs mit Gospel auf und war gerade mal 20 Jahre alt, als Dylan sie bei einer Audition im Dezember 1978 in Nashville entdeckte. Sicher, sie sang großartig, aber Bob war natürlich auch beeindruckt aus welcher musikalischen Familie die junge Sängerin stammte.

Dylan taucht zu dieser Zeit ganz tief in den schwarzen Gospel ein und umgibt sich mit schwarzen Gospel-Sängerinnen. Zwei Monate später bekam Regina dann einen Anruf und war gebucht für die Aufnahmen zu Dylans erstem Gospel-Rock-Album. Sie sang auch auf „Saved“ und „Shot Of Love“ und war von 1979 – 1981, Sängerin in seiner Tourband.

Carolin Dennis als „große Schwester“

Heute wissen wir von den engen Verbindung Dylans mit Clydie King und von der Ehe mit Carolin Dennis. Mit Regina verbindet ihn bis heute eine Freundschaft. Scott Marshall hat für das amerikanische Dylan-Magazin „Rolling Tomes“ Anfang der 2000er Regina interviewt und Wissenwertes über deren Verhältnis eingefangen. Sie hat eine hohe Meinung über Bob und trifft sich mit ihm im Glauben an Gott. Bei den Auditions hatte sie auch Carolyn Dennis kennengelernt: „Carolin Dennis wurdes so etwas wie eine große Schwester für mich.“

Schnell zeigte sich das Talent von Regina, das von Bob und Carolin gefördert wurde. So eröffnete Regina die meisten dieser Shows (zusammen mit den anderen Sängerinnen) mit einer Handvoll Gospel -Lieder. Sie teilte Vocals mit Dylan bei Songs wie „Ain’t No Man Righteous, No Not One“ und „Mary From The Wild Moor“. Regina sang auch solo bei diesen Konzerten. Sie trug Songs wie „Put Your Hand in the Hand of the Man from Galilee““ und „Till I Get It Right“ vor.

Dylan schrieb in den Liner Notes zu „Biograph“: „Regina McCrary spielte eine Weile mit mir. Sie ist die Tochter des Predigers Sam McCrary, der die Gospelgruppe „The Fairfield Four“ hatte. Wie auch immer, sie eröffnete diese Shows mit einem Monolog über eine Frau im Zug, sie war so unglaublich bewegend. Ich wollte die Menschen so etwas aussetzen, weil ich es liebte und es die wahren Wurzeln aller modernen Musik sind, aber niemand scherte sich darum.“

Dylans religiöse Phase: Inhaltlich problematisch, musikalisch richtig und wichtig

Dylan und seine Sängerinnen 1980, Copyright: Wikimedia Commons

Schon hier zeigt sich, wie Dylan die musikhistorischen Zusammenhänge richtig versteht und verknüpft. Jüngst hat er in seiner „Philosophie des modernen Songs“ in einem klugen Artikel über „Little Richard“ auf den Zusammenhang zwischen Religiösität, „in Zungen sprechen“ und dem Rock’n’Roll hingewiesen. Doch davon wollte damals weder das amerikanische Publikum noch die deutsche Presse – „Wir brauchen keine Gospelsingende Micky Maus“, Frankfurter Rundschau 1981)“ – etwas wissen. So schlimm Dylans inhaltliche christlich-fundamentalistische Predigten waren, so musikhistorisch wichtig war seine damalige Beschäftigung mit den christlichen und schwarzen Wurzeln der amerikanischen Populärmusik.

Reginas spezielle Show-Eröffnung

Wie typisch Dylan-mäßig aber diese Showeröffnung wiederum zustande kam, erzählt Regina im ausführlichen Interview mit Ray Padgett, das dieser in seinem neuen Buch „Pledging My Time. Converstations mit Bob Dylan Band Members“ veröffentlicht hat. Bob erzählt Regina, dass der Show noch etwas fehle und diese, immer für einen Scherz zu haben, sagt, sie könne ja am Anfang die Geschichte von der alten Frau, die einen alten Zug erwischen will, erzählen, und anschließend würden sie mit den anderen Sängerinnen „If I’ve got my ticket lord, can I ride?’” singen. Dylan geht aus dem Raum, holt die übrigen Bandmitglieder und sie muss erneut die Geschichte erzählen. Keiner sagt etwas. Stattdessen kommt eine Viertelstunde vor Showbeginn Bob in die Garderobe der Sängerinnen gestürzt und möchte, dass Regina tatsächlich die Show eröffnet. Hilfesuchend ruft sie ihren Vater an und der stärkt sie. Und so wird die Erzählung zum ständigen Show Opener.

Auch nach Ende der Zusammenarbeit mit Bob bleibt Regina im Musikgeschäft und gründet später mit ihren drei Schwestern die Gospel-Gesangsguppe „The McCrary Sisters, die in ihrer Anfangszeit von Americana-Legende Buddy Miller besonders gefördert werden. Bob und Regina bleiben auch Jahrzehnte später noch in Kontakt. Als Dylan 2013 auf Tour in Nashville Station macht, kommen spontan auch die McCrary Sisters auf die Bühne und singen mit ihm gemeinsam „Blowin In The Wind“. Über Bob sagt sie bis heute nur Gutes: „Er ist ein guter Mann, er ist ein guter Mann“, bekräftigt sie gegenüber Ray Padgett.

„Don’t Make Her Cry“: Dokument einer Freundschaft

Und da Regina sowohl mit Bob als auch mit Buddy befreundet ist, kam es dann auch zur Veröffentlichung von „Don’t Make Her Cry“. Buddy Miller: „Drei Jahrzehnte später [nach der Zusammenarbeit von Bob und Regina] schrieben sie schließlich Texte zum Song zusammen in Huntsville, Al. Als es darum ging, die Musik zu schreiben, sagte Bob zu Regina: „Gib sie Buddy Miller.“ Dann gab ich sie an Julie weiter, die weitere Lyrics hinzufügte, andere änderte und sie vertonte. “

Nun ist der Song auf dem neuen Album von Buddy und Julie Miller mit dem Namen „In The Throes“ enthalten und wurde soeben als Single-Auskopplung veröffentlicht. Ein langsamer, Orgel-getragener Gospel. Geschrieben von Bob Dylan, Regina McCrary und Julie Miller. Ein schönes, sentimentales Stück und ebenso eine schöne Erinnerung an die Zusammenarbeit und Freundschaft von Regina mit Bob und mit Buddy.

The McCrary Sisters mit Buddy Miller und Larry Campbell:

Regina im Chor bei Bob Dylan:

Der gemeinsame Auftritt 2013 in Nashville:

Schlechter Schauspieler

9. Juli 2023

Bob Dylan singt Merle Haggards „Bad Actor“. Warum Haggard und warum dieser Song?

Bob Dylan und Merle Haggard, Copyright: Wikimedia Commons

Eine der interessantesten Fragen im Zusammenhang mit Bob Dylan aktueller, eben zu Ende gegangener Europa-Tournee ist die folgende: Warum sang Bob Dylan am Abend des 3. Juli auf der Bühne des Teatro degli Arcimboldi in Mailand den Merle Haggard Song „Bad Actor“?

Schon früh auf dieser Tour zeichnete sich ab, dass Dylan sein seit Herbst 2021 im Grunde nicht verändertes Programm durch ein abendliches Cover ergänzen würde. Dass er dabei Songs seiner guten Freunde von den Grateful Dead, Jerry Garcia und Robert Hunter sowie Van Morrison singen würde, überraschte nun keinen. Immer wieder mal hatte er in den Vorjahren Songs von ihnen eingestreut. Aber Merle Haggard?

Komplexe Beziehung zu Merle Haggard

Schließlich war ihre Beziehung doch recht komplex. Von gegenseitigem Respekt geprägt, aber enge Freunde waren sie nie. Zwar nahm er 2005 Haggard und seine Band als Vorprogramm – oder besser als zweiter Headliner – mit auf seine Tour. Als Reminiszenz an Haggard sang er bei seinen Konzerten auf dieser Tour immer wieder Haggards „Sing Me Back Home“. Und er beteiligte Merle 2011 an seinem Projekt „The Lost Notebooks Of Hank Williams“.

Das aber hielt ihn nicht davon ab, ihn dann 2015 in seiner „MusiCares Speech“ zu dissen. Dylan sagte damals: „Merle hielt nicht viel von meinen Songs, aber Buck Owens schon, und Buck nahm auch einige meiner frühen Songs auf. Buck schrieb ‚Together Again‘ und das schlägt alles, was je aus Bakersfield gekommen ist. Buck Owens und Merle Haggard? Wenn man unbedingt jemandes Segen braucht, dann kann man es hieraus ableiten.“

Das brachte natürlich Haggard auf den Plan. Der fühlte sich genötigt per Twitter zu antworten: „Bob Dylan, ich habe Deine Songs seit 1964 bewundert.“ Was wiederum Bob veranlasste in einem Interview auf seiner Website mit dem Journalisten Bill Flanagan seine Aussagen zu relativieren, aber auch zu konkretisieren: „Nein, ich wollte Merle nicht dissen, nicht den Merle, den ich kenne. Worüber wir sprechen geschah vor langer Zeit, möglicherweise in den späten Sechzigern. Merle hatte einen Song, der hieß ‚Fighting Side of Me‘ und ich sah ein Interview mit ihm, das handelte von den Hippies, Dylan und der Gegenkultur, und es brannte sich in mein Hirn ein und schmerzte, dass er mich in einen Topf warf, mit allem, was er nicht leiden konnte. Aber die Zeiten haben sich natürlich geändert und er sich auch. Wären heute Hippies da, wäre er auf deren Seite und er selbst ist nun Teil der Gegenkultur.“

Möglicherweise führte dieser Disput dann dazu, dass Haggard zusammen mit Willie Nelson, der ein guter Freund von beiden ist, noch im gleichen Jahr Dylans „Don’t Think Twice“ für das Album „Django and Jimmie aufnahm.

Bleibt unterm Strich eben ein nicht einfaches Verhältnis von zweien, die in den 1960ern in zwei Welten unterwegs waren, obwohl sie doch gleiche Wurzeln in Country und Folk haben: Jimmie Rodgers und Woody Guthrie. Erst mit der Zeit haben sie sich angenähert. Dylan brachte auf seinem eigenen Label ein Jimmie Rodgers-Album heraus und machte Inzwischen mehrmals deutlich, dass er mit Woodstock und Hippies nun wirklich nicht zu tun hat, während sich Haggard als scharfer Kritiker von Bush und den Republikanern outete.

„Bad Actor“ stammt aus Haggards 2010 veröffentlichten Album „I Am What I Am“ und wurde in Kritiken als einer der stärksten Songs des Albums bewertet. Haggard singt dort:

„Ich habe ein Problem damit, zu wissen, was real ist
Alle meine Gefühle borge ich mir und stehle sie
Ich täusche meinen Weg durch jeden Tag
Und versuche, so zu tun, als wäre es besser“

Und:

„So tun, als würde man sich darum kümmern, so tun, als würde man weinen
Du sagst, ich werde da sein, und ich sage, ich werde es versuchen
Gefühle aus zweiter Hand sind immer ein Faktor
In meiner Hauptrolle als schlechter Schauspieler“

Es ist ein trauriges Lied eines Menschen, der sich durchs Leben täuscht und trickst, der seine Gefühle borgt und oftmals so handelt wie Menschen es erwarten, ohne davon wirklich überzeugt zu sein.

Warum diese Coverversionen zum aktuellen Programm passen

Irgendjemand hat während dieser Europa-Tour sinngemäß geschrieben, die Coverversionen, die Dylan in diesem Programm singt, ergäben ein biographisches Bild. Ja schon, aber es ist komplexer.

„Not Fade Away“ (Buddy Holly), „Truckin'“ (Grateful Dead), „Into The Mystic“ (Van Morrison), „Stella Blue“ (Grateful Dead), „West LA Fadeaway“ (Grateful Dead), „Bad Actor“ (Merle Haggard) und „Broke Down Palace“ (wieder Grateful Dead) – alle diese Songs von Songwritern, die Dylan verehrt, erzählen über das Leben, über das Schicksal, über eine Person und fügen ein Bild zusammen, das Dylan von sich selbst macht, um es uns zu zeigen.

„Not Fade Away“ steht für die erste Liebe zu Rock’n’Roll und Buddy Holly, „Into The Mystic“ steht für den Beginn von Dylans musikalischer und spiritueller Lebensreise, „Truckin'“ erzählt von den Trips zwischen den Städten Amerikas, „Stella Blue“ für die Momente, als Dylan abgehängt und ausgebrannt schien. „West La Fadeaway“ erzählt von jemandem, der „On The Road“ ist und sein Geld mit fragwürdigen Jobs verdient und „Broke Down Palace“ berichtet dann schließlich von einem müden Menschen, der sich ein letztes Mal zum Schlaf legen will. Und am heutigen Abschlussabend in Rom geht Dylan mit „Only A River“ von Bob Weir, einer Variation des alten Folksongs „Shenandoah“, wieder sehr passend ganz weit zurück zu den eigenen Wurzeln und denen seiner Zunft im Folksong.

In diesem Kontext fügt sich „Bad Actor“ ein als ein Geständnis, dass Dylan seinem Umfeld vielleicht wirklich manchmal zu viel abverlangte, weil er manchmal nicht ehrlich unterwegs war oder aber auch, dass auch ein Bob Dylan mehr Kompromisse machte, als ihm lieb waren. Es könnte aber auch ein Verweis auf seine doch hauptsächlich nicht do richtig gelungenen Ausflüge in Schauspielerei und Filmgeschäft sein. Aber das ist dann sehr spekulativ.

Und so sind auch diese Songs passend eingefügt. So wie er die vitalen Liebesssongs seines jüngeren Ichs heute dunkel und drohend ausgestaltet, damit sie bei ihm live Bestand haben können oder er scheinbar letztgültige Statements zu seiner Person wie „I Contain Multitudes“ oder „False Prophets“ veröffentlicht, so korrespondieren diese Songs mit dem aktuellen Programm, das damit kokettiert, ein abschließendes zu sein. Ein Programm der Bestandsaufnahme, der Bilanz, der eigenen Verfassung und dem eigenen Platz in der Geschichte. Genau wegen diesen Aspekten singt er diese Songs.