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Die ganz frühen Jahre

6. September 2025

Folge 18 der Bootleg Series beschäftigt sich mit Dylans ganz jungen Jahren. Damit ist aber nur eine Lücke der Werkausgabe geschlossen, andere bleiben.

Copyright: Sony Music

Bei jeder Tourankündigung die Bob Dylan derzeit macht, rätseln alle: „Wird es seine letzte sein?“ Den Live-Künstler Bob Dylan könnten wir schon bald verlieren bzw. vielleicht gibt er nur noch wenige ausgewählte Konzerte. Der kreative Kopf ist aber scheinbar rege und produktiv wie gewohnt. Ein neues Buch mit Zeichnungen erscheint im Herbst, hier und da geht er ins Studio und wahrscheinlich ist sein Notizbuch voller halbfertiger oder bei Seite gelegter Songideen.

Zurück zu den Anfängen

Dass jetzt, während er auf die 85 zugeht, in diesem Jahr gleich zwei Filme über seine Frühzeit erschienen sind und die nächste Ausgabe der Bootleg Series sich mit den ganz frühen Jahren 1956 bis 1963 befasst, passt aber zu dem oben skizzierten Gedanken der Endlichkeit, bei der man sich wieder auf die Ursprünge besinnt. So wie Dylan selbst, der gerade zum Tour-Auftakt in Bangor, Maine mit „Masters Of War“, „To Ramona“ und „Don’t Think Twice“ ganz alte Werke rausholt. Dass „Masters Of War“ dabei als Statement zur Weltlage gesehen wird? War die Weltlage je anders? Ja und Nein. Abgesehen von Europa bis zu den Balkankriegen war seit dem 2. Weltkrieg irgendwo immer Krieg. Aber: Die Kriege sind nähergekommen (Ukraine), werden scheinbar von allen beteiligten Seiten immer rücksichtloser geführt (Hamas/Netanjahu-Regierung) bzw. führt Trump schon eine Art Krieg in eigenem Land gegen Migranten und gegen demokratische Städte und schafft wieder ein Kriegsministerium. Und hätte dafür dann gerne den Friedensnobelpreis? Unter diesen Bedingungen ist „Masters Of War“ dann tatsächlich ein Statement. Und ist genauso aktuell wie alle seine Protestsongs heute noch – oder wieder – aktuell sind.

Bei der Bootleg Series Vol. 18 hinterfragt man natürlich die Qualiät der Aufnahmen. Wir kennen ja die Hotel- und Partytapes der frühen Jahre. Jetzt auch die Highschool-Tapes? Die Probenkeller-Tapes? Und sein allererstes Solokonzert auf der Sommerlager-Hütte ist auch dabei? Man sagt, dieses Projekt sei für Dylans rechte Hand Jeff Rosen ein Herzensanliegen. Und in der Tat: Editorisch ist das genau die Lücke. Man hat den Musiker Dylan damit bis zu seinen Anfängen zurückverfolgt. Ob das jetzt Schlüsse auf seine spätere künstlerische Entwicklung zulässt? Wir werden sehen.

Wer hat die Liner Notes geschrieben?

Es bleibt zu wünschen, dass ein kluger Kopf – Greil Marcus, Elijah Waldo, Rosen selbst? – mit den Liner Notes beauftragt worden ist und nicht Schlüssellochgucker Clinton Heylin. Wenn das gewährleistet und das Ganze einigermaßen hörbar, dann noch optisch gut und wertig verpackt ist, dann kann man sich wirklich freuen. Auf das ganze Werk. Aber auch unter einem anderen Aspekt: Schließlich stand das Ding irgendwie jahrelang da wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Wenn das mal erledigt ist, kann man sich endlich wieder anderem zuwenden.

Wir warten immer noch auf die Veröffentlichung von Live-Musik der jüngeren Touren oder gar ein Box-Set, das einen schönen Überblick über die Touren seit 1988 gibt. Dass Dylans letztes Live-Album – außer dem Sonderaufgebot an Stars vom Madison Square Garden 1992 – das uninspirierte Genöhle und Gefuddel mit Grateful Dead ist (ich weiß, dass mir jetzt einige böse sind) – ruft bei mir immer noch große Schmerzen hervor. Die tollen 1986er Konzerte mit Tom Petty harren auch immer noch einer offiziellen Veröffentlichung. Außer dem Australien Konzertfilm „Hard To Handle“ ist da nie was erschienen.

Wir hätten da noch ein paar Wünsche

Also schauen wir mal was jetzt kommt. Dass die Bootleg Series Vol. 18 die Reihe abschließen wird, ist schwer vorstellbar. Da ist einfach noch zu viel da. Und es kommt ja auch immer noch weiteres hinzu. Wobei wir wieder in der anfangs gestellten Frage wären. Und die lässt sich aus Jahrzehnten Bob-Watching einfach nicht zwingend und klar beantworten. Stay tuned!

Das Willie Nile-Album, auf das wir alle gewartet haben

22. August 2025

Lebensfreude, Rebellion, Rock’n’Roll Forever. Der Elder Statesman und New York Troubadour bleibt auf „The Great Yellow Light“ trotz oder gerade wegen Trump bei seinem Credo

Copyright: River House Records

Nile versus Trump

Beide sind New Yorker. Doch während der 79-jährige Donald Trump in seinem Leben in die vermögende Familie eines herrischen, rassistischen Vaters hineingeboren wurde, wuchs der jetzt 77-jährige Willie in einer geselligen und musikalischen irisch-katholischen Familie auf. Und während Trump über die Jahre als reicher Sohn eine unrühmliche Bekanntheit in New York erlangte, ging Willie nach Greenwich Village und wurde einer der hochgeschätztesten Singer-Songwriter seiner Generation ohne je den Erfolg eines Bruce Springsteen nur annähend zu erreichen. Mit seinen Platten wie “Streets Of New York (2006), „House Of The Thousand Guitars” (2009) und “American Ride” (2013) feierte er jedoch große Kritikerfolge. Und er selber feierte 2017 eines seiner großen Vorbilder mit dem Bob Dylan-Tribute-Album „Positively Bob: Willie Nile Sings Bob Dylan“. Der Herausgeber dieses Blogs hat ihm schon so manche Zeile gewidmet und ist immer noch entzückt ob des Konzerts von Willie Nile am 27. November 2013 im Frankfurter Nachtleben.

Staunen über sein Land

Nun also wieder ein neues Album von Wille Nile. „The Great Yellow Light“. Und nach dem ersten Hören wusste ich: Ja, das habe ich gebraucht. Und bestimmt nicht nur ich. Da lässt sich einer seinen amerikanischen Traum nicht zerstören. Nicht, dass Willie blauäugig oder ignorant wäre. Aber er ist seinem Land sehr verbunden. Er hat es schon immer kritisiert, wenn notwendig, und hat dennoch ganz Woody Guthrie-like dieses große Land mit so viel Platz für jeden bestaunt. Noch heute ist sein „American Ride“ eine Hymne für uns. Sie hat uns durch unsere Fahrten durch die USA begleitet und erfüllt uns heute mit großer Schwermut.

Doch Willie will nicht schwermütig sein. Er feiert auf diesem Album den Rock’n’Roll, seine irische Herkunft und sein Amerika. Und er kritisiert es gleichzeitig in „Tryin‘ To Make A Livin‘ In The USA“ und warnt vor den politischen Entwicklungen im prophetischen „Wake up, America“ zusammen mit dem linken Country-Rebellen Steve Earle.

Willie feiert den Rock’n’Roll

Und so finden sich auch auf diesem Album wieder die Mittanz- und Mitsing-Hymnen wie „Wild, Wild, Wild“ oder „We Are, We Are“ ebenso wie die langsamen, melodischen Stücke wie „Washington’s Day“ oder  „What Color Is Love“.

Willie Nile fügt mit den neuen Songs seinem Werk nichts hinzu, dass völlig neu wäre. Aber dass er einfach weitermacht, sich nicht beirren lässt und uns damit wieder ein bisschen mehr Kraft gibt, die amerikanische Realität zu verarbeiten, das ist schon verdammt wichtig.

Ach Willie, könnten wir Dich nur einmal noch wiedersehen.

„I Contain Multitudes“

8. August 2025

Walt Whitman, Stephen King, Bob Dylan und die Vielheiten im amerikanischen Individuum

Copyright: Tobis Film

Einer der faszinierendsten Filme, die wir in letzter Zeit gesehen haben, ist „The Life Of Chuck“. Ein Film von Mike Flanagan mit Tom Hiddleston in der Titelrolle. Ein Film, der drei Teile hat und der vom Ende her, also chronologisch rückwärts erzählt wird.

„The Life of Chuck“

Im ersten Teil geht gleichzeitig die Welt unter und Charles „Chuck“ Krantz stirbt. Doch kurz vor seinem Tod blinkt überall sein Bild auf.: „Vielen Dank für 39 gute Jahre!“. Als Chuck stirbt, endet die Welt.

Im zweiten Teil sehen wir Chuck, der als Buchhalter arbeitet, aber keine Lust hat, seine freie Zeit am Rande einer Konferenz mit anderen Buchhaltern zu verbringen. Stattdessen läuft er ziellos durch die Straßen bis er auf eine Straßenmusikerin trifft, die ihm mit ihrem Schlagzeugspiel zum Tanzen bringt. Als dann noch eine junge Frau, die sich gerade getrennt hat zu der Szene stößt, kommt es zu einer der fantastischsten Tanzszenen der jüngeren Hollywood-Geschichte.

Im dritten Teil erfahren wir dann von Chucks Kindheit. Seine Eltern sind bei einem Autounfall gestorben und er wächst bei seinen Großeltern auf. Während seine Großmutter ihn für das Tanzen begeistert, ist der Großvater ein nüchterner, aber öfters betrunkener, Buchhalter. Nachdem seine Großmutter stirbt, besucht er an der Schule den Tanzklub und wird zu einem großartigen Tänzer. Er hat einen Platz in dieser Welt gefunden. In Anlehnung an ein Gedicht von Walt Whitman hatte ihm seine Lehrerin Miss Richards zuvor bereits erklärt, dass er „Vielheiten“ enthalte, sich in seinem Kopf also ein ganzes Universum mit all seinem Wissen und den ihm bekannten Personen befindet. Man kann es schon ahnen: das ganze Universum des ersten Teils befand sich in Chucks Kopf. Es starb mit ihm.

Copyright: Forgotten Books

Whitman und Dylan: „Ich enthalte Vielheiten“

Genau diese oben genannten Vielheiten machen das Individuum aus. Marx sagte, das menschliche Wesen sein kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit sei es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse und meinte damit, dass Ansichten, Wünsche, Träume, Werte und Haltungen des Individuums sich auf gesellschaftliche Beziehungen und Einflüsse begründen. Walt Whitmans berühmter Satz „Ich enthalte Vielheiten“ –  „I contain multitudes“ – stammt aus seinem grundlegenden Werk „Gesang von mir selbst“. Das lange Gedicht erzählt von der eigenen und der äußeren Natur und wie sich die eigene Seele aus dem speist, was um uns herum passiert. Das amerikanische Individuum basiert auf dem überlieferten universellen Glücksanspruch der Verfassung und der tatsächlichen Vielfalt der amerikanischen Gesellschaft.

Copyright: Sony Music

Whitman erzählt von dieser höchst vielfältigen amerikanischen Gesellschaft und entwirft die demokratischen Ideale eines diversen und inklusiven Zusammenlebens in den USA. Er beeinflusste damit auch Woody Guthrie, die Beat-Poeten und Bob Dylan. Der nahm sich 2020 Whitmans „I Contain Multitudes“ als Songtitel und gab in hohem Alter endlich zu, wie widersprüchlich und vielfältig er selbst sei. Ein großartiger Titel und ein großartiger Beitrag zur Betrachtung des Phänomen Dylans von Dylan selbst.

Gleichzeitig ist das ganze Album „Rough And Rowdy Ways“ ein Plädoyer für die Vielfältigkeit und die amerikanische Demokratie: „False Prophet“, „Jimmie Reed“, „Mother of Muses“, „Key West“, „Murder Most Foul“. Und gleichzeitig ihr Schwanengesang angesichts der sich anbahnenden politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen.

Die Storysammlung enthält „Chucks Leben“, Copyright Heyne-Verlag

Stephen King: Lob der Vielfalt und Verantwortungsethos

Kommen wir zurück zum Film „The Life Of Chuck“, der wiederum auf den Kurzroman „Chucks Leben“ von Horror-Papst Stephen King zurückgeht. Der bekanntermaßen den Demokraten nahestehende King zeigt uns wie viel in einem Kurzroman stecken kann. Neben der Coming Of Age-Geschichte von Chuck und dem Lob der Vielfalt – einen typischen King-Horror mit dem verschlossenen Zimmer, das einem den eigenen Tod zeigt, kann sich der Autor sowieso nicht verkneifen – spießt King auch ein anders ebenso typisches amerikanisches Ideal auf. Den Arbeitsethos, das Verantwortungsgefühl und die Verpflichtung seine Familie mit eigener Leistung zu ernähren. So wie Merle Haggard im Workingman‘s Blues.

Chuck wird nämlich keineswegs Tänzer, sondern folgt der Haltung des Großvaters, der dazu rät als Buchhalter zu arbeiten, denn dieser Beruf ernährt seinen Mann und dessen Familie. Doch Chuck scheint darunter nicht zu leiden, oder doch und deswegen dieser „Tanzausbruch“ im zweiten Teil? Wie auch immer. Seine Nächsten sind im dankbar, trotz seiner nur 39 Jahre hatte er ein erfülltes Leben.

Trump als Gefahr für das amerikanische Selbstverständnis

Indem King beide Pole des amerikanischen Selbstverständnisses hier in einer Person verschmilzt, zeigt King sein Verständnis einer vielfältigen Nation, der unter Trumps erster Herrschaft, in der diese Geschichte erschien, schon bedroht war und nun noch viel größeren Gefahren ausgesetzt sieht.

Whitman wie King wie Dylan sind die Stimmen einer demokratischen, multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen US-Demokratie.  Einer US-Demokratie, vereint im Glücksversprechen, der Freiheit, Vielfalt und Gerechtigkeit. Doch derzeit übertönen die martialischen, menschenfeindlichen, profitgierigen Dealmaker diese Stimmen. Die Dealmaker bauen viele Mauern in der Gesellschaft auf. Wann kommen die Posaunen?

Various Artists: When Will They Ever Learn?

3. August 2025

“A Story Of U.S. Folk Music 1963-1969“. Kenntnisreiche, hörenswerte Sammlung mit lesenswerten Liner Notes von Mick Houghton

Vor kurzem habe ich an dieser Stelle „I Shall Be Released“ besprochen, eine feine Sammlung von Bob Dylan-Coversongs von 1963 bis 1970. Doch es gibt beim gleichen Label, dem umtriebigen Cherry Red Records, ein mindestens genauso interessantes Schwesterprojekt, das in wenigen Wochen, am 29. August, veröffentlicht wird. Die 4-CD-Box heißt „When Will You Ever Learn“ nach der ikonographischen Frage aus dem legendären vor allem von Pete Seeger berühmt gemachten Folk Song „Where Have All The Flowers Gone“. Auch dieses Projekt ist kenntnisreich kuratiert vom legendären britischen Musikjournalisten Mick Houghton.

Einstieg mit dem „Kingston Trio“

Die inhaltliche und zeithistorische Songauswahl ist um so höher zu bewerten, das aus rechtegründen Songs von Joan Baez, Peter, Paul & Mary, John Fahey, Ian & Sylvia und Richard & Mimi Farina leider auf dieser Kompilation fehlen. Doch Houghton bringt die wichtigen Songs dieser Künstler in Versionen von anderen zeitgenössischen Musikern dennoch ein und er erinnert an so wichtige Künstler wie Ramblin‘ Jack Elliott (er wurde kürzlich 94 Jahre!), Eric von Schmidt und Dave van Ronk, die in der großen Öffentlichkeitswirksamkeit hinter der Popularität von Baez, Dylan und Peter, Paul & Marie deutlich abfielen aber immens wichtig für die Entwicklung des Folk Revivals waren.

Houghton Sammlung beginnt mit dem „Kingston Trio“, das 1963 bereits seinen Zenit überschritten hatte. Sein historischer Verdienst war es, 1958 mit „Tom Dooley“ einen Major Hit gelandet zu haben, der in seinem kulturellen Einfluss auf die USA nur mit „Heartbreak Hotel“ von Elvis im Jahr 1956 und „I Wanna Hold Your Hand“ der Beatles in 1964 vergleichbar war. Was sich seit Anfang der 1950er Jahre sich langsam in der Mc Carthy-Zeit und dann in der Eisenhower-Ära im Jugendclub, im Sommercamp und auf dem Unicampus entwickelt hatte- in Zeiten von Konformismus und Konsumismus eine Hinwendung der städtischen, universitären Jugend zur alten, „authentischen“ und „unschuldigen“ Folkklängen, wurde nun einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Das Folk Revival wurde zum sichtbaren Coast to Coast-Phänomen. Und das Kingston Trio war brav und ohrschmeichlerisch genug, um massenkompatibel zu sein.

Mit Bob Dylan verändert sich die Folkmusik

Doch 1963 war die Welt des Folk Revival schon eine andere. Immer schon war das Folk Revival mit der amerikanischen Linken verbunden. Es war Pete Seeger, der auf der schwarzen Liste stehend, aus der Not eine Tugend gemacht hatte und nun in unzähligen Grassroots-Veranstaltungen quer durch Amerika spielte. Er hielt die Flamme aufrecht, die der wegen Krankheit verstummte Woody Guthrie nicht mehr weitertragen konnte und er brachte die Songs zu Gehör, die zum Teil auch auf der „Anthology Of American Folk Music“ gesammelt waren, die bald zur Bibel der Folkies wurde. Er war der Spiritus Rektor des Folk Revival und Joan Baez und Odetta waren die Königinnen.

Doch als Bob Dylans Snogwriting in New York förmlich explodierte, da war es vorbei mit der reinen musikalischen Rückschau. Peter, Paul & Mary popularisierten sein „Blowin In The Wind“, Joan Baez führte Bobby 1963 in Newport ein. Und die Szene politisierte sich zusehends. Diese Jugend wollte ein Amerika ohne Rassismus, Konsumismus und Militarismus und sang dagegen an. Und so war der erste chart-platzierte Protestsong des Kingston Trio, Seegers „Where Have All The Flowers Gone“ schon so etwas wir ihr eigener Schwanengesang.

Houghtons Songauswahl skizziert die 1960er und seine Folkszene aus einer multiperspektivischen Sichtweise. Denn Neben Greenwich Village und Newport Folk Festival gab es auch andere Ankerorte der Folkszene wie Boston, Los Angeles – aus der so unterschiedliche Acts wie die Grateful Dead wie die Nitty Gritty Dirt Band hervorgingen – Chicago oder Toronto. Und er vergisst auch nicht die Schnittstellen von Folk mit Country und Rock, die im Laufe des Jahrzehnts immer deutlicher wurden.

Schnittstellen zu Country und Rock werden miteinbezogen

Und so gehören neben den üblichen Verdächtigen wir Phil Ochs oder Tom Paxton eben auch Anita und June Carter aus der „First Family Of Country Music“ zu Reigen der Künstler. Erstere Solo mit dem Traditional „Fair & Tender Ladies“, zweitere mit ihrem Lebensmenschen Johnny Cash im Duett mit „Pack Up Your Sorrows“, einer Komposition von Pauline Marden und Richard Farina. Oder auch Dolly Parton & Porter Wagoner, die mit dem Tom Paxton-Song „The Last Thing On My Mind” einen Country-Hit landeten. Ein Zeugnis dafür, wie trotz kultureller und gesellschaftlicher Unterschiede die Folkmusik dennoch zu einem verbindenden Element wurde, da sowohl die jungen Folkies aus den großen Städten wie die Countrymusiker aus dem ländlichen Süden sich auf die gleichen Wurzeln beriefen. Von Johnny Cash, der sich mit Bob Dylan befreundete bis hin zur Nitty Gritty Dirt Band, die dann 1973 gemeinsam mit den alten Country- und Bluegrass-Kämpen wie Roy Acuff, Bill Monroe oder Maybelle Carter das epochale Album „Will The Circle Be Unbroken“ schufen.

Houghtons Weg durch die Folkgeschichte endet jedoch richtigerweise 1969. Denn zwar hatte der Folk nach dem Schwenk von Dylan zur Rockmusik 1965 seine große Leitfigur verloren, doch ein paar Jahre noch war er durchaus noch einflussreich. Doch spätestens mit dem Sgt. Pepper-Album der Beatles, dem Psychedelic Rock, Dylans Gegenreaktion mit den Basement Tapes und der Entstehung des Country Rock hatte der Folk seine große Zeit als Leitgenre hinter sich. Das Jahrzehnt endete mit „Woodstock“ und Altamont“ und die Rockmusik war als musikalisches Leitgenre der westlichen Jugend etabliert.

„When Will They Ever Learn?“ ist eine gelungene Sammlung, die auch über den Folk-Tellerrand schaut und damit die Verbindungslinien zwischen den Genres offenlegt. Eine gute Ergänzung jeder Plattensammlung!

Various Artists: I Shall Be Released. Covers Of Bob Dylan 1963-1970

26. Juli 2025

Eine feine Zusammenstellung: Drei CDs mit Bob Dylan Coverversionen mit ausführlichen editorischen Anmerkungen

Bob Dylan ist wahrscheinlich der meistgecoverte Einzelkünstler der populären Musik. Die Zahl der Cover- und Tribute-Alben ist Legion. Gerade erst hat Joan Osborne im Frühjahr Live-Versionen von Bob Dylan-Songs veröffentlicht, da bringt das Label Cherry Red Records eine 3-CD Box (!) mit Coverversionen von 1963 – 1970 heraus. Braucht man die?

Als Dylan-Fan: Aber ja doch! Denn im Gegensatz zu oftmals billig zusammengeschusterten Kompilationen ist dies hier eine editorisch sorgsam bearbeitete Sammlung von Dylan-Covers. Die Leistung dieser Kompilation besteht darin, abseits der bekannten Dylan-Apologeten auch unbekannte Perlen zu entdecken und damit ein ganzes Jahrzehnt, die Sixties, in all ihrem musikalischem Facettenreichtum abzubilden.

So lernt auch der eine oder andere Dylan-Fan bislang weniger bekannte Pretiosen zu schätzen. Los geht der Reigen mit Lorenzo „Laurel“ Aitken, der neben Desmond Dekker als einer der Begründer der jamaikanischen Ska-Musik gilt. Er sang 1967 „Blowin‘ In The Wind“. Im Folgenden sind natürlich auch die bekannten Namen wie die Byrds, Flatt & Scruggs, Cher oder Fairport Covention vertreten. Aber für diese Kompilation wurden eben nicht bekanntesten Dylan-Coves der Künstler, sondern die unbekannteren ausgewählt. Beispiele gefällig? Cher ist hier mit „Masters Of War“ am Start, die Byrds mit „Spanish Harlem Incident“ und von Julia Driscoll & Brian Auger ist eben nicht „This Wheel’s On Fire“, sondern die B-Seite „I Am A Lonesome Hobo“ in die Sammlung aufgenommen worden.

Und es gibt noch viele weitere feine Musik zu entdecken. Nahezu alle Genres sind vertreten. Sunshine Pop mit der Band The Association, die „One Too Many Mornings” beisteuert. Psychedelic Rock mit The Rainbow Press, die mit “As I Went Out In The Morning” vertreten sind. R&B und Soul von The Alan Bown Set mit “All Along The Watchtower. Folk-Rock mit dem Duo Jim & Jean, die “Lay Down Your Weary Tune“ gecovert haben. Und und und. Insgesamt 63 Tracks enthält die Box.

Und neben der musikalischen Vielfalt, die auch für Musikliebhaber, die keine großen Dylan-Fans sind, interessant ist, zeigt sich hier wieder einmal Bob Dylans großes kompositorisches Können. Seine Werke funktionieren in fast jedem musikalischen Kontext. Und so beweist auch diese Zusammenstellung einmal mehr Dylans Ausnahmestellung als Songwriter.

Die 3-CD-Box ist gerade eben bei Cherry Red Records erschienen. Für das Gesamtprojekt und die editorischen Hinweise, in denen alle Künstler mit ihren Werken in wenigen Sätzen vorgestellt werden, zeichnet Russell Beecher verantwortlich. Guter Mann!

“I hope we played something that you came to hear”

25. Juli 2025

Von Nr. 50 zu Nr.1: Erinnerungen an Bob Dylan in Mannheim 1981

Das Plakat: Mannheim 1981

Nachdem klar ist, dass ich in Brüssel im Herbst meine Dylan-Konzerte Nr. 49 und Nr. 50 erleben werde, da denke ich angesichts des Jubiläums schon immer mal wieder zurück auf mein allerstes Bob-Konzert am 18. Juli im Mannheimer Eisstadion.

Ich hatte Dylan mit „Desire“ kennengelernt, „Hard Rain“ im Fernsehen und „Renaldo & Clara“ und „The Last Waltz“ im Kino gesehen, „Street Legal“ und „Budokan“ gehört, dann kam „Slow Train Coming“, da war ja Mark Knopfler dabei, das fand ich damals musikalisch klasse. Inhaltlich stöhnte ich damals auf wegen der vielen Jesus-Songs. Also erklärte ich kurzerhand Jesus zur Frau und sang bei „I Believe In You“ und Precious Angel lauthals mit. Mit „Saved“ konnte ich dann noch weniger anfangen und das Mitsingen bei „Convenant Woman“ und „What Can I Do For You“ machte auch nur noch leidlich Spaß.

Bob Dylan wieder in Deutschland

Und dann die Nachricht: Dylan spielt wieder in Deutschland! Die 1978er Konzerte waren für mich zu früh gekommen, jetzt aber wollte ich die Chance nutzen. Also fuhr ich mit Freunden nach Mannheim. Am 18. Juli 1981. Am Nachmittag beim Treffen vor der Abfahrt hörten wir dann noch „Heart Of Mine“, das gerade als Singleauskopplung erschienen war, bevor das neue Album dann im August veröffentlicht wurde. Das hörte sich musikalisch besser an als „Saved“, war aber nicht so perfekt produziert wie die Songs von „Slow Train Coming“. Und dann ging es los!

Mittlerweile war das Konzert – war es das Wetter, das zu geringe Zuschauerinteresse? – verlegt worden vom Mannheimer Rhein-Neckar-Stadion ins Eisstadion. Dort angekommen, standen wir gefühlt stundenlang davor, um uns gute Stehplätze sichern zu können. Es regnete ein bisschen und wenn man den Gesprächen der anderen Wartenden lauschte, dann war das eine Mischung aus Vorfreude, stoischer Haltung zu Dylans Jesus-Ding und spöttischen Kommentaren zu den angeblich immer kleiner werdenden Hallen.

Dann öffneten sich die Tore und es wurde ein bisschen drängelig, aber wir fanden gute Stehplätze im vorderen Hallendrittel. Drinnen angekommen, konnte man das Publikum richtig wahrnehmen. Eine Mischung aus Normalos, Hippies und US-Soldaten. Die waren damals noch in West-Deutschland stationiert und füllten hierzulande so manches Konzert der US-Stars. Durch die Halle waberten mir unbekannte Gerüche, die sich aus Rauchschwaden speisten. Wow, das war spannend!

Schwarze Lederjacke, schwarzes T-Shirt

Irgendwann kam Dylan auf die Bühne. Sein Auftritt war souverän, wie ich fand. Ohne große Show. Er trug eine einfache schwarze Lederjacke und ein schwarzes T-Shirt. Er machte nur wenige Ansagen und predigte in keinerlei Weise. Und ob er in Bad Segeberg wirklich gesagt hat „Wer meine neuen Songs nicht mag ist vom Teufel besessen“ wie sich der Radio Eins-Kollege in einem Radiospecial erinnern wollte, ist höchst zweifelhaft. Denn Bei Olof Björners Bob Talk-Mitschriften der Bad Segeberger Konzerte und aller anderen Deutschland-Konzerte ist dergleichen nicht zu finden: https://bobserve.com/olof/DSN06290%20-%201981%20Europe%20Summer%20Tour.htm#DSN06480

Es würde auch gar nicht passen. Solch ein Satz hätte Dylan im Konzert als frisch konvertierter 1979 gesagt, aber nicht mehr 1981, als er längst wieder alte Songs spielte. Doch ein großer Teil der Presse wollte nicht differenziert urteilen und so wurde Dylan alles Mögliche unterstellt.

Anyway, Bob spielte ein sehr schönes „I Believe In You“, bei „Mr. Tambourine Man“ war der Song „wieder voll da“, wie ein Freund von mir bemerkte, und bei „Ballad Of A Thin Man“ überraschte Dylan mit einer wilden, ausladenden Gestik. Irgendwie strange. So habe ich nachher von Dylan nie mehr gesehen.

Das Ticket: Mannheim 1981

Leichte Unruhe wegen der Gospelfrauen

Natürlich war bei „Like A Rolling Stone“ beste Stimmung, aber den Chorfrauen stand das Publikum doch relativ reserviert gegenüber. Es kam schon ein bisschen Unruhe auf, als eine der Chorfrauen dann solo einen Gospel sang, aber es blieb nach meiner Erinnerung alles im Rahmen. Von Dylans Duett mit Clydie King bei „Let’s Begin“ war ich überrascht und konnte es auch nicht richtig einordnen. Das passte irgendwie nicht zu meinem damaligen Bob-Bild. Und so erging es wohl vielen. Nach dem „großen Schubidu“ 1978 nun also 1981 Gospelsongs und Duette. Viele deutschen Dylan-Fans ärgerten sich einfach, dass der klassische Dylan der frühen und mittleren 1960er Jahre hier in Deutschland einfach nicht live zu hören war, sondern nun Lichtjahre davon entfernt schien. Also klammerte man sich an die alten Hits fest, die Dylan dem Publikum mittlerweile auch wieder gab. Ohne allerdings seine Weiterentwicklung zu verbergen.

Bei „Heart Of Mine“ – kurz vor Ende des regulären Sets – stellte sich Bob ans E-Piano und ihm wurde ein Handtuch umgehängt. Bei „In The Garden“ stellte Bob Dylan seine Band vor und sagte den Satz, der zeigte, dass er durchaus wusste, welche Wirkung seine Setlists entfalten konnten: “I hope we played something that you came to hear”. Mit „In The Garden“ schloss das Konzert auch erstmal. Und da waren wir schon bei 24 Songs!

Dann die Zugaben. Völlig strange dann auch hier der Beginn: Der Background-Chor singt gefühlt schon mal dreiviertel von „Blowin‘ In The Wind“, ehe Dylan nur mit dem Mikro wie ein Schlagersänger aus dem Bühnenhintergrund tritt. Uff, da mussten wir doch schlucken. Am Ende dann eine feine Version von „Knockin‘ On Heaven’s Door“ und die Stimmung war versöhnlich.

Wir verließen Mannheim und ich war zufrieden. Und mit „Infidels“, das im Herbst 1983 erschien, hatte er mich ja dann wieder mit einer offeneren Geisteshaltung endgültig wieder für sich eingenommen. Live sollte ich ihn erst 1987 in Frankfurt bei einem wirklich grauslichen Konzert wieder sehen. Doch der Anfang war gemacht und zehn Jahre später in Offenbach ging es mit meinen Dylan-Live Experiences ja erst so richtig los.

Thomas Waldherr wird nächstes Jahr sein drittes Buch über Bob Dylan veröffentlichen, das den Arbeitstitel „Bob Dylan 1981“ hat und u.a. auch aus verschiedenen Perspektiven auf dessen damalige Deutschland-Tour blicken wird.

Jesse Welles – Protestsänger in Trumps Amerika

11. Juli 2025

Kein neuer Bob Dylan, eher ein neuer Phil Ochs. Auch diese Generation braucht solch einen Sänger

Jesse Welles, Foto: Jesse Welles

Als im Januar 2021 Trumps faschistische MAGA-Horden das Capitol angegriffen hatten, schrieb ich: „Wer schreibt also den Folksong über dieses Ereignis, den man braucht, um die Strippenzieher anzuklagen und der Lächerlichkeit preiszugeben und sie Schimpf und Schande auszusetzen?“ Damals blieb es erstaunlich ruhig. Nun, während der zweiten Trump-Herrschaft, gibt es tatsächlich einen jungen Folksänger, der Trump, MAGA und den gesellschaftlichen Wahnsinn in den USA musikalisch bearbeitet und offen in seinen Songs kritisiert und verspottet.

Musikalischer Protest in altbewährter Weise

Jesse Welles, Jahrgang 1994, heißt der junge Mann, der in altbewährter Weise mit Gitarre und Mundharmonika im Halter die Mächtigen angreift. Mein Dank gilt hier der wunderbaren Julia van Embers, die von ihrem USA-Trip die Nachricht mitbrachte, da gäbe es wieder einen jungen Folksänger, der gegen Tyrannei, Verfolgung und Krieg sänge.

Und tatsächlich wer seine Songs wie „The President“, „War Isn’t Murder“, „The Poor“ oder „Mass Shootings“ hört, der hört unverstellte Kritik und trotzdem feine Lyrik. Natürlich spielt Welles mit dem Bob Dylan-Appeal, aber selbst der frühe Dylan war nie so eindeutig, war vieldeutiger, als es Welles ist. Welles erinnert da mehr an Phil Ochs als an Dylan. Und Dylan hatte Ochs ja vorgeworfen, mehr Journalist als Songwriter zu sein.

Das neue junge Gesicht des Protestsongs

Aber wie auch immer. Auch sechzig Jahre nach dem Folk-Revival giert das Publikum nach solchen Archetypen. Und Welles, der schon eine Dekade Musik macht und Frontmann der Bands Dead Indian und Cosmic American war, hat im vergangenen Jahr die Lücke geschlossen. Nun hat der Protestsong wieder ein junges Gesicht. So sehr man Joan Baez und Neil Young schätzt – die neue Protestgeneration, die Generation „Figh Oligarchy“ und „No Kings“ braucht Musik, die nach vorne schaut und nicht rückwärtsgewandt die Sixties verklärt.

Was Bob Dylan ja nie machte. Er hat die Folk-Revival-Seligkeit implodieren lassen und ist vor Woodstock geflohen. Und genau deswegen hat er die Bedeutung erlangt. All die tagespolitischen Protestsänger wie Phil Ochs oder Barry McGuire kennen heute nur noch Eingeweihte. Indem Dylan aber sich vom Zeitgeist entkoppelte, konnte er zeitlos werden. Und deswegen muss er heute keine neuen Protestsongs schreiben. Von „Masters of War“ über „Hattie Carroll“ bis „All Along The Watchtower” – Dylans böses Amerika ist wieder da, war nie fort. Rüstung, Rassismus, Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkenden – all das ist wieder da und schlimmer denn je.

Mit strubbeliger Schönheit, Spott und klarer Haltung gegen den orangenen Horror-Clown

Und daher ist Jesse Welles hoch anzurechnen, dass er mit offenem Visier diesen Kampf aufnimmt. Dave Matthews hat ihn bei „Farm Aid“ als „einer der besten Songwriter, den ich kenne“ vorgestellt. Aber darum geht es, so glaube ich, gar nicht. Welles artikuliert das, was viele denken, aber nicht aussprechen. Oder man hört sie nicht. Welles hat konsequent Social Media genutzt, bevor er bei Farm Aid und im TV auftrat. Dass er an ein vertrautes Performance-Schema anknüpft steigert seine Massenwirkung. Dass er eine junge strubbelige, lässige Schönheit ist ebenso. Er ist der Gegenentwurf zum orangenen Horror-Clown und seine geschniegelte Regierungsbande. Weite Teile seiner Herbsttournee durch die Staaten ist bereits ausverkauft.

Jesse Welles muss auch weder Bob Dylan noch Phil Ochs sein. Er ist die Stimme der neuen amerikanischen Protestgeneration. Das ist im Augenblick erstmal das einzige, das zählt.

Bob Dylan und die „Zeitenwenden“

5. Juli 2025

Die Musiklegende stand stets mit dem passenden Soundtrack zu den gesellschaftlichen Entwicklungen parat

Copyright: Columbia Records

„Zeitenwende“. In diesen Zeiten, die wissenschaftlich mal als Zeit der Transformation, mal als Zeit der multiplen Krisen bezeichnet werden, trendet jedoch der populäre Begriff der „Zeitenwende“. Mal füllt man ihn mit der Wiederherstellung der „Kriegstüchtigkeit“, mal wird er als Begriff für die weltweite Entwicklung zum Autoritarismus benutzt. Wie auch immer: Die Zeiten der nach dem 2. Weltkrieg errichteten Weltordnung, die auf Regeln, Verträgen und Grundwerten fußte, wird gerade an vielen Orten in der Welt – aktuell natürlich am deutlichsten und dramatischsten in den USA, geradezu pulverisiert. Da aktuelle Analysen ohne historische Betrachtungen sinnlos sind, möchte ich mit diesem Text an andere Zeitenwenden erinnern und daran, dass Bob Dylan immer den passenden Soundtrack dazu geliefert hat.

1961 bis 1965: „The Times They Are A-Changin'“. Bob Dylan und die Erfindung der Sixties

In der massenmedial verkürzten und daher doch allgemein bekannten Bob Dylan-Erzählung wird der Künstler immer noch zu aller erst mit den 1960er Jahren in Verbindung gebracht. Als hätte er in den sechzig Jahren danach nichts mehr gemacht. Dylan sagte selbst vor ein paar Jahren in einem Interview spöttisch-sarkastisch: „Wollte ich jemals die Sixties erwerben? Nein. Aber ich besitze die Sixties.“ Sprich: Er entkommt dem Image des Protest- und Gegenkulturpoeten einfach nicht, so sehr er es auch will. Und das Problem für Bob Dylan ist: Es stimmt ja auch. Dylan war der einflussreichste einzelne Folk-Rock-Künstler der 1960er Jahre. Weil er erst die Stimmung aufgriff und in geniale Musik umwandelte: Die Angst vor dem Atomtod, der Kampf gegen Rassismus und für Bürgerrechte, der Kampf gegen die Kriegstreiber gerannen zu „A Hard Rain’s A Gonna-Fall“, The Lonesome Death Of Hattie Caroll“ und „Masters Of War“.

Und danach stellte er das autonome Individuum in einer veralteten, fremdbestimmten Welt in den Mittelpunkt seiner Songs: „Maggies Farm“, All Along The Watchtower“. So wurde er zur musikalischen Leitfigur erst für die alte, dann für die neue Linke und ihre Emanzipationsbewegungen. Und behielt Nimbus und Image auch, als er längst nur noch privatisierte und als braver amerikanischer Familienvater auf dem Land in Woodstock, New York, lebte.

Wegen ihm sollte das Festival 1969 in Woodstock stattfinden und behielt den Namen, auch wenn es dann später in Bethel seinen Platz fand. Er gab der Zeitenwende vom dumpfen, konsumistischen Eisenhower-Amerika zum Amerika des freiheitlichen Aufbruchs den passenden Soundtrack. Selten hatte sich Amerika binnen eines Jahrzehnts so verändert wie in den 1960ern. Und Dylan war mittendrin. Auch als er gar nicht mehr an der Oberfläche sichtbar war. Er wurde zum Kult, er wurde zum Mythos. Bob Dylan besitzt die Sixties bis heute.

1979-83: „Slow Train Coming“. Das konservative Roll-Back von Jimmy Carter zu Ronald Reagan

In der Tat, Amerika veränderte sich in den 1960er Jahren rasant. „Aber nicht zum Guten“, sagten sich die konservativ-reaktionären Think Tanks der Republikaner. Noch während der Amtszeit von Richard Nixon gegründet, suchte die Heritage Foundation intensiv nach Antworten, um die vermeintliche kulturell-gesellschaftlich-politische Vorherrschaft der Linken in Amerika zu beenden und eine neue konservative Ära einzuläuten. Mit gehörigem Einfluss auf die republikanische Partei, Teile der Wissenschaft und der Medien gelang es ihr eine gewisse Deutungshoheit in den Krisenjahren in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre zu erlangen. Sie munitionierte Reagans Politik des konservativen Neoliberalismus, der als erster Präsident nach fast 50 Jahren Hand an wichtigen Säulen des New Deal anlegte und den Grundstein für die heutzutage so verhängnisvolle gesellschaftliche Spaltung legte.

Während die Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre nach den gewaltsamen Toden von Martin Luther King und Bobby Kennedy, dem „Kent State Massaker“ in Ohio 1970 und den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ordnungskräften und Black Panter Party sich in den 1970ern immer mehr erschöpfte, wandten sich viele aus der ehemaligen Protestgeneration dem Eskapismus zu. Beschäftigten sich mit Gurus, Meditation oder schlossen sich fundamentalen christlichen „Born Again“-Gruppen an.

Bob Dylans Rolling Thunder Revue, die eigentlich dazu gedacht war, den Geist der Sixties neu entfachen, versandete bezeichnenderweise im Mai 1976 im Mittleren Westen. Doch trotz der Wahl von Jimmy Carter im November 1976 konnte das progressive Feuer nicht wieder erklimmen. Carters Präsidentschaft war gekennzeichnet von einer Wirtschaftskrise, die sich zu einer nationalen Depression auswuchs. Als „Retter“ stilisierte sich dann ausgerechnet Ronald Reagan, der Ende der 1960er als Gouveneur von Kalifornien Studentenproteste gewalttätig niederschlagen ließ. Der ehemalige Schauspieler und B-Movie-Westernheld und langjährige Konzernrepräsentant von General Electric war ein geschickter Kommunikator. Mit seiner unaufgeregten sonoren und geschulten Stimme sowie gut funktonierenden rhetorischen Figuren und Bildern konnte er rechtskonservative Inhalte an die Menschen bringen. So war seine Wirtschafts- und Sozialpolitik konservativ und neoliberal, der öffentliche Sektor und Sozialleistungen wurden deutlich beschnitten. Damit dies bei den einfachen Menschen verfing und diese sich nicht zur Wehr setzten, zielte er auf perfideste Weise auf die rassistische Spaltung. Sein Bild der schwarzen „Welfare Queen“ funktionierte und separierte die weiße Arbeiterklasse von der schwarzen. So entstanden die Reagan-Demokraten. Der Süden wurde republikanisch-rot statt demokratisch-blau. Und das Unheil nahm seinen Lauf.

Copyright: Sony Music

Bob Dylan war während der Anbahnungsphase des konservativen Roll-Backs ganz ein Kind seiner Zeit. Aufgrund von Erschöpfung und persönlichen Krisen fand er Halt in einer fundamental-christlichen Sekte in Südkalifornien. Das wäre nicht das Problem. Doch Dylan war ein überaus eifriger Konvertit. Das ließ sich in seinen Texten lesen, in seinen Konzerten hören. So predigte er während der Konzerte über den Gott der Strafe, der Verdammnis und warnte sogar in einem Konzert im 1980 in Hartford, Connecticut auch ausdrücklich Homosexuelle vor der göttlichen Strafe. Und „Slow Train Coming“ war das Lied zum heraufbrechenden neokonservativen und neopatriotischen Zeitalter in den USA. Ein Geraune darüber wie kaputt Amerika ist, aber dass sich der richtige Zug, der das Gute mit sich führt, schon ankündigt. Langsam, aber er kommt.

Doch Dylan wäre nicht Dylan, hätte er sich nicht auch aus dem fundamentalen Gedankengefängnis wieder befreit. Trotz der Tiraden: Er war weiter mit dem homosexuellen Beat-Poeten Allen Ginsberg befreundet. In einem Interview sagte er später, er wolle in diesen Dingen niemanden etwas vorschreiben, das sei ihm egal. Und sein 1981er Album „Shot of Love“ markiert dann auch seinen Wendepunkt. Er wendet sich wieder weltlichen Sichtweise an. Dass er sich ausgerechnet den anarchisch-öbszönen Comedian Lenny Bruce für ein musikalisches Porträt aussucht, zeigt Dylans wiedergewonnene künstlerische Autonomie.

Doch mehr noch. Hatte er 1979 den „Slow Train“ kommen sehen, so muss er 1983, nachdem Reagan gut zwei Jahre im Amt war, dann gemerkt haben, wohin die Reise geht. „Jokerman“ vom Album „Infidels“ ist, so lyrisch vertrackt er erscheint, auch eine Replik auf den „großen Kommunikator“.

“Well, the rifleman’s stalking the sick and the lame

Preacher man seeks the same, who’ll get there first is uncertain

Nightsticks and water cannons, tear gas, padlocks

Molotov’s cocktails and rocks behind every curtain

False-hearted judges dying in the webs that they spin

Only a matter of time ‚til night comes steppin‘ in’”

Der Rifleman und der Prediger – das ist Reagan. Er macht Politik gegen die Schwachen und versucht, sie kommunikativ zu manipulieren. Reagan war Held vieler B-Western und auch auf dem Titelbild des Titelbilds „American Rifleman“ zu sehen. Das uramerikanische Bild des bösen Predigers findet sich auf „Infidels“ auch im Song „Man Of Peace“.

Copyright: American Rifleman

Während Reagan politisch die 1980er Jahre dominiert, Michael Jackson zum Superstar aufsteigt und Bruce Springsteen mit „Born In The USA“ mit gewisser Eigenschuld bewusst falsch verstanden wird, verliert Dylan in diesem Jahrzehnt seinen künstlerischen Kompass.

2006 – heute: „I Feel A Change Comin‘ On“. Von der Finanzkrise zu Trump

Doch 1997 kommt das Comeback und Dylan legt schon 2003 mit „Masked & Anonymous“ eine dystopische Prophezeiung als Film vor. Ein dysfunktionales, gewalttätiges Amerika wird von eine Diktatorenfamilie regiert.

2006 erscheint „Modern Times“ mit dem Song „Workingman’s Blues“, das den Abstieg der Arbeiterklasse in der globalen Welt mit ihren Produktionsverlagerungen, Standortkonkurrenzen und Lohndrückereien beschreibt.

 “There’s an evenin‘ haze settlin‘ over the town

Starlight by the edge of the creek

The buyin‘ power of the proletariat’s gone down

Money’s gettin‘ shallow and weak

Where the place I love best is a sweet memory

It’s a new path that we trod

They say low wages are reality

If we want to compete abroad”

2008 wird Barack Obama zum Präsidenten gewählt. Auch Dylan unterstützt ihn Anfangs. Doch bereits in der ersten Krise, der Finanzkrise von 2009, handelt Obama nicht für die Menschen, sondern für den Erhalt der Banken. Er lässt sich von Wall Street Bankern beraten. Während unzählige Menschen ihr Erspartes und ihr Eigenheim verlieren, werden die Banken gerettet. Die „Wolfs of Wall Street“ sollen die Schafherde beschützen. Oder: Den Bock zum Gärtner gemacht. Für viele Amerikaner ist der erste schwarze Präsident, derjenige, der ihnen ihr Häuschen genommen hat. Auch Dylan nimmt in den kommenden Jahren Abstand von Obama. Bei Begegnungen ist er aufreizend zurückhaltend und vor der Wiederwahl 2012 lässt er sich im Interview kein positives Statement zu Obama abringen.

Auch „I Feel A Change Comin’ On” vom Album “Together Through Life” wirkt nicht wie ein positiver Song für eine neue Zeit, sondern eher wie ein stoisches Statement zur Endlichkeit. Zwar musikalisch schmissig, aber textlich nüchtern beobachtend das Ende sehend.

2012 erscheint „Tempest“ und Dylan füllt das Album mit Dystopie, Gewalt und Tod. Vom Abgesang auf den Rust Belt (Duquesne Whistle) über das gescheiterte Leben (Long And Wasted Years), dem Serienmörder (Soon After Midnight) bin hin zum Massensterben in „Tin Angel“ und „Tempest“.

2020 dann, am Ende der ersten Trump-Herrschaft und mitten in der Corona-Krise bringt Dylan erst drei Singles und dann Album „Rough And Rowdy Ways“ heraus. „Murder Most Foul“, das Lied über den Kennedy Mord, ist der Schwanengesang auf das amerikanische Jahrhundert.

Diese düstere Stimmung, gepaart mit Selbsteinsichten (I Contain Multitudes) und Liebeserklärungen an Gott (I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You), der Toleranz für andere Glaubensrichtungen und der Erinnerung an die Great Migration (Goodbye Jimmie Reed) und an die Liberalität von „Key West“ als Utopie ist Dylans grundlegendes Werk zu seinem Verständnis unserer Zeit.

Bob Dylans Soundtrack kennzeichnet den Untergang von Gerechtigkeit und Demokratie in den USA. Die Vereinigten Staaten werden bereits jetzt diktatorisch, manipulativ und gewalttätig regiert. Es gibt noch die Hoffnung auf Veränderung, aber sie ist leise und schwelgt in der Erinnerung an Früher und weniger in Vorstellungen einer guten Zukunft.

Copyright: Roadshow Entertainment

Bob Dylan hat auch die kommenden Zeiten beschrieben, siehe „Masked & Anonymous“. Trumps Faschismus ist eine pervertierte Form der bürgerlichen Herrschaft. Der Kapitalismus und die Interessen der Reichen müssen vor den Ansprüchen des Volkes auf soziale Gerechtigkeit, Bildung und intakte Umwelt geschützt werden. Es ist dies mit demokratischen, parlamentarischen Mitteln nicht mehr möglich, dann entledigen sich diese Reichen der Demokratie, indem sie sich auf ein desperates, manipuliertes, gewaltbereites Fußvolk, einen gekauften Supreme Court und viel, viel Geldmacht stützen.

Wird Dylan noch einen Soundtrack zu einer Überwindung dieser Diktatur beisteuern können?

Vor 40 Jahren: Bob Dylan goes Kirmestechno

20. Juni 2025

1985 erschien das über- und totproduzierte Album „Empire Burlesque“. Erinnerungen und Nachbetrachtungen

Copyright: Sony Music

Am 10. Juni 1985 erschien „Empire Burlesque“, das 23. Studioalbum von Bob Dylan. Es wird bis beute als Beginn der Dylan’schen Schwächeperiode in den 1980ern Jahren bewertet. Auch ich habe damals gehadert mit dem Album, ohne zu wissen, dass es 1986 mit „Knocked Out Loaded“ und 1988 mit „Down In The Groove“ noch schlimmer kommen sollte.

In der Erinnerung hatte ich damals noch das starke Infidels-Album, dass seine Rückkehr aus der evangelikalen Falle markierte und die letztlich erfolgreiche Europa-Tour 1984, die ich wegen anderer Prioritätensetzung leider nicht miterlebt habe, die ich aber später mittels der wunderbaren „Radio-Robertage“ von Günter Amend mit dem Titel „Reunion Sundown“ nachverfolgen konnte.

Dylan im Popsänger-Gewand

Die Spannung und Vorfreude waren also durchaus groß. Aber schon das Cover sollte eine Warnung sein. Dylan sah aus wie ein Popsänger. Schicker Anzug, gekünstelte Haltung. Ganz anders das Back-Cover-Foto. Dylan in seiner Bühnenkleidung von 1984 mit einer unbekannten Schönheit. Einer Frau, mit der er damals wohl eine Zeit lang ging und die nicht aus dem Musikbusiness stammt. Die ihm wohl so wichtig war, dass ein Foto mit ihr auch im Booklet der ebenfalls 1985 erschienen Karriere-Retrospektive „Biograph“ erschienen ist. Das Geheimnis ihres Namens ist nach meinen Quellen bisher nicht gelüftet worden. Oder gibt es neuere Hinweise? Da ich keine Bücher von Clinton Heylin lese, dem Bob Dylan-Gossip-Schnüffler, könnte ich da was verpasst haben.

Wie auch immer. Die Musik hinterließ mich mit gemischten Gefühlen. Die Melodien blieben allesamt im Ohr, waren unterscheidbar. Auch das zeichnet Dylan für mich immer aus. Die Texte waren jedoch außer „Clean Cut Kid“, dem Song über einen Vietnamkriegsveteranen, und dem recht faden „Trust Yourself allesamt in irgendeiner Form Love Songs. Textlich nicht aufregend. Wie später herausgefunden wurde, hat Dylan wohl persönlichere Lyrics durch Filmzitate ersetzt. Typisch für den alten Geheimniskrämer, der das „Montieren“ von Songtexten in den 2000er Jahren dann zur Perfektion bringen sollte.

Kaputt produziert, aber auch ein paar Lichtblicke

Die Unbekannte (?) mit Bob Dylan, Copyright: Sony Music

Und dann eben kaputt produziert: „Never Gonna Be The Same Again“, „When The Night Comes Falling From The Sky” (ganz schlimm!) oder “Something’s Burning Baby”. Da geben sich Synthesizer und Drum-Computer ein böses Stelldichein. Selbst der ehrliche Rocker „Clean Cut Kid“ wird durch die völlig verunglückte Produktion von Arthur Baker massakriert.

Drei Songs aber sind mit denn noch im Kopf und im Herz geblieben. „I’ll Remember You“ ist für dieses Album überraschend zurückhaltend produziert und entfaltet daher seine Wirkung. „Emotionally Yours“ ist einfach unwiderstehlich. Man merkt, dass es an einen konkreten Menschen (in diesem Fall Elisabeth Taylor) gerichtet ist. Und natürlich „Dark Eyes“. Der schönste Song des Albums, weil die Lyrik besticht und alles nur mit Gitarre und Mundharmonika vorgetragen wird. Unvergessen die magisch-knisternde Duett-Performance zusammen mit Patti Smith 1995.

Erst später sollte man durch Outtakes und Alternate Versions („Springtime in New York“) hören können, wie das Album hätte auch klingen können. Schade wieder einmal, dass Dylan sich hier falsch entschieden hatte. „New Danville Girl“ wurde gar nicht auf die Platte genommen, erschien erst ein Jahr später auf dem unmotivierten „Knocked Out Loaded“ in einer anderen Fassung als „Brownsville Girl“: Der tolle Song ging damit leider unter. Zum Album erschienen auch zwei Videos, die sich dem Niveau der Platte anpassten und hier unten zu sehen sind. Einmal spielt Dylan unter der Regie von Paul Schrader zu „Tight Connection To My Heart“ in einer Geschichte, die auch „Lost in Japan“ heißen könnte. Und dann lässt er sich von seinem Freund Dave Stewart zum Song „When The Night Comes Falling From The Sky“ als Rockstar in Tourbus und beim Konzert im kleinen Club inszenieren.

1985 aber folgte noch der desaströse Auftritt Dylans bei Live Aid am 13. Juli und die Rehabilitierung Dylans durch seinen ersten Auftritt mit Tom Petty & The Heartbreakers bei Farm Aid. Zweischneidig war dagegen die Veröffentlichung von „Biograph“. Inmitten einer künstlerischen Krise eine Karriere-Retrospektive zu veröffentlichen, macht die Fallhöhe nur um so deutlicher. Grundsätzlich freute man sich aber über diese Zusammenstellung, die ja auch bisher unveröffentlichtes Material enthielt.

Dylan goes Miami Vice, Copyright: Sony Music

Erst Ende der 1980er steigt Dylans Form wieder an

Die 1980er sollten aber für Dylan-Fans noch weitere Prüfungen vorsehen. So musste ich nach dem Live-Aid-Desaster, das ich live am TV verfolgte auch noch das völlig uninspirierte Konzert 1987 in der halbleeren Frankfurter Festhalle erleiden. Anschließend war ich soweit von Dylan entfernt, dass ich von der Veröfffentlichung von „Down In The Groove“ 1988 erst zufällig während eines Bildungsurlaubes in Luxemburg erfuhr.

Aber mit den Traveling Wilburys, „Oh Mercy“ und „Under The Red Sky” hatte mich Dylan schnell wieder. Und mit dem Offenbacher Konzert 1991 begann dann für mich eine ganz neue Dylan-Zeitrechnung. Doch das ist eine ganz andere Geschichte.

Bob Dylan mit Leib und Seele

30. Mai 2025

„Sir“ Oliver Mally und Peter Schneider begeistern das Darmstädter Americana-Publikum mit Dylan-Songs

Peter Schneider und „Sir“ Oliver Mally, Foto: Thomas Waldherr/Americana

Mittlerweile ist die jährliche Bob Dylan-Geburtstagsfeier der Americana-Reihe ein fester Termin im Darmstädter Kulturkalender. Und so war auch dieses Mal, am Donnerstag, 29. Mai, die Halle der Bessunger Knabenschule wieder vollbesetzt. Und wieder hatte sich Kurator Thomas Waldherr etwas Besonderes ausgedacht: „Sir“ Oliver Mally, österreichischer Blues-Singer-Songwriter und Peter Schneider, bayerischer Gitarrenvirtuose, fesselten das begeisterte Publikum fast zweieinhalb Stunden mit ihren packenden Interpretationen der Songs von Bob Dylan.

Rampensau“ und „Ruhepol“

Mally ist eine wahre „Rampensau“. Immer in Kommunikation mit dem Publikum. Immer mit viel Humor und Menschlichkeit und immer mit großer Spielfreude. Bereits zweimal hat er in den vergangenen Jahren mit seiner Performance auf der Americana-Bühne für Furore gesorgt. Ihm zur Seite stand diesmal Peter Schneider aus München, ein großartiger Gitarrist, der schon mit Ike Turner, Westernhagen oder Hans Söllner zusammengespielt hat. Er ist der „Ruhepol“, der ganz lässig und unaufgeregt fantastische perlende Soli aus seinen Instrumenten hervorlockt.

Zusammen spielten sie eine wunderschöne Werkauswahl von Song des Literatur-Nobelpreisträger, dessen Poesie denn auch mehrmals von Mally auf der Bühne gerühmt wurde. Der aber auch gleichzeitig augenzwinkernd über die großen Textmengen stöhnte, die man sich merken müsse. Zu Recht lobte denn auch Schneider, dass sein musikalischer Partner dies ganz ohne I-Pad auf der Bühne hinbekomme. Auch hier zeigt sich: Die beiden vertrauen ganz der handgemachten Musik.

Bekanntes und weniger bekanntes aus dem Dylan-Katalog

Es dominieren an diesem Abend die langsameren und die Midtempo-Stücke, die folkig-bluesigen Nummern Dylans. „One Too Many Mornings“ und „Girl From The North Country“ sind zu hören. Aber auch einiges von “Blood On The Tracks”, Dylans Trennungs- und Schmerzensalbum: „Tangled Up In Blue“, „Shelter from The Storm” oder “Buckets Of Rain”. Doch Mally hat auch überraschendes auf Lager. Als in der Ansage vom Film „Pat Garrett & Billy The Kid“ die Rede ist, kommt aber nicht „Knockin‘ On Heaven’s Door“, sondern das weniger bekannte und kaum gespielte „Billy 1“. Und er wagt sich sogar an das textlich vertrackte und gesanglich anspruchsvolle Jokerman von dem 1983er Album „Infidels“ – und gewinnt auf ganzer Linie.

Foto: Thomas Waldherr/Americana

Standing Ovations – alle sind begeistert!

Es macht eine große Freude den beiden Ausnahmemusikern zuzuschauen und zuzuhören. Was sehr angenehm auffällt, ist die große gegenseitige Wertschätzung, die sie dem Publikum auch immer wieder zeigen. Und am Ende des Dylan-Abends ist das Publikum in der picke-packe-vollen Halle restlos entzückt und begeistert. Es feiert die Künstler mit Standing Ovations! Und alle sind sich einig: Es wird ein Wiedersehen in der Americana-Reihe geben!