Schon seit ein paar Jahren gibt es die Band „Masterpeace“, nun hat sie ein Album mit elf Dylan-Songs herausgebracht
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Der erste Eindruck ist der wichtigste. Ja, die Songs kenne ich, aber nicht so. Die neuen Versionen sind hörenswert. Die Platte heißt „The Dylan Project“. Elf Songs von Bob Dylan, neu interpretiert von der Band „Masterpeace“, die seit 2016 besteht. Gewidmet ist das Album dem Bandmitglied Kuma Harada, der im März 2023 starb und hier mit seinen letzten Aufnahmen zu hören ist.
Auffällig und wohltuend ist, dass der Gesangspart hier von einer Frau übernommen wird. Und die in keinster Weise in Versuchung gerät, den Dylan’schen Gesang imitieren oder kopieren zu wollen. Im Gegenteil: Steffi Breitings warmer und kraftvoller Gesang gibt den Songs eine ganz neue Note.
Auch die Arrangements tun dies immer wieder „New Morning“ läuft fröhlich tuckernd und kraftvoller als im Original an. Die Version von „All Along The Watchtower“ baut musikalisch geschickt, die klaustrophobische Anspannung auf. Das weniger bekannte „Love Minus Zero“ kommt ganz als fröhliches Liebeslied, während die Sixties-Hymne „The Times They Are A-Changing“ in nachdenklich-verhaltenem Sound daherkommt, als trage es all die gesellschaftlichen Niederlagen in sich. Kein Wunder, denn die Zeiten drehen sich gerade bedrohlich zurück.
„License To Kill“ ist dann wieder schnörkellos anklagend, gegen Gewalt und Krieg kann man nicht genug ansingen. „Watching The River Flow“ ist der einzige Song, der nicht von Steffi Breiting gesungen wird. Tobias Hillig macht aus dem Song einen Tagtraum, ehe als letzter Song „Masters Of War“ mit Hubschraubertönen und Marschtrommel sehr eindringlich intoniert wird.
So vergeht das Hören dieses starken Rock-Albums wie im Flug. Musikalisch ist das Ganze eindeutig oberes Regal, alle Musiker sind erfolgreiche Live- und Studiomusiker, u.a. für Mitch Ryder und Mick Taylor. Ein schönes Album, das uns das Warten auf neue Musik des Meisters versüßen wird.
Amanda Petrusichs Buch „Um keinen Preis verkaufen“ ist eine abenteuerliche Reise in die Welt der 78er-Sammler und dabei stets erhellend und humorvoll
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Amanda Petrusich erzählt eine auf mehreren Ebenen spannende Geschichte. Es geht um die frühen Blues-, Country-, Jazz- und Gospelaufnahmen in den USA. Grundsätzlich positiv: Die Aufnahmen auf 78er Schellackplatten wäre heute längst vergessen, wenn es nicht Männer – ja vor allem Männer! – gegeben hätte, die diese sammelten. Sprich: Mit Jagdtrieb und Sammelleidenschaft ausgestattete, manchmal recht schräge Vögel, die es sich zum Lebensinhalt gemacht hatten, möglichst viele, seltene und wertvolle 78er-Platten zu besitzen. Warum das auch seine ambivalenten Seiten hat und trotzdem für die amerikanische Musikgeschichtsschreibung so wichtig war, davon erzählt Petrusich in ihrem Buch.
Mehr als eine Geschichte über das Sammeln
Das Schöne an diesem Buch ist die Begeisterung Petrusichs (Jahrgang 1980) für ihre Forschungsgegenstände. Sie nimmt Kontakt zur heutigen Sammlerszene auf, taucht in sie ein und gewinnt Einsichten darüber, wie diese Leute ticken, was sie antreibt. Dadurch erfährt sie viel über die frühen Schellacks und ihre Sammler. Ihre Begeisterung geht sogar so weit, dass sie extra einen Tauchgang einlegt, um verlorene 78er aus einem Fluss zu bergen. Was natürlich schief geht. Diese Abschnitte oder die teils obskuren persönlichen Begegnungen mit Sammlern wie Joe Bussard sind spannend und humorvoll geschrieben.
Gleichzeitig erzählt sie die Geschichte von Tonträgerfirmen wie Paramount Records, die Aufnahmen mit Bluessängern wie Charlie Patton machten. In einem Zeitfenster von Mitte/Ende der 1920er bis zur vollen Entfaltung der Great Depression Mitte der 1930er Jahre, sorgten Firmen wie Paramount dafür, dass schwarze und weiße Hillbillymusik auf 78er gebannt wurde. Als es aufgrund der Wirtschaftskrise keine Käufer mehr für die Platten gab, verschwanden diese Labels wieder. Die Sammler sorgten dafür, dass Restbestände nicht vernichtet und verloren geglaubte Aufnahmen wiedergefunden wurden.
Die „Bluesmafia“ legt den Kanon fest
Die vornehmlich weißen Sammler sorgten gleichzeitig auch für eine kritisch zu hinterfragende Kanonisierung des Blues. Ihr Augenmerk lag auf den seltenen, obskuren Platten. So waren in ihren Augen Musiker wie Skip James, der in der Blütezeit des frühen Bluesbusiness den schwarzen Käufern kaum bekannt war, interessanter, als die kommerziell erfolgreicheren Barbecue Bob oder Tampa Red. Die Geschichtsschreibung des Blues als eine Musik, die von einsamen Bluesmen gespielt wurde, geht auf ihr Wirken zurück. Petrusich nennt diese Kanonbildner die „Bluesmafia“. Denn die Bluesmusiker waren alles andere als einsam, sondern waren zu ihrer Zeit Gebrauchs- und Profimusiker, die auch Blues, aber nicht nur Blues spielten. Sie spielten zu Tanzabenden, Hochzeiten und anderen gesellschaftlichen Anlässen.
Die oftmals wunderlichen Sammler-Einzelgänger gaben aber ihre Sichtweise vor und trafen damit auch den Nerv der antikommerziellen, kritischen Folk-Revival-Szene der späten 1950er und frühen 1960er Jahre. Bekanntestes, weil differenziert und ambitioniert ausgelegt, Sammlerprojekt ist die legendäre „Anthology Of American Folk Music“ von Harry Smith, die 1956? erschienen, eine ganze Generation, nämlich die von Bob Dylan und Joan Baez beeinflusste.
Neben der ausführlichen Darstellung dieser Sammlung, wird eine weitere, erst vor wenigen Jahren erschienene Zusammenstellung ausdrücklich erwähnt. „Work Hard, Play Hard, Pray Hard“ ist aus der Kollektion des Sammlers Dan Whale zusammengestellt worden und enthält rurale Populärmusik aus den Jahren 1923 bis 1936. Hier wird der Akzent richtigerweise auf Musiker und Publikum als sozial verschränkte und vernetzte Akteure gelegt. Denn das war der Dreiklang der ländlichen Südstaaten. Unter der Woche wird hart gearbeitet, samstagabends groß gefeiert und am Sonntag geht es in die Kirche.
Musik sammeln als männliche Domäne
Zwar begegnet Petrusich auch einer Sammlerin, aber der Rest sind Männer. Sehr männliche Männer, die besitzen wollen und im ständigen Wettbewerb stehen. Wenn sich Freundschaften ergeben, dann nur über die geteilte Freude des Wissens über Schallplatten und Aufnahmen. Das korrespondiert mit der Einsicht von Rolling Stone-Journalist Maik Brüggemeyer, der kürzlich im Interview Klaus Walter erzählte, dass die hauptsächlich männlichen „Dylanologen“ mit anderen Männern halt lieber über Sachthemen sprechen würden, als über sich selbst. „Sie reden lieber über Fußball und Bob Dylan“, so Brüggemeyer. Auch wenn bei Dylan-Fanzusammenkünften auch eine gewisse Anzahl von Frauen dabei sind, ist es schon richtig, dass Männer in der Überzahl sind. Zumindest in den Dylan-Fankreisen, die Konzerte und Aufnahmen sammeln. Unter denen, die sich grundlegend wissenschaftlich oder journalistisch mit Dylan auseinander setzen sind mit Anne-Marie Mai oder Laura Tenschert auch zunehmend weibliche Fachleute.
Petrusich hat ein kluges Bucher über männliche Sammler und männliche Musikgeschichtsschreibung vorlegt. Ihre eigene weibliche Perspektive kontrastiert sie auf lesenswerte Weise mit dieser Welt. Warum aber ihre wundervolle facettenreiche Erzählung mit zwei dagegen recht flach daherkommenden Texten von älteren weißen Männern und Sammlern – wobei der eine gar keine Musik sammelt! – eingerahmt wird, bleibt das Geheimnis des Verlags.
Amanda Petrusich, Um keinen Preis verkaufen: Die wilde Jagd nach den rarsten 78ern und die Suche nach der Seele Amerikas, Berlin 2023, 329 Seiten, 25 Euro.
Die Texte der von Günter Ramsauer herausgegebenen Anthologie erzählen spannend, informativ, vergnüglich und durchaus ausladend über Popmusik und ihre kulturellen Kontexte. Immer dabei: Bob Dylan.
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Es gibt ja Leute, die finden es schlicht überflüssig, sich über Popmusik Gedanken zu machen. Bei anderen erschöpfen sich die Betrachtungen in Hitparaden-Historie und trivialen Promigeschichten. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Popmusik und ihren kulturellen Kontexten, gesellschaftlichen Hintergründen und politischen Bezügen hat gerade in Deutschland Seltenheitswert. Umso schöner, wenn Ramsauer und seine Mitautoren mit diesem Buch intelligenten Lese- und Nachdenkstoff zum Thema Popmusik liefern. Die Beiträge gehorchen keiner strengen inhaltlichen Vorgabe. Sie sind sachlich und voll vor prallen Informationen und schaffen somit großartiges Kaleidoskop der musikalischen Verknüpfungen vor dem Hintergrund musikalischer Sozialisationen.
Heino Walter: Parforceritt durch die Popmusik
So wie Heino Walter, der in einem Parforceritt durch die Popmusikgeschichte ein Füllhorn voller musikalischer Einflüsse, Plagiaten, Imitationen und Referenzen ausgießt und auch das Thema KI in der Musik angemessen behandelt . Neben manchem, das man kennt, gibt es auch zig Verweise auf weniger bekanntes. Beispielhaft sei hier Daniel Romano und dessen ständige Wandlungen erwähnt. dem musikalischen Chamäleon, den wir als Bandleader für Wanda Jackson 2012 in Dallas erleben durften. Damals trat seine Country-Inkarnation auf. Für uns nicht so recht wichtig, wurden wir aber dann mit seiner „Infidels by Bob Dylan & The Plugz“ hellhörig. Apropos Bob Dylan: Obwohl er in diesem Kontext seine Erwähnung findet, wird er im großen Stil hier nicht bearbeitet. Und das, obwohl Dylan eigentlich eines der großen Chamäleons der Popmusikgeschichte ist und er sich noch dazu von der Übernahme mancher Melodie bis zu seiner Collagentechnik im Songwriting in seiner ganzen Karriere den Angriffen von Plagiatsjägern ausgesetzt war. Diese haben aber weder den Entstehungsprozess eines Folksongs, noch seine große Kunst aus der Art der Zusammenstellung von Zitaten ein neues, eigenes Kunstwerk zu schaffen, verstanden.
Christian Anger: Musik erweitert den Horizont
Auf Walters Beitrag folgt im Buch ein Aufsatz von Christian Anger. Er erzählt von seiner musikalischen Sozialisation in den 90er Jahren im Westerzgebirge. Einmal mehr der Beweis, dass Musik in beengten Verhältnissen den Horizont erweitert und wie wichtig gute Freunde – wie Michi, dem Dylan- und Beatles-Fan – wichtige Instanzen der eigenen musikalischen Sozialisation sind.
Michael Moravek: Dylan, die Waterboys und die Jugend in einer schwäbischen Kleinstadt
Michael Moravek, Foto: Hans Bürkle
Nach dem Feuerwerk der Verknüpfungen und den vielen musikalischen Verweise auf engem Raum der ersten beiden Beiträge, erzielen Michael Moraveks drei Aufsätze dann eine wohltuende beruhigende Wirkung. Im ersten erzählt er von seiner Zeit beim Bob Dylan-Festival in Moville, Irland. Humor- und respektvoll den Menschen dort gegenüber, schildert er wie und warum der kleine Ort zum Epizentrum der Dylan-Freunde auf der grünen Insel geworden ist. Im zweiten Beitrag erzählt er mit einer faszinierenden Sprache, die gleichzeitig lakonisch wie phantasievoll ist, wie ein Song ein ganzes Leben hindurch sich entwickelt bis er eines Tages dann endlich voll da ist. Und im dritten Beitrag kommt Moravek auf seine beiden prägenden musikalischen Einflüsse Bob Dylan und die Waterboys zu sprechen. Wie er uns darstellt, wie er erst die Musik Dylans in der Kleinstadt zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald entdeckt, ist große Erinnerungskunst und holt uns unmittelbar ab. Dann entdeckt er die Waterboys, die selber wieder einen Dylan-Bezug haben und er hat seinen inneren Kompass als Künstler gefunden. Faszinierend.
Martin Feucht: Popmusikgeschichte der bundesdeutschen Linken
Nach dieser Art Slowtempo-Song von Moravek mit packender Melodie in der Mitte des Buches wird die Geschwindigkeit bei Martin Feucht wieder schneller. Seine autofiktionalen Skizzen, Anekdoten und Geschichten seiner Generation, die zurück bis in die 1960er Jahre reichen sind im Grunde eine soziokulturelle Geschichte der Linken in der bundesdeutschen Provinz. Und es treten wirklich alle auf: Von Degenhardt bis Dylan. Von Schüler und Studentenprotest bis zu DKP und K-Gruppen und alles immer wieder darauf bezogen, welche Musik von wem zu welcher Zeit gehört wurde. Heute nicht mehr vorstellbare Kneipen, Typen und Konflikte bevölkern Feuchts mitreißende Erzählungen.
Günter Ramsauer: Popkultur von Old Shatterhand bis Allen Ginsberg
Günter Ramsauer, Copyright: truth & lies press
Acht Texte steuert Herausgeber Günter Ramsauer zu diesem Buch bei. Die Sprache ist bestens geschult an den Beatniks und die Stücke haben teils lautmalerische Titel wie Rrraow, Aaaaahhh, Päng oder Ahuuh. Und so erzählt er ebenso viel Autobiographisches und verwebt es gekonnt mit der Popkultur der vergangenen Jahrzehnte. Von den „Old Shatterhand“ und den „Rauchenden Colts“ (Marshal Dillon!) über die WM 1974 bis zu JFKs Ermordung, Allen Ginsberg und Dylans „Murder Most Foul“. Ein würdiger Abschluss eines Buches, das man mehrmals lesen muss, um all die vielen Details und Verästelungen wahrzunehmen.
Fazit: Eine grandiose, funkensprühende Komposition. Ein Buch, das so vieles beinhaltet, das jeden bewegt, der sich etwas tiefergehender mit Musik beschäftigt. Manchmal ist es vielleicht zu viel der Fülle von Wissen über Bands und Songs. Aber das wäre zu viel Krittelei angesichts der lesenswerten Perspektiven auf Popmusik und deren persönlichen Rezeptionen, die vielen neu und gleichzeitig gut bekannt sein dürften: Weil sie etwas mit uns selbst zu tun haben.
Günter Ramsauer (Hg.), Heino Walter, Christian Anger, Michael Moravek, Martin Feucht, Pop steht Kopf, Esslingen 2023. 15,99 Euro im Buchhandel.