Archive for Dezember 2024

Rest In Peace, Jimmy Carter!

30. Dezember 2024

Der Bob Dylan-Freund, Rock’n’Roll-Präsident, und Kämpfer für die Menschenrechte stirbt mit 100 Jahren

Jimmy Carter (1924 bis 2025). Copyright: Wikimedia Commons

Er regierte von 1977 bis 1981 nur eine unglückliche Amtszeit lang, gestorben aber ist er als amerikanische Legende: Jimmy Carter. Der 100-jährige Ex-US-Präsident verstarb am gestrigen Sonntag.

Jimmy Carter war ein baptistischer Erdnussfarmer aus Georgia. D.h. Er war bibeltreu und gleichzeitig verliebt in die Musik seiner Südstaaten: Blues, Country, Rock’n’Roll. Vor und nach seiner Amtszeit traten nie so viele Rockmusiker im Weißen Haus auf, wie während seiner Regentschaft: Die Allman Brothers, Willie Nelson uns viele mehr. Davon zeugt die Dokumentation „Jimmy Carter – Der Rock’n’Roll Präsident“ aus dem Jahr 2020.

Befreundet mit Bob Dylan

Und er war befreundet mit Bob Dylan. Die beiden trafen sich 1974 am Rande eines Konzerts in Atlanta, Georgia. Jimmy war damals Gouverneur und Dylan erinnerte sich später so: „Als ich Jimmy das erste Mal traf, zitierte er mir als Erstes meine Songs. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass meine Songs die Welt des Establishments erreicht hatten. Ich hatte auf diesem Gebiet keine Erfahrung, hatte diese Seite noch nie gesehen, also war ich etwas beunruhigt. Er beruhigte mich, indem er nicht von oben herab mit mir sprach und mir zeigte, dass er die Songs, die ich geschrieben hatte, aufrichtig schätzte.“ (aus „Jimmy Carte- Der Rock’n’Roll Präsident“).

„Ich fühlte mich geehrt, weil Bob Dylan mich tatsächlich gebeten hatte, mit ihm in den Garten zu gehen und ein privates Gespräch mit ihm zu führen. Die einzigen Fragen, die er mir stellte, waren Fragen zu meinem christlichen Glauben und was er mir bedeutet“, waren Carters Erinnerungen an diesen Abend in der Doku. Im Jahre 2015 war es dann auch Jimmy Carter, der die Laudatio auf Dylan hielt, als der mit dem „MusiCares“-Preis ausgezeichnet wurde.

Gläubig und gesellschaftlich progressiv

Und tatsächlich: Jimmy Carter war ein gläubiger Mensch. Er war ein Südstaaten-Baptist. Aber er war auch meilenweit entfernt von der damals langsam aufsteigen christlichen Rechten. Er predigte ein gesellschaftlich fortschrittliches Evangelium, akzeptierte die Trennung von Kirche und Staat. Aber er war auch ein unglücklicher Präsident: Gesellschaftliche Stagnation nach den Abnutzungskämpfen der 1960er und frühen 1970er, dazu die wirtschaftliche Krise, schließlich die Geiselnahme in Teheran und der gescheiterte Befreiungsversuch. Und ihm unterlief ein bis heute beispielhaft schwerer Fehler. In einer Zeit, in der die Amerikaner eine positive Botschaft von Roosevelt’scher Dimension gebraucht hatten, wollte er sie in einer Ansprache in der Strickjacke vom Sparen und vom Verzicht überzeugen. Wegen der Umwelt und wegen der wirtschaftlichen Lage. Ronald Reagan aber kam dampfplaudernd optimistisch daher und gewann die Präsidentschaftswahl. Bis heute ist leider nicht verstanden worden, dass das Narrativ für den sozialökologischen Umbau nicht das eines des Verzichts, des Verlusts und der Ängste sein kann, sondern eines der Möglichkeiten, der Chancen, der Gemeinschaft und der Hoffnung – der positiven Utopie – sein muss.

Schmerzhaft: Der Vergleich von Donald Trump mit Jimmy Carter

So gewann das Narrativs des persönlichen Konsums und Erfolgs von Ronald Reagan und mit ihm der Paradigmenwechsel – die einschneidende Abkehr vom New Deal hin zum Neoliberalismus und Konservatismus – der letztendlich die Grundlagen legte für die Spaltung und die irrwitzige Entwicklung der US-Gesellschaft bis hin zu Trump und Musk. Sie wollen heute libertär und repressiv zugleich die Macht des Kapitals sichern und ausbauen und den Staat am Liebsten gleich ganz zerschlagen.

Der Tod Jimmy Carters lässt noch einmal die direkte Gegenüberstellung des ehrlichen, gläubigen und an den Menschen und den Menschenrechten Jimmy Carter mit dem Lügner und nur auf den eigenen Vorteil bedachten Trump und seinem Helfer Musk zu. Was für eine Abwärtsentwicklung! Um so mehr schmerzt der Tod von Jimmy Carter. Rest In Peace, Jimmy Carter!

Does The Bell Still Ring…?

13. Dezember 2024

Ein etwas anderer Jahresausblick 2025

Lässt Bob Dylan jetzt nur noch singen oder dürfen wir uns weiterhin auf neue Dylan-Songs freuen? Copyright: Sony Music

Bleibt Bob Dylan auch 2025 ein kreativer, rastloser Künstler und Performer oder setzt er sich zu Ruhe? Unsere These: Bob Dylan bleibt auch nächstes Jahr ein aktiver Kunstschaffender. Wir wägen zum Jahresabschluss und Jahresausblick pro und contra ab.

Pro

Bob Dylans nächste neue Veröffentlichung ist ja schon angekündigt. Ein Duett mit Barbra Streisand. Für die hat er angeblich einst „Lay, Lady, Lay“ geschrieben, kam so nebenbei bei einem Interview mit Barbra raus. Wir erinnern uns: Der Song erschien 1969 auf dem „Nashville Skyline“-Album. Da war er ja – so zeigen es ja auch die Bilder- ein braver Ehemann und Familienvater. Macht Bob ja wieder ein bisschen menschlicher, dass ihm Barbra doch recht sympathisch war, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Doch genug dieser Art der Spekulation, kommen wir zurück zum eigentlichen spekulativen Thema. Bob, der alte, falsche Fährtenleger hat das alles bewusst inszeniert: Die letzten Konzerte des Jahres in der Royal Albert Hall, einer der historischen Stätten seiner Karriere. Das ist zu gut, um wahr zu sein. Dafür straft er uns mit einem Auftritt Ende März/ Anfang April irgendwo im Nirgendwo des Mittleren Westens der USA in einer x-beliebigen Mehrzweckhalle, die entweder nach einem Versicherungs- oder einem Tech-Konzern benannt ist. Die Frühjahrstour zieht dann über die Käffer des Heartlands weiter und endet in Chicago.

Weitere neue, alte Dylan-Musik kommt dann zur Jahreswende nicht in einem neuen Teil der Bootleg Series, sondern in Forms des Soundtracks von „A Complete Unknown“, gesungen von Timothèe Chlamet als Dylan und Monica Barbaro als Joan Baez. Würde mich nicht wundern, wenn Dylan höchstselbst die Liner Notes dazu höchstselbst verfasst. Ganz unter dem Motto „Ich bin ein anderer“ erfreut uns Dylan darin mit bislang noch nicht gesehenen Perspektiven der Dylan-Geschichte. Kein Wunder, hat er sie doch gerade neu erfunden. So wie seine Ausreißer- und Hobo-Geschichten, die er in seiner Anfangszeit in New York zum Besten gab. Er kann es immer noch.

Die Gerüchte rund um Studioaufnahmen neueren Datums wabern ja auch schon das ganze Jahr über durchs Netz. Am Rande dieser Sessions könnte beispielsweise Dylans umstrittener Beitrag zum Reagan-Film entstanden sein. Der Track reiht sich ein in die Tradition Dylans, gerne Musik zu Filmflops beizusteuern. Wir erinnern uns an „Band Of The Hand“, „Hearts Of Fire” oder “My Own Love Song”. Der Reagan Film ist untergegangen wie eine bleierne Ente. Gut so. Dylans Aufnahme wird dann dieses Jahr als Bonus Track auf einem neuen Album herauskommen, der wenige neue und paar alte, neu aufgenommene Songs enthält. Eine Resteverwertung wie „Knocked Out Loaded“ nur auf weitaus höherem Niveau in Sachen Songwriting und Musik.

Ach ja, und in der Vorweihnachtszeit erscheint dann auch sein lang erwartetes Buch mit Grusel-Kurzgeschichten. Was zur Frage führt: Kommt Dylan 2026 zur Buchmesse nach Frankfurt oder nicht?

Und am Ende des Jahres 2025 reiben wir uns die Augen und stellen wir fest: Wieder einmal hat uns der alte Bob ein Schnippchen geschlagen.

Contra

Sehen wir solche Konzertbilder weiterhin oder setzt sich Dylan zur Ruhe? Copyright: Wikimedia Commons

Nein, Bob Dylan wird keine Konzerte mehr geben. Er hat uns auf einer letzten Tour genug von seiner Gebrechlichkeit gezeigt. Er wird auch keine Ausnahmen für kurze Auftritte machen. Zu sehr haben ihn die letzten Konzertbilder seines Freundes Kris Kristofferson negativ berührt. Ein Bob Dylan behält immer die Fäden der Bob Dylan-Geschichte in der Hand. Daher hat er frühzeitig die eigene Endlichkeit als Thema seiner Songs etabliert, hat die RARW-Tour auf den Zeitraum 2021 bis 2024 festgelegt, hat seine Songs und Aufführungsrechte verkauft und seine eigene Filmbiographie in Auftrag gegeben.

Fortan wird es nur noch neue alte Aufnahmen geben. In Ergänzung zum Dylan-Biopic erscheint die umfangreiche „The Villager“-Box, die eigentlich keiner so wirklich haben will und sich trotzdem gut verkauft. Und im Herbst erscheint dann in zeitlicher Nähe zum 75. Geburtstag des 2017 verstorbenen Tom Petty die lang ersehnte Box mit Live-Aufnahmen der 1986er-Tour.

Dylan pflegt und kuratiert nur noch seine eigene Legende. Das verspricht noch ein paar Jahre lang immer wieder Pretiosen aus dem Archiv an denen die Geister scheiden, aber um die herum sich auch die Dylan-Freunde sammeln können. Im Bob Dylan-Center und in aller Welt aber steigt die Zahl der Kongresse und Symposien rund um Werksdeutung und Relevanzeinordung des Dylan’schen Oeuvres umgekehrt proportional zum künstlerischen Output des Forschungsgegenstandes selbst.

Dylan ist endgültig auf einer Ebene mit Shakespeare, Goethe, Freud und Marx, Beethoven, Bach, Mozart und Wagner. Deren Relevanz völlig unabhängig davon ist, dass sie schon längst nicht mehr unter uns sind.

Conclusio

Ich weiß es wirklich nicht, wohin das Pendel ausschlagen wird. Ein bisschen mehr neige ich schon zur Pro-Position. Aber wie auch immer: Es wird sich auf die Art der Beschäftigung mit Bob Dylan auswirken. Aber egal ob da noch was kommt oder nicht. Es gibt noch soviel zu entdecken, zu analysieren, neu zu betrachten oder zu revidieren. Einem Dylanologen oder gar Dylanianer wird es nie langweilig.

“A Complete Unknown” – da kommt was Spannendes auf uns zu!

6. Dezember 2024

Filmstart in Deutschland am 27. Februar/ Besondere Darmstadt-Premiere mit Rahmenprogramm geplant/ Trailer und Berichte fügen langsam ein Bild zusammen

Es war ein langer weg von der ersten Notiz zu Bob Dylans und Jeff Rosens Produzententätigkeit für ein neues Dylan-Biopic im Herbst 2020 über die ständigen Verzögerungen des Projekts durch Corona und Streik in Hollywood bis hin zu den nun feststehenden Premierenterminen Ende 2024/ Anfang 2025 und dem immer größer werdenden Medien-Echo.

Edward Norton spielt Pete Seeger

Einige Annahmen mussten revidiert werden und auch im Cast musste geändert werden. Der von mir als Pete Seeger herbei gesehnte Benedict Cumberbatch konnte die Verzögerungen wegen anderer Projekte nicht mitmachen und wurde durch Edward Norton ersetzt. Der machte seine Sache wohl so gut, dass – so schrieben es manche Gazetten – Timothée Chalamet einige Szenen noch einmal nachdrehte. Dies wurde mit einem recht großen Ehrgeiz auf einen Oscar des Dylan-Darstellers begründet.

Im Oktober 2020 schrieb ich davon, dass Dylan sich bei ähnlichen Projekten bislang eigentlich immer herausgehalten habe (https://cowboyband.blog/2020/10/16/er-kanns-nicht-lassen/). Pustekuchen! Dylan war sehr präsent. Er saß fünfmal, so sagen es Medienberichte, mit James Mangold zusammen und nahm auch Kontakt zum Hauptdarsteller auf. Der alte Dylan hat schon ein Interesse daran, dass die Geschichte in etwa so gezeigt wird, wie er sie sieht. Das kann positiv sein, indem manche Legende von Dylan selbst kassiert wird aber auch möglicherweise bizarr werden: So soll Dylan eine völlig abwegige Situation im Film untergebracht haben. Spannung!

Ja, die PR-Maschine läuft auf Hochtouren und war in der frühen Fandiskussion der Fokus auf viele negative Ansichten gelegt – der Chalamet sieht ja Dylan gar nicht ähnlich! (https://cowboyband.blog/2024/07/26/you-cant-judge-a-book-by-the-cover/) – so überschlagen sich die Medien nun zuletzt ob der darstellerischen Genialität Chalamets: „Der heißeste Oscar-Anwärter der Saison“ titelten Pint- und Online-Publikationen.

Elle Fanning spielt Sylvie Russo (Suze Rotolo)

Mittlerweile gibt es auch zwei deutschsprachige Trailer, die so langsam die Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügen. Wenn Chalamet den Oscar für die beste männliche Hauptrolle bekommen sollte, dann hoffentlich Edward Norton den für die beste Nebenrolle. Bei beiden kommt der Spirit der Figuren richtig rüber. Dylan zwischen Songwriting-Genie und arrogantem Arschloch, Seeger als Spiritus Rektor des Folk Revival nicht nur Menschenfreund, sondern auch selbst ernannter Bewahrer des richtigen Folk-Weges, der sich später aber auch durchaus selbstkritisch sah. Spannend wird die Ausgestaltung von Sylvie Russo (alias Suze Rotolo) durch Elle Fanning. Hier könnte zu viel Dylan-Einfluss durchaus die Figur verklären oder verharmlosen. Wir sind auch hier gespannt. Wir freuen uns auf Johnny Cash, der im Film durchaus eine wichtige Rolle spielen, in dem er Dylan bestärkt seinen Weg zu gehen. Joan Baez bleibt in den Trailern schwer greifbar. Auch hier gilt es, abzuwarten.

Ja und dann kam noch der X-Knaller von Dylan. Vorbereitet durch einige Nonsens-Einträge lobt er Chalamet und die Buchvorlage von Elijah Wald. Und das in seiner unnachahmlichen Art:

“There’s a movie about me opening soon called A Complete Unknown (what a title!). Timothee Chalamet is starring in the lead role. Timmy’s a brilliant actor so I’m sure he’s going to be completely believable as me. Or a younger me. Or some other me. The film’s taken from Elijah Wald’s Dylan Goes Electric – a book that came out in 2015. It’s a fantastic retelling of events from the early ‘60s that led up to the fiasco at Newport. After you’ve seen the movie read the book.“

Dylan schwärmt von der Buchvorlage

Die Aussage führt schon zu dem Schluss, dass Dylan selber die Buchvorlage für das Drehbuch bestimmt hat. Wald ist neben Greil Marcus für mich der bedeutendste amerikanische Musikjournalist. An das Niveau dieser beiden wird der Nachttisch-Schubladen-Wühler Clinton Heylin nie herankommen.

Und heute dann die Veröffentlichung von zwei Stücken der von Chalamet selber für den Soundtrack eingesungenen Dylan-Songs: Like A Rolling Stone“ und „Girl From The North Country“. Bei letztere singt auch Monica Barbaro als Joan Baez mit. Hört sich nicht schlecht an. Der Soundtrack wird am 25. Dezember digital parallel zum US-Filmstart erscheinen. Ab 31. Januar gibt es auch eine Viyl-Ausgabe und die CD erscheint dann am 28. Februar, einen Tag nach dem Deutschlandstart des Films.

Wie ich ebenfalls schon in meinem letzten Text zum Film an dieser Stelle hingewiesen habe, habe ich gegen die Popularisierung der Dylan-Geschichte nichts einzuwenden. In den Händen von James Mangold ist der Stoff bestens aufgehoben. Siehe das Cash-Biopic „I Walk The Line“. Daher freue ich mich sehr auf den Film und bin auch gerade in Absprachen mit den Darmstädter Kinos wegen einer besonderen Darmstadt-Premiere mit Livemusik und einführendem Vortrag. Mehr dazu demnächst auch an dieser Stelle.