Lebensfreude, Rebellion, Rock’n’Roll Forever. Der Elder Statesman und New York Troubadour bleibt auf „The Great Yellow Light“ trotz oder gerade wegen Trump bei seinem Credo
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Nile versus Trump
Beide sind New Yorker. Doch während der 79-jährige Donald Trump in seinem Leben in die vermögende Familie eines herrischen, rassistischen Vaters hineingeboren wurde, wuchs der jetzt 77-jährige Willie in einer geselligen und musikalischen irisch-katholischen Familie auf. Und während Trump über die Jahre als reicher Sohn eine unrühmliche Bekanntheit in New York erlangte, ging Willie nach Greenwich Village und wurde einer der hochgeschätztesten Singer-Songwriter seiner Generation ohne je den Erfolg eines Bruce Springsteen nur annähend zu erreichen. Mit seinen Platten wie “Streets Of New York (2006), „House Of The Thousand Guitars” (2009) und “American Ride” (2013) feierte er jedoch große Kritikerfolge. Und er selber feierte 2017 eines seiner großen Vorbilder mit dem Bob Dylan-Tribute-Album „Positively Bob: Willie Nile Sings Bob Dylan“. Der Herausgeber dieses Blogs hat ihm schon so manche Zeile gewidmet und ist immer noch entzückt ob des Konzerts von Willie Nile am 27. November 2013 im Frankfurter Nachtleben.
Staunen über sein Land
Nun also wieder ein neues Album von Wille Nile. „The Great Yellow Light“. Und nach dem ersten Hören wusste ich: Ja, das habe ich gebraucht. Und bestimmt nicht nur ich. Da lässt sich einer seinen amerikanischen Traum nicht zerstören. Nicht, dass Willie blauäugig oder ignorant wäre. Aber er ist seinem Land sehr verbunden. Er hat es schon immer kritisiert, wenn notwendig, und hat dennoch ganz Woody Guthrie-like dieses große Land mit so viel Platz für jeden bestaunt. Noch heute ist sein „American Ride“ eine Hymne für uns. Sie hat uns durch unsere Fahrten durch die USA begleitet und erfüllt uns heute mit großer Schwermut.
Doch Willie will nicht schwermütig sein. Er feiert auf diesem Album den Rock’n’Roll, seine irische Herkunft und sein Amerika. Und er kritisiert es gleichzeitig in „Tryin‘ To Make A Livin‘ In The USA“ und warnt vor den politischen Entwicklungen im prophetischen „Wake up, America“ zusammen mit dem linken Country-Rebellen Steve Earle.
Willie feiert den Rock’n’Roll
Und so finden sich auch auf diesem Album wieder die Mittanz- und Mitsing-Hymnen wie „Wild, Wild, Wild“ oder „We Are, We Are“ ebenso wie die langsamen, melodischen Stücke wie „Washington’s Day“ oder „What Color Is Love“.
Willie Nile fügt mit den neuen Songs seinem Werk nichts hinzu, dass völlig neu wäre. Aber dass er einfach weitermacht, sich nicht beirren lässt und uns damit wieder ein bisschen mehr Kraft gibt, die amerikanische Realität zu verarbeiten, das ist schon verdammt wichtig.
Ach Willie, könnten wir Dich nur einmal noch wiedersehen.
Walt Whitman, Stephen King, Bob Dylan und die Vielheiten im amerikanischen Individuum
Copyright: Tobis Film
Einer der faszinierendsten Filme, die wir in letzter Zeit gesehen haben, ist „The Life Of Chuck“. Ein Film von Mike Flanagan mit Tom Hiddleston in der Titelrolle. Ein Film, der drei Teile hat und der vom Ende her, also chronologisch rückwärts erzählt wird.
„The Life of Chuck“
Im ersten Teil geht gleichzeitig die Welt unter und Charles „Chuck“ Krantz stirbt. Doch kurz vor seinem Tod blinkt überall sein Bild auf.: „Vielen Dank für 39 gute Jahre!“. Als Chuck stirbt, endet die Welt.
Im zweiten Teil sehen wir Chuck, der als Buchhalter arbeitet, aber keine Lust hat, seine freie Zeit am Rande einer Konferenz mit anderen Buchhaltern zu verbringen. Stattdessen läuft er ziellos durch die Straßen bis er auf eine Straßenmusikerin trifft, die ihm mit ihrem Schlagzeugspiel zum Tanzen bringt. Als dann noch eine junge Frau, die sich gerade getrennt hat zu der Szene stößt, kommt es zu einer der fantastischsten Tanzszenen der jüngeren Hollywood-Geschichte.
Im dritten Teil erfahren wir dann von Chucks Kindheit. Seine Eltern sind bei einem Autounfall gestorben und er wächst bei seinen Großeltern auf. Während seine Großmutter ihn für das Tanzen begeistert, ist der Großvater ein nüchterner, aber öfters betrunkener, Buchhalter. Nachdem seine Großmutter stirbt, besucht er an der Schule den Tanzklub und wird zu einem großartigen Tänzer. Er hat einen Platz in dieser Welt gefunden. In Anlehnung an ein Gedicht von Walt Whitman hatte ihm seine Lehrerin Miss Richards zuvor bereits erklärt, dass er „Vielheiten“ enthalte, sich in seinem Kopf also ein ganzes Universum mit all seinem Wissen und den ihm bekannten Personen befindet. Man kann es schon ahnen: das ganze Universum des ersten Teils befand sich in Chucks Kopf. Es starb mit ihm.
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Whitman und Dylan: „Ich enthalte Vielheiten“
Genau diese oben genannten Vielheiten machen das Individuum aus. Marx sagte, das menschliche Wesen sein kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit sei es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse und meinte damit, dass Ansichten, Wünsche, Träume, Werte und Haltungen des Individuums sich auf gesellschaftliche Beziehungen und Einflüsse begründen. Walt Whitmans berühmter Satz „Ich enthalte Vielheiten“ – „I contain multitudes“ – stammt aus seinem grundlegenden Werk „Gesang von mir selbst“. Das lange Gedicht erzählt von der eigenen und der äußeren Natur und wie sich die eigene Seele aus dem speist, was um uns herum passiert. Das amerikanische Individuum basiert auf dem überlieferten universellen Glücksanspruch der Verfassung und der tatsächlichen Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft.
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Whitman erzählt von dieser höchst vielfältigen amerikanischen Gesellschaft und entwirft die demokratischen Ideale eines diversen und inklusiven Zusammenlebens in den USA. Er beeinflusste damit auch Woody Guthrie, die Beat-Poeten und Bob Dylan. Der nahm sich 2020 Whitmans „I Contain Multitudes“ als Songtitel und gab in hohem Alter endlich zu, wie widersprüchlich und vielfältig er selbst sei. Ein großartiger Titel und ein großartiger Beitrag zur Betrachtung des Phänomen Dylans von Dylan selbst.
Gleichzeitig ist das ganze Album „Rough And Rowdy Ways“ ein Plädoyer für die Vielfältigkeit und die amerikanische Demokratie: „False Prophet“, „Jimmie Reed“, „Mother of Muses“, „Key West“, „Murder Most Foul“. Und gleichzeitig ihr Schwanengesang angesichts der sich anbahnenden politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen.
Die Storysammlung enthält „Chucks Leben“, Copyright Heyne-Verlag
Stephen King: Lob der Vielfalt und Verantwortungsethos
Kommen wir zurück zum Film „The Life Of Chuck“, der wiederum auf den Kurzroman „Chucks Leben“ von Horror-Papst Stephen King zurückgeht. Der bekanntermaßen den Demokraten nahestehende King zeigt uns wie viel in einem Kurzroman stecken kann. Neben der Coming Of Age-Geschichte von Chuck und dem Lob der Vielfalt – einen typischen King-Horror mit dem verschlossenen Zimmer, das einem den eigenen Tod zeigt, kann sich der Autor sowieso nicht verkneifen – spießt King auch ein anders ebenso typisches amerikanisches Ideal auf. Den Arbeitsethos, das Verantwortungsgefühl und die Verpflichtung seine Familie mit eigener Leistung zu ernähren. So wie Merle Haggard im Workingman‘s Blues.
Chuck wird nämlich keineswegs Tänzer, sondern folgt der Haltung des Großvaters, der dazu rät als Buchhalter zu arbeiten, denn dieser Beruf ernährt seinen Mann und dessen Familie. Doch Chuck scheint darunter nicht zu leiden, oder doch und deswegen dieser „Tanzausbruch“ im zweiten Teil? Wie auch immer. Seine Nächsten sind im dankbar, trotz seiner nur 39 Jahre hatte er ein erfülltes Leben.
Trump als Gefahr für das amerikanische Selbstverständnis
Indem King beide Pole des amerikanischen Selbstverständnisses hier in einer Person verschmilzt, zeigt King sein Verständnis einer vielfältigen Nation, der unter Trumps erster Herrschaft, in der diese Geschichte erschien, schon bedroht war und nun noch viel größeren Gefahren ausgesetzt sieht.
Whitman wie King wie Dylan sind die Stimmen einer demokratischen, multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen US-Demokratie. Einer US-Demokratie, vereint im Glücksversprechen, der Freiheit, Vielfalt und Gerechtigkeit. Doch derzeit übertönen die martialischen, menschenfeindlichen, profitgierigen Dealmaker diese Stimmen. Die Dealmaker bauen viele Mauern in der Gesellschaft auf. Wann kommen die Posaunen?
“A Story Of U.S. Folk Music 1963-1969“. Kenntnisreiche, hörenswerte Sammlung mit lesenswerten Liner Notes von Mick Houghton
Vor kurzem habe ich an dieser Stelle „I Shall Be Released“ besprochen, eine feine Sammlung von Bob Dylan-Coversongs von 1963 bis 1970. Doch es gibt beim gleichen Label, dem umtriebigen Cherry Red Records, ein mindestens genauso interessantes Schwesterprojekt, das in wenigen Wochen, am 29. August, veröffentlicht wird. Die 4-CD-Box heißt „When Will You Ever Learn“ nach der ikonographischen Frage aus dem legendären vor allem von Pete Seeger berühmt gemachten Folk Song „Where Have All The Flowers Gone“. Auch dieses Projekt ist kenntnisreich kuratiert vom legendären britischen Musikjournalisten Mick Houghton.
Einstieg mit dem „Kingston Trio“
Die inhaltliche und zeithistorische Songauswahl ist um so höher zu bewerten, das aus rechtegründen Songs von Joan Baez, Peter, Paul & Mary, John Fahey, Ian & Sylvia und Richard & Mimi Farina leider auf dieser Kompilation fehlen. Doch Houghton bringt die wichtigen Songs dieser Künstler in Versionen von anderen zeitgenössischen Musikern dennoch ein und er erinnert an so wichtige Künstler wie Ramblin‘ Jack Elliott (er wurde kürzlich 94 Jahre!), Eric von Schmidt und Dave van Ronk, die in der großen Öffentlichkeitswirksamkeit hinter der Popularität von Baez, Dylan und Peter, Paul & Marie deutlich abfielen aber immens wichtig für die Entwicklung des Folk Revivals waren.
Houghton Sammlung beginnt mit dem „Kingston Trio“, das 1963 bereits seinen Zenit überschritten hatte. Sein historischer Verdienst war es, 1958 mit „Tom Dooley“ einen Major Hit gelandet zu haben, der in seinem kulturellen Einfluss auf die USA nur mit „Heartbreak Hotel“ von Elvis im Jahr 1956 und „I Wanna Hold Your Hand“ der Beatles in 1964 vergleichbar war. Was sich seit Anfang der 1950er Jahre sich langsam in der Mc Carthy-Zeit und dann in der Eisenhower-Ära im Jugendclub, im Sommercamp und auf dem Unicampus entwickelt hatte- in Zeiten von Konformismus und Konsumismus eine Hinwendung der städtischen, universitären Jugend zur alten, „authentischen“ und „unschuldigen“ Folkklängen, wurde nun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Das Folk Revival wurde zum sichtbaren Coast to Coast-Phänomen. Und das Kingston Trio war brav und ohrschmeichlerisch genug, um massenkompatibel zu sein.
Mit Bob Dylan verändert sich die Folkmusik
Doch 1963 war die Welt des Folk Revival schon eine andere. Immer schon war das Folk Revival mit der amerikanischen Linken verbunden. Es war Pete Seeger, der auf der schwarzen Liste stehend, aus der Not eine Tugend gemacht hatte und nun in unzähligen Grassroots-Veranstaltungen quer durch Amerika spielte. Er hielt die Flamme aufrecht, die der wegen Krankheit verstummte Woody Guthrie nicht mehr weitertragen konnte und er brachte die Songs zu Gehör, die zum Teil auch auf der „Anthology Of American Folk Music“ gesammelt waren, die bald zur Bibel der Folkies wurde. Er war der Spiritus Rektor des Folk Revival und Joan Baez und Odetta waren die Königinnen.
Doch als Bob Dylans Snogwriting in New York förmlich explodierte, da war es vorbei mit der reinen musikalischen Rückschau. Peter, Paul & Mary popularisierten sein „Blowin In The Wind“, Joan Baez führte Bobby 1963 in Newport ein. Und die Szene politisierte sich zusehends. Diese Jugend wollte ein Amerika ohne Rassismus, Konsumismus und Militarismus und sang dagegen an. Und so war der erste chart-platzierte Protestsong des Kingston Trio, Seegers „Where Have All The Flowers Gone“ schon so etwas wir ihr eigener Schwanengesang.
Houghtons Songauswahl skizziert die 1960er und seine Folkszene aus einer multiperspektivischen Sichtweise. Denn Neben Greenwich Village und Newport Folk Festival gab es auch andere Ankerorte der Folkszene wie Boston, Los Angeles – aus der so unterschiedliche Acts wie die Grateful Dead wie die Nitty Gritty Dirt Band hervorgingen – Chicago oder Toronto. Und er vergisst auch nicht die Schnittstellen von Folk mit Country und Rock, die im Laufe des Jahrzehnts immer deutlicher wurden.
Schnittstellen zu Country und Rock werden miteinbezogen
Und so gehören neben den üblichen Verdächtigen wir Phil Ochs oder Tom Paxton eben auch Anita und June Carter aus der „First Family Of Country Music“ zu Reigen der Künstler. Erstere Solo mit dem Traditional „Fair & Tender Ladies“, zweitere mit ihrem Lebensmenschen Johnny Cash im Duett mit „Pack Up Your Sorrows“, einer Komposition von Pauline Marden und Richard Farina. Oder auch Dolly Parton & Porter Wagoner, die mit dem Tom Paxton-Song „The Last Thing On My Mind” einen Country-Hit landeten. Ein Zeugnis dafür, wie trotz kultureller und gesellschaftlicher Unterschiede die Folkmusik dennoch zu einem verbindenden Element wurde, da sowohl die jungen Folkies aus den großen Städten wie die Countrymusiker aus dem ländlichen Süden sich auf die gleichen Wurzeln beriefen. Von Johnny Cash, der sich mit Bob Dylan befreundete bis hin zur Nitty Gritty Dirt Band, die dann 1973 gemeinsam mit den alten Country- und Bluegrass-Kämpen wie Roy Acuff, Bill Monroe oder Maybelle Carter das epochale Album „Will The Circle Be Unbroken“ schufen.
Houghtons Weg durch die Folkgeschichte endet jedoch richtigerweise 1969. Denn zwar hatte der Folk nach dem Schwenk von Dylan zur Rockmusik 1965 seine große Leitfigur verloren, doch ein paar Jahre noch war er durchaus noch einflussreich. Doch spätestens mit dem Sgt. Pepper-Album der Beatles, dem Psychedelic Rock, Dylans Gegenreaktion mit den Basement Tapes und der Entstehung des Country Rock hatte der Folk seine große Zeit als Leitgenre hinter sich. Das Jahrzehnt endete mit „Woodstock“ und Altamont“ und die Rockmusik war als musikalisches Leitgenre der westlichen Jugend etabliert.
„When Will They Ever Learn?“ ist eine gelungene Sammlung, die auch über den Folk-Tellerrand schaut und damit die Verbindungslinien zwischen den Genres offenlegt. Eine gute Ergänzung jeder Plattensammlung!