“Ladies & Gentlemen, on piano, harp, keyboard, guitar and wrench – Mr. Bob Dylan!”

16. Oktober 2024

Was erwartet uns bei den drei Frankfurter Konzerten? Dylan spielt vom 16. bis 18. Oktober in der Mainmetropole

Nach dem dritten Prager und dem Erfurter Konzert war spätestens klar: Bob Dylan hat diesmal keinen Ehrgeiz, musikalisch perfekt zu sein. Waren seine Auftritte 2022 und 2023 durchchoreografierte Kammerkonzerte mit fast beängstigender Perfektion, so schlägt das Pendel nun ins Gegenteil: Auf einer der letzten Etappen seiner „Rough And Rowdy Ways-Tour 2021-2024 kommt wieder der experimentelle Dylan zum Vorschein.

Der experimentelle Dylan ist wieder da!

Diese Europa-Tour verblüfft wieder einmal mehr: Gerade noch hat die Bilder vorm Auge, als er bei seinem letzten Outlaw-Konzert den Rhythmus von „Desolation Row“ mit dem Schraubenschlüssel ans Mikrofon haut. Diesmal schnappt er sich in Berlin ganz am Anfang des Konzerts die Gitarre und spielt bei „All Along The Watchtower“ mit dem Rücken zum Publikum. „It Ain’t Me Babe“ streckt er mit langem Intro auf mehr als zehn Minuten. Mal spielt er ganz sparsam Klavier, dann wieder ausschweifend, teil mit großartigen Soli. Das trifft auch auf sein Harmonikaspiel zu.

Und der Gesang: Erst nuschelt die ersten Zeilen des Abends am Mikrofon vorbei, dann haut er ein paar Nummern später einen Gesangsvortrag der Extraklasse raus. Dylan ist bei dieser Tour kaum zu fassen. Als würden hier in einer großen Performance alle unterschiedlichen Versatzstücke seiner Art des Konzertierens aus allen Karriere-Jahrzehnten bunt gemischt und auf den Boden der Bühne ausgeschüttet.

Die Musik ist dunkel – Rhythm & Blues getränkt – aber einige erzählen auch von musikalischen Anleihen bei Schönberg oder Brecht. Kleiner, kultureller Gruß ans Gastgeber-Land? Dylan spielte in den USA seit der Herbsttour 2023 eine ganze Reihe von Coverversionen, manchmal auch mit Ortsbezug. Hier in Deutschland also der Verweis auf Expressionismus und Neue Musik?

Ungeschliffene Performance, klar konzipierte Setlist

So ungeschliffen die Performance auch erscheint: Jedenfalls ist die Setlist ganz klar konzeptioniert: Der Auftaktsong „All Along the Watchtower“ ist die Analyse unserer Gegenwart: „Es muss doch einen Ausweg geben, dem Unheil zu entfliehen.“ Dann folgen einige Songs, die Dylans persönliche Programmatik entfalten: „It Ain’t Me Babe“, „I Contain Multidudes“. Mit „When I Paint My masterpiece“ schließlich als Dreh- und Angelpunkt seines momentanen konzertanten Selbstverständnisses. Wenn das Meisterwerk gemalt ist, kannst Du dich zur Ruhe setzen. Er ist aber nie zufrieden damit, das treibt ihn an. Also übermalt er immer wieder sein großes Meisterwerk. Mal wird es gut, mal wird es grauslich, der Künstler aber bleibt lebendig.

Dann wendet er sich den Songs zu, die seine mittlerweile bekannte Vorliebe für böse und verstörende Geschichten: „Black Rider“, „My Own Version Of You“ und das umgeschriebene „To Be Alone With You“.

Im letzten Teil Key wird es schließlich philosophisch, historisch und göttlich: Bei „Key West“, „Mother Of Muses“ und „Every Grain Of Sand“ begegnen sich beim Meister der Song-Collage Ginsberg, Corso und Kerouac, Kalliope, General Sherman und Martin Luther King und Dylan sieht Gottes Hand in jedem Blatt und jedem Sandkorn.

Was geht ab zwischen Bob und Jim?

Zur Folklore dieser Tour gehören wohl auch mittlerweile die Scharmützel, die sich Beobachtern zufolge Dylan mit seinem Drummer Jim Keltner liefert. So richtig zufrieden scheint er mit der Arbeit seines alten Weggefährten Keltner wohl nicht zu sein. Aber diese Zufriedenheit scheint ohnehin nur schwer erreichbar. Seit George Receli von 2001 bis 2019 durchgehend für Dylan getrommelt hat, haben wir dann in den Jahren 2019 bis 2024 mit Matt Chamberlain, Charley Drayton, John Pentecost und Jim Keltner gleich vier verschiedene Drummer in Bob Dylans Band erleben dürfen. Mal schauen wie es mit Bob und Jim weitergeht.

Nürnberg soll dann ziemlich nahtlos an Berlin angeknüpft haben. Was dafür spricht, dass sich in Frankfurt Dylan wieder etwas neues Performatives ausdenken könnte. Wir können uns darauf freuen. Denn auch der alte experimentelle Verwirrkopf ist zurück. Das macht Lust auf mehr.

Margo & Bob

5. Oktober 2024

Margo Price singt „Hurricane“ auf dem Album „Better Than Jail“

Margo Price, Copyright Wikimedia Commons

Vielleicht die größte Überraschung auf dem neuen Album „Better Than Jail“ – hier spielt eine illustre Musikerschar aus Country und Americana legendäre Gefängnissongs und setzt sich für Gefängnisreformen und Haftverbesserungen ein – ist Margo Prices Version von „Hurricane“. Countrysängerin Margo Price interpretiert hier Dylans legendären Protestsong gegen die Inhaftierung des Boxers Rubin „Hurricane“ Carter. Und das ist mutig. Nur wenige und dazu noch kaum bekannte Musiker haben sich bislang an dieses Stück gewagt.

Selten gecoverter Dylan-Song

Bei der Recherche stießen wir auf Namen wie Middle Class Rut (schöne punkige Version) oder Andy B & The World (temporeicher Ska-Folk-Hybrid) oder Pedro Javier Gonzalez (Gitarrenstück rein instrumental). Dazu natürlich die eine oder andere Dylan-Coverband. Die ganz großen Namen sind da nicht dabei, sieht man mal von den Highwomen, Wolfgang Niedeckens BAP und Phil Lesh & Friends ab.

Umso höher ist die Courage von Margo Price zu wertschätzen, die sich den vielleicht am wenigsten gecoverten bekannten Dylan-Song ausgesucht hat. Der Song ist zu eng mit Bob Dylan und Hurricane Carter und der damaligen Dylan-Phase verbunden. Dylan hat ihn nach dem 1976, nach dem Ende der Rolling Thunder Revue nie mehr gespielt. Und wenn er gespielt wird, dann meist musikalisch recht nah am Original.

Eigene Gefängniserfahrungen

Nun also die Countrysängerin Margo Price. Dabei ist sie gar keine so typische Countrysängerin. Zwar wurde sie ganz standesgemäß in einer Kleinstadt im Mittleren Westen geboren, doch bevor sie in der Countryszene den großen Durchbruch hatte, spielte sie u.a. in der Band „Secret Handshake“ politische und sozialkritische Songs. Und ihre Leben hatte schon auch seine Tiefen, in dem auch eine Gefängniserfahrung gehört. So sagte im Interview mit dem Onlinemagazin „Fader“ zu ihrem Song „Weekender“: „Gefängnislieder sind in der Country-Musik ziemlich verbreitet, besonders in den alten Sachen. Aber ich glaube, es gibt nicht viele Frauen, die Gefängnislieder geschrieben haben. Ins Gefängnis zu gehen ist nicht sehr weiblich. Ich war einfach sehr deprimiert und habe viele schlechte Entscheidungen getroffen, und so endete es. Es war so etwas wie ein Wendepunkt. Ich wusste nicht, dass es so enden würde, aber ich wusste, dass ich so deprimiert war, dass etwas passieren würde, ob ich mich nun in eine psychiatrische Anstalt sperren lassen würde oder was auch immer, und so endete die Depression irgendwie. Es ist egal, wie süß und unschuldig du aussiehst. Wenn du schlechte Dinge tust, wirst du irgendwann erwischt. Versuche nicht, der Polizei davonzulaufen, ramme dein Auto nicht vor den Augen der Polizisten gegen Dinge.“

Margo ist Bob-Fan

Möglicherweise erklärt das ihre Teilnahme am Better Than Jail-Projekt. Aber warum Bob Dylans „Hurricane“? Nun, Bob Dylan hat für die Country- und Americanamusikerin tatsächlich eine besondere Bedeutung. Dem Magazin Pitchfork sagte sie 2020, kurz nach dem erscheinen von „Rough And Rowdy Ways: „Ich habe ihn schon in jungen Jahren gehört, aber erst mit 19 hat es bei mir richtig Klick gemacht. Damals begann ich, mich in Dylan zu verlieben, wollte so sein wie er und in seine Gedankenwelt eindringen. Ich war gerade nach Nashville gezogen und hatte von einem Ex-Freund „The Essential Bob Dylan“ bekommen – es ist das einzig Gute, was er mir hinterlassen hat. Ich war auf mich allein gestellt und jagte einem schwer fassbaren Traum nach; ich wusste nicht, ob er aufgehen würde, und es gab Leute in meinem Leben, die mir sagten, ich solle ihm nicht folgen. In diesem Alter wurde seine Musik wichtiger als alles andere. Und das blieb so. Er ist mein Songwriter Nr. 1 aller Zeiten.“ Im gleichen Interview schildert sie auch, wie sehr sie die Veröffentlichung von „Murder Most Foul“ berührt hätte und das sie gerne „Like A Rolling Stone“ geschrieben hätte. Ein echter Fan.

Dylans großer Einfluss

Also ist damit klar, dass sie bei der Vorgabe, einen legendären Gefängnissong neu aufzunehmen, bei Bob Dylans „Hurricane“ landen musste. „Das Lied handelt von der Inhaftierung des Boxers Rubin „Hurricane“ Carter. Es fasst rassistische und kriminelle Handlungen gegen Carter zusammen, die zu einem falschen Prozess und einer falschen Verurteilung geführt haben. Meine Band und ich haben es aufgenommen, um das Bewusstsein und die Unterstützung für die dringende Notwendigkeit zu stärken, die Schäden des Strafrechtssystems zu reduzieren.“, sagte sie bei der Vorabveröffentlichung auf Instagramm.

Und wenn man ihre Worte zu ihrem aktuellen Album „Strays“ bedenkt, dann passen Price und Dylan von ihrem Selbstverständnis wirklich gut zusammen, scheint sie doch sehr von ihm beeinflusst zu sein: „Ich fühle diesen Drang immer weiterzugehen und dabei Neues zu schaffen. Ansonsten bleibt man immer an derselben Stelle stehen.“

Immer wieder Dylan-Songs im Repertoire

Bob Dylan, Copyright Wikimedia Commons

Und wenn man dann noch auf ihre Konzert-Setlisten und ihre Auftritte sieht: Coverversionen von Dylan-Songs sind immer wieder darauf. „Oh Sister“, „Things Have Changed“, „Rainy Day Women“ usw.

Und so singt sie mutig den bald 50 Jahre alten Klassiker voller Kraft und Überzeugung. Ihre Version ist gut hörbar und gewinnt dem Song durchaus neues ab. Wo Dylan rebellisch und dennoch cool war, da singt Margo Price mit weiblicher Empathie und kraftvollem Engagement. Eine der interessantesten und feinsten Dylan-Cover der letzten Jahre.

Wann kommt denn endlich das Dylan-Coveralbum, liebe Margo Price?

Kris Kristofferson (1936 – 2024)

30. September 2024

Vor drei Jahren anlässlich des Retirements von Kris Kristofferson schrieb ich an dieser Stelle über ihn und sein Verhältnis zu Bob Dylan: https://cowboyband.blog/2021/01/28/bob-und-kris/

Copyright: Wikimedia Commons

Die beiden kennen sich seit Bob in Nashville 1966 „Blonde On Blonde“ aufgenommen hat. Kris war damals Hausmeister in den Columbia Studios und versuchte als Singer-Songwriter in Nashville zum Erfolg zu kommen. Später war er seine Songtexte während eines Hubschrauberfluges über Johnny Cashs Haus ab. Bis der dann tatsächlich sich für Kris‘ Texte erwärmte und „Sunday Morning Coming Down“ zum Hit machte. So wie Janis Joplin „Me And Bobby McGhee“ zum Hit machte, ehe Kris‘ Musiker und Schauspielerkarriere in den 1970ern an Fahrt aufnahm.

Bob spielte später mit Kris im Western Pat Garett & Billy The Kid. Wieder ein paar Jahre später hat Kris ebenso wie Dylan beim ersten Farm Aid-Concert 1985 gespielt. Im Repertoire hatte Kris immer auch mal Bobs „I’ll Be Your Baby Tonight“. So auch an dem denkwürdigen Abend im Oktober 1992, als Dylan dafür gehrt wurde, 30 Jahre bei Columbia Records zu sein. Kris begrüßte und führte durchs Programm und er war es auch, der Sinead O’Connor tröstete, als sie von der Menge ausgebuht wurde, weil sie ein paar Tage ein Bild des Papstes zerrissen hatte.

2015 würdigte Bob in seiner berühmt berüchtigten „MusiCares Speech“ mit den Worten „Alles war in Ordnung, bis – bis – Kristofferson in die Stadt kam. Oh, sie hatten noch niemanden wie ihn gesehen. Er kam in die Stadt wie eine Wildkatze, flog mit einem Hubschrauber in Johnny Cashs Hinterhof, kein typischer Songwriter.“

Ich habe einmal in den 2010er Jahren Kris Kristofferson live erleben dürfen, da war seine Stimme schon recht brüchig, aber Songs, die sonore Melancholie, die Tiefe und die Menschenfreundlichkeit waren unverändert da.

Nun ist Kris Kristofferson gestorben. Wieder einer weniger von denen, die für mich gefühlt schon immer da waren, die mich mein Leben lang begleitet haben. Es erfüllt mich mit Traurigkeit, denn er war auch immer eine amerikanische Stimme der Hoffnung und der Menschlichkeit. Er fehlt jetzt schon sehr. RIP, Kris Kristofferson.

Woog Riots: Collectors of Pop

27. September 2024

Eine Hommage an die Popkultur: Von Bob Dylan über Francesco Moser bis zu Hank Williams

„Collectors of Pop ist wie ein rosa Stück Kuchen, in das man schon immer beißen wollte. Zwölf Songs so bunt wie ein Wes Anderson Film, Slogans wie auf einer Pressekonferenz von Muhammad Ali, Melodien soft wie ein Kuss von Princess Di“, beschreibt das Darmstädter Indie-Pop-Duo Woog Riots sein neues Album „Collectors of Pop“ bildreich.

Und tatsächlich kommen sie damit der Musik, die auf dem neuen Album zu hören ist ziemlich nahe. Denn Silvana Battisti und Marc Herbert haben ihr musikalisches Konzept mittlerweile zum perfekten Pop-Soundtrack unserer Zeit ausgebaut. Ihre Musik filtert die Welt in all ihrer Schönheit, Absurdität, Gefährlichkeit, Schlechtheit und Obskurität meisterhaft in kurzen Popsongs. Das ist Pop, der in seiner Minimalistik große Kunst ist.

Und deswegen schreibt der Americana-Journalist, -Kurator und -Kulturvermittler über die Musik dieses Duos, das von einer ganz anderen musikalischen Richtung kommt. Denn gute Musik verbindet. Gute Musik trifft mitten ins Herz, berührt die Seele, bewegt was im Kopf und fährt in den Bauch. Und das kann Dir bei einem dreiminütigen Popsong ebenso passieren wie bei einer 17-minütigen Folk-Ballade.

Die Woog Riots besingen sowohl Yayoi Kusama mit ihren Polka-Dots…

Große Legenden werden besungen

Neben den Beschreibungen von Flussfahrten und Flitterwochen und anderem selbst erlebtem, nähern sich die Woog Riots diesmal auch mehreren großen Legenden an. Sie besingen die japanische Malerin Yayoi Kusama, die durch ihr Markenzeichen, die Polka Dots, berühmt wurde. Da gab es doch auch einen Sänger, der Polka Dot-Hemden an…ja, genau – Bob Dylan besingen die Woog Riots auch. Ihr Refrain “When youre lonely and on your own, You wish Bob Dylan knocks on your door” greift genau die Gefühle vieler Dylan-Freunde auf. Oder anders gesagt: “He was the brother that you never had” wie Bob Dylan in “Lenny Bruce” singt.

…als auch Bob Dylan, der gerne Polka-Dots Hemden trägt. Copyright: Wikimedia Commons

Auch der Avantgarde-Free-Jazz von Sun Ra wird hier in einen 3-Minuten Minimal-Pop-Song übersetzt und in einem weiteren Kabinettstückchen wird der großen italienischen Radsport-Legende Francesco Moser gehuldigt. Der Abschluss des Albums ist denkbar düster. Denn da covern sie als Hommage an den großen Countrysänger und „Hillbilly-Shakespeare Hank Williams dessen „Angel of Death“.

Perfekter, minimalistischer Pop, perfekter, typischer Woog Riots-Sound

Instrumentell gehen die beiden auch auf Collectors of Pop weiter entschieden ihren wunderbar eklektizistischen Weg. Marc Herbert ist für die genial eingängigen Gitarren-Riffs zuständig, die von Silvana Battisti mit großer Experimentierlust an verschiedenen Instrumenten wie Omnichord, Keyboard, Stylophone oder Melodica umspielt werden. Beide ergänzen sich stimmlich perfekt, dazu noch die eine oder andere Einspielung – und schon ist der typische Woog Riots-Sound perfekt.

Ein Sound, der mittlerweile zu Darmstadt gehört wie das Bölle, der große Woog oder der „lange Lui“.

Die Woog Riots stellen ihr neues Album jetzt auf Tour vor:

27.09.24 Hersbruck – Kulturbahnhof mit Knarf Rellöm Arkestra (HH)

28.09.24 Stuttgart – Wohnzimmer

29.09.24 Offenbach – Hafen 2 mit Knarf Rellöm Arkestra (HH)

03.10.24 Berlin – Schokoladen mit Guzzi & Scuzzo (HH)

04.10.24 Hamburg – Hanseplatte

05.10.24 Aschaffenburg – KunstLANDing, Kunstverein

16.10.24 Wien – Rhiz

Wieder in Darmstadt sind sie dann mit ihren Songs „Bob Dylan“ und dem Hank Williams-Stück „Angel of Death“ am 31. Oktober beim großen Jubiläumskonzert „10 Jahre Americana in Darmstadt“ dabei!

„Don’t Fence Me In“

20. August 2024

Bob Dylans Songbeitrag zum Reagan-Film-Soundtrack ist der Aufreger der Woche. Grund genug, um sowohl auf seine Filmsongs als auch sein Verhältnis zu den US-Präsidenten zu schauen

Copyright: Sony Music Promo

„Don’t Fence Me In“ ist ein sehr bekannter Cowboysong. Aber keiner wie „Home On The Range“ oder die Cowboy-Songs im Repertoire von Leadbelly, die Cowboys selber geschrieben und gesungen haben. Sondern geschrieben 1934 von Cole Porter für einen Film, „Adios Argentina“, der nie produziert wurde. Porter hatte den Text von Robert (Bob) Fletcher, einem Poeten und Ingenieur beim Highway Department von Montana. D.h. der Text atmet tatsächlich Western-Luft. Die Musik schrieb Porter dazu und es wurde ein Cowboy-Song-Klassiker, von dem Cole Porter aber selbst sagte, es wäre der, den er von seinen Kompositionen am wenigsten mochte.

Das tat seinem Erfolg aber keinen Abbruch. Ihn haben die „Singing Cowboys“ Roy Rodgers und Gene Autry geschmettert, Bing Crosby und Frank Sinatra, sogar Clint Eastwood und jetzt also Bob Dylan. An sich kein großes Thema, da Dylan ohnehin einen Hang zum Great American Songbook hat. Doch da der Song zum Soundtrack eines neuen Biopics über Ronald Reagan (Hauptdarsteller Dennis Quaid) gehört, ist das Heulen und Zähneklappern groß.

Keine Unterstützung für die Republikaner

Man kann davon ausgehen- und das habe ich hier schon öfters geschrieben – dass Dylan ein Mann der alten Roosevelt-Koalition ist. Seine Eltern haben als Juden in einer Bergarbeitergegend in Minnesota die Democratic Farmer Labor Party gewählt und Dylan selber hat sich über den demokratischen Senator Paul Wellstone lobend geäußert, ist mit Jimmy Carter befreundet und hat zumindest am Anfang auch Obama unterstützt. Er ist mit dem liberalen Willie Nelson und dem entschiedenen Demokraten John Mellencamp auf Tour, hat die gleichgeschlechtliche Ehe unterstützt und sein Album „Infidels“ ist auch eine kritische Betrachtung Amerikas unter Reagan.

Copyright: Proper Records

Warum zur Hölle, soll er nun mittels eines Songs, der im Abspann eines Films läuft – hier werden die Credits gezeigt, hier geht das Licht an und der Großteil verlässt den Kinosaal – sich für Reagan oder gar Trump aussprechen? Nein, nein, nein. Wie es ein Forumsteilnehmer auf expectingrain treffend formuliert hat: Würde er dies machen wollen, er hätte tausend bessere und offensichtlichere Möglichkeiten dies zu tun.

Interesse an Geschichte, Ironisches Statement und/oder Gefälligkeit für Freunde

Drei Gründe für sein Mitwirken könnten entscheidender sein. Zum einen: Bob hat ein großes Interesse an Geschichte und an Persönlichkeiten, die Geschichte geschrieben haben. Und er hat ein spezielles Faible für die Institution des US-Präsidenten und auch wer sie innehatte. Nur ein paar Beispiele:

  1. Wir erinnern uns gerne an das „Theme Time Radio Hour“-Special zum „President’s Day“, bei dem Dylan viel informatives und unterhaltsames zu den Präsidenten zum Besten gab. Zum Beispiel war es ihm wichtig zu erwähnen, dass Franklin D. Roosevelt als Präsident ein afroamerikanisches Beratergremium hatte.
  2. Dylan war wie viele seiner Generation beeindruckt von JFK und angefasst von dessen Tod. So sehr, dass er fast sechzig Jahre später „Murder Most Foul“ veröffentlichte.
  3. Bei dem Tribute-Konzert anlässlich des Todes von Wood Guthrie spielte er „Dear Mrs. Roosevelt, dass ja eine Hymne für Franklin D. Roosevelt ist.
  4. Und in „Key West“ findet dann auch der ermordete Präsident William McKinley nochmals Erwähnung und zwar genau mit den Anfangszeilen von „White House Blues“ von Charly Poole, das natürlich im oben erwähnten Special auch nicht fehlen durfte.
Copyright: Bullfrog Books

Wenn Bob nun diesen Song zum Reagan-Film-Soundtrack beisteuert, dann möglicherweise genau aus diesem Interesse an den US-Präsidenten. Einem an den sich die US-Linke besonders gerne abgearbeitet hat. Der noch als Gouverneur von Kalifornien mit Gewalt gegen protestierende Studenten vorging, später dann das rassistische Bild der „Welfare Queen“ schuf und dem Kampf gegen die Gleichberechtigung der Afroamerikaner die Maske des „War On Drugs“ aufsetzte. Alles nur, um durch die Spaltung der Arbeiterklasse seine gewerkschafts- und sozialstaatsfeindliche Politik durchsetzen zu können.

Der gleichzeitig als großer Kommunikator gefeiert wurde und doch nichts anderes war, als ein geschickter Verkäufer, Trickser und Blender. Wie P.T. Barnum, wie Buffalo Bill. Ein widersprüchlicher Typ, eine typisch amerikanische Geschichte. Genau der Stoff, den Bob interessiert. Egal, wie das Filmprojekt konkret aussieht.

Vielleicht, so die zweite Möglichkeit, ist der Song ja auch ein ironisches Statement von Dylan. Ein nachgemachter Cowboy-Song für den Fake-Cowboy Reagan. Das Bild mit Westernhut ziert ja das Filmplakat. Dass der Song die grenzenlose und zaunlose Freiheit einfordert, ist angesichts des Booms der Gefängnisindustrie unter diesem Präsidenten auch nochmal eine schöne Pointe. Ob Dylan da so subversiv unterwegs ist? Wir wissen es nicht.

Oder hat das Projekt, so die dritte Möglichkeit, Gene Simmons, Bandleader von „Kiss“ an Dylan herangetragen. Die kennen sich seit gut dreißig Jahren persönlich, als die beiden den Song „Waiting for the Morning Light“ geschrieben haben. 2012 war dann im Dylan-Video zu „Duquesne Whistle“ ein Gene Simmons-Impersonator (oder war er es selbst?) zu sehen. Durchaus einleuchtend, dass Gene Simmons der Link zu Dennis Quaids Filmprojekt sein könnte. Simmons hat sich in der Vergangenheit immer wieder für die Republikaner stark gemacht. Und Dylan hat damit einem Freund einen Gefallen getan? Oder hat er den Song aufgenommen, weil Quaid ein Cousin zweiten Grades von Gene Autry ist. Fragen über Fragen.

Jedenfalls war es wohl ein Freundschaftsdienst bei Tanya Tucker, die ebenfalls auf dem Soundtrack zu hören ist. Die wurde von Dennis Quaid als gute alte Freundin bezeichnet. Der Country-Star ist jedoch längst eine LGBT-Ikone und feste Größe bei der Nashville Pride Parade. Auch hier passt die gesellschaftliche Haltung nicht ganz zu Reagan und den Republikanern.

Gene Simmons, Copyright: Wikimedia Commons

Im Endeffekt scheint der Soundtrack wertiger als das B-Movie zu dem er gehört. Kein Wunder, dass Dennis Quaid sein Glück kaum fassen konnte, dass Bob Dylan und Tanya Tucker dabei sind. Doch das wird dem Film auch nicht helfen.

Fortsetzung der Serie „Schöne Dylan-Songs in schlechtem Umfeld“

Bleibt die Qualitätsfrage der von Dylan mit Songs belieferten Filme. Denn Dylan hat neben den legendären Filmsongs „Knockin‘ On Heavens’s Door („Pat Garrett & Billy The Kid“) und „Things Have Changed“ („Wonder Boys”) für bemerkenswerte Filme, auch so manch suspektes Projekt mit seinen Songs unterstützt. Auch hier einige Beispiele:

  • „Band Of The Hand“ ist ein filmisches Machwerk von 1986, dem Dylan & The Heartbreakers den Titelsong lieferten. Er ist quasi die Umsetzung des Reagan’schen Law & Order und „War On Drugs“ in Spielfilm-Format.
  • „I Belong To You“ für “Natural Born Killers” (1994). Ein Oliver Stone-Film, der eigentlich ein früher Tarantino-Film sein will und daher vieles moralisch relativiert und Gewalt ästhetisiert. Dylans Beitrag stammt aus den „Good As I Been To You“-Sessions.
  • Das wunderbare “Cross The Green Mountain” hat Dylan eigens für den doch sehr fragwürdig-pathetischen Bürgerkriegsschinken „Gods And Generals“ eingespielt.
  • Und auch seine großartigen Performances gehen letztendlich in der filmisch ungenügenden Umsetzung der eigentlich guten Idee von „Maske & Anonymous“ unter.

Dylan und der Film – immer wieder ein schwieriges Thema

Dylan und der Film bleibt somit auch 2024 weiterhin ein schwieriges Feld für unseren Künstler. Freuen wir uns einfach über die schöne Aufnahme, die in ihrer Qualität sicher auf einer Höhe mit  „Tell Ol’ Bill“ („North Country“) und „Waiting For You“ („Die göttlichen Geheimnisse der Ya-Ya Sisterhood“) sein wird, weiteren schönen Dylan-Songs, die sich in Film-Soundtracks versteckten.

Freuen wir uns lieber auf „A Complete Unknown“, dem neuen Biopic. Wobei: Gibt es da auch eine neue Dylan-Aufnahm im Soundtrack? Es darf spekuliert werden.

Bob Dylan, Tim Walz und die Minnesota-Demokraten

9. August 2024

Der legendäre Singer-Songwriter ist im Demokraten-Stammland Minnesota aufgewachsen. Tim Walz ist nah an den einfachen Menschen und großer Musik- und Dylan-Fan. Wird Dylan sich öffentlich für Tim Walz und Kamala Harris aussprechen?

Copyright: Wikimedia Commons

Von Bob Dylan ist überliefert, dass er gerne von der „Wilderness“ spricht, wenn es um die Mesabi Iron Range geht, die Bergbau-Region im Nordosten Minnesotas, in der er in Hibbing aufgewachsen ist. Einer eher unwirtlichen Gegend, so ganz anders als die Prairie-Landschaften Minnesotas, die an der westlichen Grenze zu North und South Dakota liegen und die Sinn- und Namensstiftend für Garrison Keillors Radio-Klassiker „A Prairie Home Companion“ sind, der so kongenial vom späten Robert Altman im gleichnamigen Film verewigt wurde.

Die Iron Range- Hochburg der Demokraten

Diese beiden so unterschiedlichen Landstriche zeigen auf, welche Kulturen prägend für den Staat sind. Der industrielle Bergbau im Nordosten, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Viehzucht im Rest des Landes. Dem trug in den 1930er Jahren die linksgerichtete Farmer Labor Party Rechnung. Sie forderte die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, eine Sozialgesetzgebung sowie Schutzmaßnahmen für den Bauernstand. Sie war in Minnesota sehr erfolgreich: Sie konnte vier US-Senatoren stellen und von 1931 bis 1939 bekleideten Mitglieder der Bauern- und Arbeiterpartei das Amt des Gouverneurs. 1944 schloss sie sich mit den Demokraten unter der Führung des späteren US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey zur Minnesota Democratic-Farmer-Labor Party zusammen und ist damit auf Bundesebene Teil der Demokraten.

Iron Range bei Hibbing, Minnesota, Copyright: Wikimedia Commons

Die Iron Range war über Jahrzehnte Stammland der Demokraten, ehe es auch dort aufgrund der industriellen Strukturveränderungen und der Politik der Demokraten auf Bundesebene bröckelte. Zuletzt hat aber gerade der Running Mate von Kamala Harris als demokratischer Gouverneur von Minnesota vieles richtig gemacht. Tim Walz spricht die Sprache der einfachen Menschen und verbindet linksliberale und soziale Politik, so dass Minnesota wieder eine demokratische Renaissance erlebt.

In der demokratisch geprägten Iron Range wuchs also der junge Bobby Zimmerman auf. Auch er wird in Hibbing die Democratic Farmer Labor Party wahrgenommen haben. Der jüdische Teil der amerikanischen Bevölkerung gehörte zur Roosevelt-Koalition, die weiße Arbeiter, Schwarze, Juden, Italiener und Iren unter ihrem Dach zu vereinte. Über die Nähe des liberalen amerikanischen Judentums zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung habe ich an dieser Stelle schon hingewiesen. Bobby Zimmerman fuhr als Junge in den Ferien ins zionistische Jugend-Camps. Die waren damals an der links-zionistischen israelischen Kibbuz-Bewegung orientiert.

Bob Dylan bleibt immer ein Teil des progressiven Amerikas

All das hat den jungen Bobby Zimmerman sicher in seinen Einstellungen und Verhaltensmustern geprägt. Und solche frühzeitig erworbenen Vorstellungen bleibt man doch oftmals auch im späteren Leben treu. Auch wenn Dylan sich mit orthodoxem Judentum und evangelikal-fundamentalistischem Glauben beschäftigt hat – immer wieder fand er heraus. Dylan bleibt immer ein Teil des progressiven Amerikas. Er ist mit Jimmy Carter und Willie Nelson befreundet. Und bleibt ein kritischer Begleiter. Spielte bei Bill Clintons Inauguration und danach nie wieder bei einer. War kurzzeitig von Obama begeistert und definierte in einem Vorwahl-Interview 2012 mit der Londoner „Times“ Armut als das größte Problem Amerikas. „Armut ist demoralisierend“, sagte er. „Man kann von Menschen, die arm sind, nicht erwarten, dass sie die Tugend der Reinheit besitzen. Aber wir haben da draußen jetzt diesen Mann, der die Natur der Politik von Grund auf neu definiert – Barack Obama. Er definiert neu, was ein Politiker ist, also müssen wir abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Habe ich Hoffnung? Ja, ich habe Hoffnung, dass sich die Dinge ändern könnten. Manche Dinge werden sich ändern müssen.“

Aber schon bald ging er auf Distanz zu Obama, was möglicherweise damit zusammenhing, dass dieser Präsident seine Hoffnungen nicht erfüllte und gerade während der Finanzkrise nichts gegen die Armut und nichts für die kleinen Sparer und Eigenheim-Besitzer gemacht hat.

Senator Paul Wellstone,Copyright: Wikimedia Commons

In der Vergangenheit hat Dylan sich schon einmal öffentlich zu einem demokratischen Politiker aus seinem Heimatstaat geäußert. Senator Paul Wellstone war ein volkstümlicher Held für die Stahlarbeiter und Gewerkschafter der Iron Range Region. Im Oktober 2002, kurz nach dem Unfalltod Wellstones, widmete Dylan ihm ein Lied. „Dieses Lied war für meinen Mann, den großen Senator aus Minnesota“, sagte Dylan, sagte er bevor er eine Akustikversion von „The Times They Are A’Changin’“ zu Ende spielte. Wieder ein klarer Hinweis, wie sehr Dylan immer noch von seiner Heimatregion geprägt ist.

Tim Walz: der progressive Midwestern Dad

Nun hat Minnesota wieder einen volkstümlichen linken Demokraten an der Spitze, der nun sogar als Kandidat für das Amt des Vize-Präsidenten kandidiert und damit der Running Mate von Kamala Harris ist. Dass die Wahl auf Tim Walz, dem Gouverneur eines Staates des Mittleren Westens, fiel, zeigt, dass die Demokraten seit Clinton und Obama dazu gelernt haben. Sie hatten über Jahre das sogenannte „Fly Over Country“ völlig ignoriert, insbesondere Hillary Clinton hatte u.a. auch wegen dieser eigenen Ignoranz die Wahl 2016 verloren. Dass nun ausgerechnet aus Pennsylvania, Kentucky, North Carolina, Michigan und Arizona eine Großzahl von neuen Hoffnungsträgern der Demokraten kommt, zeigt eine neue Verbundenheit zur sozialen Frage. Selbst Partei-Zentrist Biden hatte ja das größte US-Investitionsprogramm seit dem New Deal von Roosevelt ins Rollen und damit die Wirtschaft zum Boomen gebracht.

Und so könnte das wieder eine ähnlich große Koalition werden, wie sie auch Roosevelt, Kennedy, Clinton und Obama ins Amt gebracht haben. Harris steht vor allem für Schwarze, Frauen und Liberale von den Küstenstreifen. Tim Walz gelingt es als eher linkem Politiker trotzdem gerade auch die einfachen, konservativeren Menschen im Landesinneren anzusprechen. Er spricht ihre Sprache. Seine Biographie ist dabei so traditionell amerikanisch, dass er für moderate Konservative, die selber auch nichts mit den Büffelfell und Hörner tragenden Capitol-Stürmern anfangen können, absolut wählbar ist.

Im Midwest-Staat Nebraska geboren und aufgewachsen, hat ihn die Liebe nach Minnesota verschlagen. Er hat 24 Jahre hat er in der Nationalgarde gedient. Er hat in einer staatlichen Bildungseinrichtung das Lehramt studiert und dann einige Jahre als Lehrer gearbeitet. Und da die Amerikaner Sportgeschichten lieben, ist es natürlich eine großartige Story, dass er in dieser Zeit auch als Football-Trainer aus einem Verliererteam eine Erfolgsmannschaft geformt hat. Walz ist damit so etwas wie der „Coach Carter“ (legendärer Basketball-Trainer) oder der „Buttermaker“ (Baseball-Film „Die Bären sind los“) der amerikanischen Politik. Und er ist bekennender Vater, wird gerne als der typischer „Midwestern Dad“ bezeichnet. 2019 setzte er sich gegen den republikanischen Mitbewerber durch und wurde Gouverneur von Minnesota. Sein Vorsprung war der größte bei einer Gouverneurswahl seit 1994 sowie der höchste Sieg für die Demokraten seit 1986.

Tim Walz im Gespräch, Copyright: Wikimedia Commons

Football-Coach und Musik-Fan

Und er ist ein großer Musik-Fan. So schrieb die Variety“ dieser Tage: „Unter den vielen Dingen, die ein tiefer Einblick in die sozialen Medien offenbart, erstreckt sich Walz‘ musikalischer Horizont weit und über Jahrzehnte. Er ist nicht nur ein Swiftie, sondern auch Mitglied des Beyhive [dem Byoncé-Fanclub, Anm. d. Verf.]. Er liebt klassischen Rock – von Warren Zevon will man erst gar nicht anfangen – und ist ein Kenner des Vinyl-Formats. Oh, und er kommt vielleicht nicht aus New Jersey, aber er liebt Bruce Springsteen. Das heißt aber nicht, dass er Minnesota nicht vertritt: Er ist ein Prince-Fan und hat in einer Erklärung die Replacements und Lizzo namentlich erwähnt.“ Er ist auch von den musikalischen Beiträgen Minnesotas so begeistert – neben Dylan stammen auch Prince, Hüsker Dü und die Andrew Sisters aus dem Nordstaat – so dass er den Minnesota Music Month ins Leben rief, der seit 2019 jährlich im April zelebriert wird.

Und natürlich ist er Bob Dylan-Fan. Als bekennender Dad hat Tim Walz 2021 zu Dylans 80. Geburtstag dessen „Forever Young“ als seinen Lieblings-Dylan-Song bezeichnet. Und 2023 eröffnete Walz die Gastspiele des Broadway-Musicals „Girl From the North Country“, dessen Musik auf Bob Dylan-Songs basiert, in Minneapolis, im dortigen Orpheum Theatre, das von 1979 bis 1988 Dylan selbst gehörte: „Es gibt keinen besseren Ort, um ‚Girl From The North Country‘ – eine Geschichte, die in Duluth spielt und zur Musik von Bob Dylan gehört – zu eröffnen, als hier in Minnesota im Orpheum.“

Copyright: 2024 GIRL FROM THE NORTH COUNTRY

Wird Dylan sich öffentlich positionieren?

Jetzt stellt sich wirklich die Frage: Wird Dylan angesichts seines Landsmannes als Running Mate, der ein Herz für die einfachen Menschen aus Midwest hat und die soziale Frage am Herzen liegt, sich öffentlich vor der Präsidentschaftswahl positionieren? Wenn überhaupt, wird er das wohl in seiner typischen Art verklausuliert machen. Aber man wird jetzt noch genauer auf die wenigen, nicht gesungenen Worte auf der Bühne achten. Von all seiner Kunst, seiner Herkunft und seinem Umfeld her, weiß man ohnehin wo er steht. Und wer weiß: Vielleicht trägt Tony Garnier diesmal einen Harris/Walz-Button beim Konzert…

“You Can’t Judge a Book by the Cover”

26. Juli 2024

“A Complete Unknown”: Bitte erst den fertigen Film schauen, dann urteilen

Die aufgeregten News über die Dreharbeiten mit Timothée Chalamet als Bob Dylan führten in den vergangenen Monaten zu ebenso aufgeregten Reaktionen. Da wollten doch tatsächlich einige den Film und die Qualität der Dylan-Darstellung von Chalamet an den Stills der Dreharbeiten festmachen. „Nein, der passt doch nicht!“ oder „Der sieht Dylan ja gar nicht ähnlich!“ Auch bei dem soeben veröffentlichten ersten Trailer waren die Reaktionen ähnlich. Denen sei mit dem guten alten Willie Dixon Songtitel geantwortet: „You Can’t Judge a Book by the Cover“!

Kein Ähnlichkeits-Wettbewerb

Schauspielerei ist kein Impersonator-Contest und auch kein modeln. Dass jemand in die Rolle eines anderen schlüpft und man es ihm abnimmt, hat viel damit zu tun, ob das Innere und das Äußere passt. Natürlich kann Dylan nicht von einem blonden Hünen gespielt werden. Aber ein paar Zentimeter Körpergröße, eine andere Augen- oder Mundpartie geben nicht darüber Aufschluss, ob die Darstellung am Ende passt. Es müssen der Charakter der Person durch das Spiel erkennbar sein, der Tonfall, die Bewegungen, die Präsenz, die Formulierungen müssen sitzen. Best Practise: Joaquin Phoenix als Johnny Cash.

Andere Kritikaster finden Biopics per se überflüssig oder anmaßend. Okay, Ihr müsst es ja auch nicht anschauen. Und ja: Ich bin immer für Popularisierung zu haben. Keiner muss Bob Dylan-Fan werden. Keiner soll und muss sich so tiefschürfend wie wir „Dylanologen“ in Werk und Wirken des Meisters hineinfressen. Aber die Bedeutung, die dieser Künstler hat, welche musikhistorischen Augenblicke mit ihm verbunden sind – das sollten so viele Menschen wie möglich wissen. Und wenn am Ende ein gutgemachtes, unterhaltsames Biopic wie bei Johnny Cash herauskommt, ist alles Gut.

Der Regisseur versteht sein Metier

Dafür steht James Mangold. Mangold ist als Regisseur eher Kunsthandwerker denn Künstler, aber er versteht sein Metier. Das war bei „Walk The Line“ so, das wird bei „A Complete Unknown“ hoffentlich auch so sein. Beim Blick auf den Cast war und ist Chamalet einfach erste Wahl. Sowohl vom schauspielerischen Können, als auch von seiner Bekanntheit. Wenn junge Menschen über ihn Bob Dylan, kennenlernen – why not?

Gespannt darf man auf die weiteren Hauptfiguren sein. So gerne hätte ich Benedict Cumberbatch als Pete Seeger gesehen, doch da das Filmprojekt erst wegen Corona und dann wegen der Hollywood-Streiks immer wieder verschoben werden musste, konnte der Sherlock Holmes-Darsteller nicht in die Rolle des Folk-Mentors schlüpfen. Edward Norton hat ihn ersetzt. Ellen Fanning spielt Suze Rotolo, die in dem Film nicht so heißen darf, sondern hier Sylvie Russo heißt. Joan Baez wird von Monica Barbaro gespielt und Johnny Cash von Boyd Holbrook. Hier heißt es abwarten, ob die Figuren den realen Vorbildern entsprechen. Sylvie Russo (Suze Rotolo) beispielsweise darf dann natürlich kein Prinzesschen sein, sondern muss eine junge, gebildete, engagierte Aktivistin sein, die mit ihren politischen Ansichten sowie ihren Kunst- und Literaturkenntnisse entscheidenden Einfluss auf Dylans damaliges Songwriting hatte.

Stimmen die Figuren, wird die richtige Geschichte erzählt?

Das Drehbuch basiert auf Elija Walds großartigem Buch „Going Electric“. Das lässt hoffen, dass der Film plausibel ist und historisch sowohl die Verhältnisse als auch die damaligen Protagonisten richtig einordnet. Geschrieben haben es James Mangold und Jay Cocks. Cocks war als Drehbuchautor u.a. an so unterschiedlichen Filmen wie Martin Scorseses „Gangs Of New“ und „De-Lovely“, dem Cole Porter-Biopic von Irwin Winkler beteiligt. Wir haben es hier also hier mit einem erfahrenen und renommierten Autor zu tun.

Als Co-Produzenten zeichnen u.a. Dylans Manager Jeff Rosen und Dylan selbst verantwortlich. Da Dylan bekanntermaßen nie wirklich großen inhaltlichen Einfluss auf solche Projekte nimmt – siehe das Musical „Girl From The North Country“ oder die Ausstellungen und Veranstaltungen des Bob Dylan Centers in Tulsa – sollten wir uns vor einer Seligsprechung oder reiner Lobhudelei nicht fürchten müssen.

Der Film soll in den USA im Dezember, in Großbritannien und Irland im Januar starten und ist dann vorerst nur in Kinos zu sehen. Ein deutscher Starttermin ist noch nicht bekannt.

Ich freue mich auf den Film!

27 mal 74

14. Juli 2024

Bob Dylans 1974er Tour wird von Sony Music mit einer aufwändigen CD-Retrospektive im Umfang von 27 CDs gewürdigt

Copyright: Sony Music

Inhaltlich hatte ich bereits am 5. Januar an dieser Stelle anlässlich des 50-jährigen Jubiläums an Bob Dylans 1974er Tour erinnert:

www.cowboyband.blog/2024/01/05/vor-50-jahren-bob-dylans-zwiespaltiger-triumphzug/

Zwiespältiger Triumphzug

Es war wirklich ein zwiespältiger Triumphzug. Die Akteure konnten sich aufgrund der bis dahin im Rock-Business nicht dagewesenen Kartennachfrage ihres Status sicher sein und wurden auf Händen getragen. Dafür ließen sie sich aber künstlerisch auf zu viele Kompromisse ein, indem sie die erwarteten Rollen spielten. Levon Helm erinnerte sich später: „Manchmal hatte ich das komische Gefühl, dass wir die Rollen von Bob Dylan und The Band spielten und das Publikum dafür bezahlte, um zu sehen, was es vor vielen Jahren verpasst hatte.“ Auch Dylan hatte Probleme mit der Rolle, die er in dieser Tour spielte, und sagte nachdenklich 1980 in einem Interview: „Als Elvis 1955 ‚That’s All Right, Mama‘ spielte, war es Sensibilität und Kraft. 1969 war es einfach pure Kraft. Dahinter steckte nichts anderes als nur Gewalt. Ich bin auch in diese Falle getappt. Nehmen Sie die Tour von 1974. Es ist ein sehr schmaler Grat, den man beschreiten muss, um mit etwas in Kontakt zu bleiben, wenn man es einmal erschaffen hat … Entweder es hält einem stand oder nicht.“

Nichtsdestotrotz: Ein einziger Dylan-Rausch

Nichtsdestotrotz war es ein riesiger Dylan-Rausch, der mit „Before The Flood“ bislang auf offiziellen Tonträgern nur unzureichend dokumentiert wurde. Nun wird am 20. September mit der neuen 27-CD-Box „The 1974 Live Recordings“ alles veröffentlicht, das damals professionell mitgeschnitten wurde. Und damit wohl auch das Copyright für diese Musik gewahrt. Da aber viele Dylan-Fans ohnehin alles schon haben, stellten sich die Fragen: „Braucht man das? Und für diesen Preis?“.  Der Preis, der bei den führenden Anbietern derzeit 119 Euro für die 27 CDs beträgt, ist, gegenüber dem zwischen 89 und 109 Euro rangierenden Preis für die fünf „Fragments“ CDs, allerdings geradezu ein Schnäppchen. Noch dazu gibt es viele Fotos und neue Liner Notes der Journalistin Elisabeth Nelson. Und in der Box stecken dann folgende Konzerte:

Disc 1: January 3, 1974 – Chicago Stadium, Chicago, IL

Disc 2: January 4, 1974 – Chicago Stadium, Chicago, IL

Disc 3: January 6, 1974 (Afternoon) – The Spectrum, Philadelphia, PA

Disc 4: January 6, 1974 (Evening) – The Spectrum, Philadelphia, PA

Disc 5: January 7, 1974 – The Spectrum, Philadelphia, PA

Disc 6: January 9, 1974 – Maple Leaf Gardens, Toronto, Canada

Disc 7: January 11, 1974 – Montreal Forum, Montreal, Canada

Disc 8: January 14, 1974 (Afternoon) – Boston Gardens, Boston, MA

Disc 9: January 15, 1974 – Capital Centre, Largo, MD

Disc 10: January 16, 1974 – Capital Centre, Largo, MD

Disc 11: January 17, 1974 – Coliseum, Charlotte, NC

Disc 12: January 19, 1974 (Afternoon) – Hollywood Sportatorium, Hollywood, FL

Disc 13: January 21, 1974 – The Omni, Atlanta, GA

Disc 14: January 22, 1974 – The Omni, Atlanta, GA

Disc 15: January 26, 1974 (Afternoon) – Hofheinz Pavilion, Houston, TX

Disc 16: January 26, 1974 (Evening) – Hofheinz Pavilion, Houston, TX

Disc 17: January 30, 1974 – Madison Square Garden, New York City, NY

Disc 18: January 31, 1974 (Afternoon) – Madison Square Garden, New York City, NY

Disc 19: January 31, 1974 (Evening) – Madison Square Garden, New York City, NY

Disc 20: February 9, 1974 (Afternoon) – Seattle Center Coliseum, Seattle, WA

Disc 21: February 9, 1974 (Evening) – Seattle Center Coliseum, Seattle, WA

Disc 22: February 11, 1974 (Afternoon) – Alameda County Coliseum, Oakland, CA

Disc 23: February 11, 1974 (Evening) – Alameda County Coliseum, Oakland, CA

Disc 24: February 13, 1974 – The Forum, Inglewood, CA

Disc 25: February 14, 1974 (Afternoon) – The Forum, Inglewood, CA

Disc 26: February 14, 1974 (Evening) – The Forum, Inglewood, CA (Pt. 1)

Disc 27: February 14, 1974 (Evening) – The Forum, Inglewood, CA (Pt. 2)

Copyright: Sony Music

Der Chronist freut sich daher vor allem auch auf die Version von Mr. Tambourine Man vom Abendkonzert in Los Angeles am 14. Februar, bei der Garth Hudson Akkordeon spielte, in bester Tonqualität.

In Verbindung mit „The 1974 Live Recordings“ hat Jack Whites Third Man Records übrigens die Veröffentlichung von „The 1974 Live Recordings – The Missing Songs From Before the Flood“ für September angekündigt, ein 3-LP-Set, das handverlesene Versionen aller Songs enthält, die Bob Dylan damals aufgenommen hat und die nicht auf dem Original-Livealbum von 1974 enthalten waren. Das Set ist ausschließlich auf farbigem Vinyl gepresst und wird über The Vault erhältlich sein, Third Mans Direktversandservice.

417 bislang unveröffentlichte Live-Tracks

Für die 27-CD-Box verspricht die Plattenfirma: „‘The 1974 Live Recordings‘ bietet den Fans 417 bisher unveröffentlichte Bob-Dylan-Live-Tracks – darunter 133 neu abgemischte Aufnahmen von 16-Spur-Bändern und jede einzelne überlebende Soundboard-Aufnahme.“ Und weiter: „Bob Dylan und The Band traten zum ersten Mal in Arenen auf und spielten 30 Konzerte in 42 Tagen (oft mit zwei Sets pro Tag) vor durchschnittlich 18.500 Zuschauern – und setzten damit neue Maßstäbe dafür, wie Rockkonzerte aussehen und klingen können.“

Der Rolling Stone lobte damals die Energie, die Dylan & The Band auf die Bühne brachten. Doch bei Dylan machten sich am Ende doch Zweifel breit. Danach sollte er damit beginnen, die Erwartungen des Publikums immer mehr zu unterlaufen. Dieser Rausch, diese „Dylan-Mania“ kam in dieser Form nicht mehr auf. Doch die Rolling Thunder Review oder die 1978er-Tour begeisterten auf ganz andere Art. Abgesehen von den späteren Touren wie die „Rough And Rowdy Ways-Tour“, wo er sich im Grunde vollständig vom Greatest Hits-Konzept distanziert.

Und doch ein Meilenstein in Dylans Karriere

Die 1974er-Tour bleibt aber trotz all dieser Widersprüchlichkeiten als Comeback-Tour ein Meilenstein in Dylans Karriere. Gut, dass nun so viele Konzerte und Songversionen zugänglich gemacht worden sind. Der Chronist freut sich und wird über das Hör-Erlebnis berichten.

Mehr denn je „Piano Man“

12. Juli 2024

Ein Blick auf den ersten Abschnitt der Outlaw-Tour und darauf, was im Herbst kommt

Just als die Outlaw Festival-Tour losgehen sollte, fehlte der Hauptakteuer. Willie Nelson, Countrylegende und heuer 91 Jahre alt geworden, war krank und von seinen Ärzten aus dem Verkehr gezogen worden. So gingen die ersten acht Termine dieses am 21. Juni gestarteten Americana-Gipfeltreffens – auf dem Programm stehen in den insgesamt drei Tourabschnitten Bob Dylan, Robert Plant und Alison Krauss, John Mellencamp, Celisse, Brittney Spencer und Southern Avenue, für einen Termin auch Billy Strings – ohne den Initiator und Spiritus Rektor dieser Konzertreise über die Bühne. Erst am 4. Juli, bei seinem traditionellen Konzerttermin am amerikanischen Unabhängigkeitstag konnte er zu seinen Freunden dazustoßen und auf die Bühne zurückkehren. Währen seiner Abwesenheit vertrat ihn sein Sohn mit einem „Willie-Best Of“, unterstützt von Gast-Stars wie Susan Tedeschi und Derek Trucks.

Dylans neues Konzertformat

Bei so viel Zusammentreffen alter Helden, fühlte sich dann wohl auch Dylan bemüßigt, für diese Tour auf seinen alten, auch schon 81-jährigen, Freund Jim Keltner als Drummer zu berufen. John Pentecost war damit gerade mal etwa ein Jahr an den Stöcken der Bob Dylan-Band. Überraschenderweise wurde dagegen Donnie Herron, der in der Band fast 20 Jahre für Pedal Steel, Mandoline, Banjo und Trompete zuständig, ersatzlos gestrichen. Eine ungewöhnliche Maßnahme, die nicht alle Dylan-Fans goutierten.

Und als dann die ersten Setlists und die Ton- und Bilddokumente auftauchten, da stand zweierlei fest:

  1. Die Rough And Rowdy Ways-Tour ist vorerst zu Ende oder ausgesetzt
  2. Herr Dylan spielt wieder einmal was er will

Aber hat er auch einen Plan oder würfelt er einfach? Schnell wurde klar, dass wir eine Art Tempest-Revival-Tour erlebten. Zwei bis drei Songs alleine vom vorletzten Album von 2012 (Und ein „Tempest“-Shirt unter den Tour-Devotionalien!). Dazu zwei von Highway 61 Revisited, zwei von „Time Out Of mind“, völlig kam überraschend „Under The Red Sky“ wieder zu Konzert-Ehren, daneben wenige Songs, die schon im RARW-Programm waren wie „I’ll Be Your Baby Tonight“ und einige Rückkehrer wie „Simple Twist Of Fate“ oder „Ballad Of A Thin Man“.

Viele Coverversionen

Vor allem aber fielen auch hier die vielen Cover-Songs auf. „Little Queenie“ von Chuck Berry und „Mr. Blue“ des fast vergessenen Gesangsrios „The Fleetwoods“ wurden bald zu Regulars der Konzerte. So formte sich im Laufe dieses Tourabschnitts eine Setlist heraus. Aber was sein künstlerisches Konzept dahinter ist, das harrt der Dechiffrierung. Oder braucht man gar nicht da hineinzugeheimnissen?

Der Sound der Dylan-Konzerte war sicher minimalistischer als in den letzten Jahren. Gitarren, Drums und Dylans Piano – das muss reichen. Er ist momentan mehr denn je „Piano Man“. Die Arrangements waren durchaus richtig gut, sie hätten aber auch opulenter instrumentiert sein können.

Doch das alles tat der Begeisterung keinen Abbruch wie Augen- und Ohrenzeugen berichten. „Robert Plant und Alison Krauss waren stimmlich super, aber Stimmung kam erst bei Dylan auf. Aber er schlurfte mit Handtuch überm Kopf auf die Bühne, verschwand hinter dem Klavier, sprach nichts, sang, das aber fantastisch, und ging“, erinnert sich eine gute Freundin, die beim Konzert am Jones Beach in Wantagh, NY am 29. Juni vor Ort war. Also typisch Dylan.

Der war musikalisch gut aufgelegt, wie berichtet wird.  Er und sein Piano standen im Mittelpunkt der Konzerte. Am Ende des ersten Tourabschnitts kam dann jeden Abend Micky Raphael, Willie Nelsons legendärer Mundharmonika-Virtuose und begleitete Dylan bei „Simple Twist Of Fate“. Herzerweichend schön!

Viele Fragen

Nun schauen alle auf den nächsten Abschnitt der Tour. Wird Willie alle Konzerte spielen? Verändert Bob sein Konzertformat und seine Band erneut? Fragen über Fragen.

Dahinter wabern weitere Fragen. Nach dem nun für den 20. September die 27-CD-Box zur 1974er Tour angekündigt worden ist, stellt sich dennoch die Frage nach einem neuen Album mit Originalsongs. Ein Indiz dafür könnte die Setlist sein. Ein Zeugnis des Übergang von Rough And Rowdy Way to some completely different? Ein Indiz dagegen, dass belastbare Quellen von Herbstkonzerten in Europa sprechen. London und Edinburgh wurden gerüchteweise schon als mögliche Spielorte genannt.

Also bleibt es bei den immerwährenden Dylan-Themen Album und Tour wieder einmal dabei: „Something is happening here and we don’t know what it is“

Brian Junker-Latocha: Rhythm & Rhyme

7. Juli 2024

Das Debüt-Album des in Deutschland lebenden US-Amerikaners bietet Singer-Songwriter-Folk as it’s best

Brian Junker-Latocha. Copyright: http://www.felixrosic.de

Wow, das geht schon richtig gut los. „Love Me For A Minute” ist beschwingt und hat Ohrwurm-Qualitäten. Der originelle Promotext zum Album hat nicht zu viel versprochen: „Brian Junker-Latochas rhythmische Americana-Wurzeln und mitreißende Folkpop-Melodien sind das Ergebnis davon, wenn man einen amerikanischen Gitarristen von der Ostküste in den fruchtbaren deutschen Boden steckt und etwas Bier darüber gießt.“

Der in Florida und Virginia aufgewachsene Brian ist wegen des Studiums nach Europa gekommen und hat dann in der Rhein-Main-Region Wurzeln geschlagen. Gut für die deutsche Americana-Szene, denn die kann sich über einen äußerst talentierten Musiker freuen, der mit „Rhytm & Rhyme“ nun sein erstes Album unter seinem bürgerlichen Namen und mit eigenen Songs vorlegt. Als Brian Kenneth hat er einige Jahre schon mit seinen wundervollen Adaptionen traditioneller amerikanischer und irischer Folksongs begeistert, jetzt war es an der Zeit sich selbst in Songs auszudrücken.

Und wie er es tut! Es ist ein wunderschön zu hörender, ganz entspannter Folk-Pop, der sich da enthaltet. Nach dem Auftaktsong über den Brian sagt „melancholische Strophen und fröhliche Refrains machen eine traurige Situation bittersweet“, folgen eine ganze Reihe von Songperlen. „Strum One More Love Song“ feiert die offenen Bühnen der Rhein-Main-Region, auf denen, so Brian, „düstere Worte und fröhliche Töne die Gemüter des Publikums und des Künstlers zugleich trösten“.

Doch auch wenn die Stimmung des Albums vorwiegend lässig und entspannt ist, bleibt Brian seinen musikalischen Wurzeln treu. In „Flooding On The James“ singt er ein „appalachisches Katastrophenlied, das die Kraft der Liebe auch im Angesicht des sicheren Todes beschwört“.

Copyright: Brian Junker-Latocha

Schönster Song des Albums ist wohl „The City Slicker“, der wohl am nächsten am traditionellen Folk ist. Was Brian als „Sommertraum eines Großstadtmenschen mit dem Kopf in den Appalachen-Bergen“ bezeichnet ist ein altes Thema im Folk. Die Sehnsucht der Menschen in den Großstädten des Nordens nach der Landschaft des Südens. Ob es die Schwermut über die Ferne der Heimat ist wie bei Jimmie Rodgers Klassiker „Miss The Mississippi And You“ oder die Liebe des überzeugten Großstadtmenschen zu den Bergen – immer geht es um Sehnsuchtsorte, ohne die die Menschen wohl nicht leben können.

Mit „In a Jiff“ schließt das Album dann mit einer klugen Reflexion über die Zufälle im Leben und wie gut es ist, positiv nach vorne zu blicken. Diese positive Stimmung ist, die das Album ausmacht. Auch bei Katastrophen, auch in schwierigen Zeiten behält Brian Junker-Latocha seinen Optimismus. Ein tröstliches Album angesichts des Zustands unserer Welt.

Das Album wird vertrieben über: alle Streaming- Plattformen (https://listen.music-hub.com/UJeuyU), über Bandcamp, als Download für 10€ (https://brianjunkerlatocha.bandcamp.com/album/rhythm-rhyme) sowie bei Konzerten auf einer USB-„Holzplatte“ für 10€.

Brian Junker-Latocha tritt am 31. Oktober bei der großen Jubiläumsveranstaltung „10 Jahre Americana in Darmstadt“ auf.