Garth Hudson (1937 – 2025)

24. Januar 2025

Legendäres Gründungsmitglied von „The Band“ verstorben. Er war einer der Väter des Americana

Garth Hudson, Copyright: Capitol Records

Al Kooper nannte Garth Hudson einmal „den sanften Braunbären des Rock‘n’Roll“. Und das traf es auch wirklich. Denn wo Robbie Robertson, Levon Helm, Richard Manuel und Rick Danko ganz exaltierte (Künstler)-Persönlichkeiten waren, da war der ältere Hudson so etwas wie der ruhige Mann im Hintergrund. Er bildete das Fundament und man konnte sich an ihn anlehnen. Das war wichtig bei den großen Egos der anderen Mitglieder von „The Band“. Er hatte Musik und Musiktheorie studiert und die Orgel spielen gelernt und beherrschte alle Tasteninstrumente wie Akkordeon oder Klavier und auch die Holz- und Blechbläser und spielte ab 1975 sogar Synthesizer. Er war multi-instrumentales Genie und gab in der Frühphase ihrer Zusammenarbeit den anderen vier Jungs Musikunterricht. Auf und hinter der Bühne.

Besonders zwei Stücke der Band sind mit ihm für immer verbunden. Sein markantes Klavierspiel bei „The Weight“ und natürlich sein Signature Song: Chest Fever, das er mit einem von Bachs Toccata und Fuge in d-Moll inspirierten Orgelintro versah. So schuf er monumentale Momente auf der Bühne und auf Platte.

Nun ist er am letzten Dienstag im Alter von 87 Jahren verstorben. Damit ist das letzte Gründungsmitglied der legendären „Band“ von uns gegangen. „The Band“ und Garth Hudson aber werden immer in unserer Erinnerung bleiben. Garth Hudson war einer der Väter des Americana. Rest In Peace, lieber Garth Hudson!

Jetzt erst recht! Mit Dylan und Americana durch 2025

2. Januar 2025

Trotz oder gerade wegen Trump und Musk: Mein Verständnis von „Americana“ steht weiterhin im Gegensatz zu und in der Ablehnung von Mega-Kapitalismus, Spaltung und America First

Thomas Waldherr, Copyright: Cowboy Band Blog

Trump hat die Wahl gewonnen und wird am 20 Januar in sein Amt eingeführt. Mehr noch: Zusammen mit Elon Musk und anderen Oligarchen führt er eine Regierung, deren Ziel es ist, jegliche Regeln aufzuheben und alleine Gewinnstreben und Egoismus als Eckpfeiler der amerikanischen Gesellschaft durchzusetzen. Das Ende Amerikas, so wie wir es kennen, ist gar nicht weit entfernt. Es droht der libertäre, rücksichtlose Mega-Kapitalismus.

Americana-Konzerte: Weiterhin für Vielfalt, Demokratie und Solidarität

Für mich, für meine Beschäftigung mit Musik und Bob Dylan, für die Darmstädter Americana-Reihe und für meine anderen Aktivitäten bleibt es dabei: Mir geht es weiterhin um das „andere Amerika“. Dem Amerika für Vielfalt, Demokratie und Solidarität. Aber dem stehen schwierige Zeiten bevor. Es benötigt in den Zeiten der Oligarchie mehr denn je Unterstützung auch von hier aus. Dem fühle ich mich mit meinen Americana-Aktivitäten verpflichtet.

Daher wird in der Darmstädter Americana-Reihe beispielsweise auch am 24. April erneut SONiA disappear fear auftreten. Sonia Rutstein ist queer und jüdisch und singt mit ihren Liedern gegen Homophobie, Rassismus und Kriege an. Und am 6. Februar wird im „Black History Month“ beim Bensheimer Kooperationspartner, dem PiPaPo-Kellertheater, Menna Mulugeta auftreten und die Lieder der großen afroamerikanischen weiblichen Stimmen singen.

Doch auch alle anderen Konzerte fußen auf dem Verständnis von amerikanischer Populärmusik als Ausdruck der vielfältigen Verknüpfungen und Vermischungen der Musik der Menschen Amerikas. Die gekennzeichnet ist von den grundlegenden Fusionen europäischer und afroamerikanischer Musik bis hin zu Adaptionen der Musik asiatischer oder lateinamerikanischer Einwander:innen. Ein musikalischer Schatz, der stets quer zu Rassismus und Spaltung stand. Die reichhaltige amerikanische Musiktradition ist ein einziger subversiver Gegenentwurf zur von der MAGA-Bewegung propagierten weißen, angelsächsischen Vorherrschaft.

Bob Dylan bleibt ein zentraler Bezugspunkt

Von Elvis Presley, der von den schwarzen Musiker:innen Big Mama Thornton, Arthur „Big Boy“ Crudup und B.B. King beeinflusst war – ihn wird Martin Grieben am 16. Januar auf die Bensheimer PiPaPo-Bühne bringen – bis zu Bob Dylan, dessen 84. Geburtstag wir in der Bessunger Knabenschule am 29. Mai mit einem Auftritt des wunderbaren Musikern Peter Schneider & „Sir“ Oliver Mally, feiern werden.

Dies zeigt: Natürlich wird Bob Dylan auch dieses Jahr wieder ein zentraler Bezugspunkt meiner kulturellen Aktivitäten sein. So ist auch eine besondere Darmstadt-Premiere zum deutschen Filmstart des neuen Dylan-Biopic „A Complete Unknown“ am 27. Februar geplant. Auf die Berichterstattung zum Film und zum Soundtrack mit Timotheé Chalamet (Bob Dylan), Monica Barbaro (Joan Baez), Edward Norton (Pete Seeger) und Boyd Holbrook (Johnny Cash) freue ich mich jetzt schon sehr. Zudem soll in diesem Jahr dann endlich mein drittes Dylan-Buch erscheinen.

Wie die amerikanisch-stämmige Countrymusik progressiv weiterentwickelt werden kann, zeigt ein besonderes deutsches Talent: Als New Country-Pop-Singer-Songwriterin begeistert Alina Sebastian und wird am 27. März erneut in der Darmstädter Americana-Reihe auftreten. Roots Rock aus Texas – auch so ein Schmelztiegel für Musik- mit Elisabeth Lee & Martin Hauke am 20. Februar in Darmstadt sowie Michael Moraveks poetisches Americana am 6. März in Bensheim komplettieren die Americana-Konzerte des ersten Halbjahres.

Wie wird sich die Oligarchie auf die amerikanische Populärkultur auswirken?

In diesem Sinne bleiben wir dem Americana treu und solidarisieren uns mit der fortschrittlichen Musikszene der USA. Man darf gespannt sein, wie sich die Machtübernahme von Trump und Musk auf die amerikanische Populärkultur auswirken wird. Dies zu beobachten und zu analysieren wird ein bedeutender Teil meiner zukünftigen Arbeit als Musikjournalist und Kulturvermittler einnehmen.

Die Darmstädter Americana-Reihe

Freitag, 31. Januar: Dr. Bontempi’s Snake Oil Company.
Infos & Tickets: https://www.knabenschule.de/?id=1504

Donnerstag, 20. Februar: Elisabeth Lee & Martin Hauke
Infos & Tickets: https://www.knabenschule.de/?id=1525

Donnerstag, 27. März: Alina Sebastian & Band

Donnerstag, 24. April: SONiA disappear fear

Donnerstag, 29. Mai: Peter Schneider & “Sir“ Oliver Mally

Die Bensheimer Americana-Konzerte

Donnerstag, 16. Januar: Martin Grieben – „Elvis pur“
Infos & Tickets: https://pipapo-kellertheater.de/martingrieben-2/

Donnerstag, 6. Februar: Menna Mulugeta – „Von Billie bis Beyoncé“
Infos & Tickets: https://pipapo-kellertheater.de/menna-mulugeta-2/

Donnerstag, 6. März: Michael Moravek & The Electric Traveling Show
Infos & Tickets: https://pipapo-kellertheater.de/michael-moravek-2/

Rest In Peace, Jimmy Carter!

30. Dezember 2024

Der Bob Dylan-Freund, Rock’n’Roll-Präsident, und Kämpfer für die Menschenrechte stirbt mit 100 Jahren

Jimmy Carter (1924 bis 2025). Copyright: Wikimedia Commons

Er regierte von 1977 bis 1981 nur eine unglückliche Amtszeit lang, gestorben aber ist er als amerikanische Legende: Jimmy Carter. Der 100-jährige Ex-US-Präsident verstarb am gestrigen Sonntag.

Jimmy Carter war ein baptistischer Erdnussfarmer aus Georgia. D.h. Er war bibeltreu und gleichzeitig verliebt in die Musik seiner Südstaaten: Blues, Country, Rock’n’Roll. Vor und nach seiner Amtszeit traten nie so viele Rockmusiker im Weißen Haus auf, wie während seiner Regentschaft: Die Allman Brothers, Willie Nelson uns viele mehr. Davon zeugt die Dokumentation „Jimmy Carter – Der Rock’n’Roll Präsident“ aus dem Jahr 2020.

Befreundet mit Bob Dylan

Und er war befreundet mit Bob Dylan. Die beiden trafen sich 1974 am Rande eines Konzerts in Atlanta, Georgia. Jimmy war damals Gouverneur und Dylan erinnerte sich später so: „Als ich Jimmy das erste Mal traf, zitierte er mir als Erstes meine Songs. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass meine Songs die Welt des Establishments erreicht hatten. Ich hatte auf diesem Gebiet keine Erfahrung, hatte diese Seite noch nie gesehen, also war ich etwas beunruhigt. Er beruhigte mich, indem er nicht von oben herab mit mir sprach und mir zeigte, dass er die Songs, die ich geschrieben hatte, aufrichtig schätzte.“ (aus „Jimmy Carte- Der Rock’n’Roll Präsident“).

„Ich fühlte mich geehrt, weil Bob Dylan mich tatsächlich gebeten hatte, mit ihm in den Garten zu gehen und ein privates Gespräch mit ihm zu führen. Die einzigen Fragen, die er mir stellte, waren Fragen zu meinem christlichen Glauben und was er mir bedeutet“, waren Carters Erinnerungen an diesen Abend in der Doku. Im Jahre 2015 war es dann auch Jimmy Carter, der die Laudatio auf Dylan hielt, als der mit dem „MusiCares“-Preis ausgezeichnet wurde.

Gläubig und gesellschaftlich progressiv

Und tatsächlich: Jimmy Carter war ein gläubiger Mensch. Er war ein Südstaaten-Baptist. Aber er war auch meilenweit entfernt von der damals langsam aufsteigen christlichen Rechten. Er predigte ein gesellschaftlich fortschrittliches Evangelium, akzeptierte die Trennung von Kirche und Staat. Aber er war auch ein unglücklicher Präsident: Gesellschaftliche Stagnation nach den Abnutzungskämpfen der 1960er und frühen 1970er, dazu die wirtschaftliche Krise, schließlich die Geiselnahme in Teheran und der gescheiterte Befreiungsversuch. Und ihm unterlief ein bis heute beispielhaft schwerer Fehler. In einer Zeit, in der die Amerikaner eine positive Botschaft von Roosevelt’scher Dimension gebraucht hatten, wollte er sie in einer Ansprache in der Strickjacke vom Sparen und vom Verzicht überzeugen. Wegen der Umwelt und wegen der wirtschaftlichen Lage. Ronald Reagan aber kam dampfplaudernd optimistisch daher und gewann die Präsidentschaftswahl. Bis heute ist leider nicht verstanden worden, dass das Narrativ für den sozialökologischen Umbau nicht das eines des Verzichts, des Verlusts und der Ängste sein kann, sondern eines der Möglichkeiten, der Chancen, der Gemeinschaft und der Hoffnung – der positiven Utopie – sein muss.

Schmerzhaft: Der Vergleich von Donald Trump mit Jimmy Carter

So gewann das Narrativs des persönlichen Konsums und Erfolgs von Ronald Reagan und mit ihm der Paradigmenwechsel – die einschneidende Abkehr vom New Deal hin zum Neoliberalismus und Konservatismus – der letztendlich die Grundlagen legte für die Spaltung und die irrwitzige Entwicklung der US-Gesellschaft bis hin zu Trump und Musk. Sie wollen heute libertär und repressiv zugleich die Macht des Kapitals sichern und ausbauen und den Staat am Liebsten gleich ganz zerschlagen.

Der Tod Jimmy Carters lässt noch einmal die direkte Gegenüberstellung des ehrlichen, gläubigen und an den Menschen und den Menschenrechten Jimmy Carter mit dem Lügner und nur auf den eigenen Vorteil bedachten Trump und seinem Helfer Musk zu. Was für eine Abwärtsentwicklung! Um so mehr schmerzt der Tod von Jimmy Carter. Rest In Peace, Jimmy Carter!

Does The Bell Still Ring…?

13. Dezember 2024

Ein etwas anderer Jahresausblick 2025

Lässt Bob Dylan jetzt nur noch singen oder dürfen wir uns weiterhin auf neue Dylan-Songs freuen? Copyright: Sony Music

Bleibt Bob Dylan auch 2025 ein kreativer, rastloser Künstler und Performer oder setzt er sich zu Ruhe? Unsere These: Bob Dylan bleibt auch nächstes Jahr ein aktiver Kunstschaffender. Wir wägen zum Jahresabschluss und Jahresausblick pro und contra ab.

Pro

Bob Dylans nächste neue Veröffentlichung ist ja schon angekündigt. Ein Duett mit Barbra Streisand. Für die hat er angeblich einst „Lay, Lady, Lay“ geschrieben, kam so nebenbei bei einem Interview mit Barbra raus. Wir erinnern uns: Der Song erschien 1969 auf dem „Nashville Skyline“-Album. Da war er ja – so zeigen es ja auch die Bilder- ein braver Ehemann und Familienvater. Macht Bob ja wieder ein bisschen menschlicher, dass ihm Barbra doch recht sympathisch war, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Doch genug dieser Art der Spekulation, kommen wir zurück zum eigentlichen spekulativen Thema. Bob, der alte, falsche Fährtenleger hat das alles bewusst inszeniert: Die letzten Konzerte des Jahres in der Royal Albert Hall, einer der historischen Stätten seiner Karriere. Das ist zu gut, um wahr zu sein. Dafür straft er uns mit einem Auftritt Ende März/ Anfang April irgendwo im Nirgendwo des Mittleren Westens der USA in einer x-beliebigen Mehrzweckhalle, die entweder nach einem Versicherungs- oder einem Tech-Konzern benannt ist. Die Frühjahrstour zieht dann über die Käffer des Heartlands weiter und endet in Chicago.

Weitere neue, alte Dylan-Musik kommt dann zur Jahreswende nicht in einem neuen Teil der Bootleg Series, sondern in Forms des Soundtracks von „A Complete Unknown“, gesungen von Timothèe Chlamet als Dylan und Monica Barbaro als Joan Baez. Würde mich nicht wundern, wenn Dylan höchstselbst die Liner Notes dazu höchstselbst verfasst. Ganz unter dem Motto „Ich bin ein anderer“ erfreut uns Dylan darin mit bislang noch nicht gesehenen Perspektiven der Dylan-Geschichte. Kein Wunder, hat er sie doch gerade neu erfunden. So wie seine Ausreißer- und Hobo-Geschichten, die er in seiner Anfangszeit in New York zum Besten gab. Er kann es immer noch.

Die Gerüchte rund um Studioaufnahmen neueren Datums wabern ja auch schon das ganze Jahr über durchs Netz. Am Rande dieser Sessions könnte beispielsweise Dylans umstrittener Beitrag zum Reagan-Film entstanden sein. Der Track reiht sich ein in die Tradition Dylans, gerne Musik zu Filmflops beizusteuern. Wir erinnern uns an „Band Of The Hand“, „Hearts Of Fire” oder “My Own Love Song”. Der Reagan Film ist untergegangen wie eine bleierne Ente. Gut so. Dylans Aufnahme wird dann dieses Jahr als Bonus Track auf einem neuen Album herauskommen, der wenige neue und paar alte, neu aufgenommene Songs enthält. Eine Resteverwertung wie „Knocked Out Loaded“ nur auf weitaus höherem Niveau in Sachen Songwriting und Musik.

Ach ja, und in der Vorweihnachtszeit erscheint dann auch sein lang erwartetes Buch mit Grusel-Kurzgeschichten. Was zur Frage führt: Kommt Dylan 2026 zur Buchmesse nach Frankfurt oder nicht?

Und am Ende des Jahres 2025 reiben wir uns die Augen und stellen wir fest: Wieder einmal hat uns der alte Bob ein Schnippchen geschlagen.

Contra

Sehen wir solche Konzertbilder weiterhin oder setzt sich Dylan zur Ruhe? Copyright: Wikimedia Commons

Nein, Bob Dylan wird keine Konzerte mehr geben. Er hat uns auf einer letzten Tour genug von seiner Gebrechlichkeit gezeigt. Er wird auch keine Ausnahmen für kurze Auftritte machen. Zu sehr haben ihn die letzten Konzertbilder seines Freundes Kris Kristofferson negativ berührt. Ein Bob Dylan behält immer die Fäden der Bob Dylan-Geschichte in der Hand. Daher hat er frühzeitig die eigene Endlichkeit als Thema seiner Songs etabliert, hat die RARW-Tour auf den Zeitraum 2021 bis 2024 festgelegt, hat seine Songs und Aufführungsrechte verkauft und seine eigene Filmbiographie in Auftrag gegeben.

Fortan wird es nur noch neue alte Aufnahmen geben. In Ergänzung zum Dylan-Biopic erscheint die umfangreiche „The Villager“-Box, die eigentlich keiner so wirklich haben will und sich trotzdem gut verkauft. Und im Herbst erscheint dann in zeitlicher Nähe zum 75. Geburtstag des 2017 verstorbenen Tom Petty die lang ersehnte Box mit Live-Aufnahmen der 1986er-Tour.

Dylan pflegt und kuratiert nur noch seine eigene Legende. Das verspricht noch ein paar Jahre lang immer wieder Pretiosen aus dem Archiv an denen die Geister scheiden, aber um die herum sich auch die Dylan-Freunde sammeln können. Im Bob Dylan-Center und in aller Welt aber steigt die Zahl der Kongresse und Symposien rund um Werksdeutung und Relevanzeinordung des Dylan’schen Oeuvres umgekehrt proportional zum künstlerischen Output des Forschungsgegenstandes selbst.

Dylan ist endgültig auf einer Ebene mit Shakespeare, Goethe, Freud und Marx, Beethoven, Bach, Mozart und Wagner. Deren Relevanz völlig unabhängig davon ist, dass sie schon längst nicht mehr unter uns sind.

Conclusio

Ich weiß es wirklich nicht, wohin das Pendel ausschlagen wird. Ein bisschen mehr neige ich schon zur Pro-Position. Aber wie auch immer: Es wird sich auf die Art der Beschäftigung mit Bob Dylan auswirken. Aber egal ob da noch was kommt oder nicht. Es gibt noch soviel zu entdecken, zu analysieren, neu zu betrachten oder zu revidieren. Einem Dylanologen oder gar Dylanianer wird es nie langweilig.

“A Complete Unknown” – da kommt was Spannendes auf uns zu!

6. Dezember 2024

Filmstart in Deutschland am 27. Februar/ Besondere Darmstadt-Premiere mit Rahmenprogramm geplant/ Trailer und Berichte fügen langsam ein Bild zusammen

Es war ein langer weg von der ersten Notiz zu Bob Dylans und Jeff Rosens Produzententätigkeit für ein neues Dylan-Biopic im Herbst 2020 über die ständigen Verzögerungen des Projekts durch Corona und Streik in Hollywood bis hin zu den nun feststehenden Premierenterminen Ende 2024/ Anfang 2025 und dem immer größer werdenden Medien-Echo.

Edward Norton spielt Pete Seeger

Einige Annahmen mussten revidiert werden und auch im Cast musste geändert werden. Der von mir als Pete Seeger herbei gesehnte Benedict Cumberbatch konnte die Verzögerungen wegen anderer Projekte nicht mitmachen und wurde durch Edward Norton ersetzt. Der machte seine Sache wohl so gut, dass – so schrieben es manche Gazetten – Timothée Chalamet einige Szenen noch einmal nachdrehte. Dies wurde mit einem recht großen Ehrgeiz auf einen Oscar des Dylan-Darstellers begründet.

Im Oktober 2020 schrieb ich davon, dass Dylan sich bei ähnlichen Projekten bislang eigentlich immer herausgehalten habe (https://cowboyband.blog/2020/10/16/er-kanns-nicht-lassen/). Pustekuchen! Dylan war sehr präsent. Er saß fünfmal, so sagen es Medienberichte, mit James Mangold zusammen und nahm auch Kontakt zum Hauptdarsteller auf. Der alte Dylan hat schon ein Interesse daran, dass die Geschichte in etwa so gezeigt wird, wie er sie sieht. Das kann positiv sein, indem manche Legende von Dylan selbst kassiert wird aber auch möglicherweise bizarr werden: So soll Dylan eine völlig abwegige Situation im Film untergebracht haben. Spannung!

Ja, die PR-Maschine läuft auf Hochtouren und war in der frühen Fandiskussion der Fokus auf viele negative Ansichten gelegt – der Chalamet sieht ja Dylan gar nicht ähnlich! (https://cowboyband.blog/2024/07/26/you-cant-judge-a-book-by-the-cover/) – so überschlagen sich die Medien nun zuletzt ob der darstellerischen Genialität Chalamets: „Der heißeste Oscar-Anwärter der Saison“ titelten Pint- und Online-Publikationen.

Elle Fanning spielt Sylvie Russo (Suze Rotolo)

Mittlerweile gibt es auch zwei deutschsprachige Trailer, die so langsam die Puzzleteile zu einem Bild zusammenfügen. Wenn Chalamet den Oscar für die beste männliche Hauptrolle bekommen sollte, dann hoffentlich Edward Norton den für die beste Nebenrolle. Bei beiden kommt der Spirit der Figuren richtig rüber. Dylan zwischen Songwriting-Genie und arrogantem Arschloch, Seeger als Spiritus Rektor des Folk Revival nicht nur Menschenfreund, sondern auch selbst ernannter Bewahrer des richtigen Folk-Weges, der sich später aber auch durchaus selbstkritisch sah. Spannend wird die Ausgestaltung von Sylvie Russo (alias Suze Rotolo) durch Elle Fanning. Hier könnte zu viel Dylan-Einfluss durchaus die Figur verklären oder verharmlosen. Wir sind auch hier gespannt. Wir freuen uns auf Johnny Cash, der im Film durchaus eine wichtige Rolle spielen, in dem er Dylan bestärkt seinen Weg zu gehen. Joan Baez bleibt in den Trailern schwer greifbar. Auch hier gilt es, abzuwarten.

Ja und dann kam noch der X-Knaller von Dylan. Vorbereitet durch einige Nonsens-Einträge lobt er Chalamet und die Buchvorlage von Elijah Wald. Und das in seiner unnachahmlichen Art:

“There’s a movie about me opening soon called A Complete Unknown (what a title!). Timothee Chalamet is starring in the lead role. Timmy’s a brilliant actor so I’m sure he’s going to be completely believable as me. Or a younger me. Or some other me. The film’s taken from Elijah Wald’s Dylan Goes Electric – a book that came out in 2015. It’s a fantastic retelling of events from the early ‘60s that led up to the fiasco at Newport. After you’ve seen the movie read the book.“

Dylan schwärmt von der Buchvorlage

Die Aussage führt schon zu dem Schluss, dass Dylan selber die Buchvorlage für das Drehbuch bestimmt hat. Wald ist neben Greil Marcus für mich der bedeutendste amerikanische Musikjournalist. An das Niveau dieser beiden wird der Nachttisch-Schubladen-Wühler Clinton Heylin nie herankommen.

Und heute dann die Veröffentlichung von zwei Stücken der von Chalamet selber für den Soundtrack eingesungenen Dylan-Songs: Like A Rolling Stone“ und „Girl From The North Country“. Bei letztere singt auch Monica Barbaro als Joan Baez mit. Hört sich nicht schlecht an. Der Soundtrack wird am 25. Dezember digital parallel zum US-Filmstart erscheinen. Ab 31. Januar gibt es auch eine Viyl-Ausgabe und die CD erscheint dann am 28. Februar, einen Tag nach dem Deutschlandstart des Films.

Wie ich ebenfalls schon in meinem letzten Text zum Film an dieser Stelle hingewiesen habe, habe ich gegen die Popularisierung der Dylan-Geschichte nichts einzuwenden. In den Händen von James Mangold ist der Stoff bestens aufgehoben. Siehe das Cash-Biopic „I Walk The Line“. Daher freue ich mich sehr auf den Film und bin auch gerade in Absprachen mit den Darmstädter Kinos wegen einer besonderen Darmstadt-Premiere mit Livemusik und einführendem Vortrag. Mehr dazu demnächst auch an dieser Stelle.

Günter Ramsauer: Schlag Worte Schmerz. MixTextMindCuts

10. November 2024

„Was will uns der Künstler damit sagen“ ist eine gerne genommene Floskel, wenn es um die Interpretation von Kunstwerken geht. Ob bei bildender Kunst oder bei Lyrik. Dabei scheint der gegenteilige Ansatz der sinnvollere zu sein: „Welche Gedanken und Gefühle weckt das Kunstwerk in Dir?“ Nimmt man diese Herangehensweise, dann kommt man dem Sinn und Nutzen für den Leser gerade bei der sogenannten „Stream Of Conciousness“-Literatur viel näher, als wenn man Zuflucht bei der vermeintlichen Autorität des Autors sucht. Sei es bei den Texten von Joyce oder Faulkner, sei es bei den Songlyrics von Bob Dylan.

Copyright: Truth & Lies Press

Freie Assoziationen aus Popsong-Begriffen

Der Musikjournalist Günter Ramsauer hat nun Gedichttexte veröffentlicht, die eben seinen Bewusstseinsströmen folgen und trotzdem beim Leser ganz individuelle Gedanken erzeugen. Ramsauer nimmt aus Popsongs einzelne Wörter oder Zeilen und assoziiert sie frei weiter. So entstehen Bilder, die entweder Zeile für Zeile oder aber in der Beziehung der Zeilen untereinander wiederum beim Leser eigene Gedanken und Gefühle hervorrufen.

Die Texte mit Namen wie „Herzen in Dosen“, „Geisterfahrer und Zwang“, Duell Duett & Drama oder „Mädchen und Jungs“ führen über Begriffe, Wortpaare und Metaphern beim Lesenden zu völlig neuen Bedeutungsebenen. Sie ist somit eine höchst demokratische Lyrik. Sie dient nicht nur der Erbauung durch schöne Reime und wohlfeile Bilder, sondern führt manchmal in ihrer Verstörung durch absurde Wortpaarungen zu völlig neuen Zusammenhängen.

Faszinierende Vielschichtigkeit der Bedeutungsebenen

Beispiel gefällig? „Wir müssen raus hier/ Fort und weg/ Ins Niemandsland/ Such- und Versteckspiele/ Sucht- und Verderbdiebe/ Gnade und Erbarmen/ Am Fluss der Versuchung“ heißt es im Gedicht „Keller Mauern Schläge“. Für den Schreiber dieser Zeilen drängt sich das Thema auf, wie schnell die Suche nach Lebensalternativen in neue, andere und oftmals noch ausweglosere Abhängigkeiten geführt hat und immer wieder führen. Andere könnten gefährliche Liebschaften hier hineininterpretieren. Der Inhalt ist flexibel und das ist auch gut so.

Ramsauers Gedichttexte, die von einer feinen Einleitung von Heino Walter eröffnet werden, sind in ihrer Vielschichtigkeit faszinierend. Denn bei jeder neuen Lektüre, ergeben sich neue Bedeutungsebenen. Günter Ramsauer leistet mit seinem Verlag „truth & lies press“ wichtige Arbeit in Sachen deutscher Popliteratur. Mit dem vorliegenden Werk zeigt er, wie auch die deutsche Sprache sich für die Beatpoesie eignet. Lyrics mit dem richtigen Beat, einem guten Rhythmus und viel kreativer Phantasie. Wenn man sich darauf einlässt, bereichern sie einen. Gerade in diesen Zeiten der autoritären Absolutheit machen sie den Kopf frei für einen emanzipatorischen Umgang mit der Sprache.

Prädikat: Höchst lesenswert!

Günter Ramsauer, Schlag Worte Schmerz. MixTextMindCuts, truth & lies press, Esslingen 2024, 6, 99 Euro, zu beziehen über https://www.epubli.com/shop/schlag-worte-schmerz-9783759893123

Jetzt erst recht: Für das andere Amerika kämpfen!

8. November 2024

Wenn die USA im Würgegriff des Trumpismus sind, dann müssen wir uns mit den amerikanischen progressiven Kräften unterhaken

Billy Bragg und das Motto von Woody Guthrie, Copyright: Billy Bragg

Es war schockierend und ernüchternd: Eine deutliche Mehrheit der Amerikaner:innen hat für Donald Trump als Präsidenten gestimmt, seine Parte hat die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus. Dem Trumpismus als autoritäre Staatsform sind Tür und Tor geöffnet. Dazu noch die konservtive Mehrheit im Supreme Court. Das Land kann nun nach Gutdünken von Trump, Musk & Co umgebaut werden.

Auch weiße Arbeiter werden nichts durch Trump und Musk gewinnen

Man kann schon Angst haben davor, was das für Schwarze, Frauen, Student:innen, Homosexuelle, Transgender und Muslime und auch Juden bedeutet. Man muss aber auch Angst davor haben, was das für die Arbeitsbeziehungen, die Rechte der Arbeitnehmenden und die Gewerkschaften heißt. Wo Musk draufsteht, steckt Drangsalierung von Mitarbeitenden und Gewerkschaftsfeindlichkeit drin. Die weißen Arbeiter werden auf Strecke gesehen nichts von diesem Regiment der Terrorclowns haben. Nur die dümmsten Kälber…

Es soll ein Hire und Fire-Staat werden, ein Staat völlig entkernt von jeglichem sozialen und gemeinschaftsbildenden Auftrag, das Bildungswesen privatisiert, ebenso Justiz, Gefängnisse und Abschiebezentren.

Werden die USA zu einem Iran des Westens

Es stellt sich die Frage, wann und wie und in welcher Konsequenz und Schärfe Trump seinen Rachefeldzug gegen seine politischen Gegner führen wird. Es stellt sich die Frage, wie sich die liberalen Staaten gegen die autoritäre Bundesregierung verhalten werden und vice versa. Es stellt sich die Frage, wieviel legaler Protest der Graswurzelbewegungen, der Frauenorganisationen, der schwarzen Community oder der Gewerkschaften noch möglich sein wird. Es stellt sich die Frage, inwieweit paramilitärische Organisationen wie die „Proud Boys“ mit Billigung von Trump gewalttätig gegen die protestierende Zivilgesellschaft vorgehen können. Und welchen Einfluss die Evangelikalen bekommen? Werden die USA zu einem Iran des Westens?

Wie gehen Hollywood und die liberale Musikszene mit der Trump-Herrschaft um? Aufstehen, rebellieren oder in die innere Emigration gehen oder auswandern? Wie lange darf die Musik des anderen Amerika noch gespielt werden? Es wird sehr spannend, es wird ernst. So mancher, auch der Schreiber dieser Zeilen hat solche politisch ernsten und gefährlichen Zeiten – auch hierzulande und in Europa – noch nicht erlebt.

Mit unseren Freunden  dagegen kämpfen und singen – die Americana-Reihe geht weiter!

Jetzt heißt es für alle, die gegen die Autoritären, die gegen die Faschisten aufstehen wollen, zusammenstehen. Und hierzulande heißt es für alle demokratischen Kräfte: Klare Worte und Taten folgen lassen: Keine Zusammenarbeit mit Faschisten! Und endlich eine sozial gerechte Politik,  Steuergerechtigkeit und ein Aus für die Schuldenbremse verbinden mit dem Kampf um eine gesellschaftliche Mehrheit: Mehr politische Bildung, mehr Jugendarbeit und mehr Verständnis für die Wirksamkeit der Social Media bei Jugendlichen.

Wir müssen gewillt sein, den Kampf anzunehmen. Für uns Freunde des anderen Amerika heißt das: Wir singen weiter die Lieder des anderen Amerika. Dessen Musiker sind uns weiterhin willkommen. Wir gehen weiter in der Tradition von Woody Guthrie, Pete Seeger, Joan Baez, Bob Dylan und Phil Ochs und connecten uns mit der Musik von aktuellen Künstler:innen wie Jason Isbell, Natalie Merchant, Rhiannon Giddens oder SONiA disappear fear. Die Darmstädter Americana-Reihe wird jetzt erst recht weiter bestehen!

Die Kunst der Wiederholung

19. Oktober 2024

Bob Dylan konzertiert auch beim dritten Frankfurter Auftritt auf gutem Niveau

Copyright: Sony Music/ William Claxton

Im Ranking der drei Frankfurter Konzerte ist das zweite eindeutig die Nummer eins. Kompliziert ausgedrückt, aber auch nicht einfach so hingesagt. War Dylans erster Auftritt am Mittwoch ein mit ein paar Unebenheiten und Unschärfen behafteter ordentlicher Auftritt, so war das zweite Konzert ein großartiges Ereignis, an den das dritte Konzert, obwohl besser als das erste, nicht heranreichte.

Guter Auftritt

Dylan arbeitete sich wieder am Freitagabend durch sein Rough And Rowdy Ways-Repertoire. Er spielte wieder fleißig Mundharmonika wanderte vom Klavier in die Mitte und zurück. Da waren keine musikalischen Wackler wie noch am Mittwoch mit schiefen Tönen und ein paar Längen in den Arrangements. Die Band war gut eingestimmt und lief recht präzise. Alles war stimmig und routiniert – ein gutes Konzert. Doch der Meister hatte diesmal nicht die ganz großen magischen Momente, zu denen er immer mal wieder fähig ist.

Wer seit drei Jahren, außer in diesem Sommer, im Grunde mit der gleichen Setlist – im Mittelpunkt stehen neun RARW-Songs plus ein paar andere – agiert, der muss die Kunst der Wiederholung beherrschen. Und die besteht eben darin, keine identischen Konzerte abzuliefern, sondern jeden Moment etwas Neues schaffen zu können. Die Konzerte sind äußerlich gleich: Setlist, Band, Bühnensetting, Tourname  und Tourdesign. Doch innerlich, sprich mit welcher Haltung, Energie, Konzentration Dylan seine Lieder singt und spielt, das kann sich von Tag zu Tag ändern. Dylan beherrscht die Kunst der Wiederholung, kein Konzert ist gleich.

Wie geht es weiter?

Dylans Herbsttour verzichtet auf klangliche und musikalische Möglichkeiten. Er hat den Multiinstrumentalisten aus der Band gestrichen und setzt voll auf sein Klavierspiel. Dazu hat er auch richtig Lust. Er spielt jetzt auch wieder mehr Harp wie in den letzten Jahren und ist auf der Bühne unterwegs. Gut so, dass gewann den Songs nochmals neue Seiten ab. Und dennoch irgendwie ist da beim Zuhörer auch die Lust auf was Neues. Die Outlaw-Tour war wie eine Blaupause was noch so alles möglich ist.

Irgendwie ist für mich die RARW-Geschichte nach dieser Tour auserzählt. Sicher haben Songs wie „Key West“ oder „Mother Of Muses“ Bestand. Die große Frage aber, die über allem schwebt, ist doch: Will Dylan auch 2025 weiter auf Tour gehen? Gibt es irgendwann in nächster Zeit ein Album mit neuen Originalsongs? Oder müssen wir ein Retirement fürchten? Hier auf irgendetwas wetten zu wollen, wäre vermessen. Also warten wir ab, schauen wir hin was passiert und wissen doch zu gut: Der Künstler Bob Dylan muss zu seinem großen Lebenswerk nichts mehr hinzufügen. Damit könnten wir leben. Aber schöner wäre es halt doch, er würde weiter kreativ bleiben. Wir sind gespannt.

Setlist, Frankfurt am Main, 18. Oktober 2024

1.         All Along the Watchtower

2.         It Ain’t Me, Babe

3.         I Contain Multitudes

4.         False Prophet

5.         When I Paint My Masterpiece

6.         Black Rider

7.         My Own Version Of You

8.         To Be Alone With You

9.         Crossing the Rubicon

10.       Desolation Row

11.       Key West (Philosopher Pirate)

12.       It’s All Over Now, Baby Blue

13.       I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You

14.       Watching the River Flow

15.       Mother of Muses

16.       Goodbye Jimmy Reed

17.       Every Grain of Sand

Ähnlich, nur besser!

18. Oktober 2024

Bob Dylan führt bei seinem zweiten Frankfurter Konzert lose Enden zusammen/ Momente höchster Schönheit

Bob Dylan bei einem Konzert 2019, Copyright: Wikimedia Commons

Das Grundkonzept dieser Konzerte von Bob Dylans Europatour 2024 bleibt natürlich auch beim zweiten Konzert in der Frankfurter Jahrhunderthalle gleich. Es funktioniert nur besser. Das ziellose Gefuddel bei „All Along The Watchtower“ ist ersetzt durch kürzere, konzentriertere Gitarrensoli des Meisters. Dylans unnachahmliches Gitarrenspiel auf zwei bis drei Tönen funktioniert diesmal bestens, keine schrägen Töne schleichen sich ein. Damit hat Dylan gleich am Anfang seine härteste Probe hinter sich, alles andere geht ihm scheinbar leichter von der Hand. Beeindruckende Klavierfiguren, kraftvolles und inspiriertes Mundharmonikaspiel. Da sind sie endlich zu erleben, diese Soli, die zu Momenten höchster Schönheit werden, so wie ganz am Ende bei „Every Grain Of Sand“, als wieder einmal mehr die Zeit still zu stehen scheint.

Dylans neues Konzertformat funktioniert

Dylan wirkt diesmal etwas introvertierter, seine Ansagen und die „Thank Yous“ sind sehr zurückhaltend, aber er legt die Konzentration voll auf die Musik, was ihr hörbar Gut tut. Auch die Band wirkt konzentrierter und homogener, die Musik dichter. Hatte Dylan gestern lose Enden in der Hand, so hat er sie an diesem Abend perfekt zusammengebunden. „It Ain’t Me Babe“, „Desolation Row“, „When I Paint My Masterpiece”, “Mother Of Muses”, “It’s All Over Now, Baby Blue” (unwiderstehlich!) und natürlich “Every Grain Of Sand” sind die absoluten Höhepunkte auch in diesem Konzert.

Dylan hat seine Konzertmusik nach den Änderungen im Sommer nun endgültig in ein neues Format transformiert. Man mag den fehlenden Instrumenten Lapsteel, Mandoline, Trompete und Geige nachtrauern. Doch Dylan elektrifiziertes Klavierkonzert funktioniert nun. Dylan trägt musikalisch den Abend, die Gitarristen Britt und Lancio scheinen konzeptionell (also ohne ihnen persönlich nahetreten zu wollen) Beiwerk zu sein, die langjährigen Weggefährten Garnier und Keltner (diesmal keine Scharmützel zwischen Bob und Jim!) bilden das sichere rhythmische Fundament. Doch Bob gibt den Ton an, spielt ganz selbstbewusst und expressiv Klavier. Er bläst die Mundharmonika so oft wie lange nicht mehr. Und er traut sich des öfteren singend hinter dem Klavier hervor. Freihändig und wacklig mit dem Mikro in der Hand, dann zum Klavier tänzelnd, danach ans Klavier gelehnt, dann wieder hinter das Klavier schleichend und dann über das Klavier gebeugt singend, zuweilen einhändig spielend.

Der Meister in Bestform

So entstehen immer wieder beeindruckende musikalische Momente. Das Publikum ist ergriffen, überrascht und erfreut, diesen Show and Danceman in Bestform zu erleben. Und morgen geht es weiter!

Setlist, Frankfurt am Main, 17. Oktober 2024

1.         All Along the Watchtower

2.         It Ain’t Me, Babe

3.         I Contain Multitudes

4.         False Prophet

5.         When I Paint My Masterpiece

6.         Black Rider

7.         My Own Version Of You

8.         To Be Alone With You

9.         Crossing the Rubicon

10.       Desolation Row

11.       Key West (Philosopher Pirate)

12.       It’s All Over Now, Baby Blue

13.       I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You

14.       Watching the River Flow

15.       Mother of Muses

16.       Goodbye Jimmy Reed

17.       Every Grain of Sand

Hummeln im Hintern, Ideen im Kopf

17. Oktober 2024

Bewegungsfreudiger Bob Dylan spielt beim ersten Frankfurter Konzert seine Songs wieder einmal ganz anders als noch im letzten Jahr

Die Vorfreude war schon im Sommer groß, Foto: Cowboy Band Blog

Nein, Bob Dylan will einfach nicht stehenbleiben, will sich nicht wiederholen. Auch mit 83 Jahren will er sein Werk immer wieder revidieren, neu erfinden und auf den Prüfstand stellen. Und so hat er nach 2022 und 2023, als er seine Songs in nahezu perfekt konzipierter und orchestrierter Kammerkonzertform dargeboten hat, in diesem Jahr mal wieder alles kräftig durchgeschüttelt.

Zurück zum Kern der Songs

Er verzichtet schon seit der Outlaw-Tour nach gut 20 Jahren auf Donnie Herron, dem Multiinstrumentalisten an Lapsteel, Madoline, Geige und Trompete. Geblieben sind die Gitarristen Doug Lancio und Bob Britt und natürlich Bassist Tony Garnier. Seit dem Sommer sitzt die Drummer-Legende Jim Keltner am Schlagzeug. Nach dem ins jazzige spielenden Charlie Drayton und dem Country-Drummer John Pentecost folgt mit Keltner jetzt ein traditioneller Rock-Drummer. All dies zeigt Dylans Wunsch, seine Musik in reduzierter Form zu spielen, auf den Kern zurückzukommen. Hatte er seit 2021 auf seiner Rough And Rowdy Ways-Tour ein ausgearbeitetes künstlerisches Konzept, so hat er nun nur eine Idee. Alles andere entsteht auch am ersten der drei Frankfurter Abende in der Bühnenarbeit.

So verlässt Dylan sich zunehmend auf sich selbst. Vorbei die Jahre als Dylan an der Seite der Bühne einer unter vielen der Bob Dylan-Band war. Er lieh ihr seine Stimme, Orgel/Keyboard oder Klavier waren aber manchmal kaum zu hören. Nun stehen er und das Klavier oder genauer das „Baby Grand Piano“ genauer  im Mittelunkt der Bühne. Hinter ihm stehen Keyboard und Gitarre bereit, die er vor allem in den ersten Songs des Abends mit dem Rücken zum Publikum spielt.

Bewegungsfreudig

Für diese doch schräge Darbietung entschädigt Dylan das Publikum später um so mehr, denn im Gegensatz zu den letzten Jahren wagt er sich auffällig oft auf die offene Bühne, in der Hand das Mikro. Er scheint Hummeln im Hintern zu haben, ist bewegungsfreudig. Dabei wirkt er aber etwas gebückt und unsicher, immer wieder schließt er diese Ausflüge ab, in dem er sich am Klavier festhält, dann wieder hinters Piano geht, sich dann singend über den Flügel beugt. Als wolle er in kleiner Runde in irgendeiner Bar singen. Und das passt auch zum ganzen Ambiente der Bühne, die Band wirkt, als würde sie zum Kehraus in einer Bar für wenige einsame Seelen spielen.

Die Jahrhunderhalle, der Ort des Geschehens, Copyright: Wikimedia Commons, GNU-Lizenz für freie Dokumentation, A. Köhler

Dylan spielt das Baby Grand Piano – ausführlich, fast ausschweifend – die Harmonika – fast ebenso ausschweifend, das Keyboard selten und die Gitarre nur ganz am Anfang. Sein musikalisches Vermögen steht im Mittelpunkt. Das Pianospiel ist überraschend gut, das Mundharmonikaspiel fleißig, ohne aber die ganz großen Soli-Momente zu schaffen. Der Gesang ist wechselhaft. Manchmal laut und energisch, dann wieder nachlässig und halbe Verse verschluckend. Aber wie auch immer – er hat alles im Griff.

Dazu gehört auch, dass die beiden Gitarristen kein musikalisches Eigenleben zugestanden wird. Fleißig tragen sie zu Melodie und Rhythmus bei, doch aus sich herausgehen dürfen sie nie. Dazu passt, dass sie in Frankfurt identisch mit dunklem Anzug und Schiebermütze gekleidet sind. Anonyme Mitspieler? Doch Dylan lässt sich nicht lumpen und stellt seine Musiker diesmal sogar einzeln vor. Bob Britt nach „I Contain Multitudes“, Doug Lancio nach „When I Paint My Masterpiece”, Tony Garnier nach “Back Rider” und Jim Keltner nach “My Own Version Of You”.

Musikalische Skizzen

Auch in Frankfurt spielt Dylan wieder neun Songs von RARW – auf die Uraufführung von Murder Most Foul müssen wir uns weiter gedulden – und dazu ein paar Klassiker. Der erste Song ist „All Along The Watchtower“, das natürlich als Kommentar zur Lage der Welt passender ist denn je. „It Ain’t Me Babe“ fügt sich wunderbar in die Selbsterklärungssongs „I Contain Multitudes“ und „False Prophet ein und „It’s All Over Now, Baby Blue“ erklingt im Umfeld der literarisch, historisch und religiös verankerten „philosophischen“ Dylan-Songs wie „Mother Of Muses“, „Key West“ und „Every Grain Of Sand“ schon etwas danach, dass dem Sänger die Endlichkeit seines Tuns bewusst ist.

Die Musik wirkt oftmals skizzenhaft, hier und da sind gerade am Anfang auch schräge Töne zu hören. Die Performance ist wichtiger als die Perfektion, Dylan experimentiert wieder. Das hört sich dann manchmal nicht so gut an – „Crossing The Rubicon“ erweist sich als langer, zäher Brocken und „Jimmie Reed“ wirkt etwas verloren und richtungslos – sorgt aber auch für schöne musikalische Momente. Höhepunkte des Abends sind „When I Paint My Masterpiece“ zur Melodie von „Istanbul (Not Constantinople)“. Was zu einem Song, in dem Dylan den Meisterwerken des alten Europas huldigt, durchaus passend erscheint. Dazu „Desolation Row“, mit einen Trommelrhythmus, den man sowohl von Buddy Hollys „Peggy Sue“, als auch von Dylans „Series Of Dreams“ kennt, dann „Mother Of Muses“, mit großer Hingabe gesungen, und natürlich das auch hier wieder überirdische „Every Grain Of Sand“.

Am Ende wird getanzt

Das Publikum reagiert durchgehend freundlich, ohne enthusiastisch zu sein. Am Anfang noch etwas reserviert, später dann immer wieder einzelne Zuschauer mit Standing Ovations, wieder etwas später tanzen einige an der Seite und sogar ein Paar direkt von der Bühne. Am Ende applaudieren alle stehend. Man hatte aber den Eindruck, als wäre ein großer Teil der ganz treuen Dylan-Enthusiasten und Stimmungsmacher nicht anwesend, so dass stimmungsmäßig noch Luft nach oben ist. Wir sind gespannt wie es heute weitergeht.

Setlist, Frankfurt am Main, 16. Oktober 2024

1.         All Along the Watchtower

2.         It Ain’t Me, Babe

3.         I Contain Multitudes

4.         False Prophet

5.         When I Paint My Masterpiece

6.         Black Rider

7.         My Own Version Of You

8.         To Be Alone With You

9.         Crossing the Rubicon

10.       Desolation Row

11.       Key West (Philosopher Pirate)

12.       It’s All Over Now, Baby Blue

13.       I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You

14.       Watching the River Flow

15.       Mother of Muses

16.       Goodbye Jimmy Reed

17.       Every Grain of Sand